Sven Väth klagt auf Instagram, dass heutige DJ-Bühnen immer mehr wie "Rock’n’Roll-Arenen” aussehen: "Konfetti, Feuerwerk, Explosionen, Pyrotechnik, das volle Showprogramm”. Und dass dabei, leider, leider, die Musik "in den Hintergrund rückt”. Natürlich hat er damit vollkommen recht. Nur: Es wirkt ungefähr so überzeugend, als würde der Marlboro-Mann in einer Anti-Raucher-Kampagne auftreten.
Väth, der Mann, der die DJ-Kanzel schon in den Neunzigern zum Raumschiff umgebaut hat (damals sagte man wirklich "DJ-Kanzel”), der auf Ibiza aus der Booth eine Theaterbühne machte, inklusive Tänzerinnen, LED-Wänden und Laser-Inferno – genau dieser Väth mahnt nun, dass es irgendwie zu viel Show geworden sei. Man möchte fast applaudieren: Endlich mal einer, der es sagt! Und gleichzeitig lachen, weil der Mann, der das Feuer gelegt hat, jetzt vor den Flammen warnt.
Manege frei!
Dabei liegt doch genau darin der Zauber dieser sogenannten Szene: Sie lebt von der Doppelmoral, vom Dauerwiderspruch. Die meisten wissen, dass es absurd ist, viele beklagen es, und alle machen trotzdem mit. DJs posten mehr Selfies auf der Yacht als vom Dancefloor, versichern ihre Hände, verkaufen Shirts für 170 Euro. Und tun so, als stecke da noch die große Revolte drin. Das ist ungefähr so glaubwürdig, wie wenn ein Influencer "heute mal offline” ankündigt und drei Sekunden später seinen Detox-Drink in die Story stellt.
Ja, die Booth ist längst kein Arbeitsplatz mehr, sondern ein Laufsteg. Ein Volksbühnenstück. Man könnte auch sagen: ein Wrestlingring, in dem alle performen, also: eine Rolle spielen. Charlotte de Witte: die kalte Königin, stoisch, unantastbar. Peggy Gou: Popstar, Fashion-Label, Magazine-Cover, eine ganze Lifestyle-Industrie in einem Körper. Amelie Lens: die ewige Headlinerin, so professionell, abgeklärt. Und ja, auch die Männer: Solomun als Messias, der mit ausgestreckten Armen die Crowd segnet. Boris Brejcha im venezianischen Karnevalsmasken-Kostüm. Alles Show, alles Inszenierung. Das Set ist Soundtrack, nicht Hauptattraktion.

Hauptsache Knall
Aber für die Attraktion, dafür ist die Crowd ja da. Und sie spielt perfekt mit – filmt, zoomt, wartet auf den Drop oder den DJ, um exakt diesen einen, einzigartigen Moment in die Story schieben zu können. Das wahre Publikum steht nämlich nicht vor der Bühne, es wischt durch Instagram-Reels, irgendwo in Buenos Aires, Tokio oder Wanne-Eickel. Hauptsache, das Feuerwerk knallt synchron zum Drop.
Natürlich gibt es Ausnahmen. Menschen, die es schaffen, sexy und magnetisch zu sein, ohne sich in Glitzerkanonen zu verheddern. Ben UFO, der nie produziert hat, aber Sets spielt, die mehr über Clubmusik erzählen als jede Arte-Doku. Helena Hauff, die immer noch Platten rumschleppt, als hätte es nie eine Alternative gegeben. Diese Leute sind keine Asketen, keine Helden der Reinheit. Aber sie zeigen, dass ein Gig nicht automatisch Zirkus sein muss. Dass Musik tatsächlich ausreichen kann.
Nur: Sie profitieren auch vom Kontrast. Beispiel? Marlon Hoffstadt tut so, als sei er die deutsche Stadionantwort auf Bruce Springsteen. Klar ist das Show. Klar gehen die Leute extra dafür hin. Grölen den Refrain. Halten zweieinhalb Stunden ihr iPhone hoch. Glaubwürdig ist es aber nur, weil nebenan jemand mit LED-Wings und einer Konfettikanone auftritt. Die Anti-Show funktioniert schließlich nur, solange es die Show gibt. Das "Ich mach nur Musik” ist eben auch eine Pose. Aber eine Pose, die wir gerade sehr, sehr nötig haben, weil alles andere in Dauerfeuerwerk ertrinkt.
Ganz großes Theater
Und dann kommt wieder Väth und sagt, es gehe nur noch ums Spektakel, um die Ego-Performance, ums Lifestyle-Korsett. Aber dass er das seinen 721.000 Instagram-Followern zutrötet, ist circa so, als würde Bono plötzlich predigen, dass Rockmusik zu moralinsauer geworden sei. Man weiß nicht, ob man cringen oder grinsen soll, wenn die Helden von gestern von der eigenen Erfindung überrollt werden. Denn Väth, der ewige Sonnenkönig, sieht zu, wie Charlotte und Marlon sein Theater perfektionieren, bis es auf Ultra-Festival-Größe angewachsen ist.
Vielleicht ist das die wahre Essenz von Techno im Jahr 2025: ein Zirkus, in dem jeder über die Show lästert, während man selbst gerade die Bühne betritt. Man verachtet Pyro und wartet gleichzeitig darauf, dass sie endlich zündet. Man redet von Authentizität, während man längst den perfekten Filter über die Story gelegt hat. Man postet den Hashtag #musiclove und meint eigentlich #branddeal.
Viel Applaus
Und ja, viele machen da mit, stehen unter dem Feuerwerk, mit offenem Mund, halten auf die CO₂-Kanonen drauf, schreiben dann "unvergesslich”. Und wissen in genau diesem Moment, dass es gleich vergessen sein wird. Grotesk? Zynisch? Ja, ja, ja! Und trotzdem auch wunderbar, weil: Während alle so tun, als ginge es um Musik, geht es in Wirklichkeit nur noch um die Inszenierung des Moments. Um den Beweis, dass wir dabei waren.
Deshalb hat Väth recht. Und Unrecht zugleich. Natürlich ist alles nur noch Show. Aber was ist daran so schlimm? Mick Jagger war auch nur Show. Hulk Hogan war Show. Donald Trump ist Show. Dein Instafeed? Pure Show. Techno hat sich nur angepasst, gefügig gemacht.
Die Frage ist also nicht mehr: "Hört noch jemand die Musik?” Sondern: "Wie viele Storys gibt es davon?” Das wird nicht das Ende von Clubkultur sein, sondern einfach nur ihr nächstes Level: DJ-Sets als Netflix-Serie, jede Woche neue Folgen, mit LED-Wänden, Konfettikrach und der ewigen Wiederholung der gleichen Frage: War es gestern nicht besser? Nein. Gestern war genauso. Nur ohne Stories.
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