Review: VA – ​​Ostgut Ton | Fünfzehn + 1 [Ostgut Ton]

Review: VA – ​​Ostgut Ton | Fünfzehn + 1 [Ostgut Ton]

Features. 17. November 2021 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Tim Tschentscher

Das Berghain ist also wieder da. Noch während der Eröffnung steckten sich 19 der 2500 zugelassenen Gäste mit Corona an. Wie Geier witterten Medien die dicke Story. Wenige Wochen später sind die bundesweiten Zahlen so hoch wie lange nicht mehr und das Gros der Öffentlichkeit hat kapiert: Ansteckungen trotz einer 2G-Regelung sind wohl doch kein exklusives Problem der Clubszene und die Nachverfolgung scheint offenbar zu funktionieren. Währenddessen versucht das ans Berghain angeschlossene Label 'Ostgut Ton' händeringend Jubiläen zu feiern. Sei es mit dem letztjährigen Recycling-Projekt 'Berghain Fünfzehn' oder mit der jetzt vorliegenden Compilation 'Fünfzehn + 1': Noch immer sucht man nach Gelegenheiten, um zum Tagesgeschäft zurückzufinden.

Schließungen hin, Öffnungen her, auch das Berghain muss als Institution um Profilbildung kämpfen. Was in den heiligen Hallen musikalisch so alles geht, lässt sich idealerweise mit einer frischen Compilation demonstrieren. 'Fünfzehn + 1' ehrt das – wie der Name vermuten lässt – 16-jährige Bestehen des Clubs seit der Öffnung im Dezember 2004. Die Zusammenstellung sollte ursprünglich bereits im vergangenen Jahr erschienen sein. Möglicherweise entschied man sich für einen Release-Push unter anderem auch deshalb, weil die Auftragsbücher von Vinyl-Presswerken aktuell so verstopft wie nie sind und Wartezeiten immer länger werden. Neben einer Doppel-CD erscheint die Zusammenstellung auch im 5LP-Schuber. Jede 12-Inch hat ihr eigenes Artwork bekommen. Sie sollen die fünf verschiedenen Floors des Gebäudes repräsentieren.

Die ersten vier Beiträge der Seiten A und B fangen ganz offensichtlich Stimmungen aus der Panorama Bar ein. Michael Fiedler und Erik Wiegand steigen ein mit dem Stück 'Rimba7'. Als Messe der Meister von Morgen, kurz MMM, ist das Duo seit Mitte der Neunziger aktiv. Fast zeitgleich ist vor Kurzem ihr Debütalbum 'On The Edge' erschienen. Wie aus einem Hyenah-Set gerissen wirkt der Track 'Champu Princess' von Avalon Emerson und Roi Perez. Tama Sumo und Lakuti bieten mit 'An Ode To Audre' süßen Italo-Kitsch an, während Substance und Soundstream in 'Session 2' genügsamen Deep-House formulieren.

Honey Dijon säuselt zu Beginn der Mainfloor-Seiten C und D ein wenig über das eher wie ein enorm langes Intro wirkende 'Temple Of Love' von Len Faki. Das erste Mal richtig aus der Lethargie schieben JASSS und Silent Servant. 'Años Perros' bekommt einen dramaturgisch spannenden Aufbau, wenn im Mittelteil die Intensität deutlich anzieht. Auf dem verschobenen-nicht-verschobenen Stück '9/8 Gumbo' halten Barker und Luke Slater das Tempo und verknoten wilde Polyrhythmiken zu einer komplexen Kurzhypnose. Ben Klock und Etapp Kyle lassen auf 'A Friend Of A Friend' das Metronom einfach mitlaufen, während Dettmann und Norman Nodge das Paket mit einem funktionalen Stampfer abschließen.

Abstrakter und experimenteller wird es auf den Seiten E und F. Vermutlich verbildlichen die recht ambienten Stücke die Halle, das Ausstellungsforum des Berghains. 'Untitled 15+1' und 'Ever Given' entfalten sich recht ausführlich und nehmen zusammen rund 17½ Minuten der Compilation ein. Überraschend Jazz-verfrickelt ist 'Reset Walkin'' und erinnert daran, dass Martyn mal bei Brainfeeder war. So organisch-warm das Stück auch wirkt, so steril und trocken wirkt das skurrile Geballer auf 'Iteration'. Seite F endet auf dem fast ausschließlich vokalen Stück 'One Final Thing (Not Zero).

Euphorisierend und luftig wird es auf Seiten G und H. Vor allem das Stück 'Fontane' bietet sich gut als mögliche Set-Eröffnung an. Die drei Tracks erinnern an sommerliche Raves im Freien und das Tanzen im Garten des Berghains. Düster und aufgeladen wirken dagegen die Seiten I und J. Berühmt-berüchtigt ist entsprechend der fünfte Floor Lab.Oratory für seine Fetischparties. Passend dazu ist 'Cigarette Glow' klassisches, vom Industrial angegeiltes Phase-Fatale-Geschepper. Ostgut haben mit dieser Compilation einen variablen Mix aus Residents und Affiliates zusammengetragen, der in seiner ganzen Heterogenität bewirbt, wie vielfältig und offen die Musik im Berghain ist. Wenn es denn hoffentlich nicht bald wieder dicht machen muss.

’Ostgut Ton | Fünfzehn + 1’ ist am 05.11.2021 auf Ostgut Ton erschienen.

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Veröffentlicht in Features und getaggt mit Avalon Emerson , Barker , Ben Klock , Berghain , Etapp Kyle , Fünfzehn + 1 , Honey Dijon , JASSS , Lakuti , Len Faki , Luke Slater , Marcel Dettmann , Martyn , MMM , Norman Nodge , Ostgut Ton , Panorama Bar , Pom Pom , Roi Perez , Silent Servant , Soundstream , Substance , Tama Sumo

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