Clubporträt: villaWuller (Trier) – Eine Summe ihrer Einflüsse 
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Clubporträt: villaWuller (Trier) – Eine Summe ihrer Einflüsse 

Features. 19. Juli 2025 | 4,9 / 5,0

Geschrieben von:
Kristoffer Cornils

Seit dem Jahr 2011 hält die villaWuller am Schießgraben in Trier die Stellung. Während intern alles immer wieder neu verhandelt wird, verpflichtet sich der von einem Verein getragene Club weiterhin der Traditionspflege – immer offen für Neues und doch stets bemüht, den eigenen Idealen treu zu bleiben.

Vor mittlerweile 14 Jahren öffnete die villaWuller, die Geschichte des Clubs reicht aber noch weiter zurück. Sie beginnt mit der Öffnung eines anderen Clubs in Trier: Im Sommer 2008 fand die erste Party im Flucht Nach Vorn in der zentral gelegenen Judengasse statt. Dahinter standen Bernhard "Berni" Robert und Christian Schütt, die zuvor schon als Veranstalter aktiv waren. Kurz nach dem zweiten Geburtstag musste "die Flucht” jedoch schon wieder schließen: Anwohnerbeschwerden. Robert und Schütt gaben nicht auf, suchten einen neuen Standort und wurden schließlich am Schießgraben fündig. Nach einer längeren Umbauphase öffnete der vormalige Jazzclub im Sommer 2011 unter dem Namen villaWuller. 

In den Folgejahren etablierte sich die villaWuller als ernstzunehmender Club für elektronische Musik in Trier, wo Techno und House nicht unbedingt hoch im Kurs standen. Drum ’n’ Bass, eher aber noch Hip-Hop, Punk und Hardcore haben in der ältesten Stadt Deutschlands schon eher Tradition. Das sich dank des hohen Studentenanteils alle drei Jahre quasi vollständig austauschende junge Publikum bekam in der Ausoniusstraße 2 allerdings hohe Qualität und spannende Bookings ebenso wie eine gemütlich-intime Atmosphäre des dezidiert spartanisch ausgestatteten Clubs geboten. Die villaWuller wurde zur festen Anlaufstelle im Nachtleben der Stadt. Was nur leider nicht bedeutete, dass auch das Geschäft immer gut lief.

"Die villaWuller wurde von Berni und Christian ursprünglich als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (privatwirtschaftliche Unternehmensform, Anm. d. Red.) betrieben", erklärt Tobias Hewer, der von Anfang an dabei ist und neben seiner Arbeit im Team den Club auch als DJ prägt. "Nachdem Christian ausgestiegen war, hat Berni eine Weile alleine weitergemacht. Das hat mit der Zeit immer schlechter funktioniert." Im Sommer 2017 verkündete Robert der Belegschaft, dass das Ende der Fahnenstange erreicht sei. Hewer gehörte eigentlich zu denjenigen, die sich nach sechs schönen Jahren mit dem Aus des Clubs abfinden wollten. "Aber glücklicherweise haben viele Leute dagegen gestimmt und einen gemeinnützigen Verein gegründet. Zwei Monate nach der letzten Party haben wir wieder geöffnet", lacht er heute.

Hewer ist mittlerweile zweiter Vorsitzender des Vereinsvorstands und sitzt mit der stellvertretenden ersten Vorsitzenden Carolin Schäfer alias ichfahreschwarz, der als Finanzvorstand des Kulturvereins aktiven Alice Triolet und Chris Koch alias DJ Hirax an einem kniehohen Tisch. Das zahlreiche Erscheinen, die nebenbei gerollten Zigaretten: Das gibt dem Interview einen gewissen Plenarcharakter, allerdings ohne die staubige Steifheit. Es passt eben zum Club, der einer Clique gleichkommt, die sogar ihr eigenes Vokabular entwickelt hat. Statt von einem Code of Conduct ist von "Spiegelregeln" die Rede und DJs legen nicht etwa auf, sondern "drehen Platten", wann immer "gewullert" wird.

VillaWuller in Trier.
© villaWuller

Keine Verwertungsmaschine

Die Gründung des Kulturvereins villaWuller e.V. im Jahr 2017 kam einer Art Vergesellschaftung des Betriebs gleich, die den kommerziellen Druck aus dem Unterfangen nahm. "Wir dürfen nicht gewinnorientiert arbeiten. Das ist gut für den Club, denn wir müssen keine Verwertungsmaschinerie mit dicken Bookings am Laufen halten", sagt Hewer. Aber: "Hier wird auch niemand reich." Die inzwischen 20 und 25 Köpfen zählende Belegschaft setze sich vorrangig aus Ehrenamtlichen sowie gut zehn Minijober:innen zusammen, erklärt Triolet, und schiebt sofort nach: "Auf faire Bezahlung legen wir aber sehr viel Wert – wir beuten keine Ehrenamtlichen aus." Organisiert wird sich innerhalb von Arbeitskreisen, aus denen heraus zum Beispiel das Booking erledigt wird. 

Der Verein ist größer. Derzeit zählt er 93 Mitglieder, sagt Triolet, die alle monatlich einen Beitrag von fünf Euro berappen. Das helfe immer wieder, um kleinere Investitionen zu tätigen, sagt sie weiterhin. Der Rest müsse mit den laut Hewer "günstigsten Eintrittspreisen in ganz Trier" bestritten werden – nicht ganz einfach in einem Club, der im Vollbetrieb Platz für gerade einmal 115 Menschen bietet. Die moderate Größe entspricht allerdings auch der hauseigenen Philosophie, die mit einem Zitat des Komponisten John Cage umrissen wird: "There is simply an activity, sound and light." Was das bedeutet? "Eine Reduktion auf die Essenz", sagt Hewer. "Der Club besteht lediglich aus Barbereich und Dancefloor. Wenn du drin bist, kannst du dich Licht und Sound nicht entziehen."

Schäfer fügt hinzu, dass die Offenheit des Cage-Bonmots allerdings auch eine andere Deutung zulässt. "Die genannte Aktivität kann natürlich sein, was die DJs tun. Oder aber, was das Publikum macht. Es beschreibt aber auch, was hinter den Kulissen passiert, die Varianz des Programms – ob es Clubnächte, Konzerte oder Hörabende sind, die vom Raum schön eingegrenzt werden", sagt sie. "All die schönen Einflüsse, die in den Club reingehen und mit denen viele den Club wieder verlassen." Wie groß das Spektrum dieser Einflüsse ist, zeigt ein Blick auf das Programm. Zwischen lang laufenden Reihen wie Wuller Vous Danser oder Endstation villaWuller finden sich darin neben Listening-Sessions auch Hip-Hop-Nächte und sogar 1980er-Events.

© Marvin Remlinger

Ein ständiger Aushandlungsprozess

Das vergleichsweise bunte Programm ist auch als Konzession an das sehr gemischte Publikum der Stadt zu verstehen, räumt Tobias Hewer ein. "Die villaWuller ist ein Club wie jeder andere und wir können nicht allein von Luft und Liebe leben. Unser Schwerpunkt liegt klar auf elektronischer Musik, aber Trier ist in der Hinsicht nicht das einfachste Pflaster", erklärt er. Was nur nicht heißt, dass bei 1980er-Partys "Triple-A-Hits" gespielt würden, wie Chris Koch sogleich ergänzt: "Es geht um Proto-House, Italo Disco, die Clubmusik der 1980er-Jahre – all das wollen wir auch erfahrbar machen." Traditionspflege hat in der villaWuller schließlich eine gewisse, na ja, Tradition.

Das schließt auch mit ein, dass der ehemalige Gründer häufiger vorbeischaut. "Berni ist eine Art Ehren-Resident und wir freuen uns immer, wenn er kommt", sagt Alice Triolet. "Und er freut sich auch! Bis dato wirkt er zufrieden mit uns", schiebt Carolin Schäfer ins allgemeine Gelächter hinterher. Auch der Resident-Stamm setzt sich aus einigen DJs zusammen, die seit Anfangstagen das Geschehen prägen. Zu ihnen gesellen sich laufend

neue Gesichter. Das resultiert in einem "ständigen Aushandlungsprozess", wie Hewer es hinsichtlich des clubeigenen Sound-Verständnisses nennt. "Jüngere und ältere DJs wachsen hier auch gemeinsam und können die Verbindungen zwischen einzelnen Genres in Back-to-Back-Konstellationen ausloten", erklärt Koch.

Als "eine Summe ihrer Einflüsse" bezeichnet Schäfer, die selbst vor Kurzem erst als Resident-DJ hinzustieß, deshalb die villaWuller. "Es ist schön, dass sie Veränderungen unterliegt. Manche Genres und Traditionen bleiben, andere verabschieden sich, wenn sich neue Felder öffnen." Des Geldes wegen zugstarke Trance-Partys zu veranstalten, käme deshalb noch lange nicht infrage, wie Hewer meint. "Wir legen Wert darauf, dass sich unsere Residents mit ihrer musikalischen Sozialisation einbringen. Als die villaWuller öffnete, ließen sich Dinge machen, wie sie in Trier bis heute nirgendwo anders stattfinden. Das ist bewahrenswert, weil es den DJs eine kreative Freiheit gibt. Sie müssen sich nicht nach dem Zeitgeist ausrichten." So bliebe der Club sich zugleich treu und dennoch variabel.

VillaWuller in Trier.
© villaWuller

Keine großen Sprünge

Dazu trägt auch bei, dass die villaWuller nicht allein während der Clubnächte oder im Rahmen von Konzerten ihre Türen öffnet. Mit der monatlichen Veranstaltungsreihe Proberaum bietet der Club angehenden FLINTA*-DJs die Gelegenheit, außerhalb des regulären Betriebs erste Erfahrungen hinter den Decks zu sammeln und mit dem Workshop-Programm Ableton User Group wird der Austausch zwischen Produzent:innen befördert. Unter dem Namen véloWuller veranstaltet ein Teil des Teams sogar monatliche Reparatur-Workshops für Fahrräder, die natürlich von Musik begleitet werden. "Ich sehe eine gewisse Notwendigkeit darin, Räume niedrigschwellig anzubieten, und sei es nur, damit Leute einfach mal Musik zusammen drehen können", fasst Hewer zusammen.

Als Anlaufstelle und Ort des Austausches dient die villaWuller also, nicht nur für das Kernteam und die Mitglieder des dahinterstehenden Kulturvereins. Mehr als ein Zehntel der über 100.000 Menschen in Trier sind zum Studieren dort und wie in jeder anderen Studentenstadt tauscht sich ein Teil des Publikums ständig aus. "Corona bedeutete auch deshalb einen Einbruch für uns, weil sich das Studieren verändert hat", erklärt Alice Triolet. "Im Jahr 2023 haben wir die Nachwirkungen dieser und all der anderen Krisen so richtig zu spüren bekommen." Das Ausgehverhalten hatte sich verändert, explodierende Kosten und die grassierende Inflation ließen das Budget für Clubbesuche merklich schrumpfen.

Das Krisenjahr konnte die villaWuller überstehen, mittlerweile erreiche der Club wieder den Break-even, sagt Triolet. "Große Sprünge können wir aber nicht wagen." Tobias Hewer macht klar, dass der Club wie so viele andere prekär arbeitet – und dabei intern ständig neu zwischen Wirtschaftlichkeit und politischem Anspruch verhandelt wird. "Wir mussten den Eintritt auf zehn Euro erhöhen, bei größeren Bookings geht es auf 15 Euro hoch", erklärt er. "Wir wollen aber auch den sozialen Background des Publikums einrechnen. Die Lebenshaltungskosten sind für alle gestiegen und wir wollen keine utopischen Preise an der Bar aufrufen." Wullern soll bezahlbar bleiben. 

© Marvin Remlinger

Stabil bleiben! 

Chris Koch zieht allerdings auch ein positives Fazit aus den Entwicklungen der vergangenen Jahre. "Es gibt 50, 60 Leute, die immer dabei sind und einfach Bock haben, die verschiedensten Genres zu erleben", berichtet er begeistert. "Die nach meinem Set noch draußen stehen, um sich mit mir über Musik zu unterhalten." Und obwohl es nach Ende der Pandemiemaßnahmen durchaus auch Konflikte gab, als eine ganze Generation ohne Cluberfahrung plötzlich vor der Tür stand: "Ich habe das Gefühl, dass die jungen Leute im Umgang miteinander so aufgeklärt sind wie nie zuvor! Eigentlich müssen wir gar nicht mehr auf unsere Spielregeln hinweisen."

Die Anerkennung kommt nicht allein vom Publikum. "Wir konnten zum Glück aus der Pandemie mit ein paar Förderungen herausgehen und wurden dankenswerterweise von der Stadt gesehen", erklärt Carolin Schäfer. "Das Vertrauen haben wir uns in den letzten Jahren verdient." Hinzu kamen Auszeichnungen und Förderungen auf Bundesebene. Im Herbst 2023 wurde die villaWuller von der Initiative Musik mit dem APPLAUS-Preis in der Kategorie Beste kleine Spielstätten und Konzertreihen ausgezeichnet, Anfang des Jahres 2025 folgte eine Förderung im Rahmen des Programms Plugin, ebenfalls von der Initiative Musik.

Das Geld wurde nicht nur darauf verwendet, aus der Pandemiezeit verschleppte Rechnungen vom Finanzamt zu begleichen, sondern wurde ebenso in Bookings sowie die Technik investiert. "Wir haben in den letzten zwei Jahren intensiv am Sound gefeilt", erklärt Triolet – immerhin ja eine der zwei tragenden Säulen des auf die Essenz reduzierten Clubs. Was das allerdings für die Zukunft bedeutet? "Wir haben keinen Masterplan in der Tasche", sagt Hewer. "Expansionsansprüche haben wir sowieso nicht. Wenn wir uns in höhere Sphären katapultieren würden, hieße das, sich in Abhängigkeiten zu begeben, die uns irgendwann das Genick brechen." Die Losung lautet deshalb schlicht: "Stabil bleiben!"

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