Stimmung in der Club-Szene: "Optimismus ja, durchatmen nein"

Stimmung in der Club-Szene: "Optimismus ja, durchatmen nein"

Features. 15. April 2022 | / 5,0

Geschrieben von:
Cristina Plett

Seit gut einem Monat haben die Clubs wieder auf, nun darf man in den meisten Bundesländern auch ohne jeden Test oder Impfnachweis feiern. Wie ist die Stimmung in der Branche – alles wieder wie vor Corona?

"Wir waren die Ersten, die geschlossen wurden und sind sicher die Letzten, die öffnen" - diesen Satz hörte man so oder so ähnlich in den vergangenen zwei Jahren immer wieder von Vertreter:innen der Clubbranche (in diesem Fall von einem Clubbetreiber aus Kassel im vergangenen Sommer). Vor rund einem Monat war es dann soweit, am 4. März durften die Clubs bundesweit wieder öffnen – zum zweiten Mal. Vergangenen Herbst hatte die Euphorie voller Dancefloors nur kurz angehalten. Dieses Mal könnte es länger gehen. Wie ist die Stimmung bei den Clubs einen Monat nach der Öffnung? Und wie blicken Clubbetreiber:innen auf die nächsten Monate?

Sophie Kahrmann, Geschäftsführerin des Anomalie Art Club im Nordosten Berlins, klingt gut aufgelegt: "Es lief gut an, das erste Wochenende war extrem gut besucht. Die Leute hatten wieder Lust. Der März war okay, auch wenn es im Herbst letzten Jahres deutlich selbstverständlicher war." Die erste Veranstaltung seit der Öffnung in der Anomalie war eine Fundraising-Party für die Ukraine, deren Einnahmen gespendet wurden. Auch allgemein sei der Krieg im Club spürbar gewesen. Das ist das einzige, was ihr positives Fazit trübt: "Was global passiert, der Ukraine-Konflikt, ist natürlich in der Stimmung wiederzufinden", sagt sie.

Das beobachtete auch Benjamin Röder bei sich im Münchner Club Charlie. Vor allem in den ersten Tagen nach Cluböffnung sei der Krieg ein bremsender Faktor gewesen: "Da musste die junge Generation erst einmal ihre eigene Position zu finden – auch, ob das moralisch vertretbar ist, dann auszugehen", sagt er. Die Situation eines Krieges war für viele neu, außerdem sei über das Nachtleben die Verbindung zur Ukraine stark. Auch Röder kennt von DJ-Gigs in der Ukraine dort Menschen persönlich: "Damit das Geschäft weiterzubetreiben war diffizil." Dazu seien die hohen Infektionszahlen gekommen – viele waren selbst krank oder hätten Angst vor Ansteckung gehabt. Das habe man gemerkt. Gerade im Vergleich zu den sechs Wochen, die der Club im vergangenen Herbst geöffnet hatte, von denen er noch immer mit Staunen erzählt: "Im Herbst war das ein Pulverfass: Der Druck auf den Kessel war enorm hoch, die Leute sind explodiert. Ausnahmezustände waren das, die Leute waren extra drüber!"

Nicht ganz so stark, aber doch deutlich habe man im Charlie das Wegfallen vieler Corona-Regeln in Bayern am ersten Aprilwochenende gemerkt, sagt Röder: "Der erste 'Freedom Day', der hatte große Auswirkungen. Die Leute sind bereitwilliger gekommen." Auf Instagram hätten viele dem Club geschrieben, ob denn wirklich nun kein 2G+ mehr gelte – die Informationslage war wie immer nicht ganz klar. Nein, man brauchte keinerlei Test- oder Impfnachweis mehr. In der Anomalie in Berlin aber ging man auf Nummer sicher und verlangte noch 2G+-Nachweise, im Berghain nicht mehr. Und wie immer unterscheiden sich die Corona-Regeln in den verschiedenen Bundesländern: In Hamburg oder Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel gilt in Clubs noch immer 2G+.

Schwierig war für viele Clubs jetzt die Personalfrage. Auf ihren Websites und Social-Media-Seiten findet man im März noch Stellenausschreibungen. Schon als Clubs 2020 das erste Mal geschlossen hatten, fürchteten Clubbetreiber:innen, dass ihre Barkeeper:innen, Runner:innen oder Türsteher:innen Jobs in anderen Branchen finden würden – aus denen sie dann nicht ins Nachtleben zurückkehren. Dazu kam, dass die aktuelle Öffnung erst Mitte Februar von der Politik diskutiert wurde. Kahrmann von der Anomalie musste schnell reagieren: "Auf einmal hieß es Anfang März. Da haben wir kurzerhand ein Casting über zwei komplette Tage gemacht", erzählt sie. "Das hat gut geklappt, wir haben jetzt ein tolles Team." Die meisten seien jung, wollen Erfahrungen im Nachtleben sammeln. Älteres Barpersonal ist also womöglich tatsächlich abgewandert.

Auch für die Mitglieder der Clubcommission, der Interessenvertretung von Berliner Clubs, war das Thema Personal eine der größten Herausforderungen beim Wiederaufmachen. Sie hätten damit "massive Probleme" gehabt, so Lutz Leichsenring, Sprecher der Clubcommission. Was das Feedback vom Publikum angehe, hat er einen ähnlichen Eindruck wie Kahrmann von der Anomalie: "An Gästen beschwert sich keiner. Es ist viel los, lange Schlangen." Und das, obwohl Tourist:innen rund ein Fünftel der Clubgäste in Berlin ausmachen. Viele von ihnen sind noch nicht wieder da, mancherorts hört man, dass das den Berliner Clubs fehlt. Leichsenring aber hat den Eindruck, dass das aktuell die Locals auffangen: "Jetzt sind die Leute noch willig, öfter auszugehen." Er rechnet damit, dass sich der Kultur- und Musiktourismus schon im Sommer wieder erholt.

Andernorts ist das Zwischenfazit ähnlich: positiv, aber Schwierigkeiten beim Personal. Victor Oswalt von der Interessensvertretung der Clubs in Frankfurt am Main sagt: "Es gibt Probleme, Personal zu gewinnen, weil die woanders untergekommen sind. Aber von den Besucher:innen wird das Angebot gut angenommen." Kurzfristig ist Oswalt optimistisch, auch wenn die Sommerzeit traditionell für Clubs schwächer als der Winter sei. Er geht von vier guten Monaten aus, die den Clubs jetzt bevorstehen. Wenn er über die Zeit danach spricht, klingt er besorgt: "Was passiert im Herbst? Mit der aktuellen Impfquote und einer neuen Welle sieht's düster aus für unsere Branche." Er sorgt sich, dass die Politik die Gefahr einer erneuten Corona-Welle im Herbst nicht ernst genug nehme. Und wenn die Infektionszahlen steigen und die Krankenhäuser voller werden, dann bedeutet das mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder: Clubs zu.

Auch die Clubcommission in Berlin bereitet sich auf ein solches Szenario vor. Schon vergangenes Jahr hatte sie sich für eine PCR-Teststrategie für Clubs eingesetzt, im August gab es ein groß angelegtes Pilotprojekt in Zusammenarbeit mit der Charité. Die Ergebnisse waren vielversprechend, von über 2000 Teilnehmenden steckten sich nur vier an. Die Clubcommission sei dazu in Gesprächen mit dem Senat gewesen, um das regulär anzubieten – daraus wurde nichts. Diesen Herbst soll es klappen, auch für die entferntere Zukunft: "Wir müssen dieses System vorbereiten, weil wir davon ausgehen, dass das nicht die letzte Pandemie war", sagt Leichsenring. Auch Victor Oswalt von Clubs am Main zieht ein vorsichtiges Fazit: "Von einem Durchatmen in der Branche sind wir noch weit entfernt."

Die zwei Clubbetreiber:innen Kahrmann und Röder geben sich weniger besorgt. Auf eine mögliche nächste Infektionswelle im Herbst angesprochen atmet Röder lange aus und schweigt dann kurz. "Wenn ich glauben würde, dass es bald wieder losgeht mit einer neuen Welle, würde ich mit diesem Job aufhören", sagt er, "Wenn man diesen Optimismus nicht hat, braucht man den Job nicht machen." Positives Denken und ordentlich Optimismus – so blickt auch Kahrmann von der Anomalie auf die nächsten Monate: "Man muss flexibel bleiben, aber wir sind optimistisch, dass das in eine gute Richtung geht und stabiler bleibt." Bis Ende des Jahres sei man durchgebucht. Auch ein Blick in die Veranstaltungskalender anderer Clubs zeigt: Die meisten planen normal in die Zukunft. Auch wenn sie im Zweifel wieder die ersten sind, die schließen müssen.

Veröffentlicht in Features und getaggt mit Anomalie Art Club , Clubcommission , Clubkultur , Clubs , Clubs am Main , Corona , COVID-19 , Öffnung

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