
Katja Ruge: "Zugehörigkeit ist für mich die Essenz des Clubbings."
Mit ihrer Veranstaltungsreihe Electric Lights – Women in Electronic Music bringt die Fotografin, DJ und Produzentin Katja Ruge ihre Bilder und Musik in Hamburg und Berlin ins Planetarium. JakoJako und Joyce Muniz gehören demnächst zu den Special Guests der Veranstaltungen unter dem projizierten Himmelsdach. Die Kuratorin verspricht nicht weniger als spirituelle, gemeinschaftliche Erfahrungen. Klingt esoterisch? Mitnichten. Ein Porträt.
Wenn Katja Ruge über Clubs spricht, meint die Fotografin, DJ und Produzentin damit das menschliche Miteinander; wie sich auf dem Dancefloor und daneben unterschiedliche Persönlichkeiten und Geisteshaltungen, soziale Konflikte und politische Ideologien wild vermischen – nicht immer reibungslos, in der Regel aber produktiv. Die Bindungen, die dabei entstehen, sind für sie selbst oft von Dauer. "Die wichtigsten Menschen in meinem Leben habe ich im Clubkontext kennengelernt", sagt sie mit Nachdruck.

Beispiele dafür gibt es in ihrer eigenen Biografie viele. Da ist die alte Schulfreundin, die sie aus den Augen verloren hatte, bevor sie sie in den 1990er-Jahren auf einem Open-Air wiedertraf, und die sie mittlerweile in ihrer Funktion als Patentante des Nachwuchses auf Ibiza besucht. Wenn sie rechtlichen Beistand benötigt, ruft sie einen befreundeten Anwalt an, den sie bei einer Ausgabe der von ihr zwischen 2010 und 2022 organisierten Veranstaltungsreihe Kann Denn Liebe Synthie Sein kennenlernte.
Und da sind natürlich noch Menschen wie Ralf Köster, Veranstalter der früher regelmäßig jeden Sonntag stattfindenden Reihe MFOC im Golden Pudel in Hamburg. "Und warum bin ich denn 25 Jahre lang in den Golden Pudel gegangen?", fragt Ruge und antwortet sich sogleich selbst: "Natürlich, weil das meine Familie ist, weil ich mich dort zugehörig fühle! An Sonntagen war ich oft zu früh da, dann hat mir Ralf die neuesten Warp-Platten vorgespielt und wir haben uns nur angegrinst."
Genauso schwärmt sie von Momenten bei den von ihr in Hamburg organisierten Daytime-Partys, wo die junge Fotoassistentin mit ihrem eigenen Vater einen intergenerationellen Tanz hinlegen. "Es wurde zuletzt viel über Differenzierungen gesprochen, ich würde lieber über das Zusammenkommen reden", sagt sie darüber. "Dazu brauchen wir gar keine Großveranstaltungen, das kann auch im kleinen Rahmen stattfinden." Denn auch in solchen Kontexten können nachhaltige Horizonterweiterungen stattfinden, wie Ruge selbst erlebt hat.
Musikalisch sozialisiert wurde sie in einem der wichtigsten Clubs der frühen Rave-Jahre in Deutschland, dem Hamburger Front – schon in den 1980er-Jahren eine der zentralen House-Institutionen hierzulande. DJ-Legenden wie Boris Dlugosch und Klaus Stockhausen lieferten den Soundtrack für ein kunterbuntes Durcheinander, das hippe und überwiegend schwule Publikum zeigte sich enthemmt und ausgelassen. "Da machten Männer auf dem Frauenklo miteinander rum und ich war als damals 17-Jährige mittendrin", lacht Ruge.
Erfahrungen wie diese sollten sie zutiefst prägen. "Das alles hat mir verdeutlicht, in was für einem spießigen Umfeld ich aufgewachsen bin! Im Front habe ich eine andere Welt kennengelernt – eine offene, tolerante, freigeistige, freizügige, hedonistische Welt." Musik versteht sie deshalb nicht allein als soziales Bindemittel, sondern ebenso als Türöffner in andere Universen.
Das Aufeinandertreffen dreier technischer Welten
Mit ihrem im Herbst 2023 gestarteten Projekt Electric Lights – Women in Electronic Music setzt Katja Ruge das buchstäblich um. Das Veranstaltungsformat bringt ihre Fotografie sowie DJ- und Live-Sets verschiedener Künstlerinnen und ihr selbst unter die Kuppeln der Planetarien in Hamburg und Berlin. Helena Hauff, DJ Mell G und Lena Willikens waren die ersten Gast-DJs in Hamburg. Am 18. und 19. Februar tritt Ruge erstmals im Zeiss-Großplanetarium in der Hauptstadt mit JakoJako auf, bevor sie am 12. März mit Joyce Muniz in der Hansestadt wieder Synthie-Sounds unterm Himmelszelt erklingen lässt.
Die Idee für Electric Lights trug Ruge schon über ein Jahrzehnt mit sich herum. Entwickelt hat sie sie gemeinsam mit Markus Schäfer, Mitbetreiber der auf immersive Erlebnisse spezialisierten Produktionsfirma the content dome. Ausgangspunkt der Überlegungen: "Du hörst heutzutage elektronische Musik in jeder H&M-Umkleide und im Friseursalon, seltener aber an besonderen Orten", erklärt Ruge. "Dabei sind Clubmusik und Planetarien doch ein match made in heaven! Um den space geht es doch schon seit Cybotron und ich kriege weiterhin ständig Promos, die vom Universum inspiriert sind."
Das gilt auch für Visualisierungen des Weltalls, die im Rahmen von Electric Lights die DJ- und Live-Sets komplementieren. Ruge verweist auf die ab Mitte der 1990er-Jahre im Bayerischen Fernsehen ausgestrahlte Sendung Space Night: "Das haben wir uns damals als After Hour reingezogen", lacht sie. "Die Musik war aber ziemlich gefällig." Auch in Planetarien würde heutzutage noch vorrangig klassische Musik oder kosmischer Jazz gespielt, obwohl sich elektronische Musik in all ihren Facetten wegen ihrer langen Verbundenheit zu futuristischen Motiven und kosmischen Welten dafür anbiete: "So ein Raum braucht intelligente, elegante und spannende, vielleicht auch kompliziertere Musik."
Ruge sieht noch eine andere Verbindung, die sowohl Musik als auch den Veranstaltungsort mit dem Medium der Fotografie vereint. "Wir verstehen Planetarien als Räume der Wissenschaft, aber Musik und Fotografie sind natürlich auch science!" Ihre Ausbildung als Fotolaborantin hat Ruge noch im Analogzeitalter der 1980er-Jahre gemacht, und ab Anfang der 1990er-Jahre als Fotografin den rasanten technologischen Fortschritt weiter aus nächster Nähe miterlebt. "Im Projekt treffen dementsprechend drei technische Welten aufeinander, die aber allesamt auch eine emotionale Qualität haben. Im Planetarium fängst du an, über das Universum und dein eigenes Dasein nachzudenken."

Fotografie als Momente der Gemeinschaftlichkeit
Dass Ruge ihr Schaffen an ungewöhnlichen Orten präsentiert, hat Tradition. Anlässlich des 25. Geburtstags des Labels Warp inszenierte sie eine Ausstellung ihrer Porträts von Künstler:innen aus dessen Roster nicht etwa in einem sterilen White Cube, sondern in den vollgekritzelten Wänden des Golden Pudels. "Da wurde dann auch ein Bild geklaut, aber das habe ich mal als Kompliment aufgefasst!", lacht sie. Hin und wieder muss eben ein kleiner Preis dafür gezahlt werden, dass die Fotos mitten ins soziale Miteinander gebracht werden, das für Ruge in jeder Facette ihres kulturellen Wirkens im Zentrum steht.
Als Fotografin begleitet Ruge die internationale Clubszene und die avancierten, elektronischen Stränge von Popmusik schon lange und intensiv. Anfang der 1990er-Jahre erlebte sie das Acid-House-Zeitalter während eines längeren Manchester-Aufenthalts aus nächster Nähe und schoss in der Folgezeit ikonische Bilder von unter anderem Beth Gibbons, Kemistry & Storm, Aphex Twin und Björk. Sie hat einen besonderen Blick für die von ihr porträtierten Künstler:innen entwickelt. Die Inszenierungen sind meistens schlicht, fokussieren sich voll und ganz auf die Menschen: Ruges Porträtfotografie stellt nicht einfach nur Persönlichkeiten in den Fokus, sie fängt vielmehr die Personen ein.
Leitmotiv ihrer Ausstellungen sind deshalb weniger bestimmte fotografische Techniken, die Arbeit mit Requisiten oder Farbspielereien, sondern ein entspanntes Lächeln, mit denen die Musiker:innen in die Kamera schauen. Es sind Ausdrücke des Vertrauens gegenüber der Künstlerin auf der anderen Seite des Objektivs. So fangen Ruges Fotos Momente der Gemeinschaftlichkeit ein, in die sie auch das Publikum einbeziehen. Diese Form des Miteinanders hatte zuletzt eine zunehmend sozialpolitische Komponente, die ebenfalls im Projekt Electric Lights zum Tragen kommt und sich seit langem als roter Faden durch Ruges Schaffen zieht.

Von Sichtbarkeiten und Ungerechtigkeiten
Bereits im Jahr 2008 begann sich Katja Ruge in ihrer Fotografie im Rahmen der Serie Ladyflash mit Frauen in der Musikwelt auseinanderzusetzen und sie ins Zentrum zu rücken. "Ich habe früher oft das Gefühl gehabt, ich sei allein auf weiter Flur – sowohl in der Szene als auch als Fotografin", erklärt sie ihre Motivation. Dass diese beiden Welten traditionell männlich dominiert werden, zeigte sich auch darin, dass sich lange Zeit niemand für die Arbeit erwärmen ließ. Es hagelte Absagen, bis Ladyflash im Jahr 2017 erstmals als Ausstellung mit hundert Porträts von Frauen aus der Musikwelt im Rahmen des Hamburger Reeperbahnfestivals gezeigt wurde – mit durchschlagendem Erfolg.
Electric Lights verfolgt ein ähnliches Konzept. Begleitet wird die Porträtserie von einer Interview-Reihe von Kaput-Chefredakteur Thomas Venker und fokussiert sich auf Schlüsselfiguren der elektronischen Musik, angefangen mit der Buchla-Pionierin Suzanne Ciani bis hin zu Paula Tape. Die Special Guests der Veranstaltungsreihe rekrutieren sich aus Teilnehmerinnen, von denen eine Auswahl von etwa 70 bis 80 vor den beiden Sets mit Musik und in der Pause zwischen ihnen in aufwändiger Weise in die sogenannten Fulldomes, die Kuppeln der jeweiligen Planetarien projiziert werden. So sorgt Ruge buchstäblich für die Sichtbarkeit von Frauen, die einigen Fortschritten in den vergangenen Jahren zum Trotz in der Szene weiterhin unterrepräsentiert sind.
Diese Ungerechtigkeiten existieren keineswegs als bloßes Bauchgefühl, sie lassen sich empirisch belegen. Die zweijährlich veröffentlichte FACTS-Studie des Netzwerks female:pressure ergab zuletzt 2024, dass mehr als 58 Prozent der Line-ups von insgesamt 175 ausgewerteten Festival-Veranstaltungen mit Schwerpunkt auf elektronische Musik von rein männlichen Acts besetzt wurden. Noch nicht erfasst wird in dieser Erhebung, wie viele der weiblichen, gemischten oder nicht-binären Acts regelmäßig und in welche Slots sie gebucht werden. Mit Blick auf die Festival-Line-ups der letzten Jahre drängt sich zumindest der Eindruck auf, dass lediglich ein kleiner Kreis von Frauen immer wieder in Headline-Positionen gebucht wird und alle anderen maximal als Support spielen dürfen.
Im historischen Vergleich zeigt die FACTS-Studie durchaus, dass seit der ersten Erhebung im Jahr 2013 ein Umdenken stattgefunden hat und konkrete Veränderungen losgetreten wurden. Aber: "Wir sind noch lange nicht an dem Punkt angekommen, an dem das alles selbstverständlich ist", betont Ruge. "Dabei ist doch das genau unser Ziel: Dass das Thema einfach vergessen werden kann, weil alle gleich behandelt werden." Repräsentation ist dabei das eine, der Umgang miteinander das andere.
Aus ihrer DJ-Tätigkeit weiß Katja Ruge eben auch zu berichten, dass Frauen hinter den Decks zudem mehr Kritik ausgesetzt sind. "Das fängt schon mit dem Äußeren an", sagt sie. "Wenn eine DJ zu freizügig auftritt, wird darüber gesprochen. Aber wenn sie zu hochgeschlossen angezogen ist auch! Wir können es gar nicht richtig machen." Dazu geselle sich eine überbordende Skepsis bezüglich technischer Fertigkeiten. Bei den meisten ihrer eigenen DJ-Sets sammle sich eine Traube von zwei bis vier Männern vor dem Pult und schaue ihr auf die Finger. "Denen gebe ich dann immer einen Schnaps aus und sage ihnen, sie sollen mal Platz machen, damit ich das Publikum sehen kann", lacht sie.

Ein Raum für Besonderheiten
Katja Ruge unterstreicht, dass ihr aus DJ-Perspektive die Kommunikation mit der Crowd ebenso wie die Selektion – den richtigen Track für den passenden Moment zu finden – wichtiger seien als die technischen Aspekte der Arbeit. Das wiederum bedeutet keinesfalls, dass die unter anderem im Tandem mit Frank Husemann als Can Love Be Synth als Produzentin aktive Künstlerin sich auf ihre Sets nicht akribisch vorbereitet. Die nämlich sind in der Regel gespickt mit Edits, die sie eigens anfertigt. Und für ihre Auftritte bei Electric Lights erstellt sie für jede Veranstaltung individuelle Sets, die, wie etwa bei den ersten Berlin-Ausgaben, von ihrer langen Beziehung zur dortigen Clubszene inspiriert sind.
Als Kuratorin legt Katja Ruge insgesamt bei der Gestaltung der Serie einen großen Fokus auf unkonventionelle Ansätze und will auf diese Weise ebenso einem weiteren Missstand in der Szene entgegenwirken. "Frauen spielen vorrangig auf Festivals und im Club, weniger an solchen speziellen Locations", erklärt sie. "Ich will ihnen diesen Raum öffnen, in dem sie DJ-Sets spielen können, mit denen sie nicht nach Four-to-the-Floor-Prinzip abliefern müssen. Sie beschäftigen sich ja alle auch mit anderer Musik, die sie im Club aber nicht spielen können." Das soll dazu beitragen, dass die Erfahrung auch für das Publikum eine besondere wird – nicht nur in visueller und musikalischer Hinsicht.
Wenn Katja Ruge unter dem projizierten Himmelszelt einen Raum der künstlerischen Entgrenzung und praktischen Solidarität schafft, dann schreibt sich darin ein Leitgedanke ihrer Arbeit in der Musikwelt insgesamt fort. "Das Gefühl der Zugehörigkeit ist für mich die Essenz des Clubbings", betont sie. "Und wann hört man denn mal mit 300 Menschen einfach nur still zu in diesen Zeiten, in denen Musik so oft zum Hintergrundrauschen degradiert oder komplett zerredet wird?" Überhaupt sei es gesamtgesellschaftlich wichtig, für mehr Zusammenkunft zu sorgen. "Hinter Electric Lights steckt schon ein spiritueller Gedanke", kichert sie. "Es ist als gathering angelegt, die Musik fungiert als universelle Sprache."
Ruge betont, dass der Begriff der Spiritualität nicht mit Esoterik verwechselt werden sollte. "Ich rede nicht von Ausdruckstanz oder so. Auch wenn die Leute bei einem Gabber-Rave zum Beat tanzen, ist das etwas Archaisches: Sie fühlen etwas, das sie glücklich macht. Das ist super wichtig für uns – dann fühlen wir uns eins mit dem All."
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