Bruchstelle: Mobile DJ – Wie das Spektakel auf YouTube Millionen erreicht
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Bruchstelle: Mobile DJ – Wie das Spektakel auf YouTube Millionen erreicht

Features. 12. November 2022 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Vor ein paar Jahren musste man einiges anstellen, um online mit einem DJ-Set aufzufallen. Streaming-Seiten wie Cercle ließen die Stars der Szene in Heißluftballons aufsteigen, vor Weltwunder-Pyramiden versanden oder in einen mexikanischen Betoneimer karren – für siebenstellige Klickzahlen auf YouTube und gute Vibes in den Comments. Inzwischen ist die Hochglanz-Variante an Disneyland-Orten nur noch eine extravagante Möglichkeit, im Viervierteltakt durch die Timelines zu bouncen. Ob als Hotdog-DJ im Fußballstadion, bei Uni-Vorlesungen, Influencer-Partys, Marathons, Tankstellen, neben Kühen auf der Weide oder mit Kajak in der Themse – selbsternannte DJs wie Suat streamen ihre „Turbo-Sets” zu einem Publikum, das für die Sensation klickt. „Just trying to make the world dance”, steht auf dem YouTube-Kanal des Briten, den inzwischen über 278.000 Leute abonniert haben.

Weil die Welt wieder tanzen will, aber niemand Zeit dafür hat, sind die Sets von Suat kurz. Manche verglühen sogar schneller als eine Zigarette, die man auf Molly von der falschen Seite runterraucht. Das Muster bleibt trotzdem immer gleich: Mobile DJ Suat filmt sich im Selfie-Modus, die Kamera fokussiert ihn wie bei einem Set im Boiler Room. Egal was um ihn herum passiert, er steht im Mittelpunkt, während die Pioneer-Decks vor seinem Bauch baumeln und er mit Face Shield ins Mikro brüllt.

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„Ich würde die Ästhetik als laut und verrückt beschreiben”, sagt Suat über Suat in einem Interview, das er 2021 für Beatportal gegeben hat. Es gehe darum, das Internet zu „knacken”, wie der Brite meint – schließlich falle nur auf, wer sich in jeder Hinsicht von allen anderen abheben könne. Deshalb trägt er Shirts, auf denen Lamas neben Pizzastücken durchs Weltall düsen. Darum lässt er sich nach einer „echt wilden Verfolgungsjagd” von der Polizei verhaften. Suat hat verstanden, wie er online auffällt und Millionen von Menschen erreicht. Kein Wunder also, dass ihn mittlerweile sogar eine „Online School in Music Production” über Themen wie „How To Make an Impact Online” plaudern lässt.

Dass Suat mit Hosenscheißer-House und ADHS-Dubstep durch eine Mischung aus Pioneer-Schleichwerbung und der unbewussten Selbstdarstellung von Ritalinmissbrauch knattert, kann man ignorieren. Wer es „schaffen will”, müsse liefern – visuell, musikalisch, „vom Vibe her”. Also grinst nach fünf Minuten auf der Streckbank fürs Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom sogar die Oma in die Kamera. „Thanks for the party, please follow me on Instagram!”, brüllt der Guy mit Gute-Laune-Groove ins Mikro, denn: Suat will der weltweit erste „Extrem-DJ-Sportler” werden, wie er in den Captions zu seinen Videos schreibt.

Alles für Likes und gute Laune

Mobile DJ wie Suat sind ein Produkt der Pandemie. Anfang 2020, noch vor dem ersten Lockdown, klickten nur ein paar Hundert Leute rein, wenn er an einem Teich stand und allein die Enten mit Beats fütterte. Plötzlich änderte sich die Welt. Alle hingen bei Zoom in virtuellen Monopoly-Abenden fest oder zockten aus Langeweile ihren YouTube-Algorithmus durch. Weil Suat verstand, wie man mit knallbunten Thumbnails, einer knackigen Überschrift („Crazy! Chaos! Crash!”) und dem Drang zur Selbstdarstellung auffällt, explodierten seine Streamingzahlen. „Allein für die Energy, die du in deinen Videos rüberbringst, solltest du sieben Milliarden Abonnenten haben”, schreibt ein User zum Zeitpunkt des ersten Lockdowns in die Comments.

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Seltener zu Fuß, dafür mit Bums am Bike ist Dom Whiting unterwegs. Seit Pandemie-Beginn kurvt der ehemalige Go-Kart-Fahrer mit einem umgebauten Fahrrad durch die Straßen von London, Manchester, Brighton oder Bristol. Vorne hängt die Kamera, hinten pumpt Drum and Bass aus der Bassbox. Dazwischen sitzt er an den Decks und tritt in die Pedale. Zu Beginn beschallte Whiting nur seine Umgebung oder Drive-Throughs von McDonald, später ein paar Fußgänger:innen, die sich über die fahrende Boombox wunderten. Inzwischen sind seine Bike-Sets eigene Happenings. Tausende Menschen tauchen mit ihren Fahrrädern auf, wenn Dom Whiting ein neues Set ankündigt.

„Alle streamten aus ihrem Schlafzimmer, aber ich wusste gleich, dass das nie auffällt”, sagte Whiting zu kmag. „Also hab ich nach einem bewegenden Hintergrund gesucht, mit dem ich interagieren kann. Das hat mich von anderen abgehoben. Daraus hat sich alles entwickelt.” Wer sich durch die dutzenden Videos klickt, sich von Liverpool nach Bristol und weiter bis nach Berlin klickt, merkt: Auch Whiting hat von der Pandemie profitiert. Ohne Lockdown und leere Straßen hätte es das Projekt gar nicht gegeben, meint er in einem anderen Interview. Mittlerweile gilt der Mobile DJ als „DJ on the Bike”. Allein auf YouTube folgen ihm fast 180.000 Menschen. Seine Videos klickten über 14 Millionen Mal.

Mobile DJ: Völlig losgelöst

Im Vergleich zu Suat legt Dom Whiting tatsächlich auf. Seine Sets führen über Stunden durch die Straßen der Städte. Zuzuschauen macht allein schon deshalb Spaß, weil man merkt, dass er seine Videos nicht nur für ein Thumbnail produziert, das auf YouTube klickt. Im Gegenteil: Wer seine Sets sieht, hangelt sich wie in Echtzeit durch die Street-View-Funktion von Google Maps. Ohne verpixelte Gesichter, in Full HD. Whiting, der immer in Fußballtrikots aus den 90ern auftritt, bringt damit Tausende Menschen auf ihre Bikes – nach draußen und zusammen.

Dass er mittlerweile Drum-and-Bass-Partys in Clubs ausverkauft, ist Folge seiner Aufmerksamkeit als Bike-DJ. „Ich erinnere mich an die Fahrten, die du allein bei Regen gemacht hast”, schreibt eine Userin unter eines von Whiting Videos. „Und schau, wo du jetzt bist!” Dieses Jetzt – das sind die Momente, in denen Menschen Bengalos und Konfettikanonen zünden, während Whiting einen Remix von Britney Spears’ „Toxic” droppt. Es sind aber auch jene, bei denen er die Subwoofer im Club durchpustet und der Dancefloor vollkommen eskaliert.

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Egal ob dreiminütiger „Kanu-Rave” für die Hosentasche oder zweistündige Fahrrad-Sets am Brandenburger Tor, was Suat und Whiting vereint, ist das Spektakel. Die Sets sind Events. Sie werden zum Erlebnis. Damit folgen sie in ihrem Prinzip dem Boiler-Room-Konzept: Man sieht anderen Leuten dabei zu, wie sie eine gute Zeit haben und will selbst dabei sein. Daran ist nichts falsch, im Gegenteil: Die Videos sind bunt wie der Iro von Oaks, sie kreischen nach Lust am Leben und machen so viel Bock wie der Social-Media-Auftritt von FJAAK.

Dass manchen Realkeepern bei dem Reiz-Rambazama trotzdem die Nadel springt, ist klar. Wer 30 Euro für die Klubnacht hinblättert, um danach am Dancefloor dreinzuschauen, als hätte man die schlechteste Zeit ever, wird weder bei der Hüttengaudi auf zwei Beinen noch beim Mobile DJ Radausflug für Drum-and-Bass-Heads in Jubelschreie ausbrechen. Dabei zeigen die Videos: Elektronische Musik muss nicht auf zwei stocksteifen Beinen in der Dunkelheit wippen. Sie kann schrill sein, anderen auf die Nerven gehen, vor der Polizei fliehen und das Spektakel auf die Straße bringen. Muss man nicht mögen. Kann man aber – ohne sich dabei zu ernst zu nehmen.

Veröffentlicht in Features und getaggt mit Beatportal , Cercle , DJ-Livestream , Dom Whiting , kmag , livestream , Lockdown , Mobile DJ , Suat

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