Interview: Joachim Spieth – Lernen zu vergessen

Interview: Joachim Spieth – Lernen zu vergessen

Features. 23. Februar 2020 | / 5,0

Geschrieben von:
Tim Tschentscher

Seit mehr als zwei Dekaden steht Joachim Spieth bereits hinter dem DJ-Pult und lotet dabei die Grenzen zwischen House, Techno und Ambient aus. Von den Anfängen bei den Kölnern um Kompakt und den Voigt-Brüdern, Veröffentlichungen über Onitor und Paso bis hin zu gespielten Shows in über 30 Ländern hat der Stuttgarter schon genug erlebt, um allmählich als Szene-Urgesteine zu gelten. Noch immer aber scheint er dem Musikmachen nicht überdrüssig zu sein und sucht weiterhin nach neuen Ausdrucksformen. Im Interview sprachen wir mit ihm über seine Vergangenheit und Zukunft, Kreativität als Ventil, Labelarbeit, Ambient als Zufluchtsort und seine neue Platte 'Tides'.

 

DJ LAB: 2020 – ein neues Jahrzehnt. Vor welchen Herausforderungen steht Techno aktuell? Welche Probleme siehst du momentan und was muss sich in der kommenden Dekade ändern?

Joachim Spieth: Gute Frage. Aus meiner Sicht verläuft das in Wellen, also Innovations- und Stagnationsphasen. Im Moment kann man an einigen Stellen Stagnation feststellen, manches wirkt da wenig inspiriert. Anderes hingegen deutet auf einen Aufbruch hin. Eine Herausforderung besteht aus meiner Sicht darin, Filter zu setzen. Der sogenannte Markt ist extrem unübersichtlich geworden und führt dazu, dass viele keine Zeit und Energie mehr aufbringen können sich durch die Musik beziehungsweise DJs zu wühlen. Dadurch geht viel Interessantes ungehört unter, während andere aufgrund von forcierter Agentur-Promo medial überproportional Aufmerksamkeit bekommen, die zum Teil nicht gerechtfertigt ist. Musikjournalismus ist teilweise zu einer PR-Veranstaltung verkommen. Kleine und unabhängige Blogs können da ein Gegengewicht bilden. Die Situation im Nachtleben stellt sich meiner Meinung nach ähnlich dar. Sicherlich müssen Clubs wirtschaftlich arbeiten, um am Set bleiben zu können, jedoch wünschte ich mir mehr Risikobereitschaft an verschiedenen Stellen. Gleichzeitig sieht man unglaublich engagierte junge Fremdveranstalter, die beim Booking der Artists Risiken gehen und ohne großen Support tolle Events zaubern, aber finanziell extrem unter Druck stehen. Es hilft sicher, über den Tag hinaus zu denken.

'Abi '99', eine deiner ersten 12-Inches, ist mit dem vergangenen Jahr 20 Jahre alt geworden. Wie haben sich dein Sound und deine Art musikalisch zu arbeiten über zwei Jahrzehnte verändert? Welche Arbeitsprozesse haben sich gewandelt?

Die EP war ein Glücksfall für mich, ein toller Einstand seinerzeit. Ich denke, dass ich über diese Zeit musikalisch viel Verschiedenes ausprobiert habe, die Ausgangskoordinaten allerdings nie vergessen habe. Ich habe erst kürzlich wieder bemerkt, dass damalige Einflüsse, Labels und manche Artists im Speziellen als Inspirationsquellen für mich hergehalten haben. Das bedeutet natürlich nicht, dass man immer alles gut findet, was diese Leute heute so machen. Ich würde sagen, dass sich mein Sound fortwährend verändert hat und ich nie stehen geblieben bin. Heute komme ich näher an das, was ich teilweise damals schon versucht habe auszudrücken. Was die Arbeitsprozesse betrifft hat sich sehr viel verändert, gerade in den letzten vier bis fünf Jahren. Meine Tracks entstehen freier als früher. Ich arbeite zwar mit Bedacht auf Details, plane aber nicht mehr so krass wie früher voraus. Ich trenne die Prozesse heutzutage mehr voneinander, also Brainstorming, Sound Design und Komposition. Zudem hat man mit Ableton etc. heute ganz andere Tools zur Hand als damals.

Joachim Spieth im Interview.
© Morganistik

Wie würdest du deinen eigenen Stil heute beschreiben?

Musikalisch interessiert mich eine Verbindung aus Ambient-Strukturen und Techno. Das darf dann auch mal ohne Beats und mal mit Beats, egal ob gerade oder gebrochen, stattfinden. Ich trenne da nicht mehr so scharf. Generell kann viel, muss aber nicht immer. Als DJ versuche ich den Bogen anders zu spannen. Insgesamt versuche ich sphärische Elemente in meine Sets zu integrieren, versuche dabei aber nicht auf dem sogenannten Hypnotic oder Deep Techno hängenzubleiben. Wellenbewegungen und Brüche sind mir sehr wichtig. Gern darf man auch mal auf alte Tracks zurückgreifen, die mal aussortiert wurden und nach Jahren dann wiederkommen dürfen. Mir ist es auch wichtig, als DJ nicht ausschließlich über meine eigene Musik kategorisiert zu werden.

Ich weiß, man traut sich selten so etwas zuzugeben. Aber welche Agenda verfolgst du mit deinem Label Affin? Ich könnte mir vorstellen, dass man selten einfach nur eine profillose Plattform für Freunde & Freundesfreunde sein möchte. Dein Label ist immerhin schon über 10 Jahre alt.

Das Label folgt eher 'beweglichen Zielen'. Die Prioritäten haben sich über die Jahre verschoben. Am Anfang war das einfach nur Fun und Freiheit. Ausprobieren und schauen, was dabei passiert. Mit der 'Affin 100' und dem nachgelagerten Pressen der Vinyl war dann eine Stufe erreicht, auszudünnen und stilistisch konzentrierter zu agieren. Zirka 2015 würde ich das nächste Landmark setzen. Da wurde mehr und mehr klar, was musikalisch für mich Bestand hat und seitdem verfolge ich das fokussierter. Affin soll eine Brücke zwischen Bett, Zuhause und den diversen Clubräumen abbilden, in denen ich mich wohlfühle.

Ich selbst empfinde Ambient häufig als Königsdisziplin und würde argumentieren: Niemand beginnt einfach so Ambient-Stücke zu produzieren. Auch du hast weitestgehend mit Techno begonnen. Warum machst du Ambient? Was suchst und verarbeitest du in dieser Kunstform?

Ich habe auf Kompakt schon zu Beginn der 2000er Jahre Ambient veröffentlicht, allerdings nicht in solch konzentrierter Form wie mit meinem aktuellen Album 'Tides'. Ambient ist auf alle Fälle zeitloser und weniger den Launen und Trends des Dancefloors ausgesetzt. Für mich ist Ambient eine Form der Meditation. Etwas, das mich alles vergessen lässt – und ich mag es, vergessen zu können. Es ist wie eine zweite Haut, etwas, das sich gut anfühlt und Unruhe aus dem Alltag nimmt.

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Auf den ersten Blick wirkt dein Album 'Tides' recht spirituell und esoterisch. Du eröffnest sehr viele Räume in deinen Stücken, die mit jedem Hören voller und voller werden. Aus deiner Sicht gesprochen: Was passiert auf dem Album 'Tides'?

Ich habe mich in der Zeit der Entstehung sehr stark einem Zustand der Entschleunigung hingegeben und wollte das in Albumlänge festhalten. Ein bedingungsloses Eintauchen in eine Klangwelt, die dazu einlädt, zu sich selbst zu finden und das Überflüssige außen vor zu lassen. Mit dem Vorgänger 'Irradiance' habe ich bewusst verschiedene Türen aufgestoßen. Diesmal wollte ich aber nur einen Raum betreten und darin bleiben.

Auf deinem neuen Album (hier die Rezension) höre ich daher sehr wenig Techno heraus. Das war bei 'Irradiance' noch anders. Kicks sind noch am ehesten in dem Stück 'Ultradian' zu hören. Woher kommt dieser stilistische Bruch?

Ja, es gibt keine einzige Kick auf dem gesamten Album. Für 'Ultradian' habe ich mit Field Recordings aus dem Wald gearbeitet und Wassergeräusche eingebaut. Ich arbeite nach wie vor gerne an Techno und das wird sich wohl auch nicht ändern. Ein Album ähnlicher Konzeption wie 'Irradiance' wollte ich aber nicht nachschieben. Andererseits, wenn du die Beats auf 'Irradiance' weglässt, ist der Weg zu 'Tides' nicht allzu weit. Ich sehe das auch weniger als Bruch, sondern eher als konsequente Weiterentwicklung des Vorgängers.

Bei 'Tides' fühle ich mich teilweise auch an 'Pop' von Wolfgang Voigt erinnert, denke bei deinem Album allerdings oft eher an Eisschollen als an Wälder. Wie hast du dich für die Platte inspirieren lassen?

Ah, interessant. Ich mag 'Pop' von Wolfgang sehr. Seine musikalische Arbeit war für mich immer wichtig, Gas ist mit Sicherheit ein wirklich prägendes Projekt für mich gewesen. Allerdings kam mir das nicht bewusst in den Sinn beim Produzieren. Ich spaziere öfter durch Wald und Wiesen, und Natur inspiriert mich immer wieder. Im Freien öffnen sich die gedanklichen Räume und Möglichkeiten. Ob ich da im Wald stehe oder auf der Wiese, ist für mich aber weniger entscheidend.

Wie viel Emotionalität steckt in deinem Album?

Alles, was ich im Moment geben konnte, ist da rein geflossen. Ich bin ein emotionaler Mensch und wenn man den Zugang zu meiner Musik findet, spürt man das auch. Musikalisch interessant wird es für mich nur dann, wenn mich etwas emotional wirklich triggert. Mich muss etwas berühren, sonst taugt es nicht.

Mit welchem Equipment hast du an 'Tides' gearbeitet?

'Tides' ist wie der Vorgänger ausschließlich mit Ableton Live entstanden. Kein externer Mischer, gar nichts. Vor ein paar Jahren habe ich beschlossen eigene Limits zu setzen was die Produktionsmittel betrifft. Das klingt an und für sich schon lustig, weil man mit Ableton und ein paar Plugins so schon extrem viel machen kann. Wahrscheinlich ist der Equalizer das Hauptwerkzeug des Albums. Ich habe sehr viel mit EQs gearbeitet, Spuren komplett aufgenommen, dann im Frequenzspektrum radikal zerschnitten, manches gedoppelt und gegenläufig moduliert und gefiltert. Ich mag einfach die Tatsache , dass Sounds, die da sind, auch da bleiben. Und die kann man dann detailliert manipulieren; Dinge ausprobieren, separat speichern und so weiter. Zu bestimmten Anlässen ist ein anderes Setup denkbar und zweckmäßig, aber ständig von zwanzig Maschinen umgeben zu sein würde mich nur ablenken und meine Ideen zerstreuen.

Also präferierst du grundsätzlich die Arbeit an deiner Software?

Das kommt drauf an. Ich kann grundsätzlich sowohl mit Soft- als auch Hardware arbeiten, und mag auch beides. Aber wichtig ist es, Limits zu kennen und einzuhalten. Ich mag es dann immer, Experimente aufzunehmen und im Sampler zu verdrehen, zu pitchen und mit anderen Sounds mischen.

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An welcher Projektform arbeitest du am liebsten? Alben, einzelne Tracks oder 12-Inches?

An Alben zu arbeiten hat sicher eine eigene Qualität, weil einfach mehr Platz da ist und eine größere Bandbreite des Ausdrucks möglich ist. Andererseits kann es auch sehr befreiend sein mal einen Track oder Remix zu machen, der dann nur für sich steht. 'Irradiance' war sicher eine wertvolle Phase in meiner Arbeit, weil ich da sehr viel Neues ausprobiert habe und es mir absolut gleichgültig war, für wen das interessant sein könnte. Das Album war frei von jeder Erwartung nach außen. Es ging nur darum, für mich eine neue Sprache zu finden und sie zu artikulieren. Vielleicht wurde es auch deshalb so positiv aufgenommen. Ich habe mich lange davor gedrückt, ein Album zu machen, weil ich vor dem Format extremen Respekt hatte.

MusikerInnen beschreiben oft ein Flow-Gefühl bei der kreativen Arbeit und können selten benennen, wann oder warum ein Stück entsteht. Welche Routinen hast du, um kreativ produktiv werden zu können?

Ich arbeite meist erstmal eine Weile an einzelnen Sounds oder versuche einen bestimmten Sound oder eine Klangfigur mit Effekten und Raumvorstellungen zu skizzieren, bis ich dann aktiv an Trackstrukturen arbeiten kann. Tracks, die so zufällig in zwei Stunden entstehen, passieren mir sehr selten. Ich bin dazu auch faul und mag nicht für den Papierkorb arbeiten, daher will ich schon vorher wissen, ob etwas  für mich funktioniert oder nicht. An manchen Tagen nehme ich mir gar nicht erst vor, zu komponieren oder zu arrangieren. Es gibt dann ab und an mal einen bestimmten Moment, der mich triggert und dann gehts eben einfach los. Wichtig ist mir loslassen zu können. Ich arbeite meist dann gut, wenn ich meine Ruhe habe und zu mir kommen kann.

Hast du kreative oder persönliche Prinzipien, die du versuchst einzuhalten? Gibt es Ratschläge von Freunden, die du beherzigst?

(Überlegt) Ich versuche mir eine größtmögliche Freiheit zu schaffen beziehungsweise zu erhalten. Sicherlich will man nicht stehen bleiben und sich wiederholen, andererseits hat man sich auch eine bestimmte Vorgehensweise über die Jahre angeeignet. Und das schafft dann wohl den Effekt, dass KollegInnen sagen 'Das ist 'n Spieth-Track!'. Ich lasse meistens niemanden Tracks von mir vorhören, die nicht fertig recordet sind, weil da kurzfristige Meinungen anderer nur verwirren würden. Gut ist auch, das Ganze mal liegen zu lassen und nach ein paar Tagen wieder anzuhören. Dann hat man wieder mehr Distanz zum Klang. Was die Orientierung an anderen KünstlerInnen betrifft, das ist über die Zeit selektiver geworden. Man hat selbst schon sehr viel gehört und wird deshalb eher 'momentbezogener'. Damit meine ich, dass ich eher einzelne Stücke oder bestimmte Releases herausragend finde, nicht aber immer das komplette Schaffen eines Artists.

Mit welchen KünstlerInnen möchtest du in Zukunft noch zusammenarbeiten?

Schwer zu sagen. Bei meinem Label entsteht das meist organisch. Demos erreichen mich meist ohne konkreten Bezug zum Label-Sound und passen oft nicht zu dem, was Affin musikalisch verfolgt. Zudem mag ich persönliche Verbindungen, das schafft Identität. Mal sehen, wer mir in den nächsten Jahren noch über den Weg läuft.

Was hast du dir für 2020 vorgenommen?

Nach einem Album ist es erstmal okay für mich, eine Weile Luft holen zu können. Es gibt zwar schon ein paar neue Ideen, die ich dieses Jahr verfolgen werde, aber das wird sich dann zeigen. Für Affin habe ich auch bereits ein paar neue Veröffentlichungen vorbereitet, alles weitere wird sich finden.

Weitere Information zu Joachim Spieth findest du im Linktree. 'Tides' kann hier vorbestellt werden.

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