Erlebnisse eines Drogendealers: "Wenn du hier fällst, stehst du nicht mehr auf"

Erlebnisse eines Drogendealers: "Wenn du hier fällst, stehst du nicht mehr auf"

Features. 26. September 2025 | 4,8 / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Drogen

Es ist eine Ecke, die jeder kennt, der nachts in Wien unterwegs ist: die Brücke bei der Spittelau, ein paar Meter vom Donaukanal entfernt, zwischen den beiden Technoclubs Grelle Forelle und Das Werk. Wer hier nach Mitternacht durchgeht, sieht sie sofort: Männer, meist aus Nordafrika, die sich an die Wand lehnen, nervös am Handy tippen, kurz hinter den Büschen verschwinden.

Einer von ihnen ist Karim*. Er lebt seit eineinhalb Jahren in Wien, ohne gültige Papiere, ohne echte Perspektive. Sein Geld verdient er mit Gras, Koks und Ecstasy. Ich habe Karim vor einigen Wochen in einem ganz anderen Kontext kennengelernt. Er hat mir seine Geschichte erzählt und entschieden, sie aufschreiben zu lassen. 

DJ LAB: Karim, wie bist du zum Dealen gekommen?

Karim: Ich komme aus Marokko. Ich war 20, als ich weggegangen bin. Wir hatten nichts. Mein Vater ist früh gestorben, meine Mutter konnte uns kaum ernähren. Also bin ich zuerst nach Spanien. Dort habe ich als Erntehelfer gearbeitet, Tomaten pflücken, Orangen. Das war: kaum Geld, kein Vertrag. Dann Italien, dann hier. Ich dachte, Österreich sei ein reiches Land, vielleicht finde ich Arbeit.

Hast du Arbeit gefunden?

Karim: Am Anfang nicht. Ich habe Asyl beantragt, aber abgelehnt, also: keine Chance auf legalen Job. Und dann? Entweder betteln oder Geschäfte machen. Ein Cousin von mir war schon da, er hat gesagt: "Komm zu uns, da läuft es.” So bin ich hier gelandet. 

Wie sieht dein Alltag aus?

Karim: Ich stehe meistens erst spät auf. Wir sind Nachtmenschen. Abends gehe ich raus, immer dort, wo die Clubs sind. Werk, Forelle, manchmal Pratersauna, manchmal Flex. Es ist wie ein Markt. Wir stehen da, warten. Die Leute kommen von alleine. Studenten, Touristen, alle. Sie fragen: "Hast du Gras? Hast du Koks?”. Dann musst du schnell sein.

Welche Drogen laufen am besten?

Karim: Es kommt drauf an, wo du bist. Wir machen viel Gras. Das ist sicher. Aber Koks bringt das Geld, halbes Gramm für 50 Euro. Hier, bei der Spittelau, so ab eins in der Früh, wollen alle nur Pillen.

"Am Ende kaufen sie trotzdem.”

Woher bekommt ihr eure Ware?

Karim: Wir bekommen alles über Zwischenhändler, von Leuten, die höher stehen. Wir sind nur die letzte Station, die draußen steht und verkauft. Manchmal ist die Qualität gut, manchmal nicht. Viele Leute beschweren sich: "Zu gestreckt, zu wenig, zu teuer.” Aber am Ende kaufen sie trotzdem.

Wer steckt eigentlich hinter dem Geschäft?

Karim: Wir sind nur die unterste Stufe. Über uns sind die Leute, die das Zeug ins Land bringen. Manchmal andere Marokkaner, manchmal Albaner, manchmal sogar Österreicher. Wir sind austauschbar. Wenn ich morgen weg bin, stehen drei andere an meiner Stelle.

Wie ist das Verhältnis zu den Clubs?

Karim: Alle wissen Bescheid. Manche hassen uns.

Warum?

Karim: Keine Ahnung, weil wir ihr Geschäft kaputt machen? Die meisten sind aber cool, solange wir nicht direkt vor der Tür stehen. Offiziell tun natürlich alle so, als hätten sie nichts mit uns zu tun. Dabei sehen sie genau, was passiert. Ohne uns gäbe es weniger Stimmung in den Clubs.

Drogen und Nachtleben, Erlebnisse eines Drogendealers: "Wenn du hier fällst, stehst du nicht mehr auf"

In den Medien wird häufig über Dealer an der Spittelau geschrieben. Bekommst du das mit?

Karim: Ja, manchmal, aber die schreiben immer dasselbe: "Kriminelle Ausländer, Dealerbanden.” Keiner von denen fragt, warum wir hier sind. Sie sehen nur das Geschäft, nicht das Leben dahinter. Ich bin nicht stolz darauf, was ich mache. Aber was ist die Alternative? Betteln? Stehlen?

Was machst du, wenn du nicht arbeitest?

Karim: Nicht viel. Wir hängen meistens zusammen, trinken Tee, reden. Manche spielen Karten, andere schauen Filme. Ich gehe manchmal im Käfig Fußball spielen. Aber es ist kein richtiges Leben. Du bist immer vorsichtig, immer bereit zu rennen.

"Wir sind Brüder, weißt du?”


Wie gefährlich ist das Geschäft?

Karim: Ich will nicht übertreiben, aber: sehr gefährlich. Polizei ist immer da. In Zivil, mit Hunden, mit der WEGA (Sondereinheit der Polizei, Anm.). Wenn du Pech hast, bist du weg. Ich war schon zwei Mal im Häfn (Bezeichnung für Gefängnis in Wien, Anm.). Einmal drei Monate, einmal sechs Wochen. Danach bist du sofort wieder draußen, weil sie dich nicht abschieben können. Aber deine Ware ist weg, dein Geld ist weg. Und manchmal kommen auch andere Dealer. Dann gibt es Streit. Ich kenne Leute, die wurden mit Messern attackiert …

Gibt es so was wie Regeln unter euch?

Karim: Eigentlich schon. Jeder hat sein Revier. Spittelau ist "frei”, aber auch voll. Flex gehört einer Gruppe, Forelle einer anderen. Manchmal gibt es Stress, aber meistens lassen wir uns in Ruhe. Wir sind Brüder, weißt du? Alle aus Marokko, Algerien, Tunesien.

Hast du schon Gewalt erlebt, von Polizei oder von anderen Dealern?

Karim: Von beiden. Polizei schlägt dich manchmal direkt bei der Kontrolle. Kein Zeuge, kein Beweis, niemand interessiert es. Ich habe mal einen Tritt ins Gesicht bekommen, einfach so. Drei Tage Schmerzen, so ist das. Von Dealern ist es schlimmer: Messer, Schlagringe. Ein Freund von mir wurde letztes Jahr in der Nähe vom Flex in den Bauch gestochen. Er hatte nur Pech: falsche Leute, falscher Ort.

Erinnerst du dich an eine besonders krasse Nacht?

Karim: Ja. Einmal war eine große Razzia. Direkt vor dem Werk, zwei Uhr morgens. Viele Leute. Plötzlich Polizei von beiden Seiten, Helme, Hunde. Alle rennen. Ich hatte gerade fünf Gramm Koks in der Tasche. Ich bin in die Donau gesprungen. Voll angezogen, Handy, alles. Bin geschwommen wie verrückt. Danach war ich drei Tage krank, aber ich war frei.

Was haben die anderen Dealer gemacht?

Karim: Manche wollten in die Clubs rein, aber die Türsteher lassen dich ja nicht rein – schon gar nicht, wenn die Polizei da ist. Andere haben Zeug auf den Boden geschmissen oder in den Mund gesteckt. 

Passiert es oft, dass jemand erwischt wird?

Karim: So oft, wie die Polizei will. Nur: Wenn sie uns durchsuchen, finden sie meistens nichts. Vielleicht ein bisschen Gras für Eigenbedarf. Das ist ja das Spiel: Die Ware ist irgendwo versteckt, fast nie bei uns. Aber wenn du Pech hast und doch in diesem Moment was bei dir hast, bist du gefickt.

"Sie schauen sich um, als wären sie Geheimagenten und dann fragen sie dich, was da drin ist.”

Konsumierst du selbst?

Karim: Gras, zum Runterkommen. Aber Koks oder Ecstasy, nein, das ist dumm. Ich muss klar sein. Ich habe schon gesehen, wie Dealer selbst süchtig wurden, dann ist es vorbei. Die nehmen das Zeug, das sie eigentlich verkaufen sollten, machen Schulden, werden von den Falschen gejagt …

Wie reagieren die Leute, die bei dir kaufen?

Karim: Unterschiedlich. Manche haben Angst. Sie schauen sich um, als wären sie Geheimagenten und dann fragen sie dich, was da drin ist. Andere sind arrogant, so "Ich will das jetzt, mach schnell.” Viele reden viel, wenn sie schon was genommen haben. Manche kommen jede Woche, manche nur einmal. Aber ohne uns gäbe es die Partys nicht, das sage ich dir.

Hast du jemals Angst um dein Leben?

Karim: Ganz ehrlich? Ja! Wenn du hier fällst, stehst du nicht mehr auf. Polizei, andere Dealer, Junkies, alle können dir Probleme machen. Aber ich habe keine Wahl. Ich habe keine Papiere, keinen Pass, keine Arbeitserlaubnis. Ich bin hier, aber ich existiere nicht. Nur das Dealen hält mich am Leben.

Wie stellst du dir deine Zukunft vor?

Karim: Ein normales Leben. Arbeit, eigene Wohnung, vielleicht sogar Familie. Aber realistisch? Keine Ahnung. Vielleicht bleibe ich Dealer, bis ich erwischt werde. Oder bis ich genug Geld habe, um wegzugehen. Aber wohin? Marokko, zurück? Das ist keine Option.

* Karim heißt eigentlich anders, sein Name ist der Redaktion bekannt

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