Essentials: Ostgut Ton / Die prägendsten Ostgut-Tracks
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Essentials: Ostgut Ton / Die prägendsten Ostgut-Tracks

Features. 19. April 2020 | / 5,0

Geschrieben von:
Kristoffer Cornils

Über keinen anderen Club dieser Welt wird dermaßen viel geredet wie über das Berghain. Dabei sind doch längst alle Geschichten über das Treiben am Wriezener Bahnhof erzählt. Viel seltener, wenn nicht sogar zu selten, geht es bei den Endlosdiskussionen um den Treibstoff der Komm-am-Samstag-bleib-bis-Montag-Partys. Und ja, damit ist die Musik gemeint. Nach der Schließung des Ostguts am Alten Ostbahnhof wurde nämlich nicht nur der neue Club an seinem jetzigen Standort eröffnet, sondern brachte nur wenig später mit Ostgut Ton ein hauseigenes Label an den Start, das den Sound im Innern genauso nach außen trug, wie es sich nachhaltig auf das auswirkte, was von außen wieder rein kam.

Am Anfang standen Mix-CDs. André Galluzzi lieferte im Jahr 2005 mit Berghain 01 den Startschuss für das von Resident-DJ Nick Höppner initiierte Label. Es folgte ein komplementärer Mix von Cassy, der über 24 Stücke hinweg die Stellung der DJ und Produzentin als Panorama-Bar-Resident untermauerte, und schließlich im Februar 2006 mit 'Dawning / Dead Man Watches The Clock' das programmatische Statement zweier Residents, die den Sound des Labels wie auch des Clubs für die folgenden Jahre massiv prägen sollten. Marcel Dettmann und Ben Klock ließen sich nicht nur mit ihren DJ-Sets, sondern auch in ihren Produktionen auf die räumlichen Gegebenheiten des Berghain-Floors ein, stellten den horizontalen Verlaufskurven des dominanten Minimals dieser Ära einen raumgreifenden, entschleunigten Sound entgegen, der auf dramaturgische Unwucht setzte.

Bis heute dominiert die frostige Klangästhetik aus dem Bauch des ehemaligen Heizkraftwerks, wie sie Dettmann und Klock perfektioniert haben, die Außenwahrnehmung von Ostgut Ton. Doch beweisen die von uns anlässlich des fünfzehnten Label-Geburtstags ausgewählten Essentials, dass Ostgut Ton genauso eine Heimat für gebrochene Beats, Hands-Up-House und sogar avancierte Klangkunst von den Randbereichen der Clubmusik ist.

Shed – Estrange

René Pawlowitz ist ein Mann der vielen Pseudonyme, unter seinem Alias Shed indes steht er für einen sehr definierten und oft erfolglos kopierten Sound ein. Nach einer imposanten Anzahl an EPs, die Pawlowitz vor allem über sein eigenes Imprint Soloaction veröffentlichte, legte er im Jahr 2008 mit 'Shedding The Past' sein Debütalbum auf Ostgut Ton vor. Das überzeugte anders als viele andere LPs dieser Zeit durch eine stimmige Dramaturgie, die nicht nur genussvoll mit dem Standardschema – in etwa: ein Ambient-Interlude und drei Club-Tracks pro Seite – des Techno-Albums brach, sondern ebenso durch einen vielschichtigen Rückbezug auf das Hardcore Continuum.

Stücke wie 'Estrange' überzeugten gleichermaßen durch ihren melancholischen und fiebrigen Sound wie durch einen UK-inspirierten Percussion-Einsatz, die sich beide um mächtige Kicks herum gruppierten. Damit positionierte sich die LP, welcher das stark Techno-inspirierte Album 'The Traveller' folgte, deutlich abseits vom Zeitgeist: Mit dem in Berlin dominanten Minimal Techno hatte das weniger zu tun, als es vielmehr an die Dubstep-Welle andockte, der im selben Jahr mit der von Scuba initiierten Partyreihe Sub:stance ein Platz im Berghain-Programm eingeräumt wurde. Was wiederum nicht bedeuten soll, dass der zuletzt im Jahr 2019 auf Ostgut Ton mit der LP Oderbruch vertretene Shed sich diesem Trend angenähert hätte. Er prägt weiterhin seine eigenen.

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Ben Klock – Subzero

Apropos Minimal Techno: Spätestens mit der Veröffentlichung des Films 'Berlin Calling' mit Paul Kalkbrenner in der Hauptrolle wurde aus dem Sound der Hauptstadt ein internationales Phänomen. Beschrieb Tobias Rapp in seinem Buch 'Lost and Sound' noch die Aufbruchstimmung dieser Zeit des „Easyjetsets”, war der Dancefloor am Wriezener Bahnhof schon von ganz anderen Klängen erfüllt. Wo die Party anderswo im Konfettiregen stattfand, kleidete sich das ehemalige Fernheizwerk in Dunkelheit. Die Musik passte sich dem an.

Ben Klock hatte mit seinem Kollegen Marcel Dettmann mit 'Dawning / Dead Man Watches The Clock' und folgenden Kollaborations- und Solo-EPs bereits erfolgreich den entschleunigten, an die massive Architektur und einzigartige Akustik ihres Heimatclubs angepassten Sound in erste eigene Produktionen überführt. Sein nach wie vor erfolgreichster und prägendster Track jedoch ist und bleibt 'Subzero' von der EP 'Before One', die einen Monat vor Release seines Debütalbums One im Februar 2009 erschien.

Allein die Kick steht stellvertretend für den Sound von Klocks Playground: wuchtig, brutalistisch und zugleich weitschweifend. Die sparsam eingesetzte Percussion und nicht zuletzt das sehnsüchtige, extrem reduzierte Leitmotiv tun ihr Übriges: 'Subzero' besiegelte das Ende der Minimal-Ära und machte nach Jahren der Extremsportfeierei eine deprimierte Katerlaune hörbar. Nicht, dass irgendwer darüber mit dem Tanzen aufgehört hätte.

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Tony Lionni – Found A Place

Denn getanzt wurde, und das nicht zu knapp. Während im Club der Sound „unten“” dringlicher und düsterer wurde, riss die Crowd „oben“ weiterhin die Arme in die Höhe. Denn obwohl Tony Lionnis Track eigentlich auf dem Berghain-Mix Len Fakis, dem insgesamt dritten der Reihe, erschienen war: Häufiger noch als dort sorgt das Stück bis heute dafür, dass in der Panorama Bar die Jalousien hochgefahren werden.

Mit seinem bouncigen Piano-Riff allein strahlt das auf einem federnden Groove dahingleitende Stück eine gute Laune aus, welche dem Ketamin-House-Sound dieser Ära meistens abging. Das durch den Mix geisternde Vocal-Sample garantiert darüber hinaus psychedelische Effekte, für die im Club normalerweise mindestens ein Zwanziger die Hände wechseln muss. 'Found A Place' indeed.

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Terence Fixmer – Aktion Mekanik Theme (Kobosil 44 Version)

Len Fakis Berghain-Mix bewies ebenso wie die im Jahr 2008 eingerichteten Partyreihen Sub:stance und Leisure System, dass im Berghain nicht allein Ben-Klock-Techno gewünscht war. Auf dem hauseigenen Label spiegelte sich das in einer Reihe von Releases von Martyn, Luke Slater unter seinem Alias L.B. Dub Corp, Barker & Baumecker, Steffi und Virginia sowie einer Compilation für das Techno-Ballet Masse wider. Auch erwies sich Ostgut Ton über die Jahre als feinjustierter Seismograf für Paradigmenwechsel auf dem Dancefloor.

Im Jahr 2015 war der Sound roher und rougher geworden, Analog-Techno von Blawan und anderen eroberte die Dancefloors ebenso, wie sich ein EBM-Revival ankündigte. Mit einem unvermuteten Remix-Paket zu Terence Fixmers Track 'Aktion Mekanik Theme' aus dem Jahr 2003 wurde einem Altmeister gehuldigt. Norman Nodge tunkte das Stück ins Säurebad und Marcel Dettmanns lieferte ein beatbefreites Rework-Tool ab, auf Aktion Mekanik Theme Remixes fand sich aber auch ebenso eine Neuinterpretation des damaligen Jungspunds Kobosil.

Rückblickend wurde hier der Staffelstab über mehrere Generationen weitergereicht: Kobosils nervöses Big-Room-Understatement sollte andeuten, wohin Techno sich in den kommenden Jahren bewegen sollte: Härter, schneller, stärker, ruppiger.

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Planetary Assault Systems – Max

Überhaupt Zukunft: Wie lange lässt sich von ihr träumen, bis es irgendwann vorgestrig wirkt? Luke Slater tut es seit nunmehr rund drei Jahrzehnten und vergilbt klingen seine Erkundungstouren durchs Techno-Universum nun wirklich nicht. Seit über einem Jahrzehnt gehört der Brite zu den prägendsten ProduzentInnen auf Ostgut Ton, beansprucht aber nur selten seinen Platz im Rampenlicht für sich. Ob allerdings als Planetary Assault Systems, als L.B. Dub Corp oder mit seinem Ambient-Techno-Alias The 7th Plain, für dessen Aufarbeitung Ostgut Ton im Jahr 2016 das Sublabel A-TON ins Leben rief: Slater markiert im Ostgut-Ton-Roster den fortschrittlich gesinnten Techno-Traditionalisten wie kein Zweiter.

Mit dem Album 'Arc Angel' feierte er im Jahr 2016 das 23. Jubiläum seines Projekts Planetary Assault Systems. In der flirrenden Sound-Art-Psychedelik von Stücken wie 'Max' wurde eine entgrenzte Neudefinitionen seines Sounds hörbar und machte deutlich, dass Slater trotz aller Rückschauen für die Vergangenheit keine Träne im Knopfloch über hatte. Auch ein Blick aufs Format machte deutlich, dass er wie auch sein Label mit der Zeit gingen: Ostgut Ton verabschiedete sich bereits zwei Jahre vor Veröffentlichung des Albums vom Mix-CD-Format und wich auf die Cloud aus, statt weiter einem toten Pferd die Sporen zu geben. Slater selbst zog nach: 'Arc Angel' erschien sowohl in zwanzig Einzelteile untergliedert als auch ans jeweilige Format angepasst in gemixter Form. Wie zeitgemäß, lautete die implizite und im Streaming-Zeitalter mehr als berechtigte Frage, soll so ein Album überhaupt noch sein?

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Barker – Look How Hard I’ve Tried

Infrage gestellt wurde auf Ostgut Ton insbesondere in den vergangenen Jahren einiges. Das Label expandierte merklich über den Dancefloor hinaus, indem es beispielsweise über das Sublabel A-TON experimentelle Musik und Konzeptkunst von Efdemin (alias Phillip Sollmann) im Verbund mit Konrad Sprenger und Oren Ambarchi oder audiovisuellen und interdisziplinären Arbeiten von Marcel Dettmann und Ed Davenport Raum zur Entfaltung bot. Als Mitveranstalter der Leisure-Systems-Partys gehört Sam Barker bereits seit geraumer Zeit zum Inventar des Berghains und im Verbund mit Booker und Panorama-Bar-Resident nd_baumecker ist seit Anfang der Zehnerjahre ebenso eine Säule im Roster des hauseigenen Labels.

Es sollte allerdings lange dauern, bis der Brite ein eigenständiges Release über Ostgut Ton veröffentlichte. Das lag vor allem daran, dass er sechs Jahre nach seinem Debüt unter dem Barker-Pseudonym über das Leisure-System-eigene Label erstmal alle Maschinen resettete und versuchte, sich von den Konventionen freizuschütteln. Das Ergebnis dieses Prozesses erschien im Jahr 2018 unter dem Titel 'Debiasing' und führte im EP-Segment sämtliche Bestenlisten an.

Das Prinzip war simpel und doch genial: Stücke wie 'Look How Hard I’ve Tried' versuchen sich an einer Techno-Poetologie, die konsequent auf die Kickdrum verzichtete und stattdessen mit Synthesizer-Klängen rhythmische Impulse und spannungsgeladene Dynamiken in den Vordergrund stellte. Eine Idee, so oberflächlich simpel wie offenkundig schwer umzusetzen. Dabei nicht genug: Mit einer weiteren EP sowie seinem Debütalbum Utility erweiterte Barker seinen Ansatz kontinuierlich um weitere Schattierungen.

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Bonus: Steffi – Yours (feat. Virginia)

'Yours' erschien strenggenommen nicht auf dem Ostgut-Ton-Mutterschiff, sondern wurde als gestempeltes White Label auf Domeright erstveröffentlicht. Aus dem Sublabel, dessen Titel sich aus den Lyrics des Stücks herleitet, wurde jedoch nie etwas und spätestens mit dem Release von Steffis Debütalbum 'Yours & Mine' im Jahr 2011 wurde es in den regulären Label-Katalog überführt. Der Track markierte eine lange und fruchtbare Zusammenarbeit der beiden Panorama-Bar-Residents und drückt mit seinem klassischen, bouncenden Deep-House-Sound immer noch jedem Floor den Schweiß aus den Poren. Entstanden ist der Track in einer spontanen Session innerhalb eines Tages auf Basis einer verworfenen Skizze Steffis. Alles, was zum Instant Classic noch fehlte, war eine zweite Synth-Line und der Gesang Virginias, die seit der Jahrtausendwende schon einigen House-Hits ihre Stimme geliehen hatte.

Erwähnenswert ist das Stück nicht nur deswegen, weil seine beiden Produzentinnen fest zum Stammkader von Club und Label gehören, sondern weil sie dort als Frauen auch weitgehend allein auf weiter Flur stehen. Von vereinzelten Beiträgen von Dinky oder Tama Sumo sowie natürlich in Anfangstagen Cassy und der Sängerin Elif Biçer abgesehen, lockert sich die Männerdominanz selbst bei einem Label wie Ostgut Ton nur gemächlich. Wobei 'Yours' als House-Hymne doch ein eindrücklicher Beweis für weibliche Subversion in der Club-Musik darstellt: „It‘s about fucking“, hieß es im Rahmen eines Resident-Advisor-Features zur Platte seitens Steffi trocken.

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Spotify

Um auch mobil einen leichten Zugriff zu haben, tragen wir bei Spotify auffindbare Tracks in thematischen Playlists zusammen und ergänzen diese um weitere Beispiele aus dem jeweiligen Genre.

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Veröffentlicht in Features und getaggt mit Barker , Ben Klock , Berghain , Kobosil , Ostgut Ton , Planetary Assault Systems , Shed , Steffi , Terence Fixmer , Tony Lionni , Virginia

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