Essentials: 20 Jahre Klakson Records / Die prägendsten Tracks

Essentials: 20 Jahre Klakson Records / Die prägendsten Tracks

Features. 19. Dezember 2020 | / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Klakson wird 20 Jahre jung und die Electro-Heads rotieren zu Breakbeats aus der Vergangenheit. Oder Zukunft? So genau lässt sich das nicht sagen. Als die heutige Berghain-Resident Steffi im Jahr 2000 mit Remy Verheijen das Label aus den Amsterdamer Grachten hob, war das Label der Gegenpol zum Mackertum von Clone und Bunker Records. Die niederländische Electro-Szene mutierte zum Business, Klakson passte rein wie eine Hupe in ein Zimmer schlafender Kinder. Während manche mit Distinktionsgewinn zu limitierten Drexciya-Scheiben den Kopf nickten, riss Klakson den ganzen Laden ab und hatte auch noch Spaß dabei. „Frechheit“, dachten sich die einen. „I don’t care“, brüllten die anderen.

Dabei schmissen Steffi und Dexter zu Beginn selten mehr als eine Platte pro Jahr raus – ohne Promo, ohne Airplay. Einfach aus Spaß an der Sache. Und weil es funktionierte. So gut, dass die ersten 500 Stück von Dexters Klakson-Debüt weggingen wie aufgewärmte SoundCloud-Drops von Aphex Twin. Irgendwann pickte Dave Clarke die Platte für seine Compilation, Klakson explodierte. Man veröffentlichte mehr Platten und baute Producer aus den Niederlanden und Finnland auf. Hauptsache „weird“ und „Scheiß-drauf-Attitüde“. Die machte Klakson nach wenigen Jahren zu einem wichtigen Name in der Electro-Szene. Nicht nur auf Raves zwischen Tulpenfarmen, sondern weltweit.

Als Minimal Techno Ende der 2000er in die letzten Ritzen des Undergrounds schwappte, veröffentlichte das Label seine 20. Platte. Steffi siedelte nach Berlin über, im Berghain prügelten straighte Beats. Klakson entschied sich 2010 für den Winterschlaf. Weil: „Keine gute Musik, keine Veröffentlichung“, wie Steffi später sagte. Ein Deal, der fünf Jahre hielt, bis Dexter mit „Troubles“ eine Platte veröffentlichte, die Electro back on track, zurück in den Club und rein in die Plattenkoffer von DJs katapultierte. Inzwischen feiert Klakson 20 Jahre „weirdness“ mit drei EPs von alten Label-Konstanten und einer Kollabo zwischen Steffi und DJ Stingray. In unseren Essentials blicken wir auf die Releases, die das Label geprägt und Electro ein Stück weitergebracht haben.

Dexter ‎– I Don't Care

Man muss sich das mal vorstellen: Ende der 90er reitet der Chauvi-Zirkel um Big Player wie Clone, Viewlexx und Bunker Records auf der niederländischen Electro-Welle wie Jockeys auf Speed-gefütterten Rennpferden – und dann grätscht mit Klakson ein Label in die Salami-Party, das einen massiven Fick auf alles gibt. Keine Konventionen, keine Grenzen. Remy Verheijen aka Dexter verschluckt mit der Debüt-Veröffentlichung drei Kanister Selbstironie, um zwei Mittelfinger in die elitären Electro-Fratzen zu strecken. „I Don’t Care“ war mehr als eine Ansage. Es war der Versuch, dem sogenannten Underground in Amsterdam selbstgekochtes Chili in die Boxershorts zu kippen. Für geübte Zungen gerade richtig. Für den Rest: un-fucking-fassbar.

„I Don’t Care“ wobbelt und tschirpt und pritschelt, dass Lautsprecher vor Freude ihre Konen opfern. Dass der Vocoder nicht nur blöd rumglotzt, sondern als systemrelevante Komponente und unter Androhung eines Kinderspielzeug-Massakers zur Vollauslastung geprügelt wird, zerstört der Gang ins Kraftwerk. „Z.W.A.M“ kommt nicht nur daher wie der Ritalin-abhängige Bruder, den die Düsseldorfer Robo-Cops ein paar Jahrzehnte früher mit „The Model“ in den Keller gesperrt hatten. Das Stück greift mit voller Absicht in den Schaltkreis, nur um sich mal wieder zu fühlen.

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Fastgraph ‎– ../../

Gäbe es eine personifizierte Garantie für Bääänger, Fastgraph würde auf Wechselstrom durch die Gegend bleepen – anstelle seines Kopfes eine 808, in seinem Herzen die Dunkelheit der Nacht. Der Mann, der 1974 in einem Arbeiterbezirk von Utrecht zur Welt kam, beobachtete die niederländische Electro-Szene nicht nur. Er war mittendrin. Anfang der 90er stoß er als The Operator und Pieces Of A Pensive State Of Mind den Karren in den Dreck, kurz nach der Jahrtausendwende kam er zu Klakson. Seine zweite Platte räumte mit dem Missverständnis auf, dass Electro immer nur ballern muss, um richtig reinzugehen. Klar, „../../“ katapultierte sich auf allen Vieren in den Weltraum wie Drexciya nach Atlantis.

Mit „../../“ bringt Fastgraph die subtile Brutalität zu Klakson. Beats auf Zahnstochern klappern zu Synthesizern, so scharf wie ein Revolvergebiss, über ein Arrangement, das zwischen bizarr und bist-du-arg-ist-das-geil keine Gefangenen macht. Im Gegenteil: Fastgraph spannt seine Tracks auf die Streckbank. Nur „Squid“ gießt heißes Wachs über die Lippen. So muss Electro 2002 bürsten. So sollte er 2020 immer noch kämmen.

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Pauli Jylhänkangas ‎– Clutz

Ein Cover, so viele Fragen. Der debil grinsende Typ, der mit Ray Ban im Gesicht und 808 in den Händen den niederländischen Trachtenpreis abgeräumt hat, war „Rodger, a big electro freak“, wie Steffi in einem Interview erklärte. Für Klakson, das seit der ersten Platte auf die einheitliche Electro-Ästhetik mit Weltraum-Kitsch oder Pseudo-Cyberpunk geschissen hat, war das kein ästhetischer Ausreißer, sondern die Norm. Pauli Jylhänkangas dürfte damit nur wenig zu tun gehabt haben. Der Finne goss 2003 seine erste und letzte Veröffentlichung auf und machte „Clutz“ zu einer finnischen Sauna: Sauheiß und sautrocken. Nach dem ersten Takt schwitzt man wie ein Eisbär in der Wüste, glaubt für einen Moment eine Rephlex-Fata-Morgana zu erkennen und schluckt zur Sicherheit zwei Thomapyrin – für akute Disco-Anfälle und gegen das ganze Salz, das einem in die Augen rinnt.

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Mesak ‎– Modern Stalking

Auf Klakson brütete man schon Mitte der 2000er den kommenden Skweee-Wahnsinn aus Finnland aus. Mit dabei: Tatu Metsätähti aka Mesak. Auf „Modern Stalking“ schimmerte die Connection zwischen Helsinki und Amsterdam wie eine aus der 303 gequetschte Bassline im Technokeller. Dass Mesak an Reglern zwischen Funk-Operette und Soul-Dub rumschraubte, macht „Modern Stalking“ zu einer Veröffentlichung, die nach der Peaktime in die Chill-Out-Area abdampft, um erstmal einen durchzuheizen. Nur die Synthesizer-Flächen erinnern daran, dass hier jemand den A3-Bogen im Scanner für Selected-Ambient-Kopisten vergessen hat. Wer „Katutaso“ schon mal zur richtigen Zeit am Dancefloor zu hören bekam, weiß, dass Mesak die Smoothness in den Klakson-Roster brachte.

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Art Bleek ‎– Exposed

Wer Ende der 2000er noch voll den Electro-Trip feierte, hatte entweder zu viele oder zu wenige Pillen gefressen. Die Zeichen standen auf minimales Vierviertel-Gebumse. Klakson checkte das – und reagierte mit einer Deep-House-Platte. Arthur Ponchon, der sich zu der Zeit als Art Bleek einen Namen als jazziger Soul-Bruder mit Hang zu Beats für stundenlange Highway-Fahrten gemacht hatte, öffnete seine Festplatte und – zack, zack, zack – „Exposed“ war geboren. Die frühen XTC-Vibes spülte der in Frankreich geborene Produzent mit zwei Skinny Bitches im Café del Mar runter, um anschließend auf einen späten Cofeve bei Mr. Fingers vorbeizuschauen. Saxophon-Samples verdrücken sich auf leisen Tasten, bevor Ponchon Synthi-Flächen in Luftpolsterfolie einpackt, in eine große Box steckt und einen Fragil-Sticker draufpappt. „Deepest Thoughts“ läuft heute noch bei jeder Afterhour, die was auf sich hält.

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DXR ‎– 2

2008 rauschte der Electro-Train endgültig ab, brannte durch und entgleiste. Purismus war in, abstraktes Draufsein out. Remy Verheijlen kippte für die 20. Veröffentlichung von Klakson fünf große Espresso ohne Milch, entschied sich ein letztes Mal für die dunkle Seite der Seele und veröffentlichte als DXR mit „2“ das Sequel zu „1“. Beide Platten zeigten, dass Electro immer noch anpassungsfähig war wie ein trippendes Chamäleon im Amazonasdelta – auch wenn sich die Fühler schon in Richtung Entschlackung streckten. Schließlich pumpt „Dark Rain“ über knapp zehn Minuten wie eine Horde wildgewordener Nashörner – ohne Breaks, dafür mit Snares, die schiiiieben. Wer bei dem Orgel-Crescendo nicht gottesfürchtig aus dem Messkelch schlabbert, hat Nietzsche nicht verstanden und sucht Vergeltung in fünf Rosenkränzen und der Tatsache, dass „Fader Pushing Sunday“ auf der Datenautobahn am Laptop-Café vorbeidüst, bevor Gerald Donald „The Other People Place“ buchstabieren kann.

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Steffi & Dexter ‎– Zatlap

Klakson schlummerte fünf Jahre im Kaninchenbau und kam erst raus, als der böse Minimal erlegt, erschossen und gevierteilt war. 2015 dippte Dexter mit „Trouble“ das erste Cinch-Kabel ins Fahrwasser, 2016 produzierte er mit Steffi und wusste: Electro, das geht wieder! „Zatlap“, die erste gemeinsame EP der beiden Klakson-Gründer, fettete die Produktion ein, blies die Bässe auf und roboterte sich durch den Club als hätte sich die elektronische Clubmusik der vergangenen Jahre in einem K-Hole versteckt. „Zatlap“, das auf Deutsch Trunkenbold bedeutet, knallte auf die Plattenteller und rotierte. Bei Helena Hauff, bei DJ Stingray. Und so weiter.

Der Sound schnappte sich die Detroit-Wurzeln von Techno, schlemmte in Acid-Basslines und streckte der Vergangenheit die Zunge raus. Das war Electro, der in die Zukunft beamte; der die Zukunft umarmte oder zumindest mit tellergroßen Pupillen anglotzte, bis sie Platz machte für Kicks, die alles wegboxten. Steffis „Power Of Anonymity“, das 2014 auf Ostgut erschien, fand im Post-Winterschlaf-Sound von Klakson seinen Heiland – oder die logische Konsequenz. „Zatlap“ riss Electro aus seinen Angeln, stürzte ihn auf den Plattenteller und zeigte, wohin die Reise gehen kann.

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214 ‎– Exit 32

Wenn Chris Roman die Maschinen anwirft, eiert man durch den Club, immer auf der Suche nach den Geistern, die Drexciya riefen. Als 214 kippte er schon in den frühen 2000er Jahren dampfenden Acid über den Step-Sequencer. Das Zeug ätzte aber erst seit Releases auf Labels wie Car Crash Set, Touchin’ Bass oder Frustrated Funk – dafür aber richtig. Dass ihn Steffi 2018 zur Veröffentlichung auf Klakson überreden konnte, führte zu einer der besten Electro-Platten des Jahres. „Exit 32“ gravelte über Körper und Konsorten, als hätte man die Tour de France in die Toiletten der Panorama Bar verlegt. Es ist eine Platte, die nichts auslässt und alles an Electro mitbringt, das man kennt, schätzt, verlangt und doch in einer Form arrangiert, bei der James Stinson im Grab herumshuffelt – aus Freude an der Sache, versteht sich.

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The Hacker ‎– Lost & Found EP

The Hacker ist Electro-Veteran, verramschte Anfang der 2000er Frank Sinatra mit Miss Kittin, und hat in 31 Jahren genügend Trockeneisnebel eingeatmet, um zu wissen, dass alles seine Zeit hat. Und dass alles wiederkommt. Irgendwann. Die vier Tracks auf „Lost & Found“ erschienen Ende der 90er, köchelten über zwei Jahrzehnte im Maschinenöl und – sorgten 2019 für Roboterliebe auf dem Dancefloor. Mit „Body Electric“, das 1998 auf seiner EP „Le Danseur Parfait“ erschien, rammt Michel Amato den Presslufthammer in zwei Meter dicke Betonwände, um dahinter eine Disco zu entdecken, in der der Millionenhit von Trans-X zur Folter hängengebliebener 80s-Kids auf Repeat durchläuft. Und jetzt alle: Di-dü-dü-di-da-dü!!

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Luxus Varta ‎– Addictive Synthesis

Irgendwie ist 2020 in der Vergangenheit angekommen. Die Zukunft ist tot. Oder verschwunden. Daran kann auch Luxus Varta nichts ändern. Electro hat sich mit 220 Sachen selbst überholt und pachtet mit eingeschalteter Lichthupe die linke Fahrbahn – im Gegenverkehr. Konsequent, dass Emeric Di Paolo mit „Addictive Synthesis“ den Flux-Kompensator aktiviert, um einen Blitz durch den Nachthimmel zu schicken, bis man in räudigen Kellern auf Plateauschuhen zu Breakbeats shaket als wäre es 1997 … oder 2042?

Für Luxus Varta spielt Zeit keine Rolle, der Raum dreht sich um verrauschte VHS-Tapes von Akte X, Atlantis-Mythen und das Gefühl, dass Burials „Untrue“ als überdrehter Zombie wieder auferstehen könnte, um uns alle heimzusuchen. Während nächtlicher Busfahrten. Im Regen. Knister-Knister und so. Auf „Addicitive Synthesis“ ist Electro am Anfang angekommen, beginnt neu, erfindet sich aus der Vergangenheit, um weiter zu dreschen. Immer und immer wieder.

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Spotify

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