Tripbericht: CTM Festival 2025 – Stress, Schmerz, Rausch
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Tripbericht: CTM Festival 2025 – Stress, Schmerz, Rausch

Features. 10. Februar 2025 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Redaktion

Die 26. CTM fand in diesem Jahr ohne Motto statt – und dennoch mit thematischem Rahmen: Es ging um die vielfältigen Versuche und Herangehensweise, eine Welt in Not und Ungewissheit künstlerisch zu verarbeiten. Unsere Autorinnen Nikta Vahid-Moghtada (nvm) und Nastassja von der Weiden (nw) waren dabei.

Nachdem die vergangenen CTM-Ausgaben in ein meist gesellschaftspolitisches Motto gebettet wurden, startete das 26. "Festival for Adventurous Music and Art" ganz ohne diesen roten Faden. "Die zahlreichen experimentellen, persönlichen und emotionalen Praktiken, die hier zusammengeführt werden, spiegeln eine Welt in Not und Ungewissheit und die (künstlerischen) Versuche, diese zu verarbeiten, wider", heißt es vorab. Statt eines  übergreifenden Themas soll sich eine Reihe von neuen und fortlaufenden thematischen Strängen durchs Festival ziehen – etwa die Diskussion um den Einsatz Künstlicher Intelligenz oder die Umsetzung ganz persönlicher Erfahrungen von Schmerz und Unsicherheit. Wie in den vergangenen Jahren auch fand die CTM über verschiedene Berliner Locations verteilt statt: unter anderem im Berghain, Silent Green, RSO und Monom, in der Alten Münze und der Volksbühne. 

Dieses Gefühl der allgemeinen Überforderung, von Stress, Wut und Zerbrechlichkeit, das die jüngste Vergangenheit ausmacht, vermittelt auch schon der Festivaltrailer, der uns am Eröffnungswochenende im Silent Green regelrecht überfällt: Wer den langen Korridor vom Eingang abwärts in Richtung Betonhalle geht, geht auf eine Leinwand zu, auf der der Trailer in Dauerschleife läuft, und wird in hektischem Stroboskoplicht gebadet: komplette Reizüberflutung fürs Hirn, aber genau für diesen Input gehen wir doch auch alljährlich zur CTM.  

Das Programm wirkt in diesem Jahr sichtlich ausgedünnt, eine Ausstellung wie zum Beispiel im Vorjahr gibt es nicht. Auch generell ist weniger gleichzeitig programmiert, was die Erfahrung als Gast aber fast ein bisschen entspannter macht – nicht ständig das Gefühl zu haben, sich mindestens fünfteilen zu müssen, um nicht allzu viel zu verpassen, hat auch etwas für sich. (nvm)

CTM 2025: Plakatwand

Samstag @ Silent Green: Saadet Türköz & Eldar Tagi | Dis Fig & Spooky-J

Saadet Türköz und Eldar Tagi legen die Messlatte schon am frühen Samstagabend ziemlich hoch an. Die beiden liefern ein vollends improvisiertes Set aus Gesang (Saadet Türköz) und Ambient-Sound von Eldar Tagi. Sie spielen an diesem Abend in der Kuppelhalle des Silent Green zwar zum ersten Mal gemeinsam, dafür wirkt das Duo jedoch komplett eingespielt. 

Die in Istanbul geborene und in Turkmenistan aufgewachsene Vokalistin Türköz folgt aller Improvisation zum Trotz schon fast einer Dramaturgie: Sie fängt klassisch an, geht über in einen immer wilderen Fluss. Da trifft Obertongesang auf prasselndes Gurgeln. Ihr Gesang wirkt wie ein dadaistischer Wasserfall aus Lauten, die trotz ihrer Hektik fast schon meditativ wirken. Zum Ende nimmt die Spannungskurve ab, der Wasserfall geht wieder in zarten Gesang über. Eldar Tagi liefert an Elektronik und präpariertem Saiteninstrument das perfekte, harmonische Gegenstück.

Auch der zweite Teil des Abends findet im Silent Green statt: Dis Fig & Spooky-J stehen auf dem Programm; die beiden bringen zwar die Lüftungsrohre in der Betonhalle (wortwörtlich) zum Scheppern, das Publikum bleibt jedoch recht verhalten. Aber auch das gehört wohl zur CTM-Experience. Stehen und gucken, mit einem Pokerface, dem nicht anzusehen ist, ob da gerade Freude an dem, was auf der Bühne passiert, empfunden wird. Dabei liefern die beiden gut ab: Die Drums von Spooky-J (Teil der interkontinentalen Band Nihiloxica, die Rhythmen aus Uganda mit UK-Techno kombinieren) treffen auf Dis Figs Vocals, verletzlich und kraftvoll zugleich, und verschmelzen zu einem großen Ganzen aus Doom, Trip-Hop und Nu Metal. These New Puritans, die im Anschluss spielen, wirken dagegen leider nur blass. (nvm)

Sonntag @ Silent Green: Heinali & Andriana-Yaroslava Saienko | Spooky-J |  Xiu Xiu

Das Setup passt perfekt zur fast schon ehrfürchtigen Stimmung: Die Kuppelhalle ist in dunkelrotes Licht getaucht, die beiden aus Ukraine stammenden Artists stehen in der Mitte des runden Raumes (ein einstiges Krematorium). Heinali am Analogsynthesizer, alles an seinem Erscheinen ist akkurat. Seine Frisur, sein Jackett, wie er sein Instrument bedient – jeder Ton, jede Millisekunde scheint durchdacht, und dennoch gehen die teils stockdusteren Drones und der Gesang von Andriana-Yaroslava Saienko kreuz und quer durch Mark und Knochen. In dieser deutschen Erstaufführung von "Гільдеґарда" ("Hildegarda") interpretieren die beiden Hildegard von Bingens Kompositionen mit ukrainischen Volksgesangstechniken und modularem Synthesizer neu und aktualisieren das Material um ihre kriegsbedingten Erfahrungen.

Nach Standing Ovations und einer Zugabe geht’s erstmal an die frische Luft – durchatmen. Dann wieder ab durch den Strobo-Trailer-Tunnel gen Betonhalle, denn dort spielen, nach einem Solo-Drum-Set inklusive "Scheiß auf die AfD"-Vocal-Einlage von Spooky-J, als Headliner an diesem Abend die US-Artsy-Experimental-Indie-Heroes Xiu Xiu rund um Frontperson Jamie Stewart. Die Band, die mindestens seit ihrem Banger-Album "Dear God, I Hate Myself" aus dem Jahr 2010 bekannt wurde, holt neue wie alte Songs aus dem Repertoire, und, haltet euch fest, sogar im (sichtlich Indie-affinen) Publikum wird, wenn auch vereinzelt, g e t a n z t. Auch Jamie Stewart wirbelt über die Bühne wie ein junges Reh. Ich gehe glücklich beseelt nach Hause, der Zeigefinger wippt noch in der S-Bahn in der Manteltasche weiter im Takt und, dear God, in welcher Ritze meines Kleiderschranks habe ich meine Skinny Jeans verstaut? (nvm)

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Mittwoch @ Berghain: Runhild Gammelsaeter mit Lasse Marhaug | Caterina de Nicola

Was gibt es zu diesem CTM-Konzertabend im Berghain zu sagen? Nicht viel, um ehrlich zu sein. Außer: Das Licht war gut. Sehr gut. Exakte rote Strahlen, wohldosiert, gebrochen in den Fenstern zwischen Bar und Konzertspace. Sonst: Es wurde gewebt, also mit dem Körper, gegähnt, auf Bütecs gesessen oder am Geländer gelehnt. Darf auch mal sein. Morgen ist schließlich auch noch ein Tag. (nw)

Donnerstag @ Berghain: Morgan Garrett | Murderpact

The big night out für die CTM-Crowd ist ganz sicher dieser Abend, der einer "echten" Berghain-Clubnacht nachempfunden ist: Säule, Panorama-Bar und Berghain sind packed, durchgetaktet, richtig viele Menschen werden hinein- und hinausgeschleust. Es ist laut, gar nicht mal so dunkel, es wummert, es ist wohlig warm, mancherorts heiß oder verraucht. Aber es ist eben doch anders, "ist ja schließlich die CTM-Clubnacht". Der leicht abschätzige Kommentar, den ich überhöre, es seien eben Leute im Berghain, die gerne mal in diese besonderen Hallen hineinschauen würden, die "sonst nicht reinkommen", möchte ich dennoch quittieren mit: Only speak for yourself, please. 

Die Outfits sind teilweise etwas, wie soll ich sagen, praktikabler statt kettenlastig und hautzeigend und der Altersdurchschnitt ist höher, mag sein. Reden wir aber nicht immer von Inklusivität, und davon, wie schön und generationenverbindend elektronische, experimentelle (im Fall des CTM-Festivals "abenteuerliche") Musik sei? Nicht nur sein kann, theoretisch? An diesem Abend gibt es die Chance, diesen Aspekt von Clubkultur nicht nur als performativ gerne getätigte Aussage zu erleben. Und zu unterstützen, indem man kein Ding draus macht, wer normalerweise ins Berghain kommt und wer nicht. Ja, wir wissen es, ihr, die ihr so oft drüber redet, auf jeden Fall. Na gut, beiseite mit der Biestigkeit, getroffene Hunde und so weiter. Wir sind ja wegen der Musik da, nicht (ausschließlich) wegen der Location. Die zwei Live-Performances, die für all jene, die den sober und/oder dry January auch noch am 30. Januar praktizieren, zur besten Sendezeit laufen, sind Morgan Garrett und Murderpact. 

Garrett, angereist mit einem großen Koffer voller Merch, besticht durch nicht weniger als horror-eske Absurdität, blaue, anmutige Seide am Körper, Metal-Gekreische und -Geschmatze und eine überraschend-sanfte Hommage an die Fluxus-Bewegung, als er seine Gitarre nach dem letzten Akkord der Performance auf die Bühne krachen, nein, fallen lässt. So lese ich zumindest den Guitar-Drop des Amerikaners. Die offenkundig mit Gaffa-Tape geklebten Deckenteile seines Instruments sprechen dafür, dass er seine Gitarre wieder benutzen möchte, beim nächsten Auftritt. Ist das dann noch Fluxus? I guess, yes.

Nach kurzer Umbaupause, die es erlaubt, in der Säule, dem unteren Teil des Clubs, breakigen Techno-Bass-Metal-Punk zu hören und einen Espresso Martini (gut investierte 14 Euro für alle, die Alkohol trinken) oder einen alkoholfreien Cocktail zu schlürfen, geht es oben weiter. Keinesfalls unerwähnt sollte jedoch die Barperson in der Säule bleiben, die unfassbar viele Ringe und einen tiefsitzenden, glitzernden Gürtel trug. Nicht ohne Grund eines der Highlights für Besucher:innen der Säule, diese Cocktail-Performance. Die Hände, der Ausdruck, the art of presenting. Danke hierfür. 

Oben heißt es dann wieder: Berghain, Berghain, Berghain, Metal, Metal, Metal. Murderpact sind ein Hardcore-Drums-Electronic-Rave-Duo, die durch eine körperliche Hochleistungsshow bestechen. Das Schlagzeug und die physische Achterbahnfahrt-Schnelligkeit, mit der darauf eingeschlagen wird, sind absolut eindrücklich. Chaotisch und selten in tune, was sicher gewollt ist; aber immer dann, wenn Dröhnung und Rhythmus gemeinsam "schieben", wie sonst nur die Droge mit M, wird das Duo mit Zwischenapplaus beklatscht. Zum Ende hin wird die Improvisation zwar immer ein bisschen lang, der Floor bleibt aber in Bewegung. All in all: Schön war’s. (nw)

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Samstag @ Volksbühne: Ellen Arkbro & Microtub – »Clouds for Three Tubas« und »Chords for Trumpet« | claire rousay und Martyna Basta

Voll ist’s am zweiten CTM-Samstag in der Volksbühne, an dem vor allem Fans von Kali Malones Orgel-Drones auf ihre Kosten kommen. Orgeln gibt’s aber keine. Stattdessen auf der Bühne: Vier Stühle, eine Trompete und drei Tubas: Die schwedische Komponistin Ellen Arkbro macht an diesem Abend den Anfang mit gleich zwei neuen Stücken: "Chords for Trumpet" und "Clouds for Three Tubas". Für letzteres holt sie sich das mikrotonale Tuba-Trio Microtub bestehend aus Robin Hayward, Martin Taxt und Peder Simonsen mit an Bord. Viel passiert nicht in dieser guten Stunde, aber genau das ist das Faszinierende daran. Microtub schaffen es, die Tuba-Drones minutenlang zu halten – ein respiratorischer Kraftakt par excellence.

Wie auch Arkbros bisheriges Werk konzentriert sich "Clouds for Three Tubas" auf sich langsam entfaltende Muster von Akkorden, auf Intervalle und Klangtexturen und dadurch entstehende Harmonien. Die Klänge der drei Tubas verschmelzen im wahrsten Sinne des Wortes miteinander und laden (wie auch die bequemen Theatersitze) zum Träumen ein. Augen zu, Kopf an. Und das ist sogar gewollt: In einem Interview mit kaput sagte die schwedische Komponistin selbst: "(This music) is so simple that the only way it becomes interesting is when you start to add your own imagination to it." 

Claire Rousay (am Piano) und die polnische Musikerin Martyna Basta liefern im Anschluss ein adäquat verträumtes elektro-akustisches Set ab. Dabei habe ich aber noch die Tuba-Soundwolken im Kopf. (nvm)

Samstag @ Haus der Kulturen der Welt: ZULI | Hulubalang feat. Brandon Tay 

Ja, da waren Highlights, aber da war auch viel "Warten, ob noch etwas kommt" und, auch das, im positiven wie negativen Sinne, da war auch viel Aushalten bei dieser CTM-Edition. An einem Abend fragte ich mich, als das Licht so rot durch die Berghain-Fenster reflektierte und ein bedrohliches Brummen aus den Boxen drang, ob das alles aber gerade "so wichtig" ist. Ob es wirklich wichtig ist, wie exzellent oder mittelmäßig diese 26. CTM-Ausgabe ist. Für die Macher:innen und Künstler:innen natürlich, klar, keine Frage. Aber für uns als Gäst:innen – wir werden schon klarkommen, auch wenn diesmal vielleicht keine Erleuchtung dabei war. Oder zumindest weniger Erleuchtungen. Es war in Ordnung und es wird auch mal wieder anders ergreifend sein, da bin ich sicher. That being said: Das Festival-Programm geht noch bis Sonntag, aber dieser Nachbericht wird on the highest note und ehrlicher Bewunderung enden. 

Und zwar mit den zwei Performances von ZULI und Hulubalang feat. Brandon Tray im Haus der Kulturen der Welt. Denn, ja, die waren wirklich abgefahren gut und hier empfand ich das, worauf ich viele Abende gehofft hatte: DAS höre ich nur bei der CTM, es inspiriert und berührt mich, wie es nur experimentelle Musik kann.

Im Haus der Kulturen der Welt, ein paar Hundert Meter vom Schloss Bellevue entfernt, wurden im vollbesetzten Miriam Makeba Auditorium zweimal je eine Stunde AV-Live-Sets vor sitzendem Publikum aufgeführt. Der Raum, dieser riesige Kinosaal, war für die Kunst des Ägypters ZULI und das Duo Hulubalang und Brandon Tray wirklich perfekt. ZULI kam zuerst auf die Bühne, vergrub sich unter seinem hellen Basecap, war ganz ruhig, fast starr; dann wurde es existenziell, groß, düster, technisch perfekt, technoid, bassig, fragmentiert-flüssig und laut. Sein letztes Jahr erschienenes Album "Lambda" wurde zum Teppich seiner A/V-Performance. Dass ein Auditorium wie ein Club klingen kann, wusste ich bis dato auch nicht. 

Nach einer kurzen Pause kamen Hulubalang, ein Musik-Alias des Producers Kasimyn, der wiederum eine Hälfte von "Gabber Modus Operandi" ist, und Brandon Tray auf die Bühne. Und deren Performance war das im besten Sinne Emotionalste, Roheste, Beste, Lauteste, Unaushaltbarste, das mir während des Festivals begegnet ist. Brutaler, aber klingender Noise, live gesungen und geschrien; Kasimyn als Scherenschnitt tanzend vor den Visuals von Brandon Tray. Betitelt wurde die Performance nach dem Album von Hulubalang namens "Bunyi Bunyi Tumbal", das ein Deep-Dive in die indonesische Kriegsgeschichte und deren Archive ist. Auf der riesigen Leinwand im Saal wurden verfremdete, ineinanderlaufende Fotografien aus eben diesen Archiven gezeigt. 

Vom Musiker selbst als "Katharsis" bezeichnet, entfaltete die Aufführung ab der Hälfte eine unfassbare Lautstärke, die es bestenfalls mit Gehörschutz auszuhalten galt. Es wäre mir dennoch nicht in den Sinn gekommen, den Raum zu verlassen. Dafür war es zu gut, zu relevant, zu fesselnd. Und das Beste, das ich dieses Mal beim CTM Festival erleben durfte. Allein dafür hat es sich gelohnt, nach Berlin zu kommen. Und ja, nach diesem Abend steht (doch wieder) fest: Bitte mehr davon. Bis nächstes Jahr. (nw)

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