Zwei Jahre Aslice: Umverteilung in kleinen Schritten?

Zwei Jahre Aslice: Umverteilung in kleinen Schritten?

Features. 12. Mai 2024 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Kristoffer Cornils

„A slice of the pie“, ein Stück vom Kuchen, versprach DVS1 Musiker:innen, deren Tracks in Clubs und auf Festivals gespielt werden, bei der Einführung von Aslice. DJs sollen dafür auf Teile ihrer Gagen verzichten. Das sehen nicht alle ein, sollen doch Verwertungsgesellschaften diesen Job erledigen und nicht ein von einer privaten Firma bereitgestelltes Ausschüttungssystem. Aslice mache es aber besser als GEMA und Co., argumentieren andere.

Der Service erhält seit Kurzem durch die Initiative Support The Sound prominente Unterstützung von internationalen Clubs und Festivals. Zeit, nachzuhaken: Wie hat sich das System Aslice in den vergangenen zwei Jahren bewährt? Und wohin geht die Reise? Kristoffer Cornils hat recherchiert, mit DJs und Produzent:innen ebenso gesprochen wie mit Aslice-Geschäftsführer Ethan Holben.

Als Zak Khutoretsky im April 2022 den Service Aslice an den Start brachte, hätte das Timing kaum besser sein können. Nach zwei zermürbenden Jahren Lockdown-Hopping nahm die Clubszene einerseits wieder Fahrt auf und war andererseits stärker denn je für ein doppeltes Problem sensibilisiert. Aslice sollte genau dafür eine Lösung anbieten.

Da wäre zum ersten das Einkommensgefälle zwischen DJs und Produzent:innen. Während sich das Gagenkarussell im Laufe der Zehnerjahre in immer höhere Höhen drehte, ließ sich mit der Produktion von Musik zunehmend schlechter Geld machen. Zugespitzt gesagt: Manche erhalten vierstellige Beträge dafür, die Musik anderer aufzulegen, die sich wiederum mit Nachkommastellen begnügen müssen.

Aslice ermöglicht es DJs nun, eine Art Trinkgeld an Musiker:innen auszuschütten. Sie reichen ihre Playlists bei Aslice ein, stellen einen Anteil ihres Honorars von einem bestimmten Gig zur Verfügung – empfohlen werden fünf Prozent, das verpflichtende Minimum allerdings liegt bei zehn US-Dollar. Dieser wird gleichmäßig auf die Musiker:innen hinter den jeweiligen Tracks aufgeteilt. Das sollte eigentlich gar nicht notwendig sein, weil ähnliche Systeme bereits existieren.

Doch zum anderen bekleckern sich Verwertungsgesellschaften wie die deutsche GEMA, die mit dem Einsammeln und der Verteilung von Geldern aus dem Veranstaltungsbereich beauftragt sind, nicht mit Ruhm. Sie erheben Summen von Clubs und Festivals, um diese an die Urheber:innen der dort gespielten Musik zu verteilen. Die dafür eingesetzten Erfassungssysteme sind dürftig: Die in Clubs gespielte Musik wird nur stichenprobenartig ausgewertet, ein vollständiges oder gar repräsentatives Bild kann so nicht ermittelt werden.

Die GEMA bescheinigt dem von ihr beauftragten Unternehmen YACAST zwar eine hohe Identifizierungsquote des sogenannten Fingerprintings von 97 Prozent durch alle Genres hinweg. Die verbliebenen drei Prozent könnten allerdings sehr viel aus dem Bereich der Underground-Clubmusik umfassen, weil viel unregistrierte, unveröffentlichte oder rein durch Fingerprinting nicht immer leicht zuzuordnende Musik gespielt wird. Es braucht also eine szenespezifische Lösung – eine große Umverteilung in kleinen Schritten.

Welches Problem hat die Clubszene mit der GEMA?

„Die GEMA arbeitet nicht für unsere Community“, donnerte DVS1 im Groove-Interview zum Start von Aslice. Das Thema ist in der Clubkultur ein rotes Tuch. Nachdem die Verwertungsgesellschaft im Jahr 2012 angekündigt hatte, die Beiträge von Clubs für die Aufführung von Musik nach einem neuen Prinzip abzurechnen, überschlugen sich die Sensationsnachrichten. Riesige Preisanstiege wurden vorausgesagt. Das Berghain würde schließen müssen, hieß es sogar. Doch wurde ein Jahr später eine Einigung erzielt.

Das Berghain blieb offen; die GEMA nahm einen riesigen Imageschaden aus der Angelegenheit mit. Die Mission des als Inkasso-Unternehmen auftretenden wirtschaftlichen Vereins ist keinesfalls per se verwerflich. Was zu Recht kritisiert wird: Die nur punktuell und daher verzerrende Auswertung der tatsächlich gespielten Musik und dementsprechende Verteilung der Gelder. 

In ihrer Argumentation gegen die Beitragserhöhungen fokussierten sich Clubs und Festivals damals auf diesen Punkt. Sie scheinen sich indes darauf auszuruhen, dass die Verantwortung für die Erfassung der gespielten Musik nicht bei ihnen liegt. Das ist durchaus verständlich, zahlen sie doch schon satte Beträge an die Verwertungsgesellschaften. Zugleich jedoch gab es allen Protesten zum Trotz keinen organisierten Versuch, mit der GEMA eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten.

DJs und Veranstalter:innen wissen derweil meistens nicht einmal, ob und auf welchem Wege sie ihre Playlists bei der GEMA einreichen können. Das liegt nicht allein an ihrer Faulheit, sich umfassend zu informieren: Die entsprechende Informationsseite der GEMA liest sich maximal verwirrend.

Ist Aslice also eine GEMA-Alternative?

Ethan Holben, Geschäftsführer von Aslice, stellt klar, dass der Service nicht in Konkurrenz mit den Verwertungsgesellschaften stehen solle. Vielmehr stelle Aslice eine mögliche Lösung für das spezifische Problem einer bestimmten Szene dar: „Diese Kultur ist über 40 Jahre alt und obwohl es sich um eines der beliebtesten Genres der Welt handelt, wurde die Verteilungsfrage noch nicht beantwortet”, sagt er. „Wir möchten heute etwas bewirken und müssen dafür irgendwo anfangen.”

In diesem Sinne kann Aslice als Ergänzung zum System der Verwertungsgesellschaften betrachtet werden. Die Verteilung läuft recht simpel: Das Geld für nicht zuzuordnende Tracks – Aslice stellt für Produzent:innen, die ihre Promos als ungelabelte wav-Dateien ohne Metadaten verschicken, einen Denkzettel dar – wird über die eigens eingerichtete Aslice Foundation für wohltätige Zwecke gespendet. Was ermittelt werden kann, wird auf die Accounts der Musiker:innen verteilt. Wenn der Kontostand am Ende des Quartals bei über 50 US-Dollar steht, wird der Betrag an registrierte Nutzer:innen automatisch ausgeschüttet.

Aslice tritt also nicht als Verwertungsgesellschaft auf. Vielmehr ließe sich eher von einer Art Trinkgeldsystem auf freiwilliger Basis sprechen. Dadurch sollen die an den Tracks beteiligten Musiker:innen das Geld erhalten, das sie von Verwertungsgesellschaften oder aus dem Verkauf von Musik beziehungsweise der Streaming-Ökonomie nicht oder in nicht ausreichendem Maße erhalten.

Wie geht es Aslice heute?

In den vergangenen zwei Jahren ist viel passiert. Die DJ-Gagen sind weiter gestiegen, die Verwertungsmöglichkeiten insbesondere kleiner Künstler:innen etwa dank der Änderungen in den Ausschüttungsmodellen von Deezer und vor allem Spotify potenziell geschrumpft. Aslice derweil konnte unter DJs prominente Fürsprecher:innen für sich gewinnen und Kooperationen mit Verwertungsgesellschaften sowie der Mix-Plattform wav.world bekanntgeben. Zuletzt wurde die von internationalen Clubs und Festivals lancierte Initiative Support The Sound gestartet.

Holben ist mit der Entwicklung von Aslice zufrieden. Bevor der Service offiziell an den Start ging, saß er monatelang mit DJs, Produzent:innen und anderen Stakeholder:innen der (Club-)Musikindustrie in sogenannten Fokusgruppen zusammen. Das Feedback floss in die Funktionsweisen von Aslice ein, das sich seit Launch nominell in der Beta-Phase befindet – auch nach zwei Jahren noch. „Wir aktualisieren Aslice fast wöchentlich“, erklärt Holben. „Es ist unsere Aufgabe, auf die Community zu hören und ihre Forderungen umzusetzen.“

Der Launch von Aslice im April 2022 sei sehr positiv aufgenommen worden. „Das hat einige Probleme mit sich gebracht, auf die wir nicht vorbereitet waren“, sagt Holben mit einem Lachen. Zu groß sei das Interesse für das Angebot der kleinen Firma gewesen. Potenzielle Partner:innen aus der Musik-Tech-Industrie und sogar Verwertungsgesellschaften hätten sich früher gemeldet als erwartet.

Wie viel Geld zahlt Aslice an Musiker:innen?

Obwohl er keine konkreten Zahlen nennen könne, beschreibt Holben den Zuwachs von Nutzer:innen als sehr erfreulich. Die getätigten Auszahlungen an Musiker:innen würden ebenfalls wachsen: „Zwischen den Jahren 2022 und 2023 haben wir die Auszahlungen mehr als verdoppeln können – ein 160-prozentiges Wachstum“, berichtet er. Im Jahr 2023 seien im Durchschnitt 111,93 US-Dollar pro Musiker:in ausgeschüttet worden.

Wie überall gibt es ein paar Vielverdiener:innen, die diesen Schnitt anheben. Eine Person habe in der quartalsweise erfolgenden Ausschüttung sogar die Grenze von 1500 US-Dollar geknackt, berichtet Holben. Er rechnet das auf den Monat runter: „500 Dollar zahlt in den meisten Großstädten noch nicht die Miete. Aber das ist genug, um sich spürbar auf das Leben von Menschen auszuwirken.“ Das sind nicht nur gute Nachrichten für die Musiker:innen, sondern potenziell auch für Aslice.

Was hat Aslice eigentlich selbst davon?

Beim Launch von Aslice waren auch skeptische Stimmen zu hören. Einerseits sollten DJs zahlen, die in den zwei Jahren vor dem Launch von Aslice kaum Einnahmen verzeichnen konnten. Zudem gibt es doch mit Verwertungsgesellschaften bereits Instanzen, die eine faire Verteilung gewährleisten sollen. Andererseits steht hinter dem Service eine private Firma, die von den ausgeschütteten Geldern 15 Prozent einstreicht.

Diese Abgaben an Aslice sollen das operative Geschäft am Laufen halten. „Natürlich glauben einige Menschen, dass Zak sich damit die Taschen vollmacht“, lacht Holben. „Das ist nicht der Fall.“ Er verweist darauf, dass die Firma nicht öffentlich über ihre Finanzen spricht. Profitabel, so viel könne er verraten, sei sie aber noch nicht. Das ist nicht Ungewöhnliches für ein Start-up: Selbst ein gigantischer Player wie Spotify meldet nur ausnahmsweise mal profitable Quartale.

Zum anderen, unterstreicht Holben, könnten DJs selbst entscheiden, ob sie den Service verwenden, wie oft sie dies tun, oder welche Beträge von ihren eigenen Gagen sie dafür beiseite stellen. Einige tun das mit flammendem Eifer.

Welche DJs nutzen Aslice und warum?

Karam Toubba aus Dubai ist ein erklärter Fürsprecher von Aslice, der das Prinzip des Services ständig über seine Kanäle und in privaten Gesprächen empfiehlt. „Es schien mir nur richtig, einen Teil meiner Gagen an die Produzent:innen abzugeben, deren Musik ich für meine Arbeit brauche“, erklärt er. „Hin und wieder eine Platte oder einen Track digital zu kaufen, reicht dafür nicht aus.“ Ähnlich argumentieren die meisten DJs, die Aslice nutzen.

Das Angebot genießt besonderes Vertrauen, weil dahinter ein bekannter Name steht. „Ich benutze Aslice fast seit Anfang an, weil ich ein großer Fan von DVS1 bin“, sagt der in Berlin lebende Produzent und DJ Victor Kiktenko, besser bekannt als Module One. Wer sich unter DJs umhört, kennt diese Argumentation: Khutoretsky gilt als integre Figur innerhalb der Underground-Techno-Szene. Das strahlt positiv ab – und prägt die Demografie der Nutzerbasis.

Andreas Horn, der unter dem Pseudonym Discrete Circuit Musik veröffentlicht und selbst schon auf einer Compilation von DVS1s Label Mistress vertreten war, ist seit der Testphase bei Aslice angemeldet. Wie Kiktenko auch kennt er vor allem Techno-DJs, die den Service nutzen. „Das ist natürlich naheliegend“, sagt er. „Es braucht in jedem Genre erstmal einige größere Artists, damit das Ganze mehr Aufmerksamkeit bekommt.“

„Techno-DJs sitzen ja im Flugzeug vorne,“ frotzelt ein befragter House-DJ in Anspielung auf die vermeintlich höhere kommerzielle Zugkraft des Genres. Die erleichtert es DJs, ohne Weiteres einen Teil ihrer Honorare abzudrücken. Neben Richie Hawtin, der Aslice seit Anfang an unterstützt, haben sich allerdings mit etwa Dixon oder Gerd Janson auch prominente Unterstützer aus anderen Genres gefunden. Der Service etabliert sich langsam in anderen Bereichen der Clubwelt, wenngleich vorrangig im Underground.

Wie versucht Aslice, mehr DJs für sich zu gewinnen?

Holben spricht von einem „Netzwerkeffekt“, auf den seine Firma setzt. „Wenn fünf oder zehn DJs aus einem Subgenre Aslice verwenden und die Playlists ihrer zweistündigen Sets hochladen, in denen sich jeweils 44 Tracks befinden, werden hunderte von Produzent:innen benachrichtigt und sehen, wie sich die Beträge summieren“, rechnet er das vor. „Wenn sie auch als DJs aktiv sind, was in circa 80 Prozent der Fälle zutrifft, erkennen sie das Potenzial des Ganzen und schicken Geld an die nächsten 44 Produzent:innen.“

Das liest sich auf dem Papier wie eine simple Rechnung, doch rekrutiert sich die Mehrheit der Aslice-DJs weiterhin aus dem Underground. Toubba sagt, dass der Service eine Lösung für althergebrachte Probleme darstelle. Doch: „Aslice braucht eine starke Marketing-Kampagne, um große DJs aus der Club- und Festival-Szene ins Boot zu holen – auch aus dem kommerziellen Bereich der elektronischen Musik.“

Es bleibt abzuwarten, ob das jemals eintrifft. Die Teilnahme an dem Trinkgeldsystem ist eben freiwillig. Gut bezahlte DJs, die am meisten beitragen könnten, lassen sich also nicht zur Abgabe zwingen. Selbst DJs, die voll von dem Prinzip überzeugt sind, aber nur ein geringes Einkommen haben, nutzen es nur vereinzelt oder in geringerem Ausmaße.

Wie verteilen DJs ihr Geld über Aslice – oder warum tun sie es (noch) nicht?

Toubba rechnet vor, seit Einführung von Aslice 110 US-Dollar an Musiker:innen abgegeben zu haben. Ob bezahltes Club-Set oder unbezahlter Online-Mix: Er verteile jedes Mal zehn Dollar, das von Aslice festgelegte Minimum, an alle, deren Musik er gespielt hat. Ähnlich hält es Horn, der konsequent Geld abgibt, wie Toubba sogar für online veröffentlichte Mixe. 500 Euro habe er auf diese Art in den vergangenen zwei Jahren umverteilt, berichtet er.

Die finanziellen Differenzen zwischen diesen beiden Fürsprechern von Aslice erklären sich unter anderem dadurch, wie häufig sie in den vergangenen zwei Jahren als DJ gebucht wurden und wie hoch ihre Gagen ausfallen. „Bekäme ich höhere Gagen, würde ich mehr abgeben“, bekräftigt Toubba. Kiktenko verweist darauf, dass er nicht allzu häufig auflege und sich meistens mit Gagen für regionale Berliner DJs begnügen müsse – er nutzt deshalb Aslice noch gar nicht als DJ, obwohl er von dem System überzeugt ist.

Das Prinzip, demzufolge Aslice die Gelder verteilt, ist einzigartig. Denn es unterscheidet sich aus genrespezifischen Gründen von den Prinzipien, denen die Verwertungsgesellschaften folgen.

Warum schüttet Aslice das Geld anders aus als GEMA und Co.?

Vielen DJs leuchtet der Gedanke von Aslice allein deshalb ein, weil sie selbst als Produzent:innen aktiv sind. Doch sie verdienen nicht daran, ihre eigenen Tracks zu spielen; das Geld wird ausschließlich anteilig an andere Musiker:innen verteilt. Alles andere würde auch wenig Sinn ergeben: Warum sollten sich DJs aus ihrem eigenen Honorar heraus Tantiemen zahlen?

Bei Verwertungsgesellschaften läuft es anders, weil Institutionen wie die GEMA das Geld stattdessen von Clubs und Festivals einsammeln. Die Logik: Die Musik als solche stellt einen Mehrwert für solcherlei kommerzielle Veranstaltungen dar, die Urheber:innen werden also entsprechend für ihr kreatives kompositorisches Schaffen entlohnt – egal, ob sie selbst auf der Bühne beziehungsweise hinter der Booth standen oder nicht.

Die Verwertungsgesellschaften bekommen in der Regel von ihren Mitgliedern sehr exakt die jeweiligen Anteile an der Komposition von Stücken mitgeteilt: Wer hat zu welchen Teilen die Musik geschrieben, wer den Text? Entsprechend dieser Aufschlüsselung wird von Titel zu Titel individuell ausgeschüttet. Aslice hat keinen Zugriff auf Daten über derlei gemeinhin vertraglich festgehaltene Ansprüche.

Stattdessen findet ein Prinzip Anwendung, das zuerst simpel klingt und doch bei einigen Stirnrunzeln hervorruft: Wenn mehr als eine Person an einem Track beteiligt ist und entweder als Teil des Künstlernamens (z. B. „James Ruskin & DVS1 – Page 1“) oder im Tracktitel genannt wird (z. B. „Sian – Are You Reading This? [DVS1 Remix]“), erhalten alle Beteiligten einen gleich hohen Anteil der Ausschüttung, egal ob sie nun den Track produziert oder geremixt haben, Vocals oder nur bestimmte musikalische Elemente beigetragen haben.

Warum erhalten alle Beteiligten durch Aslice gleich viel?

Holben lacht, wenn er auf das Thema angesprochen wird. „Das ist eines der kontroversesten Dinge, die wir tun!“ Wie begründet Aslice dann die salomonische Aufteilung? Holben illustriert den dahinterstehenden Gedanken mit einem persönlichen Beispiel: „Ich bin ein riesiger Fan von Robert Hood und höre mir auch jeden einzelnen seiner Remixe an.“ Hoods Beteiligung erst wecke sein Interesse an der Musik anderer Produzent:innen, die davon profitieren können.

Das Verteilungsprinzip geht demzufolge davon aus, dass die neben der hauptsächlich als Produzent:in agierenden Person zumindest theoretisch den Grund darstellen könnte, warum ein Stück zum Einsatz kommt. „Perfekt ist das nicht“, räumt Holben ein. „Aber irgendwie mussten wir anfangen. Sollten wir eine bessere Lösung finden, werden wir das System ändern.”

Wie wirkt sich Aslice auf das Miteinander von Produzent:innen und DJs aus?

DJs können zwar, wenn sie darauf bestehen, ihre Playlists anonym einreichen oder ihre neuesten Secret Weapons sogar individuell verbergen. Viele tun das aber nicht, weshalb sie für die Musiker:innen transparent machen, dass sie ihre Stücke gespielt haben – geheim gehalten wird von Aslice lediglich, wie hoch die ausgeschütteten Beträge im Einzelfall waren.

Das bewirkt mehr direkte Kommunikation zwischen DJs und Produzent:innen. Horn berichtet, dass er bereits exklusive Promos erhalten habe und sich umgekehrt direkt bei DJs dafür bedankt hat, seine Musik gespielt zu haben. Wenn diese nicht in seinem Verteiler stehen, biete er ihnen an, sie mit neuer Musik zu bemustern. Wenn Toubba auffällt, dass Produzent:innen, deren Tracks er gespielt hat, noch nicht bei Aslice registriert sind, schreibt er sie sogar an: Sie sollten das doch nachholen, damit sein Geld bei ihnen ankommt.

All das befeuert den Netzwerkeffekt, von dem Holben spricht und der Aslice zum Wachstum verhilft. Toubba sieht darin sogar die eigentliche Mission des Services. „Es geht darum, wieder auf die Ebene der Graswurzel-Mentalität zurückzukehren, einander zu unterstützen“, erklärt er. „All die Arbeit dafür, dass jemand für das Spielen eines Tracks bezahlt wird, stärkt die Gemeinschaft auf globaler Ebene.“ Er selbst habe bereits viele persönliche Kontakte durch den Service geknüpft.

Wie profitieren Produzent:innen von Aslice?

Die laut Holben im Vorjahr durchschnittlich pro Musiker:in ausgeschütteten 111,93 US-Dollar lesen sich imposant. Der Zugriff auf Daten – Aslice ist wohl jetzt schon die umfassendste Datenbank über die in Clubs gespielte Musik aller Zeiten – kann sogar für sekundäre Einnahmen genutzt werden.

Dass Produzent:innen und ihre Labels nachverfolgen können, wo ihre Musik gespielt wird, kann beim Vertrieb von Platten oder dem Marketing hilfreich sein. „Auch Booker:innen müssen nicht mehr mit Instagram-Followers argumentieren“, fügt Holben hinzu. „Sie können ja beweisen, dass die Musik ihrer Künstler:innen in Clubs gespielt wird!“ Das könnte Produzent:innen entgegenkommen, die zwar unter DJs, nicht aber unter Fans beliebt sind.

Sowieso sei es überraschend für ihn gewesen, dass das meiste Geld oftmals nicht an die größten Namen gehe. „Das Feld wird noch deutlicher von neuen Veröffentlichungen angeführt, als wir angenommen hatten”, erklärt Holben. „Am meisten profitieren davon die Produzent:innen, die Musik machen, die international tourende, professionelle DJs auflegen.” Ein gutes, rein auf die Bedürfnisse von DJs zugeschnittenes Tool kann demzufolge viel Geld einbringen, während nicht jeder Szene-Hit automatisch das Konto füllt.

Was bringt Aslice im Vergleich zu anderen Einnahmequellen?

Derlei Diskrepanzen sind auch anderswo merklich. Bei einer Umfrage unter Produzent:innen zeigt sich, dass die Tendenz zum Underground-Techno unter DJs ein Auszahlungsgefälle unter den Musiker:innen bedingt. „Ich kenne in meiner Bubble Leute, die große Hoffnungen auf Aslice gesetzt haben, aber enttäuscht wurden”, berichtet eine Person, die nicht im Techno aktiv ist. Trotz zahlreicher eigener Veröffentlichungen und Remixe, die regelmäßig von DJs gespielt werden, habe sie bisher noch kein Geld von Aslice erhalten, heißt es weiter.

Irakli Kiziria, vormals Mitglied beim Techno-Duo I/Y und weiterhin als Solo-Künstler aktiv, hatte sich lange nicht wirklich mit dem Service beschäftigt. Doch dann wurde er per Instagram-DM von Aslice darauf hingewiesen, dass Geld auf ihn warte. „Mir wurde gesagt, dass sich über 50 Euro angesammelt hätten und ich mir einen Account zulegen solle“, berichtet Kiziria. „Ein paar Tage später war das Geld da.“ In seinen sechs Jahren Mitgliedschaft bei der GEMA habe er hingegen, „ohne Witz”, wie er bekräftigt, einen einzigen Cent überwiesen bekommen.

Andreas Horn berichtet von Aslice-Einnahmen zwischen 50 und 60 Euro in den vergangenen zwei Jahren. „Das liegt auch daran, dass ich während der Pandemie gar keine Musik produziert habe”, ist er sich sicher. „In der kurzen Zeit kam trotzdem mehr zusammen, als ich über Verwertungsgesellschaften und Streaming an Tantiemen verdiene. Von dem, was ich in zehn Jahren von der GEMA bekommen habe, kann ich mir in Berlin nicht einmal einen Kaffee leisten.”

Das sind natürlich Einzelfälle, und die Situation gestaltet sich oft komplexer, als diese Beispiele klingen mögen: Zum einen wissen viele Produzent:innen nicht ausreichend über die sich durch die GEMA bietenden Verwertungsmöglichkeiten Bescheid – wer einen Blick auf die GEMA-Website wirft, wird davon nicht überrascht sein. Zum anderen ist auch auf anderem Wege Geld von der GEMA holen, die für ihre Mitglieder auch Beträge aus dem Musikstreaming und dem Geschäft mit Tonträgern einsammelt und verteilt.Zum anderen ist jenseits der durchaus mangelhaften Verwertung der Musikwiedergabe im Veranstaltungsbereich auf anderem Wege Geld von der GEMA zu holen, die für ihre Mitglieder auch Beträge aus dem Musikstreaming und dem Geschäft mit Tonträgern einsammelt und verteilt.

Eine Person, die trotz zahlreicher eigener, oft in Clubs gespielter Produktionen noch keinerlei Geld von Aslice ausgeschüttet bekommen hat, entpuppt sich während des Gesprächs als ordentliches GEMA-Mitglied. Grundvoraussetzung für die Einstufung: Innerhalb von fünf Jahren müssen mindestens 30.000 Euro Tantiemen an sie geflossen sein. Pro Jahr erhält sie also höhere vierstellige Beträge nur durch die Verwertungsgesellschaft. Auch das: ein Einzelfall. Er illustriert allerdings, dass die GEMA unter den richtigen Bedingungen enorme Vorteile bieten kann.

Ist nun also Aslice besser als die GEMA oder umgekehrt? Das ist die falsche Frage. Beide Systeme sollten als bestenfalls komplementär zueinander betrachtet werden. Aslice erhält allerdings in Form der Initiative Support The Sound Unterstützung durch diverse internationale Clubs und Festivals.

Was ist Support The Sound?

Aslice und die Verwertungsgesellschaften sollen nicht in Konkurrenz miteinander stehen, betont Holben immer wieder. Die Kollaboration mit BUMA/STEMRA aus den Niederlanden und der kanadischen SOCAN, die GEMA-Pendants dieser Länder, zeigt hingegen, wie beides einander ergänzen kann: Die Firma von DVS1 liefert Daten an die Verwertungsgesellschaften, die diese zur Ausschüttung an die von ihnen vertretenen Rechteinhaber:innen verwenden können. Diese können prinzipiell also doppelt profitieren.

Als private Firma ohne verbriefte Befugnis zum Erheben dieser Daten und der dazugehörigen Gelder kann Aslice DJs allerdings nicht zwingen, ihre Einnahmen mit Musiker:innen zu teilen. Das ist bei den Verwertungsgesellschaften anders, die problemlos das Geld von Clubs und Festivals erheben. Dank der freiwilligen Mitarbeit ebendieser sollen aber mehr DJs in Zukunft Aslice nutzen.

Mitte März präsentierte sich die von den Clubs Basement in New York City und dem Bassiani in Tbilisi angeführte Initiative Support The Sound der Welt. Das Festival Dekmantel mit seinen Dépendancen in den Niederlanden und Kroatien, die Clubs FUSE in Belgien und WOMB in Japan schlossen sich der Aktion an. Diese gestaltet sich relativ simpel: All die Clubs und Festivals bitten die bei ihnen spielenden DJs, über Aslice ihre „Playlists zu teilen“, das heißt letztlich Geld an die Produzent:innen der von ihnen gespielten Musik zu zahlen.

Wird über Support The Sound nun Druck auf DJs ausgeübt?

Bei der bloßen Bitte bleibt es eventuell nicht. Obwohl Support The Sound deutlich ausspricht, dass DJs im Falle der Nichtnutzung von Aslice per se keine „Strafe” drohe, so sind im Mission Statement der Initiative sehr nachdrückliche Worte zu lesen: „If the artists we book or their agents choose not to participate by sharing playlists, our values might not align, which may affect future bookings and collaborations.“ Heißt das etwa: Wenn du Aslice nicht nutzt und Teile deiner Gage abgibst, hast du das letzte Mal bei uns gespielt?

Holben betont, dass die Initiative so nicht funktionieren solle. „Es soll die Leute dazu anspornen, auf egal welcher Ebene ihren Teil beizutragen, weil die Vorteile für das gesamte musikalische Ökosystem so groß sind.“ Aslice gibt mit dieser Begründung die Daten der von DJs übermittelten Playlists an die Mitglieder von Support The Sound weiter. Die können theoretisch per Ausschlussverfahren ermitteln, wer nun nach dem Set in Club X oder auf Festival Y einen Teil der eigenen Gage zur Umverteilung geopfert hat – lediglich die von DJs selbst gewählte Höhe der erfolgten Abgabe können sie nicht einsehen.

Die Mitglieder von Support The Sound stellen einkommensschwachen DJs in Aussicht, entweder selbst die Gelder für eine Ausschüttung bereitzustellen oder aber im Härtefall Nachsicht walten zu lassen. Dennoch stellt die Ankündigung vor allem kleinere DJs vor ein moralisches Dilemma, das sich angesichts der Kontrollierbarkeit ihres vermeintlich freiwilligen Beitrags schnell wie ein Zwang anfühlen könnte. Und es lässt sich fragen, ob große DJs sich dem wegen ihrer wirtschaftlichen Zugkraft nicht einfach entziehen können.

Support The Sound sorgt bei einigen DJs auch deshalb für Stirnrunzeln, weil Clubs und Festivals in der Regel selbst Geld an Verwertungsgesellschaften zahlen. Holben weist diesbezüglich darauf hin, dass die Übermittlung der Playlist-Daten es Aslice ermöglicht, Verwertungsgesellschaften wie BUMA/STEMRA und SOCAN darüber zu unterrichten, welche Musik bei Veranstaltungen gespielt wurde. Das könnte sich aus dem Inneren der Szene heraus positiv auf das auswirken, was an GEMA und Co. immer wieder kritisiert wird: die mangelhafte Erfassung der tatsächlich gespielten Musik und der daran anknüpfenden Ausschüttung.

Wird über Support The Sound nun Druck auf DJs ausgeübt?

Die Verwertungsgesellschaften könnten auf vielerlei Arten davon profitieren, sich Aslice anzunähern. „Wenn die GEMA ein besseres System entwickeln würde, wäre Aslice ja nicht notwendig“, sagt Andreas Horn. Das Potenzial von Aslice sieht er deshalb darin, „die GEMA mal umzukrempeln.“ Ähnlich denkt Karam Toubba, der überdies die sozialen Effekte hervorhebt: „Die Verwertungsgesellschaften könnten von Aslice viel über den Aufbau einer Gemeinschaft lernen“, sagt er.

Könnte Aslice den Weg für eine zugleich bequemere und effizientere Erfassung der von DJs gespielten Musik und damit gerechte(re) Aufteilung der Gelder durch Verwertungsgesellschaften aus den Abgaben von Clubs und Festivals ebnen? Wäre es nicht sogar denkbar, dass Aslice eines Tages zum reinen Tool wird? Dass also GEMA und Co. ihrem Auftrag vollumfänglich nachkommen können, weil die Firma den Service in die Hände gibt?Wäre es nicht sogar denkbar, dass Aslice eines Tages zum reinen Tool wird, mit dem GEMA und Co. ihrem Auftrag vollumfänglich nachkommen können – sodass die private Firma ihr Produkt in die Hände derer gibt, deren Job sie in dieser Szene erledigt?

Der Geschäftsführer der hinter dem Service stehenden Firma meint: ja. „Sollte die Industrie die Veränderungen aufnehmen, die wir implementiert haben, können wir dicht machen“, sagt Holben. „Unsere Mission besteht darin, dass Kreative bezahlt werden und Gerechtigkeit geschaffen wird. Wenn das erreicht ist, dann haben wir diese Mission erfüllt.“ Doch glaube er nicht, dass dies in absehbarer Zeit geschehen werde.

In der Zwischenzeit wird Aslice weiterhin auf eine flächendeckendere Nutzung des Services im Underground und darüber hinaus hinarbeiten. Zu diesem Zwecke könnte sich das Unternehmen der Finanzierung von außen öffnen. Bisher trägt DVS1 die Verantwortung für die Finanzierung dieses potenziellen Verlustgeschäfts – er habe eine Hypothek auf sein Haus aufgenommen, sagte er unter anderem. Mittlerweile hat sich seine Firma dazu entschlossen, Investitionen von außen zu akzeptieren.

„Investitionsangebote haben wir sehr früh erhalten“, erinnert sich Holben. Um aber keine Kompromisse eingehen zu müssen, habe das Team um Khutoretsky erst den Beweis für das Konzept des Services vorbringen wollen. „Da uns das gelungen ist, fühlen wir uns wohl damit, Investitionen von Menschen anzunehmen, die in unsere Mission und den Zweck von Aslice glauben.“

Aslice hegt also große Pläne für die Umverteilung in kleinen Schritten. Dazu wird es weiterhin die Mithilfe von Szenemitgliedern benötigen. Die wiederum sollten die Verwertungsgesellschaften allerdings keinesfalls abschreiben, nur weil Aslice deren Job besser zu machen scheint. Vielmehr sollte ihnen der Service als Denkzettel dienen: Die eigentlichen Verantwortlichen haben noch viel Arbeit zu erledigen. Es ist ja ihr Job.

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