Hieroglyphic Being: "Man wird nicht geboren, um die Bitch von jemand zu sein"

Hieroglyphic Being: "Man wird nicht geboren, um die Bitch von jemand zu sein"

Allgemein. 9. April 2023 | 4,2 / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

„Ich bin Einsiedler”, sagt Jamal Moss und grinst in die Laptopkamera. Kein Wunder, dass der US-amerikanische DJ und Produzent, bekannt als Hieroglyphic Being, über 50 Alben produziert hat. Jamal konnte Chicago-House-Platten auf Axis, dem Label von Jeff Mills veröffentlichen und für RVNG Intl. nach place im space suchen. Der Großteil seiner elektronischen Experimente zwischen Dancefloor und Darüberhinaus vertreibt er aber über ein eigenes Label: Mathematics.

Vor seinem Live-Set bei Struma+Iodine erreiche ich Jamal in seinem Haus in Chicago. Wir sprechen über gebrochene Herzen, das Upcoming in der House-Community und die Weisheiten, die er von seinem Mentor Adonis bekam. Außerdem erklärt er, wie er früher 300 Tapes an einem Abend verkaufen konnte und warum er nicht mehr zu Afrofuturismus-Panels eingeladen wird.

DJ LAB: Lass uns mit einer leichten Frage beginnen: Wie geht es dir?

Moss: Ich habe gerade mit meinem Cousin telefoniert, als mir klar wurde: Ich hab ja den Termin mit dir!

Einen Moment lang dachte ich, du hättest es vergessen!

Nah, hier bin ich! Wir haben sowieso nur über Familienangelegenheiten gesprochen: das Leben, die Liebe, das ganze Drama!

Wohnt dein Cousin auch in Chicago?

Ja, nur fünf Blocks entfernt, aber ich bin ein Einsiedler! Wenn ich in Chicago bin, mache ich meine Arbeit und das war’s! Ich zahle zu viel Geld für mein Haus, um den ganzen Tag unterwegs zu sein.

Wie lange lebst du schon in deinem Haus?

Über zehn Jahre. Die Miete ist ziemlich raufgegangen, aber: Jede andere Wohnung hier ist genauso teuer, nur doppelt so beschissen! Ich weiß das, weil ich sie gesehen hab. Es gibt Häuser, die in den 1950er Jahren gebaut wurden und 300 Dollar mehr kosten – ohne Waschmaschine, Trockner oder sonstige Annehmlichkeiten. Ich so: Nein, danke!

Ist das die Wohnsituation in Chicago?

Das ist auch an vielen anderen Orten so. Chicago wird zum New York von 1996. Selbst in Vierteln, die als kriminell gelten, sind die Mieten außer Kontrolle. Deshalb leben viele Menschen zusammen. Um ehrlich zu sein: Mir würde es nichts ausmachen, einen Mitbewohner zu haben, aber ich bin schon so lange allein, dass ich gar nicht wüsste, wie ich mich verhalten soll, wenn noch jemand im Haus wäre.

Du lebst also allein?

Ja, genau. Ich habe versucht, eine Beziehung einzugehen, um die Rechnung zu teilen, aber ich kann es einfach nicht!

Weil du allein sein willst?

Ich wäre wirklich gerne in einer Beziehung, aber Beziehungen wollen das nicht mit mir.

Klingt, als hättest du es versucht!

Das habe ich, aber es ist so kompliziert. Die meisten Menschen wissen nicht, wie sie sich auf die basics einigen können. Außerdem entsteht eine Menge negativer Energie, weil viele denken, dass ihnen immer etwas Besseres passieren könnte. Die Sache ist: Diese Mentalität macht immer jemanden kaputt, weil ein anderer sich überlegen fühlen will.

Was willst du damit sagen?

Wenn man in Chicago jemanden kennenlernen will, heißt es immer: „Wie viel verdienst du? Was kannst du für mich tun?”

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Sehr wettbewerbsorientiert also.

Ja, aber ich bin eine gebende und fördernde Person. Vielleicht liegt es daran, dass sie das bei anderen Männern noch nie erlebt haben, aber jene Frauen, die ich treffe, versuchen, mich auszunutzen. Vielleicht tun sie es nicht bewusst. Sie haben sich einfach an die negativen Vibes gewöhnt, die Männer ihnen zuvor gegeben haben. Wenn ein fürsorglicher Mensch wie ich auftaucht, bekommen sie die Chance, jemanden auszunutzen. Und sie versuchen es. Hast du jemals den Film Pretty in Pink gesehen?

Ja.

Erinnerst du dich an diese nette und fürsorgliche Figur Duckie? Ich bin Duckie! Ich kenne all diese Frauen und höre von ihren Orgien und Dreiern und all dem Scheiß, wie sie den bösen Jungen oder das böse Mädchen jagen, während ich hier sitze und meinen Orangensaft trinke, während mir das Herz gebrochen wird oder ich mich über die Dreistigkeit amüsiere. Wenigstens führt das zu Kreativität für zukünftige Projekte.

Du bist also der gute Kerl?

So ist es. Und es ist immer kompliziert, besonders wenn die Beziehung ernster wird. Deshalb muss man manchmal auf das Universum hören. Ich habe schließlich Regeln: Bring mir keine Krankheiten und bring mir keinen Scheiß!

Das ist sehr einfach.

Siehst du, deshalb arbeite ich und bleibe zu Hause, um zusätzlichen Stress zu vermeiden.

Bei all der Arbeit, die du machst, bleibt sowieso keine Zeit für Beziehungen, oder?

Ich arbeite, um nicht einsam zu sein. Soweit ich das beurteilen kann, mögen mich die meisten Frauen ohnehin nur wegen des Sex. That’s the story of my life. Weißt du, ich war zehn Jahre lang in einer Beziehung, hab dadurch neue Perspektiven und Hoffnung bekommen, eine gemeinsame Wohnung zu bekommen und auf Reisen weiser miteinander zu werden. Plötzlich sagte sie zu mir: „Ich will das nicht mehr machen.”

Fuck.

Ja, sie gab den Ton an und belog mich.

Scheint so, als hättest du in dieser Hinsicht viel Pech gehabt.

Ich würde es nicht als Pech bezeichnen. Ich bin zurückhaltend und versuche, jedem eine Chance zu geben. Allerdings macht man sich so angreifbar. Und manche Leute nutzen das aus. Aber um ehrlich zu sein: Das ist der Grund, warum ich so viel Musik mache. Musik ist meine Therapie gegen den ganzen Scheiß.

Wenn du also so viel veröffentlichst, wie in all den Jahren, liegt das daran, dass du versuchst, etwas zu verarbeiten?

Ich erzähle dir mal eine Geschichte: Ich habe in den 90er Jahren ein paar Jazzmusiker getroffen. Es waren ältere Herren, so um die 60 oder 70. Wir waren also in dieser Bar und sie sagten zu mir: „Willkommen im Club.” Ich habe es nicht verstanden, aber sie sagten: „Du bist einer von denen, die etwas schaffen und der Erde zurückgeben.” Die Sache ist die: Sie sagten mir auch, dass ich nicht beides haben könne – eine liebevolle Beziehung und eine kreative Karriere. Damals habe ich es nicht geglaubt, aber jetzt bin ich hier: ein 51-jähriger Mann, der weiß, dass sie recht hatten!

Es ist nicht so, dass ich es mir ausgesucht hätte. Das Universum hat mich immer in diese Richtung gelenkt.

Du lebst für die Kreativität.

Sie haben mir auch gesagt, dass die Frauen es nicht zulassen würden, wenn du eine größere Liebe als sie hast.

Damit meinst du die Musik, oder?

Ja, wenn du ihr zu viel Aufmerksamkeit schenkst, kann keine Beziehung funktionieren.

Du hast also die Musik der ...

Es ist nicht so, dass ich es mir ausgesucht hätte. Das Universum hat mich immer in diese Richtung gelenkt. Ich habe nie Musik gemacht, um Frauen oder Ruhm zu bekommen, sondern weil es eine höhere Berufung ist.

Das klingt nach Spiritualität.

Musik zu machen ist meine Gabe, ja. Ich muss das tun.

Das erklärt dein unermüdliches Veröffentlichen. Ich habe aufgehört zu zählen, wie viel Musik du in den letzten Jahren veröffentlicht hast.

Ich habe viele andere Dinge im Leben ausprobiert, mich aber immer irgendwann gelangweilt. Die Musik ist das Einzige, was mich weitermachen lässt, auch wenn es ab und zu schwierig ist. Wenn man das Drama und das Trauma all der anderen Menschen in der Szene oder auf der Welt hört, kann man darin untergehen. Deshalb lautet mein Slogan „SOMUCHNOISE2BEHEARD”. Ich benutze ihn seit 2010, weißt du, warum? Weil die Menschen viel mehr Zeit damit verbringen, sich das Maul zu zerreißen, als produktiv zu sein.

Das tun wir manchmal alle gern, oder?

Ich bemerke eine neue Generation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Welt besser zu machen. Ich lerne deshalb ständig dazu, wenn es um Pronomen, Geschlechtsidentität und soziale Bewegungen geht – ich gebe mir dabei wirklich Mühe! Aber wenn ich bestimmte Dinge sehe, frage ich mich: Muss ich auf den Zug aufspringen, um einen Auftritt zu bekommen? Viele Leute haben mir erzählt, dass sie offen sagen, dass sie Feministen seien, um Auftritte zu bekommen. Das ist doch totaler Quatsch. Warum solltest du für Frauen sprechen, wenn du ein Mann bist? Du kannst dich nicht damit identifizieren, weil das nicht dein Kampf ist – du kennst ihren Schmerz und ihr Leiden nicht.

Man kann nur für sich sprechen, meinst du?

Auf jeden Fall! Ich kenne Hardcore-Bibelchristen oder Normalos, die nur Queerbaiting als Propagandakampagne betreiben, um mehr Auftritte zu bekommen. Wahrscheinlich haben sie ein PR-Team hinter sich, weil die Leute fallen drauf rein.

Du hast das nie getan, du bist dir selbst treu geblieben.

Deshalb kann ich auch nur für mich sprechen, aber ich finde es falsch, aktiv für andere Identitäten zu sprechen, die man nicht repräsentiert. Deshalb habe ich auch die ganze Afrofuturismus-Sache abgelehnt.

Warum?

Es ist verdammt seltsam: Die Leute meinen, dass das, was wir machen, nicht für die Mainstream-Gesellschaft geeignet ist und deshalb nicht so einfach akzeptiert werden kann. Sie setzen deshalb einen Schwarzen Begriff vor das Wort „Zukunft“ und glauben, wir seien Teil dieses anderen Konstrukts. Dabei sind wir auf allen Ebenen gleich! Als ich das sagte, war ich der Fehler in der Matrix. Ich glaube, das ist der Grund, warum sie mich nicht mehr zu diesen Panels einladen.

Sie laden dich nicht mehr ein, weil du deine Meinung gesagt hast?

Man sollte auch nicht Afro-House oder Black Techno sagen müssen. Man sagt einfach Techno oder House, wie es in der Kultur, die das Genre geschaffen hat, bekannt ist! Wenn es um die Leute geht, die dabei helfen, die Musik auf die nächste Stufe zu heben, warum wollen sie – die Industrie – plötzlich „Afro” davor setzen?

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Um daraus Profit zu schlagen?

Ich sag dir was: Asiaten bauen die Technologie, Schwarze machen den Sound und die Ausrüstung heiß und Europäer stecken das Geld und die Ressourcen hinein.

Das ist was? Der Kreislauf der elektronischen Musik?

Ich habe mit Adonis, meinem Mentor, gesprochen, der bei der Entwicklung von House dabei war. Es gibt etwas, das die Leute nicht anerkennen: Ohne Francis Warren [Frankie Knuckles, Anm.] oder The Warehouse zu nahe treten zu wollen, aber die House-Musik stammt nicht von dort; das Wort House für Veranstaltungen oder Versammlungen gibt es schon seit den späten 60er Jahren. Damals wurden Disco, R’n’B Dance Classics oder Rare Groove gespielt. Der Grund für die Entstehung von House war, dass Chicago schon immer eine Stadt mit Rassentrennung war. An manche Orte konnte man nur gehen, wenn man jemanden aus einer anderen Klasse oder Kultur kannte, der wie ein Gatekeeper war. Sammy Davis Jr. hätte sich zum Beispiel nicht an jenen Orten bewegen können, an denen er unterwegs war, wäre er nicht mit Frank Sinatra befreundet gewesen.

Die meisten nicht-Schwarzen Schwulen-Lokale haben nie House oder Techno gespielt, bis Madonna das um 1990 herum gepusht hat und die Kultur verwässert wurde.

In Chicago kamen die Weißen zu Schwarzen Partys, weil sie mit ihnen befreundet waren – und das war cool. Als ich aufwuchs, galt außerdem die Mehrheit der Szene nicht als schwul oder identifizierte sich nicht als schwul; es war eine Szene, eine Kultur, eine Familie. Es ging um Gemeinsamkeit. Es gab Clubs oder Veranstaltungen für Homosexuelle, allerdings keine für Schwarze und Schwule. In den Clubs spielte man Hi-NRG-Musik, sogar Gothic-Musik, Industrial und andere populäre Musik. Die meisten nicht-Schwarzen Schwulen-Lokale haben nie House oder Techno gespielt, bis Madonna das um 1990 herum gepusht hat und die Kultur verwässert wurde. Deshalb finde ich es seltsam, wenn Leute sagen, dass House-Musik in der Queer- oder Black-Gay-Community entstanden ist. Das war nicht der Fall, denn das war alles Disco. Man muss sich das vor Augen halten: In den frühen 80er Jahren war die Mehrheit der Musik elektronisch. Es gab überall Synthesizer und Keyboards. Für Schwarze war Disco allerdings kein Begriff. Das war dieser Bee-Gees-John-Travolta-Scheiß. Für uns war es Funk, Boogie, Jazz Dance, Soul, R’n’B Dance, Rollschuhmusik! Es nervt mich also, wenn sich die Leute darüber streiten, wer denn nun eigentlich die Idee zu House hatte.

Ich kann verstehen, warum die Leute die Geschichte für sich beanspruchen wollen …

Es ist Propaganda. Manche glauben, dass sie das globale Phänomen House geschaffen haben, zu dem es geworden ist. Ich sage dazu: Wenn ihr die Kontrolle hattet und sie geschaffen habt, wie habt ihr sie dann verloren?

Good point.

Alle wollen damit angefangen haben, aber niemand von ihnen konnte mir beantworten, wie sie es an die falschen Leute verloren haben. Genau da müsste man aber ansetzen. Wir müssen die Geschichte der Vergangenheit bereinigen, um in der Zukunft zusammenzukommen.

Warum?

Weil all die schlechten Samen, die in der Vergangenheit gepflanzt wurden, jetzt aufgegangen sind und die Bäume mit faulen Blüten geblüht haben.

Das musst du erklären.

Wir hatten unseren eigenen Stil, unsere eigene Energie und unsere eigenen Geschäfte. Das war Kapitalbeteiligung in der House-Kultur. Heutzutage ist es mit der lokalen Kultur nicht mehr so weit her, weil es Fehlinformationen oder Irreführungen gibt. Wir mussten damals eine Menge durchmachen, um zu Partys zu kommen. Man musste sein Haus zu einer bestimmten Zeit verlassen, um nicht ausgeraubt, erschossen oder von der Polizei belästigt zu werden. Es war buchstäblich wie in dem Film The Warriors. Die Underground-Partys waren dann unser safe space. Ich sag aber dazu: Eine Zeit lang konnte ich nicht in die Clubs gehen, weil ich zu jung war. Was bei mir wirklich ankam, waren DJs, die elektronische Musik im Radio spielten – auf Sendern wie WKKC, WBMX, WNUR, aber auch bei Sock-hop-Tanzveranstaltungen oder Blockpartys.

Welche Erinnerung verbindest du damit?

Für mich fing es mit Ron Hardy an. Ich will nicht schlecht über die andere Person reden, die den Titel für sich beansprucht, aber Mr. Warren konnte den Scheiß, den Hardy künstlerisch machte, nicht ausstehen. Er sah es als etwas Ungeschliffenes an, weil Hardy Kassetten und Schallplatten slammte, Melodien umkehrte, zwölf Minuten lang in einer Endlosschleife spielte und dabei den Equalizer zerstörte. Die Leute wissen nicht, dass Slamming von Anfang an eine Form der DJ-Kultur war. Es ist eine vergessene Kunstform, aber eine, die eine Menge Energie mit sich brachte. Ich kann hier nicht zu sehr ins Detail gehen, aber viele Gangs mit unterschiedlichen Zugehörigkeiten kamen auf derselben Party zusammen und es herrschte für diese Zeit Waffenstillstand. Man konnte also in eine bestimmte Gegend gehen und es gab keine Gewalt, weil man zu einer Party kam, wo die Leute ins The Fort gingen, wo House-Musik gespielt wurde. Das war die Kraft und Energie von House!

Das ist eine andere Geschichte, als jene, die zum Beispiel DeForrest Brown Jr. in ‘Assembling A Black Counter Culture’ erzählt.

Ich respektiere ihn, aber: House ist die Schwarze Gegenkultur. Wir mussten es nie sagen, wir waren es einfach: House-Heads! Ich kann zwar nichts über seinen Background sagen, aber ich komme aus einer Zeit, in der wir an vielen Orten nicht akzeptiert wurden. Wir haben deswegen nicht rumgeweint. Wir haben unsere eigene Gemeinschaft gegründet und unser Ding gemacht. Wenn ich die heutige Generation von Schwarzen Künstlern sehe, die sagen, dass wir Techno wieder Schwarz machen müssen oder dass House Schwarze Musik ist, versuche ich, offen zu sein und zu lernen. Die Sache ist: Sie alle richten es an die falschen Leute. Ich finde es sehr Dave-Chappelle-mäßig, wenn Schwarze Vorträge über Schwarze Gegenkultur für europäische Menschen halten. Anstatt Bücher zu verkaufen oder Vorträge vor Europäern zu halten, die sich vielleicht dafür interessieren, sollten wir uns ein paar Stipendiaten oder Investoren suchen und Projekte, Räume, Veranstaltungen und Festivals in unserer eigenen Gemeinschaft aufbauen. Schwarze müssen hören, dass Techno wieder Schwarz sein muss. Sie sind es, die man über die historische und wirtschaftliche Bedeutung der House-Kultur informieren muss. Wir sollten an Schwarzen Colleges eine Tournee machen. Dabei würden die Leute nicht nur Schwarze Künstler unterstützen, sondern eine ganze Gemeinschaft von Grund auf aufbauen. Mit anderen Worten: Leute, die eine Plattform oder Präsenz wie ich haben, sollten einen anderen Ansatz wählen und die Vorarbeit leisten, die unsere Vorgänger mit ihren Ressourcen geleistet haben.

Das erklärt, warum du dich gegen afrofuturistische Panels gesträubt hast, bei denen 100 Weiße einigen Schwarzen zuhören.

Ja, wir sind nicht einmal in der Menge! Das habe ich in einem dieser Panels angesprochen. Ich habe sie gefragt: Bei wem bewirbt ihr die Veranstaltung? Ich sehe all diese Schwarzen Menschen, wenn ich durch eure Stadt gehe, aber wo sind sie in diesem Raum? Zu diesem Zeitpunkt sprachen wir nur mit hochgebildeten Weißen, die bereits über die Dichotomie in dieser Kultur Bescheid wussten. Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber wo ich herkomme, gilt es als Sell-out, wenn man vor tausend Weißen über den Kampf der Schwarzen spricht und nicht die gleiche Anzahl von Schwarzen im selben Raum sind.

Warum ist das für dich ein Sell-out?

Weil die Menschen, die etwas über diesen Kampf und die Geschichte erfahren sollten, nicht im Raum sind!

Ich stand dann vor den Plattenläden und habe meinen Scheiß verkauft.

Ich verstehe, was du meinst: No preaching to the already-converted.

Das ist nur egozentrisch und hat mit der Gemeinschaft überhaupt nichts zu tun, ja! Es sieht seltsam aus, wenn eine Generation junger Schwarz schreit: „Wir sind nicht vertreten!”, wenn Techno und House in erster Linie dafür geschaffen wurden, unser eigenes Ding zu machen.

Irgendwann ist dieses Ding aber verloren gegangen, wie du sagtest.

Ja, niemand fragt, wie wir die Kontrolle über unsere Musik verloren haben. Es ist doch so: Wir können sie nicht zurückbekommen, wenn wir nicht über die Geschichte lernen und wie wir sie verloren haben. Ein Teil der Motivation, warum ich mein eigenes Label gegründet habe, ist darin begründet. Ich war wütend, weil meine Musik ständig abgelehnt wurde. Ich dachte, die Leute würden mich nicht respektieren. Dabei habe ich Carl Cox, Dj Diz, Green Velvet angesprochen. Einmal wollte ich sogar Richie Hawtin in der Smart Bar in Chicago mein Demo mitgeben. Er schaute mich an und sagte: „Warum bringst du es nicht selbst raus?” Er hat mich in dem Moment aber nicht gedisst, sondern mir einen Rat gegeben. Also habe ich 1994 angefangen, Kassetten aufzunehmen und sie auf Rave-Partys zu verkaufen. Als ich meine erste Platte pressen lassen wollte, rief ich in Großbritannien bei elektronischen Musikmagazinen an. Man muss wissen, dass in den 90er Jahren in den Magazinen Press- und Vertriebsverträge angeboten wurden. Irgendwann hörte mich jemand, und 96 kam meine erste Platte heraus. Die Leute hielten mich zwar immer noch für unprofessionell, weil die Sachen nicht richtig gemastert waren, aber es ging mir gut. Ich stand dann vor den Plattenläden und habe meinen Scheiß verkauft.

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Du hast deine Platten vor Plattenläden verkauft?

Ja, die Jungs aus dem Laden kamen raus und sagten mir, dass ich das nicht machen darf. Ich habe es trotzdem gemacht, weil ich das Geld brauchte und auf der Suche war. Die Quintessenz ist: Jedes Mal, wenn du auf Widerstand stößt, kannst du einen Weg finden, ihn zu umgehen.

Du hast mir erzählt, dass du deine Platten auch auf Rave-Partys verkauft hast. Ich habe mal gelesen, dass du ein kleines Vermögen mit dem Verkauf deiner Sachen gemacht hast, indem du den Leuten erzählt hast, dass deine Musik nach dem Zeug von Carl Craig und Richie Hawtin klang.

Das war eine böse, aber ich stehe dazu: Wir waren auf diesen Raves und die Kids waren alle total high. Als die Party vorbei war und alle nach Hause fuhren, sagten wir zu ihnen: „Richie war großartig, was? Wisst ihr, wir haben genau die gleiche Musik wie sie!” Ich verkaufte 300 Tapes in einer Nacht!

Das ist der „Hustle Mind”, von dem du gesprochen hast! Du hast dein Zeug verkauft, aber dich selbst nie verkauft.

Ich weiß, wie die Branche funktioniert und wie beschissen sie ist. Ich zeige hier nicht mit dem Finger auf andere, ich möchte nur eine andere Branche aufbauen, in der alle zusammenkommen können, ohne dieses ganze Ego-Zeug. Denn: Man wird nicht in diese Welt hineingeboren, um die Bitch von jemand anderem zu sein. Du kannst dein eigenes Schicksal bestimmen. Nicht unbedingt durch Reden, sondern indem man aktiv wird. Viele Menschen kommen aber nie an diesen Punkt. Sie reden und reden und ruinieren sich selbst. Denk mal darüber nach: Wenn Menschen in den Krieg ziehen, verraten sie ihrem Feind auch nicht ihre Taktik.

Du hast das Ego erwähnt …

Ja, das Ego erlaubt es den Leuten heutzutage nicht mehr, geduldig zu sein. Früher konnte man eine Videokassette einlegen und sich den Scheiß sechs Stunden lang ansehen. Heute liegt die Aufmerksamkeitsspanne der Leute bei 15 Sekunden, jeder will alles immer gleich haben. So funktionieren die Dinge nicht. Man muss dranbleiben. Vielleicht bestehen die ersten Jahre nur aus Forschung und Entwicklung. Aber nach einiger Zeit wird sich die Beharrlichkeit auszahlen.

Du machst das seit über 30 Jahren, du solltest es wissen.

Ich find es lustig, wenn die Leute sagen, dass ich inzwischen zu viel Musik veröffentliche. Aber wie ich schon sagte: Es ist eine Therapie für mich. Gleichzeitig ist es auch ein Training. Es könnte der Tag kommen, an dem ein Sony-Manager von meiner Musik erfährt und mir einen Vertrag anbietet, um jüngere Leute zu produzieren oder als A&R zu arbeiten. Das könnte einen dicken Scheck bedeuten. Am Ende ist alles, was ich mach, Mathematics.

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