Cheap Records: "Wenn ich ein geiler Typ bin, ist der Schritt zum DJ kürzer als damals"
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Cheap Records: "Wenn ich ein geiler Typ bin, ist der Schritt zum DJ kürzer als damals"

Features. 24. Februar 2024 | 4,6 / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Sie waren auf dem Cover des Wire-Magazine, brüllten von jenem der Groove und waren in den 90ern auch sonst: überall. Patrick Pulsinger und Erdem Tunakan gründeten 1993 Cheap Records in Wien – ein Techno-Label, das es in der österreichischen Bundeshauptstadt bis in die Neunziger nicht gab, weil es dort außer Falco und Mannerschnitten sowieso nichts gegeben hatte. 

Unter Namen wie Sluts'n'Strings & 909 oder Restaurant Tracks produzierten Pulsinger und Tunakan aus ihren Jugendzimmern für internationale Dancefloors. Die Trademark neben Funk zwischen der Vierviertelkick: silbergraue Plattenhüllen, die damals niemand hatte. Plötzlich waren Pulsinger und Tunakan der Kern einer Szene, die es noch nicht gab, irgendwann aber viele "Vienna Electronic" nannten. Das gefiel auch Robert Hood, der 1995 ein Album via Cheap rausbrachte. 

In diesem Jahr werden Cheap und sein Weirdo-Beiwagerl Morbid Records 31 Jahre alt. Deren Gründerväter sind augenscheinlich nur halb so schnell gealtert. Bei einem Gespräch im Studio von Pulsinger sprechen wir über die härteste Tür Wiens, Arschkriecherei und warum die beiden fast Wurst statt Vinyl verkauft hätten:

Ich hab mir vorhin ein paar alte Platten von Cheap angehört. Ein Wahnsinn, dass manche über 30 Jahre alt sind!

Erdem Tunakan: Na ja, uns war Zeitlosigkeit immer wichtig. Wir haben aber nicht nach dem Zeitlosen gesucht, sondern nach der jeweiligen Handschrift des Künstlers. War die authentisch, war es automatisch zeitlos, weil du gemerkt hast: Das ist eigen, das ist neu.

Patrick Pulsinger: Die Sachen von Philipp Quehenberger aus den 2000ern funktionieren für mich wie damals. Louie Austen hört sich auch heute großartig an. Viele andere vergesse ich, aber: Schau dir das Line-up für unsere Jubiläumsparty an. Fast alle, die früher produziert haben, sind noch da. Sie sind nur aus dem Fokus der permanenten Beobachtung verschwunden. 

E. T.: Auch weil es kaum noch konzentrierte Informationszentren wie Plattenläden gibt. Ging man damals in Plattenläden wie Black Market, wusste man Bescheid: Was kommt raus, wo geht was ab? Dieser Zugang hat sich komplett verändert. 

P. P.: Früher ging man aus, heute heißt es Clubkultur. Den Platz dafür musste man sich damals erkämpfen. Mittlerweile ist es wurscht: Wenn es einem in der Praterstrasse nicht taugt, schaut man halt in die Grelle Forelle oder ins Fluc. Das kritisiere ich nicht, man muss aber sehen: Das easy clubbing gab es in den Neunzigern nicht. Umgekehrt gibt es jetzt kaum noch Türpolitik, weil alle froh sind, wenn die Läden voll sind. Find ich gut, es sollen alle rein dürfen. Aber man kann auch teilweise Kritik üben. Schließlich geht sie mit den Fragen einher, wie und mit wem eine Nacht stattfinden soll.

Es gab damals eine härtere Tür als heute?

P. P.: Ja, im Guten wie im Schlechten.

E. T.: Einer der besten Türsteher war Conny [de Beauclair] im U4. Er hat gern ein Spielchen gespielt: Wenn Typen mit ihren Freundinnen kamen, durften die Freundinnen rein, während die Typen draußenbleiben mussten. 

P. P.: So hat er die Schlange lang gehalten, weil: Wo die Leute anstanden, musste man hin.

E. T.: Eine gute Tür ist aber mehr als ein Ausschluss von Leuten.

P. P.: Ja, man gestaltet damit den Abend. Lässt man alle rein, passiert das nicht zum Vorteil der Party. Manche Leute sind wegen der Musik da und wollen tanzen, andere kommen zu sechst vom Feuerwehrfest und suchen den Aufriss. Was man dazu sagen muss: Viele Leute wurden auch strategisch ausgegrenzt – aufgrund ihrer Ethnie oder Hautfarbe.

E. T.: Aber doch nicht in Wien!

P. P.: Entschuldige, aber schon! Nicht bei Conny, aber bei vielen anderen Clubs. Außerdem hatten alle ihre eigenen Regeln. Weißt du, wie schwierig es war, in die Soul Seduction im Volksgarten reinzukommen? Hattest du die falschen Schuhe an, konntest du die ganze Nacht anstehen. War natürlich Quatsch, weil drinnen der Standard nie so hoch war, dass man damit die Optik zusammengehaut hätte.

E. T.: Heute ist es aber…

P. P.: Genauso restriktiv – vielleicht sogar restriktiver als damals, weil sich der Fokus verschoben hat zu notwendigen Themen, die lange Zeit übersehen wurden. Früher hieß es ja: Ist der Laden voll, ist es eine gute Party. Man darf aber nicht vergessen: Nicht alle haben eine gute Party, weil der Laden voll ist. Dahingehend hat sich eine Awareness etabliert, die ich begrüße. Die Regeln sind transparenter als damals.

E. T.: Kannst du dich ans Monte erinnern?

P. P.: Das Montevideo in der Annagasse – klingt eh schon so wie… Na ja, jedenfalls haben dort gute DJs aufgelegt. 

E. T.: Musikalisch war es ein bisschen wie das U4 und die Camera. Mit Disco und Funk.

Pulsinger: Ja, das war mein Ding. Ich kam 1988 nach Wien. War viel im U4, im Volksgarten, weil dort die Musik gepasst hat. Was im Rückblick lustig ist: Von außen haben alle immer ein großes Tamtam um diese Clubs gemacht. Irgendwann war ich zu des Pudels Kern vorgestoßen und habe gemerkt, was das für eine Farce ist, weil: Der Club war halbleer und draußen standen die Leute an.

War das eine Szene? Also eine, die man heute immer wieder als sogenannte Club-Szene herbeizureden versucht?

E. T.: Es war jedenfalls anders. Ich war lange bei Dum Dum Records, unter anderem mit Markus Wagner [auch bekannt als Makossa] und Wolfgang Strobl. Wir haben die Platten für die Clubs eingekauft, weil die ihre eigenen Plattensammlungen hatten. Damit kannte man alle DJs in Wien und Umgebung. Sie hatten bei uns ihre Fächer, bekamen also genau, was sie brauchten und zwar nur das. 

P. P.: Damit wusste man auch, was in welchem Club läuft.

E. T.: Ja, es war eine Selektion, die …

P. P.: Total diskriminierend war, nicht? 

E. T.: Man hatte als Verkäufer eine Macht, ja. War die neue Platte von De La Soul nicht in deinem Fach, hättest du dich auf den Kopf stellen können – du hast sie nicht bekommen. 

P. P.: Was eine Arschkriecherei und Freunderlwirtschaft befördert hat.

E. T.: Na ja, wir haben einen Service angeboten. Kein DJ hatte Zeit, jede Woche 200 Platten durchzuhören. 

P. P.: Heute bietet beispielsweise Bandcamp diesen Service an. Es ist ein Blick in die offene Plattenkiste.

E. T.: Das haben wir noch analog gemacht! Bevor die Party losging, hat man halt mal in den Koffer von Richie Hawtin geschaut …

P. P.: Deshalb meine ich: Diesen Austausch gibt es immer noch, er ist nur nicht mehr so interaktiv und sozial wie damals. Das hat natürlich zu Verwerfungen im lokalen Bereich geführt. Oder wie viele Plattenläden im Clubbereich kennst du noch?

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Es gibt so viele andere Möglichkeiten …

P. P.: Eben, ich schätze digitales Auflegen, kann meine eigenen Edits abspielen, muss nicht warten, habe Top-Qualität. Das Wegfallen der Gatekeeper hat es so vielen Menschen ermöglicht, außerhalb einer hermetisch abgeschlossenen Szene ihre Ideen zu realisieren – und zwar unabhängig ihres Standorts.

Du meinst …

P. P.: Den Standortvorteil der Großstadt gibt es nicht mehr. Plötzlich ploppen Künstler:innen auf, die aus irgendeinem schottischen Dorf kommen. Oder schau dir die afrikanische Szene an. Nichts davon kannst du ohne diese demokratische Entwicklung in der Musik denken.

Sorry, dass ich so weit zurückgreife, aber: Cheap hätte zehn Jahre vor Gründung auch nicht funktioniert.

P. P.: Genau! Wir haben von einer aufkeimenden Idee des Do-Yourself-Everything-Business und dem Wegfall der hierarchischen Struktur im Musikbusiness profitiert. Hätten wir uns an den Regeln der 80er Jahre orientiert, wären wir nie Musikschaffende geworden.

E. T.: Wir hatten ja keinen Kontakt in die Musikindustrie.

P. P.: Nach ihrem Maßstab waren wir nicht mal Musiker – was auch gestimmt hat. Dazu kommt: Wir hatten keine Verbindungen zu Produzenten, kein Studio, keinen Vertrieb…

E. T.: Ich hatte ein paar Connections über Dum Dum.

P. P.: Haben wir dort jemals eine Platte rausgebracht? Nein. Wir wollten aber – als wir bereits eigene Musik hatten – bei größeren Vertrieben anknüpfen. Es kam dann der Satz, den wir gerne zitieren: "Wenn da draufsteht, dass das Zeug aus Wien kommt, kauft das niemand!"

E. T.: Der Typ, der das gesagt hat, hat später übrigens seinen Job verloren. Der Vertrieb ist nämlich draufgekommen, dass er uns abgewiesen hat. Da waren wir schon ein Name.

P. P.: Ja, was ich aber meine, ist: Der demokratische Prozess hat mit uns begonnen. Plötzlich war es möglich, mit eigenen Mitteln im Musikbusiness erfolgreich zu werden. Heute dreht sich die Diskussion oft weniger um die Möglichkeiten, die sich durch diese Öffnung ergeben. Man spricht viel eher darüber, wie leicht es geworden sei, Musik zu machen.

E. T.: Die Qualität ist dadurch auch abgestürzt.

P. P.: Das sehe ich nicht so. Sie mag im Bereich von Slightly-above-Fahrstuhlmusik abgestumpfter geworden sein, weil die Leute mit vorgefertigten Loops arbeiten, aber: Eine vorangegangene Epoche zu glorifizieren, nur weil es schwerer war, kreativ zu sein, ist falsch. Schließlich kann man Tools auch heute außerhalb der vorgegebenen Parameter nutzen. 

E. T.: Es findet aber eine Verkürzung statt.

P. P.: Wenn sich junge Leute neue Wege suchen, wie sie zum Beispiel Social Media nutzen, heißt das nicht, dass sie sich minderwertig mit ihrer Kreativität auseinandersetzen. Ich finde es schlimm, wenn wir das als alte Säcke kritisieren.

Es wäre reiner Kulturpessimismus, den man eh von anderen Silberrücken kennt.

P. P.: Eben. Als wir früher mit Cheap angefangen haben, kamen oft Leute auf uns zu und meinten: DIY-Dilettantismus ist schlecht für die Musik. Für mich war es aber immer positiv, weil: Deine Kreativität hat plötzlich mehr gezählt als das Handwerk.

Ich versteh aber auch Erdem: Wer heute drei Sample-Packs runterlädt, kann morgen Techno ballern.

P. P.: In Verbindung mit einem sexy Instagram-Auftritt läuft das, klar. Gut gestylte Leute haben sich in den 50ern aber auch schon verkauft. Die Mittel der Öffentlichkeit haben sich halt verändert. Wenn ich ein geiler Typ bin, ist der Schritt zum DJ kürzer als damals.

Ihr habt die Trends im Techno erlebt. Was überrascht euch noch? Die Besinnung auf das, was war?

P. P.: Auch wenn viele Strömungen wieder vergangen sind, muss man anerkennen, dass sie Abdrücke in der Popmusik hinterlassen haben. Hör dir aktuelle Superhits von Doja Cat oder Taylor Swift an: So minimalistisch war es noch nie! Dafür ist die persönliche Verbindung zwischen Person und Stimme viel stärker als zum Beispiel in den Neunzigern. Heute lebt man also eine Persona und macht auch Musik. Außerdem kommen einige Stile ja wieder. Es spült sie, angetrieben durch die Digitalisierung, in den Fokus des Mainstreams.

E. T.: Es kommt aber merkbar zu Wiederholungen. Wir haben Techno dagegen immer als etwas verstanden, das in die Zukunft gerichtet ist.

P. P.: Na ja. Wenn ich behaupte, dass es nur damals den geilen Scheiß gegeben habe, nehme ich exakt jene Position, gegen die wir damals angekämpft haben. Deshalb interessiert es mich mehr, was ein 17-Jähriger hört als die Selection von Leuten in meinem Alter, weil: Junge Leute beschäftigen sich mindestens so sehr mit Musik wie wir damals. Die Art der Auseinandersetzung hat sich aber vom Plattenladen in andere Netzwerke verlagert. Die Jungen leben eben nicht in unserer Jugend.

E. T.: Du zeichnest das zu weich. Ich finde nämlich, dass die Oberflächlichkeit in der Auseinandersetzung beachtlich zugenommen hat. Meine Neffen sind Anfang 20, sie haben Lieblingstracks, von denen sie nicht mal den Namen kennen. Das ist auch nicht anders, als sich eine Wurstsemmel zu besorgen, um den schnellen Hunger zu stillen.

P. P.: Ich hab immer schon gesagt: Platten oder Wurst zu verkaufen, ist exakt das Gleiche.

E. T.: Musik ist aber wurscht geworden.

P. P.: Ich glaube nicht. Man hört heute halt keine 85 Platten durch, von denen 80 in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Man hört Musik auf dem Handy und skippt weiter.

E. T.: Der Wert hat trotzdem abgenommen, allein schon, weil alles gratis verfügbar ist. Das Musikbusiness ist wirklich grauslich geworden.

P. P.: Das Musikbusiness, das wir gekannt haben, ist tot. Das hat aber nicht nur Nachteile, weil die Kontrolle und Macht der klassischen Majors untergraben wird. Schau dir Deutschrap an. Die Beats kommen aus dem Kinderzimmer, irgendwer rappt drei Sätze aus seinem Alltag – plötzlich ist das Ding Nummer eins.

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Und die Majors winken mit dem frisch gedruckten 300-Euro-Schein. Dem Sellout habt ihr euch verwehrt, auch als es gut lief, oder?

E. T.: Wir wussten ja, was Majors können. Und vor allem: was sie nicht können. 

P. P.: Manche Lizenzierungen haben wir trotzdem probiert. Das war wie Fahrradfahren im Sand. Am Anfang schaut es super aus, nach zwei, drei Metern merkt man: Was für eine lahme Partie! Die erfolgreichen Zusammenarbeiten passierten ausschließlich mit Partnern, die auf unserer Wellenlänge waren. Mit Mo'Wax aus dem UK und Disko B in München hatten wir einen super Austausch. Ebenso mit !K7.

Kann man sagen: Ihr habt Geld verdient, aber es war nie der alleinige Antrieb?

P. P.: Wir haben Deals gemacht, Remixes für viel Geld verkauft und manchmal auch viele Platten. Aber wenn man sich den Cheap-Katalog anschaut, merkt man: Mit einer Cashcow wie Louie Austen haben wir Platten finanziert, bei der von Anfang an klar war, dass sie keine Cashcow werden würden. 

E. T.: Genau, wir wollten mit einer unberechenbaren Diskografie eine Geschichte erzählen. Nur so sind wir über 30 Jahre interessant geblieben.

Veröffentlicht in Features und getaggt mit !K7 , Black Market , ChatGPT Patrick Pulsinger , Cheap Records , Disko B , Dum Dum Records , Erdem Tunakan , Louie Austen , Makossa , Markus Wagner , Mo'Wax , Morbid Records , Philipp Quehenberger , Restaurant Tracks , Richie Hawtin , Robert Hood , Sluts'n'Strings & 909 , Wolfgang Strobl

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