Musik zum Wochenende: Der Fall Donato Dozzy und Anfisa Letyago

Musik zum Wochenende: Der Fall Donato Dozzy und Anfisa Letyago

Features. 21. Oktober 2022 | 4,6 / 5,0

Geschrieben von:
Simon Ackers

  1. Da wurde doch geklaut! Behauptet zumindest die italienische Seite Soundwall, wenn es um Anfisa Letyagos neuesten Track 'Rosso Profondo' geht. Leidtragender sei Donato Dozzy, dessen Klassiker 'Parola' "schamlos" kopiert" wurde. Wir schauen uns einen der musikalisch haltlosesten Vorwürfe des Jahres mal genauer an.
  2. Normalerweise geht es in dieser Kolumne immer um schöne Musik, Empfehlungen und teilweise theoretische Hintergründe. Der Aufreger der Woche soll und kann aber nicht unkommentiert stehengelassen werden. Gemeint ist natürlich der Fall Anfisa Letyago und Donato Dozzy.

    Geklaut hat sie, die Anfisa! So behauptet es zumindest Damir Ivic von Soundwall. Nicht nur das, der Artikel geht gleich in die Vollen und holt zur großen Generalkritik aus. Unverschämt kopiert sei 'Rosso Profondo' und Anfisa Letyago Auswuchs des sogenannten Business Techno, die keinen Respekt vor großen Klassikern hat. Mangelnde Kreativität im Genre wird da bemängelt und es wird auch schon mit dem Richter argumentiert. Angesichts dieser Anklage muss es sich ja wirklich um einen ganz unverhohlenen Diebstahl handeln.

    Seltsamerweise aber, taucht in dem gesamten Artikel nicht ein einziges musikalisches Argument auf. Stattdessen gibt uns Ivic das klassische Social Media Totschlag-Argument: "google doch selbst!" bzw. in diesem Fall dann "hört doch selber hin!". Das ist, wenn man schon so große Anschuldigungen raushaut, nicht nur unsauber gearbeitet, sondern fast schon eine Frechheit. Aber wie dem auch sei, dann wollen wir mal unsere Ohren bemühen und hören... ja was denn eigentlich nun?

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    Im Grunde finden wir zunächst einmal zwei völlig verschiedene Tracks. Gemeinsam haben beide eine weibliche Stimme, die italienisch spricht. Das wird es doch wohl nicht gewesen sein? Schließlich spricht Soundwall doch von einer unverfrorenen Kopie. Also hören wir mal weiter rein. Donato Dozzys 'Parola' mit den Vocals von Anna Caragnano ist ein Klassiker des minimalistischen Technos. Der hypnotische Loop lebt von den prominenten Vocals, die mit einem polymetrischem 9/4 (oder 4/4 + 5/4) über den gradlinigen Beat schweben. Letyagos 'Rosso Profondo' ist dagegen ein wirkungsvoller Big Room Track. Ein paar Acid-Lines, raviger Bass und gehauchte Vocals, die die einzelnen Parts des Tracks verbinden. Ein bisschen Techno von der Stange, aber ganz nett.

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    Noch immer finden sich, bis auf die italienische Sprache, keine wirklichen Gemeinsamkeiten. Doch dann kommt die Stelle, die scheinbar so für Wut sorgte, dass man gleich einen ganzen Artikel dazu schreiben muss. Gegen Ende von 'Rosso Profondo' (3:27 beim YouTube-Beispiel), leitet Letyagos Stimme isoliert den darauffolgenden Drop ein. Acht Sekunden geht diese Stelle und allein diese kurze Dauer lässt doch schon ratlos zurück, wieso dafür ein so großes Fass aufgemacht wird. Aber Kraftwerk hat immerhin auch schon für weniger geklagt.

    Vier Takte lang spricht Letyago und (so die Vermutung meinerseits) scheint Soundwall sich an dem Rhythmus zu stören, der von Dozzys Track "geklaut" ist. Jetzt stellt sich natürlich wieder die Frage, ob man überhaupt im Techno beklagen muss, dass vermeintlich Rhythmen geklaut werden. Die andere wäre, ob das denn überhaupt stimmt.

    In 'Rosso Profondo' spricht Letyago an dieser Stelle in gradlinigen Triolen (ein gutes Mittel um diese zu verbalisieren ist das indische Konnokol. Dort werden Triolen mit TA -Ki - Ta verbalisiert. Die klare Betonung liegt vorne auf dem TA. Hierzulande bekommen Kinder es im Schlagzeugunterricht mit EIN - o- le/ ZWEI - o - le beigebracht).

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    Gradliniger als in 'Rosso Profondo' kann man Triolen auch kaum spielen und so ist auch der gesamte Track aufgebaut. Big Room Techno, weitestgehend frei von Swing, der von der ersten bis zur letzten Sekunde durchpowert. 'Parola' dagegen erinnert an 'Clave-Rhythmen' wie man sie beispielsweise von den vielen vielen Dixon Tracks kennt (verbalisiert am ehesten mit einem DAM - dada - DAM).

    Jetzt könnte man meinen, dass es sich hier lediglich um eine Kleinigkeit handelt. Solche rhythmischen Entscheidungen haben allerdings fundamentale Auswirkungen, die sich vor allem in Dance Music am offensichtlichsten zeigen. So wirken sich beide Lieder grundlegend anders auf unseren Körper aus. 'Rosso Profondo' produziert zackige, grade Bewegungen (oder auch das gute alte Big Room Stampfen), während 'Parola' gleitende, wellige Bewegungen erzeugt.

    Wie man nun angesichts solch doch deutlich unterschiedlicher Lieder darauf kommt, einen so wütenden Artikel ins Netz zu stellen, bleibt ein Rätsel. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass man im ersten Moment die Assoziation hat. Wer aber Plagiatsvorwürfe mit so einer Vehemenz äußert, sollte zumindest ein paar Argumente hervorbringen. So bleibt nun ein Vorwurf im Raum, der schlicht Schaden an Anfisa Letyago hinterlässt und sich eher wie eine persönliche Kränkung des Soundwall-Autors liest, der eines seiner Lieblingslieder verteidigen will. Dass sich Donato Dozzy, dem ich mal gute Ohren attestiere, sich dann auch nur so halb von diesen Vorwürfen distanziert und weiter Raum für die Kritik lässt, ist schon ziemlich enttäuschend.

Veröffentlicht in Features und getaggt mit Anfisa Letyago , Anna Caragnano , Donato Dozzy , Musik zum Wochenende , Parola , Plagiat , Rosso Profondo , Soundwall

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