Es knistert im Unterholz. Wolfgang Voigt, der Professor für Beats aus der Botanik mit einem Hang zur romantischen Gedichtanalyse, lässt wieder Fichtennadeln auf den Dancefloor rieseln. 'Der Lange Marsch' ist das siebte Album, das der Kompakt-Kölner unter seinem Pseudonym GAS veröffentlicht. Nach 'Rausch', das 2018 erschien, schlägt man sich einmal mehr durchs Gestrüpp, wenn Polka für den Waldmenschen aus dem Baumstumpf poltert. „Ohne Anfang, ohne Ende“, wie in den Liner-Notes zu lesen ist.
Der „Waldloop“, um den Voigt seit Ende der 90er kreiselt, ist der Ring des Nibelungen in der Interpretation für Menschen, die im Atonal-Shirt zur Weihnachtsfeier aufkreuzen. Wer GAS hört, träumt von Wagner als Oper im Moosbett, einer „Waldküre“ zwischen Kerbholz, Kuckuck und Kastanienbaum. Während die Basstrommel im Stechschritt über die Lichtung stolziert, wandern Pauken und Trompeten, Streicher und Macheten tiefer ins Gebüsch. Das Symphonieorchester des Zauberbergs sammelt Tannenzäpfle, manchmal bläst ein einsames Waldhorn zum Sturm auf Hans Zimmer. Sogar der Caretaker raschelt im vierten Abschnitt des Marsches durch den Laubhaufen, als studierte er die gesammelten Werke von Hölderlin im Rhythmus des Königsforst – 120 Beats und es wird noch heißer!
GAS springt in den Spagat zwischen Klassikkonzert und Techno-Tamtam. Die Hofratswitwe, die am Sonntag im Musikverein bei Thielemann aus der Orangenhaut fährt, stolpert im Wald-und-Wiesen-Loop von Voigt genauso übers Wurzelgemüse wie 22-jährige Daytime-Kiffer, die für ihre Philo-Prüfung auf keinen Fall ihre Spotify-Wrapped-Listen zerschießen wollen. GAS ist Musik zum Herzeigen. Eine Projektionsfläche für die Bodenkultur. Techno aus der Natur, die Natur im Techno. Man braucht nicht viel, um sich vorzustellen, damit die Salomon-Wanderschuhe an die Füße zu schrauben – und einfach nur drauflos zu marschieren.
Schließlich ist „Der Lange Marsch“ nichts anderes als der Lockdown-Spaziergang im Großstadtdschungel, bei dem der Weg zum Ziel wird. Das mag nach Heckscheibe von VW-Bussen aus Hippie-Hipsterhausen klingen. Ist aber das Reinheitsgebot des langen Marsches. Deshalb hört sich das Album wie eine Zusammenfassung des Voigtschen GAS-Projekts an. Der „Königsforst“ bebt zum „Narkopop“, der „Zauberberg“ geht auf im „Rausch“. „Pop“ liegt in der Luft wie der Duft von Kiefernholz in der Gartensauna. Außerdem haben die elf Unterteilungen, die man sich wie immer ex und in einem Rutsch in die Noise-Cancelling-Kopfhörer knallen sollte, mit einer Laufzeit von etwas über einer Stunde genau die richtige Länge – um nach getanem Marsch zum Jagertee zu blasen.
Wolfgang Voigt schleppt für dieses Album noch einmal die Streicher in den Techno, um den Kitsch aus der Romantik zu pulen. Der Wald wird tiefer, die Frage größer: War man hier nicht schon einmal? An dieser Gabelung, diesem Weg, diesem Baumstumpf? Dann holpert die Bassdrum übers Gebälk, das Knistern wird zum Lodern. Am Ende bleibt nur der lange Marsch durchs Unterholz. Oder wie GAS sagt: „Glaub mir, da ist nichts.“
'Der Lange Marsch' ist am 03.12.2021 auf Kompakt erschienen.
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1 Kommentare zu "Review: GAS – Der Lange Marsch [Kompakt]"
Hmm, die haben das bei Spotify und co vermurkst.
Dort fadet jeder Track Ende aus. :(
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