Cinthie: "Ey, wir machen ’nen Plattenladen auf!"
© Marie Staggat

Cinthie: "Ey, wir machen ’nen Plattenladen auf!"

Features. 18. Juli 2020 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Laura Aha

Musiknerd, Labelchefin, Produzentin, Plattenladenbesitzerin, Informatikerin, Mutter: Wie die Berliner DJ Cinthie es in den letzten Jahren geschafft hat, all diese Rollen unter einen Hut zu bringen, grenzt an ein Wunder. Mit ihrem Debütalbum 'Skylines - City Lights' erfüllt sich die passionierte House-Liebhaberin nach über 20 Jahren im Business einen langgehegten Traum. Ein Besuch in ihrem Plattenladen Elevate in Berlin-Friedrichshain.

Cinthie hat eine To-do-Liste. Darauf stehen all die Wünsche, die sie sich selbst noch erfüllen möchte: Einen Essential-Mix bei BBC1 veröffentlichen. Ein Mal in der Panorama Bar auflegen. Ein eigenes Album rausbringen. Ersteres hat die Berlinerin letztes Jahr im November geschafft. Beim zweiten Punkt hat ihr leider Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht. Im Mai war sie eigentlich zum ersten Mal in ihrer langjährigen DJ-Karriere im Berliner House-Olymp gebucht, der auch privat zu ihren Lieblingsclubs zählt – nicht nur wegen des exzellenten Bookings. „Dadurch dass ich gefühlt 2,5 Meter vom Berghain weg wohne, ist es immer meine erste Wahl – also, die Panorama Bar natürlich. Es ist super praktisch, ich kann einfach schnell nach Hause aufs Klo, statt mich da eine Stunde anzustellen. Und wenn man mal länger bleibt, kann man zwischendurch zu Hause Zähneputzen“, sagt Cinthie und wirft lachend ihre langen schwarzen Haare zurück.

Wir sitzen in einer Friedrichshainer Seitenstraße an einem Holzklapptisch, den Cinthie vor ihrem Plattenladen Elevate auf den staubigen Bürgersteig gestellt hat. Ein paar Schulkinder laufen über das Kopfsteinpflaster an uns vorbei zum Spielplatz. Schnaubend schiebt sich ein LKW zwischen den hohen Altbauten Richtung Warschauer Straße. Hinter uns trinken zwei Bauarbeiter ihr wohlverdientes Feierabendbier und freuen sich, dass morgen schon wieder Freitag ist. Säße man oben in ihrem Kran, man könnte hinter der Häuserfront direkt auf die Rückwand des Berghains gucken, keine 500 Meter in die andere Richtung entfernt liegt der sogenannte „Technostrich“ an der Revaler Straße, wo Touris und RaverInnen in Nicht-Coronazeiten eine Dauerparty feiern.

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Seit knapp zehn Jahren wohnt Cinthie in dem Kiez, man kennt sich in der Nachbarschaft und passt gegenseitig auf die Kinder auf. Seit zwei Jahren steht sie mittwochs und samstags hinter der Ladentheke von Elevate, der fußläufig zu ihrer Wohnung liegt. Die Lage des kleinen Plattenladens mit verglaster Front ist ein absolutes Filetstück. Mit einem 17 Jahre alten Mietvertrag fast zu schön, um wahr zu sein. „Er ist uns halt so zugeflogen“, sagt Cinthie schulterzuckend. Dass sie einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen sei, betont sie öfter während unseres Gesprächs. Eigentlich sei sie auf der Suche nach einem Lager für den Merch und die Platten ihres Label-Kollektivs Beste Modus gewesen. Weil bei dem Laden immer die Rollos heruntergelassen waren, fragte sie in der Nachbarschaft rum. Wenig später hatte sie die ganze Ladenfläche gemietet, was für ein reines Lager natürlich viel zu groß war. Cinthie folgte ihrem Bauchgefühl und packte die Gelegenheit beim Schopfe: „Also hab ich die Jungs angerufen und gesagt: ,Ey, wir machen ’nen Plattenladen auf!‘“

„Die Jungs“, das sind Diego Krause, stevn.aint.leavn, Ed Herbst und Albert Vogt, mit denen Cinthie 2011 die Labelcrew Beste Modus gründete. Gelangweilt vom gerade auslaufenden Minimal-Techno-Hype der 2010er Jahre, griffen Beste Modus das 90s-House-Revival dieser Zeit auf und setzten mit einem strikten Vinyl-Fokus ihrer Releases einen bewussten Kontrapunkt zur zunehmenden Digitalisierung im DJ-Business. 2019 trennte sich die Crew. „Man hat gemerkt, dass irgendwie die Luft raus war. Das ist wie in einer Beziehung, wo beide irgendwann unterschiedliche Dinge wollen. Es hat einfach nicht mehr gepasst“, sagt Cinthie ohne Bitterkeit, man habe sich im Guten getrennt. Seitdem betreibt Cinthie Elevate allein – was nicht erst seit Corona ein echter Glücksfall für sie ist.

„Ich hab aktuell keine Gigs, bin von meinem normalen Einkommen quasi auf null runter, abgesehen von den Royalties, aber das ist ja auch nicht brutal viel. Deshalb ist Elevate eine gute Möglichkeit für mich, im Moment meinen Lebensunterhalt zu verdienen“, sagt sie und führt mich in den Laden. Die Einrichtung ist minimalistisch gehalten, ein paar Pflanzen und Vintage-Sessel stehen neben der Tür, die Decke ist unverputzt belassen, an den weißen Wänden hängt der Druck einer Roland TB-303, an einer Kleiderstange der Label-Merch von Beste Modus und 803 Crystal Grooves. Über den rotgestrichenen Plattenkisten prangt ein Poster mit den legendären Lyrics von Mr. Fingers’ „Can You Feel It“: In the Beginning, there was Jack, and Jack had a groove...

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House steht bei Elevate im Fokus, sowohl bei den Releases auf Cinthies eigenem Label 803 Crystal Grooves oder dessen Sublabels We_r house und Collectives Cuts als auch beim Rest des Sortiments: Elevate bietet ein stilsicheres Sortiment von Chicago-House-Klassikern über seltene Bootlegs bis hin zum kleinen Berliner Underground-Label-Release. Dass Vinyl Cinthies Leidenschaft ist, sieht man spätestens, wenn man über die schmale Wendeltreppe in den Keller hinabsteigt. Hier lagert sie einen Teil ihrer eigenen Platten in halboffenen Umzugskisten und hüfthohen Stapeln auf dem Boden. 10.000 Platten besitzt Cinthie nach eigener Schätzung, angesammelt seit ihrem ersten Job mit 16 bei Humpty Records in Saarbrücken, wo sie aufwuchs. Hier wurde sie als Schülerin in Platten bezahlt und lernte von ihren Arbeitskollegen das Mixing – für Cinthie der absolute Traumjob und eine gute Schule.

„Ich war schon immer extrem musikinteressiert. Wenn man früher in den Freundebüchern nach seiner Lieblingsmusik gefragt wurde, hab ich auf einem Extra DIN A4-Blatt eine Liste mit KünstlerInnen, Tracknamen und Labels gemacht und dann ins Buch geschrieben: Lieblingskünstler: siehe beigelegtes Blatt“, erzählt Cinthie lachend und man glaubt es ihr sofort. 1998 spielte sie ihren ersten Gig in einem Club in Saarbrücken und bekam sofort eine Residency, obwohl sie zu dem Zeitpunkt noch nicht mal volljährig war. Dort lernte sie die Größen der Zeit kennen: Ellen Allien, Chris Liebing und WestBam, für den sie einmal das Warm-up spielte und der sie prompt nach Berlin buchte. Zur selben Zeit begann sie zu produzieren und veröffentlichte als Vinyl Princess 2002 ihre ersten Platten auf dem Low Spirit Sublabel Electric Kingdom.

Auf ihrem Instagram-Profil findet man Fotos aus dieser Zeit. Eine Teenager-Cinthie mit Oberlippenpiercing sitzt vor dem Aldi-Familiencomputer, auf dem ein Raveline-Sticker klebt, und produziert ihre ersten Tracks mit Cubase 2.0 und billigen Computerlautsprechern. Auf einem anderen Foto steht sie vor einer bunten Flyerwand in ihrem Kinderzimmer, die von ihrer damaligen Passion als Rave-Touristin zeugt. Ein Foto zeigt sie an ihrem 18. Geburtstag neben ihrem DJ Set-Up im Partykeller ihrer Eltern, während sie ihrer Mutter den Unterschied zwischen Jungle und Drum ’n’ Bass erklärt. Das schreibt Cinthie zumindest in dem sehr unterhaltsamen Text unter dem Post, in dem sie gleichzeitig auf die neuen Platten bei Elevate hinweist.

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„Irgendwann hab ich mir gesagt: Entweder mach ich das Auflegen als Hobby und lass es ein bisschen ausdümpeln oder ich geb noch mal richtig Gas.“ Sie lernte die Jungs von Beste Modus kennen und entschied sich für Letzteres. Es folgten eine Reihe von Releases und 2015 eine Residency im Watergate. Sie spielte ihren ersten Boiler Room, wurde bald darauf international gebucht und kündigte 2014 endlich ihren Job, um sich mehr aufs Produzieren konzentrieren zu können. „Ich hatte etwas gespart und dachte: Wenn ich es jetzt nicht mache, wann dann? Dann bin ich vielleicht irgendwann 50 und ärgere mich, dass ich es nicht probiert hab.“ Mit 'Skylines - City Lights' (hier in der Rezension) bringt Cinthie nun nach über 20 Jahren im Business ihr erstes Album heraus – und erfüllt sich damit pünktlich zu ihrem 40. Geburtstag den dritten Wunsch auf ihrer To-do-Liste.

Und auch hier bleibt sich Cinthie treu. „Es gibt viele, die sagen beim Album: ,Ich mach jetzt ein Easy-Listening-Ding‘ oder sowas. Aber das fand ich für mich Quatsch. Ich bin DJ, ich finde im Club statt, deshalb wollte ich auch ein Club-Album machen.“ 'Skylines - City Lights' ist daher auch angelegt wie ein guter Mix: Von sphärischem Ambient über dreckigen US House bis hin zu Acid, UK Garage und Disco nimmt Cinthie ihre HörerInnen mit auf eine Reise durch ihre Plattentasche der letzten 20 Jahre. Der Titel ist einerseits ein Zitat aus 'You & Us' von Miss Kittin und The Hacker, andererseits eine Reflexion über das Reisen und das Jetset-Leben, wenn man von einer Stadt häufig nur die Skyline und die Lichter der Stadt sieht.

Auf dem Cover ihres Albums sieht man Hochhäuser und enge Straßenzüge in der rötlichen Morgendämmerung: Chicago. „US-Städte sehen von der Skyline einfach geiler aus als Castrop-Rauxel oder Bottrop. Also haben wir uns beim Artwork für Chicago entschieden, weil das ja auch meine große musikalische Liebe ist. Chicago House und die ganzen DJs von dort, das ist eine kleine Hommage.“ Ironischerweise war Cinthie selbst noch nie in der Geburtsstadt von House. „Das ist noch ein weiterer Punkt für meine To-do-Liste“, sagt sie lachend. Denn ihre Wunschliste hat Cinthie noch längst nicht abgearbeitet.

Veröffentlicht in Features und getaggt mit 803 Crystal Grooves , Albert Vogt , Beste Modus , Chris Liebing , Cinthie , Collectives Cuts , Cubase 2.0 , Diego Krause , Ed Herbst , Elevate , Ellen Allien , Essential-Mix , Panorama Bar , Roland TB-303 , Skylines - City Lights , stevn.aint.leavn , Vinyl Princess , Watergate , We_r house , Westbam

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