Review: Phase Fatale – Scanning Backwards [Ostgut Ton]

Review: Phase Fatale – Scanning Backwards [Ostgut Ton]

Features. 26. Januar 2020 | / 5,0

Geschrieben von:
Tim Tschentscher

Eine Ostgut-LP hat ja immer etwas Spezielles, eine gewisse Art eigener Soundspezifik. Man erwartet satt produzierte sonisch aufgehende Räume, die unabhängig von den InterpretInnen auch visuell ein Gesamtkunstwerk ergeben. Kalte und urgewaltige Klangbilder, weit und scharfkantig, hypnotisierend und treibsandig. Unweigerlich denkt man bei neuen Ostgut-Veröffentlichungen aber auch an den dazugehörigen Release-Gig im Berghain. Let’s face it: Ostgut Ton ist Musik aus dem Berghain für das Berghain, ohne dabei nur zum Floor-Tool zu verkommen. Auch Phase Fatales Debütnachfolger 'Scanning Backwards' ist so ein Werk geworden. Hart und geradlinig, vereinnahmend und drückend. Gemacht als Soundtrack für den Safespace an der Spree.

Natürlich gibt es bei einer Platte wie dieser immer mindestens zwei Lesarten. Die rein musikalische und die kontextualisierende. Letztere scheint dabei aber elementar. Das Cover-Motiv, die Röntgenaufnahme eines sich rektal seinen Weg bahnenden Unterarms, ist einem alten Flyer der Hardcore-Fetisch-Reihe 'SNAX' aus dem altehrwürdigen Club OstGut entnommen, dem Vorgängerformat des Berghains. Mit dem Wissen, dass sich die vorliegende Platte nun zumindest konzeptionell an die Dynamiken dieser Partys erinnert, wirken die harten Stampf-Rhythmen unmissverständlich intensiver. So wird auch die doppeldeutige Titelgebung der Platte 'Scanning Backwards' umstandslos eindeutiger.

Die Stücke selbst klingen maschinell getaktet und manchmal fatalistisch nach Kontrollverlust. Zu Beginn fühlt man sich noch an industrielles Gehämmer, Gedonner und Gedröhne erinnert. Man glaubt, glühende Stahlbolzen in Kühlbecken fallen und erkaltende Funken fliegen zu sehen. Arbeiter, die Kohle in Brennkessel schaufeln, sorgen für dichte Dampfschwaden aus den Schornsteinen. Fatale erzeugt hier eine in sich geschlossene düstere fabrikartige Atmosphäre, die zeitgleich Intro- und Extroversion postuliert. Erst im Späteren klaren darin Lust und Sinnlichkeit auf.

Gleich mit den ersten Klängen des Stückes 'Velvet Imprints’ ertönt ein hohles, fast synthetisches Scheppern, das man stilistisch wohl als ersten Querverweis an den Industrial der späten 1980er Jahre verstehen dürfte. In seinen Grundgerüsten sind die ersten beiden Stücke ohnehin exemplarische Blaupausen für diese Zeit. Zerbrochene Kick-Pattern und spiralförmige Synthlines, dazu gewittrige Hi-Hat-Tiraden. Im Stück 'Polystyrene' brennen schwere Schneidbrenner durch zentimeterdicke Soundwände. Der bewusste Einsatz von Drone-Elementen erzeugt ein fast entmündigendes Gefühl der Fremdkontrolle.

Thematisch hat sich Fatale für dieses Album mit musikalischer Hypnose und den physischen Auswirkungen penetrierender Subfrequenzbereiche beschäftigt. Fasziniert scheint er von der Idee, die Bewegungsmuster seines Publikums steuern oder reprogrammieren zu können. Während in 'During The Freezing Process' vordergründig grelle Flächen abzulenken versuchen, locken wiederholte Phase-Effekte in den kontinuierlich durchdröhnenden Hintergrund des Tracks. So als würde man hinter der DJ-Kanzel einen versteckten Floor entdecken. Fatale selbst sieht sich auf diesem Album aber – so ist zu hoffen – nicht als Hypnotiseur, sondern als Taktgeber.

Auf der C-Seite erreicht das Album mit dem Stück 'Mass Deception' seinen vorläufigen Höhepunkt. Ein verhülltes Rauschen beginnt, dann zählen kurze platte Snares ein. Was folgt, ist ein minutenlanges übermächtiges Klanggeflecht aus schallend brummenden Drones. Aus der anfänglich vermuteten maschinellen Kälte ist jetzt ein von Hitze durchtränktes Gefühl für Körperlichkeit und Sinneserfahrung geworden. Die absolute Hingabe scheint vor allem in diesem Stück enorm leichtzufallen. Hier geht es also weniger um Zerstörung und Auflösung als um Aufbau und Konstruktion, Kontrolle und Einfluss.

Phase Fatale ist musikalisch ursprünglich mit Post-Punk, Cold und New Wave sozialisiert worden. Auf diesem Album zehrt er von solchen Einflüssen ('De-Patterning', 'Splintered Heels'), überführt sie aber spürbar in eine Art retroromantischen Industrial und lässt EBM wieder zeitgemäßer wirken. Interessant ist, dass seine Stücke dabei selten die 120-bpm-Marke überschreiten. Fatale unterstreicht hier Härte nicht durch Schnelligkeit und Hektik, sondern durch Tiefe und Breite. Man mag sich also angespannt und in Ehrfurcht vorstellen, wie markzersetzend diese Tieffrequenzen durch eine wie im Berghain verbaute Funktion-One-Anlage gesendet wohl klingen mögen.

’Scanning Backwards' erschien am 24. Januar auf Ostgut Ton.

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