Gerald VDH im Interview: „Queere, junge Leute geben einen Scheiß auf die Musik“
© Markus Thums

Gerald VDH im Interview: „Queere, junge Leute geben einen Scheiß auf die Musik“

Allgemein. 3. Juli 2022 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Gerald VDH veranstaltet mit Meat Market seit 13 Jahren Techno-Partys in Wien. Er hat die Szene am Donaukanal mitgeprägt und ein eigenes Label aufgebaut. Für 'Snacks' verlegt er zum ersten Mal Stacheldraht auf Albumlänge. Warum Awareness-Crews im Club nie im Vordergrund stehen sollten, heterosexuelle Vorstellungen in schwulen Darkrooms keinen Platz haben und Trance bei ihm nicht zum Trend werden wird, erklärt Gerald VDH im Gespräch mit DJ LAB.

DJ LAB: Anlass für unser Treffen ist dein Debüt-Album. Ich will mit dir aber zuerst über deine Wiener Veranstaltungsreihe Meat sprechen.

Gerald VDH: Seit Corona habe ich aus Meat eine GmbH gemacht, weil ich die gleichen Förderungen wie zum Beispiel ein Media Markt beantragen wollte. Schließlich ist Meat mittlerweile eine unternehmerische Tätigkeit, auch wenn ich das Künstlerische in den Vordergrund stelle. Trotzdem: Es kommt Geld rein, es geht Geld raus. Ich wär ja deppert – während die Kapitalgesellschaften gefördert wurden, sind Kleinstunternehmen umgefallen. Offensichtlich gibt es Leute, die wissen, wo man jeden Cent einstreichen kann. Deshalb muss ich auch die Clubszene in Wien ansprechen: Manche haben diese Förderungen auf eine unlautere Weise verwendet. Die Idee war, das Geld für die Umsetzung kreativer Ideen einzusetzen, das Soundsystem zu erneuern oder den Locals mehr Geld zu zahlen – und nicht um andere mit internationalen Bookings zu überbieten.

Man hätte …

… es an die Sache binden müssen! Leider haben manche Schindluder damit getrieben. Das regt mich wirklich auf, vor allem weil die Szene – oder nennen wir es Wirtschaftsbranche – hätte profitieren können.

Es ist ein Spiegelbild der Szene. Nicht nur in Wien.

Das stimmt. Allerdings sehe ich, gerade wenn ich international unterwegs bin, noch schlimmere Missstände. Da verklagen sich die Leute zum Teil oder setzen Gewalt ein. In Wien passiert dir das nicht. In 13 Jahren Meat hat man mich ein einziges Mal vor meiner Haustür konfrontiert, weil die Person angefressen war über das, was ich öffentlich gesagt hab. Gleichzeitig ist schon klar: Die Wiener Szene ist keine, in der jeder mit jedem kooperiert. Ich nehme mich da nicht aus. Es gibt Leute, mit denen ich nicht zusammenarbeiten möchte, weil sie andere Werte vertreten. Schade ist aber, dass sich Leute, die dasselbe machen, gegenseitig nichts gönnen.

Und es werden mehr. Während Corona hat sich gefühlt jede:r zweite einen Controller ins Wohnzimmer gestellt, es drängen neue Leute in die Szene.

Es ist irre, wie viele neue Crews, Aktivistinnen und Aktivisten jetzt damit anfangen. Das habe ich mir immer gewünscht. Ich hätte mir aber erhofft, dass sie einen höheren Qualitätsanspruch an sich selbst stellen. Momentan gehen die meisten eher in Richtung Trash. Sogar Techno-DJs spielen auf einmal Hard Trance. Das verwundert mich insofern, als ich gedacht hätte: Wenn mich jemand herausfordert, dann deswegen, weil man mir ankreidet, dass die Musik, die ich spiele, nicht real genug wäre. Aktuell ist es genau umgekehrt. Meat sei zu steif, höre ich dann.

Hast du eine Idee, warum?

Die coolen, queeren, jungen Leute geben anscheinend einen Scheiß auf die Musik. Man will es laut und krachig haben. Das versteh ich nicht.

Ist das eine Sache des Alters?

Mag sein! Als ich jung war, wollte ich trotzdem keine Scheiße hören. Ich hab geschaut, welche Metal-Bands real sind. Ich hab einen Qualitätsanspruch oder zumindest ein Konzept gesucht. Deswegen weiß ich nicht, ob sich die Sache mit meinem Alter abtun lässt. Gleichzeitig bin ich – als jemand, der älter ist – nicht in der Position, diese Anschuldigung zu verneinen.

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Welche anderen Gründe führen die Leute an, wenn sie Meat als steif bezeichnen?

Momentan fordern mich viele Crews mit dem Awareness-Thema heraus. Das ist gerade die Hauptgeschichte in Wien. Ich will es aber nicht so wie andere Veranstalter:innen machen.

Wie meinst du das?

Es darf nicht im Vordergrund stehen. Natürlich soll die Andockstelle niederschwellig sein, aber ich will nicht, dass die Awareness-Leute im Club die Gäste verärgern. Ich geh in einen Club auch, um Gefahr zu erleben. Da können manche Momente grenzwertig sein. Sollte ich Hilfe brauchen, will ich zwar jemanden haben, den ich ansprechen kann – aber doch nicht davor!

Du meinst das proaktive Einschreiten, bevor etwas passiert ist.

Das wird von vielen Leuten offensichtlich erwartet! Ab den kommenden Veranstaltungen verstärke ich deshalb das Awareness-Team. Es werden zu jeder Zeit zwei Leute im Club erkennbar sein, sollte es Probleme geben. Sie bekommen von mir trotzdem die Anweisung, nur einzuschreiten, wenn es offenbar zu einer kritischen Situation kommt. Davor will ich es nicht! Sonst kommt es zu solchen Situationen, wie sie mir unlängst erzählt wurde: Ein Freund hat mit seiner Freundin einvernehmlichen Sex auf einer Veranstaltung. Der Awareness-Mensch kommt und fragt, ob eh alles ok sei. Bitte, in dem Moment geh ich doch nach Hause!

Die Party ist over.

Andererseits dürfte es bei Darkrooms, in denen Heteros zugelassen sind, notwendig sein. In 13 Jahren Meat Market hat sich noch nie ein schwuler Mann beschwert, dass er bedrängt worden ist. Hetero-Frauen melden sich zuletzt aber ständig. Aus diesem Grund sind die Darkrooms ab den kommenden Veranstaltungen nur noch für Männer offen, weil ich für die Sicherheit der Leute – oder das, was sie sich davon erwarten – nicht garantieren kann.

Liegt das Problem bei den Heteros?

In schwulen Darkrooms, wie ich sie kenne, holt man den Schwanz raus und geht herum, greift auch mal zu, aber stößt andere auch weg, wenn es zu weit geht.

Es ist eine andere Prämisse, oder? Heteros drängen in homosexuelle Bereiche vor, bei denen sie ihre eigenen Vorstellungen nicht ablegen, sondern auf den angeeigneten Bereich übertragen.

Das ist ganz schwierig, ja! Schließlich clasht es mit dem, was ich mir von einer Party erwarte. Ich muss inzwischen sogar auf meinen eigenen Partys aufpassen, weil: Wenn ich durch eine Menge von Leuten will, schieb ich sie ein bisserl auf die Seite. Dieses Körperliche ist für mich im Club normal, ich kenn es vom Fußball oder von Konzerten. Für manche ist es aber bereits eine Grenzüberschreitung. Die ist es für mich nicht. Schon gar keine sexuelle!

Offensichtlich gehen die Vorstellungen mancher immer weiter auseinander.

Ich frag mich, wieso das Berghain solche Diskussion nicht hat. Dort gibt es kein Awareness-Team, keinen Darkroom-Host … Man geht von einer anderen Prämisse aus. Jemand, der oder die das nicht will, hat das Recht darauf, soll es aber woanders suchen. Deswegen will ich nicht auf meine Grenzerfahrung verzichten.

Das passt nicht in jene Köpfe, die eine Grenzerfahrung von vornherein ausschließen. Dabei passiert das Spannende genau in den Schwellenbereichen. Wie lassen sich diese unterschiedlichen Vorstellungen zusammenbringen?

Ich kommuniziere das klar: Wir haben ein Awareness-Team, man erkennt sie deutlich. Unsere Partys sind aber keine spaßbefreiten, bürgerlichen Sicherheitsorgien. Wer sich unter dieser Voraussetzung nicht bei uns wohlfühlt, soll nicht mehr kommen. Schließlich versteh ich nicht, wie man von mir erwarten kann, meine Party zu verändern, wenn man auch andere Angebote nutzen kann, die den eigenen Erwartungen besser entsprechen.

Es wird moralisch aufgeladen. Auf einmal teilt man in gut und schlecht ein.

Ja, das ist schade, weil es heterosexuelle und non-binäre Menschen gibt, die sich ausgeschlossen fühlen, wenn ich ein men-only-Ding aus dem Darkroom mach. Anders geht es aber nicht. Sonst geht irgendwann jemand zur Zeitung und erzählt denen, bei meinen Partys würden systematisch Frauen angegriffen. Das ist Blödsinn, aber ich kann es nicht riskieren. Deshalb: Nur noch Männer im Darkroom, um die Sicherheit der Frauen zu gewährleisten. Außerdem hat Meat als Veranstaltungsreihe ursprünglich als Party für schwule Männer begonnen. Inzwischen kommen aber genauso viele Heteros. Wenn sich schwule Männer im Darkroom verhalten, wie sie sich im Darkroom verhalten, werden sie deshalb gejudged. Aus diesem Grund muss ich die schwulen Leute vor den Heteros schützen.

Du kannst ihnen die Bedingungen …

Es ist wie bei der Gentrifizierung von alternativen Stadtteilen, die auf einmal von bürgerlichen Schichten übernommen werden. Das ist ein Problem, aber nicht vermeidbar.

Man lebt eine Kultur, in die sich Außenstehende hineindrängen, gleichzeitig aber ihre Wertvorstellungen nicht anpassen, sondern der bestehenden Kultur aufdrängen.

Deshalb selektieren wir an der Tür. Bei der letzten Veranstaltung haben wir sicher 150 Leute weggeschickt …

Das kann man in Wien aber nicht konsequent machen.

Nicht so wie in Berlin, ja. Von denen, die es in Wien machen, bin ich aber am konsequentesten – einfach weil ich es mir leisten kann, 150 Leute wegzuschicken, während andere so tun, am Ende aber zwei Leute abweisen.

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Apropos es sich leisten können. Die Eintrittspreise steigen auch in Wiener Clubs. Barrierefrei ist anders.

Schwierige Sache, schließlich sollte der Eintrittspreis respektvoll gegenüber den Künstler:innen sein, die auftreten. Außerdem steigen die Kosten für Veranstalter:innen. In meinem Team arbeiten über 20 Leute, die ich fair bezahlen will. Ich hab mich zuletzt gewundert, als ich erfahren habe, dass viele Crews ihren Awareness-Teams nichts bezahlen. Für mich ist es selbstverständlich, dass diese Leute für diese Arbeit mit mindestens 20 Euro in der Stunde rausgehen. Dafür muss man an der Tür aber auch Geld nehmen.

Zahlen müssen die Konsument:innen.

Dazu stehe ich. Wenn ich auf 13 Jahre Meat Market zurückschaue, hab ich acht oder neun Jahre unter prekären Umständen gearbeitet. Mittlerweile weiß ich bereits beim Vorverkauf, dass sich die Party finanziert. Das ist ein Privileg, mit dem sich coole Dinge umsetzen lassen, sei es Platten zu produzieren, ein Studio aufzubauen oder hoffentlich bald eine Assistenz einzustellen. Schließlich will ich in meinem Leben ein Kind großziehen. Damit werde ich nicht mehr so oft im Club sein können.

Das hat aber prinzipiell nichts mit den Eintrittspreisen zu tun.

Wir halten es nach wie vor so: Jene, die den Eintritt nicht haben, können sich bei mir melden – das Angebot steht immer.

Du stehst auch selbst am Eingang und klebst die Handykameras ab.

Ich hüpf genauso über die DJ-Booth, wenn mich jemand beim Auflegen filmt! Was ich sage, versuche ich zu leben. Das ist nicht immer leicht, aber ich muss es tun, weil es etwas entgegenläuft, das mir in Wien extrem auf die Nerven geht: Aussagen treffen und dann nicht umsetzen. Dasselbe gilt für die Regel, keine Fotos zu machen. In Wien herrscht nach wie vor die Mentalität vor, dass es eh ein bisserl ok ist. Nein, ist es bei uns nicht. Deshalb sind wir die Kein-bisserl-Party!

Kein bisserl Kompromiss. Eh wichtig in der Sache!

Ich will keinen stocksteifen, bürgerlichen Touch – auch weil ich ihn nicht bieten kann. An mir ist nicht viel bürgerlich.

Trotz des Alters.

Ha, das ist aber das Einzige! Mein Lebensstil entspricht dem Mittelstand, unter bürgerlich versteh ich eher das Liberale …

Und die Einstellungssache.

Ja, es ist ein Mindset, das ich nicht habe.

Von Meat könntest du inzwischen leben, nehme ich an.

Ich könnte es bald hauptberuflich machen, was ich aber nicht will. Davor stelle ich jemanden halbtags ein und behalte meinen eigentlichen Beruf, weil er mir wichtig ist und mich erdet.

Abgesehen von Erdung: Unlängst erschien dein erstes Album 'Snacks'. Was hat dich geritten?

Ich sehe es als nächsten konsequenten Schritt und hoffe ehrlich, dass es mich an neue Orte bringt; dass es neue Leute anspricht in dieser Welt und dass ich dadurch in Städte komme, die ich noch nicht gesehen habe. Außerdem lassen sich im Rahmen des Formats Dinge umsetzen, die auf normalen Techno-EPs nicht funktionieren. Mindestens drei Songs würden eigentlich gar nicht passen …

Der Placebo-Track 'Every Me' …

Eher 'Gay Dad', 'Sail Away' und 'Wash Me'. Aber du hast schon recht, die Placebo-Gschicht ist Borderline.

Den spielt dann Héctor Oaks zur Peaktime.

Der hat einen eigenen Remix mit derselben Nummer gemacht – ein blöder Zufall. Ich hab ihm aber geschrieben, weil ich dachte, dass er mir bei der Lizenzierung helfen kann. Er hat nicht mal zurückgeschrieben.

Ein Mann …

… mit vielen Ecken und Kanten.

Von daher würde das zwischen euch eh gut passen!

Musikalisch aber weniger.

Weil: Anbiederung an das, was gerade geht?

Genau.

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In der Hinsicht bist du tatsächlich real geblieben. Die Platte hätte auch vor zehn Jahren auf Ostgut erscheinen können.

Dabei ist es schneller als die Tracks, die ich bisher produziert habe, weil: Nicht jeder Trend geht spurlos an mir vorbei. Solange man seinen Qualitätsanspruch nicht verliert und den Kern der Persönlichkeit behält, ist das aber ok.

Im Vergleich dazu schranzt es bei deinen Closing-Sets regelrecht.

Über 145 Beats in der Minute bin ich bisher trotzdem nicht gegangen. Allein schon, weil ich die Tracks dafür nicht hätte und zu sehr Soundästhet bin, um so hoch zu pitchen.

Vielleicht wirkt es schneller.

Es ist arg, wie subjektiv es teilweise ist. Ich schau immer, wie schnell die Leute auflegen – und liege manchmal meilenweit daneben. Trotzdem wird es auf Meat Records keine Hard-Trance-Scheibe geben. Es mag schneller werden, aber der Kern bleibt. Den eigenen Sound zu finden und ihn über Jahre zu verfolgen, das finde ich gut und respektiere ich.

Die Innovation in der Wiederholung?

Zu den Tracks, die ich bisher veröffentlicht habe – das erstreckt sich über einen Zeitraum mehrerer Jahre – stehe ich nach wie vor. Deshalb sage ich auch, dass es gut ist, bei einer Sache zu bleiben. Es kommen ohnehin neue Leute, die neue Ideen einbringen und einen in seiner Beständigkeit herausfordern. So entstehen neue Spielarten, das ist gut!

Es geht auch um die Legacy von Meat. Wie lange willst du noch machen, wie viele Jahre gehen sich noch aus?

Zehn auf jeden Fall! Boris [Resident im Berghain und häufig bei Meat gebucht, Anm.] ist ein paar Jahre älter als ich und auch nicht peinlich. Zu den Sets von Norman [Nodge, ebenfalls Berghain-Resident, Anm.] kommen inzwischen seine leiblichen Kinder. Trotzdem weiß ich, dass ich nicht so lange im Club stehen will, wie es manch andere tun. Ich werde Meat später eher betreuen, weiter in den Hintergrund treten …

Und ein Buch schreiben?

Das hab ich mir tatsächlich schon überlegt!

Die Memoiren des Gerald VDH.

Die Leiden des jungen Gerald VDH. Aber im Ernst: Wenn man so wenig liest wie ich, fände ich das schäbig.

Dabei gibst du dich doch so wortgewandt in deinen Telegram-Aussendungen.

Trotzdem bin ich in letzter Zeit unfassbar lesefaul. Ich kauf viele Bücher, leg sie aber nach 20 Seiten weg, weil ich mich an die schnelle Kommunikation gewöhnt habe. Reels auf Insta dauern eineinhalb Minuten und geben dem Hirn ständig neue Kicks, deshalb hat das Buch gerade keinen Platz in meinem Leben. In meiner Pension wird sich das dann ändern.

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