Feature: Sober Nightlife – Nüchtern in der Clubszene

Feature: Sober Nightlife – Nüchtern in der Clubszene

Allgemein. 17. Januar 2025 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Redaktion

Sober Nightlife: Silvester war ausschweifend, wild, es wurde viel konsumiert, von diesem und jenem, getrunken, gefeiert. Und am 2. und 3. Januar hängen Raver:innen erfahrungsgemäß durch, wie man nach 10, 12, oder 24 Stunden im Club eben durchhängt. Dann kommt das schlechte Gewissen. "Dieses Jahr nehme ich weniger Drogen, trinke weniger, höre vielleicht ganz auf, dry January, healthy sein, wenigstens ein paar Wochen lang."

Wem kommt das bekannt vor? Na, war es so? Nach dem beherzten Vorsatz kommt jedoch meist der Struggle, es durchzuziehen. Am 17. Januar ist der offizielle "Wirf deine Vorsätze über Bord"-Tag. Denn am 17. Januar hören die meisten auf, ihre Vorsätze einzuhalten und geben sich ihren alten Gewohnheiten hin. Nicht wenige sind enttäuscht darüber, nicht mal einen Monat durchgehalten zu haben. Deshalb, wer auch immer das gerade hören muss: Es sind "nur" noch 13 Tage, um die eigenen Versprechungen doch noch wahr werden zu lassen. 

Sobriety, also Nüchternsein oder Nüchternheit, ist aber nicht nur im Januar "a thing". Schon im Oktober vergangenen Jahres wurde der "Sober October" von Adam Munnings, Gründer der Berliner Partyreihe Lunchbox Candy, ausgerufen. In seinem oft geklickten Reel sagt er: "Sorbriety is Punk." Lunchbox Candy feierten passend dazu eine Sober-Edition ihrer Party und entsprechen damit dem aktuellen Zeitgeist, Nüchternheit im Clubkontext mehr Raum zu geben.

Und wer einmal sucht, findet noch mehr Kollektive und Seiten, die gerade Nüchternsein im Clubkontext besprechen: Nice Dry und All Clean All Bright aus Hamburg oder das Pink Cloud-Kollektiv aus Leipzig. Ein weiteres Projekt, das zu Sobriety aufklärt und derzeit häufiger auftaucht, heißt Sober Nightlife. Die zwei Macherinnen stammen aus Berlin und London. Sie widmen sich online und offline, zum Beispiel im Rahmen einer Veranstaltung der Clubcommission Berlin, den verschiedenen Hindernissen und Reaktionen, wenn es um Nüchternheit auf Partys geht. 

Sober Nightlife bei Instagram

Zoé ist Soziologin und Wissenschaftlerin aus Berlin, Riva ist Resident DJ im Londoner Club Fold; einer der gefragtesten, interessantesten Clubs der englischen Hauptstadt. Die beiden kennen sich "aus dem Internet", genauer von Instagram. Und dort klären sie über das sogenannte "Sober Nightlife" auf und sensibilisieren für das Thema. Die Gegebenheiten, Hindernisse und die Haltung gegenüber Nüchternheit in Clubs zu verändern, sind Ziel und Forderung der Frauen.

Für die beiden ist außerdem die Kommunikation mit Menschen wichtig, die "sobercurious" sind, also dem Thema Nüchternheit neugierig und aufgeschlossen gegenüberstehen: "Wir wollen als Kollektiv Awareness für das Thema schaffen. Vor allem wollen wir den Status Quo hinterfragen und dazu beitragen, dass Menschen weniger eingeschüchtert von dem Thema sind", sagt Riva. 

Das Thema Nüchternheit in Clubs und im Nachtleben sei außerordentlich unterrepräsentiert, findet sie. Auch wenn sich, step by step, gerade dahingehend etwas verändert – und zwar zum Positiven. DJs wie Lolsnake, Julian Muller und Cormac äußern sich mit Postings zu ihrer Sober-Journey, es finden immer öfter explizite Sober-Partys statt und die Community wächst: "Unsere Follower-Zahl wächst organisch. Immer mehr Leute haben Interesse an uns und unseren Tipps", sagt Zoé von Sober Nightlife. 

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Day-time-Partys und mehr Awareness

Ein Tipp der beiden ist es, tagsüber feiern zu gehen. So spart man sich das anstrengende Wachbleiben, wenn der oder die Artist, die man sehen möchte, mal wieder erst um 7 Uhr früh spielt. "Speziell in Berlin ist der Vibe beim Feiern oft rough und destruktiv, gerade nachts. Partys, die tagsüber oder einfach etwas früher am Abend stattfinden, sind wesentlich zugänglicher für Leute, die nüchtern feiern wollen. Und die wollen wir supporten. Kwia ist so ein Space, den ich in Berlin empfehlen würde. Auch wenn dort zum Beispiel Alkohol verkauft wird, fühle ich mich wohl und nicht ausgeschlossen", sagt Zoé.

Eine breite Awareness gebe es aber, trotz vieler Positivbeispiele, leider nicht: "Wenn es zum Beispiel um Alkohol geht, ist der Konsum hier in UK extrem normalisiert. Ich komme aus Indien und finde das oft irritierend. Es werden diejenigen auf unangenehme Art herausgehoben, die nichts trinken. Die einzige Begründung, die irgendwie anerkannt wird, ist, wenn man Alkoholiker, also süchtig, ist. Andere Gründe werden nicht akzeptiert, das ist mein Eindruck. Ich verbinde damit das Gefühl, isoliert zu werden. Und das in einer Szene, die progressiv, inklusiv und aware sein will", erzählt Riva im Interview.

Eine Situation ist ihr dabei besonders im Kopf geblieben: "Ich war mit meiner Schwester unterwegs und fragte an der Theke, welche Drinks es ohne Alkohol gibt. Der Barkeeper fragte dann, warum ich überhaupt da sei, wenn ich nichts Alkoholisches trinken wollen würde." Unnötig sei das. Und verletzend.

Clubs sind also nicht unbedingt besser darin geworden, mehr Auswahl an alkoholfreien Cocktails anzubieten oder ihre Timetables so zu gestalten, dass nüchterne Personen eine Chance haben, ihre DJ-Favs zu sehen und zu hören – aber die Awareness der Gäst:innen hätte sich gesteigert, sagen die beiden. Sie wollen deshalb sober-friendly und sober Events weiterhin unterstützen und für mehr Austausch sorgen. "Start somewhere" ist dabei ein Ansatz, den sie mit ihrem Sober Nightlife Instagram-Kanal verfolgen und weiterentwickeln wollen.

Sober Nightlife sei keine Selbsthilfe-Gruppe, aber sie helfe Menschen, die sich dem Thema nähern wollen, die Tipps und Austausch suchen, die ihren Konsum hinterfragen, sagen sie. Sober-sein werde somit normalisiert. Denn es gehe ihnen nicht darum, Nicht-Nüchterne zu shamen. Sie wollen all jene empowern, die es gerne wären. Das sei die größte Motivation, Sober Nightlife zu betreiben. Und: Immerhin einzelne Clubs wie das Berliner SchwuZ oder das Fold in London interessieren sich für das Thema.

Zoé...
... und Riva von Sober Nightlife.

Loslassen (ohne Substanzen)

Ein oft vergessener Punkt sei Sicherheit, sagt Zoé: "Sicherheit im Zusammenhang mit übergriffigen Situationen ist in der Diskussion ein wichtiges Thema für mich. Ich fühle mich wesentlich sicherer, seit ich nüchtern bin." Eigene Grenzen zu kommunizieren, weirde Situationen schneller zu erfassen, all das gehe besser und unmissverständlicher. Und Awareness-Teams können nicht alles überall im Blick behalten. 

Zoé sagt anschließend: "Wir haben verlernt, loszulassen. Also zu tanzen und es zu genießen, ohne Substanzen, was schade ist. Wach zu bleiben und dabei nüchtern zu sein, ist schon hart, weil man eben viel mehr auf sich und den eigenen Körper hört. Aber was ich noch anstrengender finde, ist, mich vor denjenigen zu rechtfertigen, die konsumieren und mich darum zu kümmern, dass sie sich mit ihrem Konsumverhalten gut fühlen, obwohl ich nüchtern bin.

Das ist schon strange." Riva bestätigt das. Nüchternheit werde oft kommentiert oder andere fühlen sich aufgefordert, über ihren eigenen Konsum zu sprechen. "Menschen, die sich von Nüchternheit angegriffen fühlen – das hat nichts mit mir zu tun. Es triggert etwas in ihnen, wenn sie in sich spüren, dass etwas mit ihrem Konsum nicht stimmt", sagt Riva.

Konsum, Lifestyle und Kolonialismus

Es geht den beiden mit Sober Nightlife aber um mehr als ihre persönlichen Erfahrungen im Nachtleben: "Der westliche Lifestyle ist extrem konsumbezogen. Es ist sehr eurozentristisch, das als Maßstab zu nehmen, denn im restlichen Teil der Welt sieht es anders aus. Wenn ich in Indien bin, hinterfragen definitiv weniger Leute, warum ich nicht trinke. Die Welt besteht nicht nur aus Europa. Es ist schon irgendwie engstirnig, aber auch traurig, dass das übersehen wird.

Solange wir nicht in der Lage sind, andere Kulturen und Lebensweisen zu akzeptieren, die nicht auf westlichen Standards basieren, wird dies immer ein Problem bleiben. Wir müssen unsere Denkweise in jeder Hinsicht dekolonialisieren." Zoé erzählt, dass sie sich dessen nicht bewusst war, bevor sie Riva kennengelernt hat. Es sei Zeit, sich zu bilden und auch diesem Aspekt Sichtbarkeit zu verschaffen.

Am Ende des Gesprächs ist sicher: Sobriety und die Tipps von Sober Nightlife werden immer sichtbarer. Durch Riva und Zoé und all die Menschen, die "es" versuchen, sich vernetzen und darüber posten. Auch über den allgemein bekannten Dry January hinaus.

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