Review: Jon Hopkins – Music For Psychedelic Therapy [Domino Records]

Review: Jon Hopkins – Music For Psychedelic Therapy [Domino Records]

Features. 21. November 2021 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Tim Tschentscher

Zweifelsohne ist Musik als Heilmethode mehr als alternativer Hokuspokus. Musiktherapie setzt bei der Behandlung von erkrankten Psychen da an, wo herkömmliche medizinische Maßnahmen in Handlungsnot geraten. Mit seinem sechsten Studioalbum bietet der britische Musiker Jon Hopkins dem Publikum eine solche Art Therapie. Zumindest ist 'Music For Psychedelic Therapy' vom Konzept inspiriert, Gedankenprozesse im Unterbewusstsein durch Klänge zu aktivieren. Die Platte ist Hopkins bis dato größter Stilbruch in seiner Diskographie: Gänzlich ohne Kicks und Percussions nehmen die Stücke neue Farben an und wirken beeindruckend schön – wenn man einen Zugang dazu findet.

2018 besuchte Hopkins in Ecuador ein historisches Höhlensystem der Tayos-Indianer, ein imposantes Ausflugsziel mit großer Geschichte. Den Kurztrip verbuchte Hopkins im Nachtrag als einschneidendes Erlebnis und sah es als Inspiration für jenes Album. Das mag fürs Erste reichlich klischeehaft klingen, ist aber zumindest der erklärte Auslöser für die Neuausrichtung seiner kreativen Kompassnadel. Hopkins ist jetzt vollständig im Ambient angekommen. Wichtige Randnotiz: Die Platte will sich am Verlauf eines Ketamin-Trips orientieren.

Entsprechend linear ist der Hörfluss. Die Stücke gehen nahtlos ineinander über und erzählen einen dramaturgisch eng verzahnten Spannungsbogen. Knapp wiedergegeben: Es geht um Selbstaktivierung, Konflikt, Resilienz, Ankunft und Akzeptanz. Die Platte startet mit einem spitzen Klang, der sich trichterförmig verdimensioniert. Man wird geradezu reingezogen in den Sound-Sog. Das Ganze klingt zunächst noch stark nach New Age. Lange Flächen werden abgelöst von rauschendem Wasser.

In 'Tayos Caves, Ecuador I' wirbelt ein Heulschlauch gelegentlich auf, fällt aber in einer Kulisse von Regengeräuschen eher in den Hintergrund. Einem Soundtagebuch gleich nimmt Hopkins die Hörer:innen mittels Field-Recordings mit in sein Höhlenszenario. 'Tayos Caves, Ecuador II' hält den spirituellen Moment aufrecht, fügt aber etwas unheimlich anmutende Drones hinzu, die Bilder von Dunkelheit und Kälte erzeugen. In 'Tayos Caves, Ecuador III' wirken dann eher aufweckende Kräfte. Da sind quietschende Vögel weit verhallt in einem angedeuteten Walddickicht. Man fühlt sich, als ginge man auf eine Lichtung zu.

Ab 'Love Flows Over Us In Prismatic Waves' verliert sich dann ein wenig der Fokus. Stehende Töne verformen sich zu einem langen Klangteppich. Man steckt voll drin in der Immersion, 'Deep In The Glowing Heart' schließt unmittelbar an. Das vorherige kurz düstere Abtauchen löst sich gemäß des Titels 'Ascending, Dawn Sky' vollständig in Glanz auf. Es scheint, als tauche man in gleißend helles Licht ein. Der Übergang zu 'Arriving' fließt. Eine warme mutterartige Stimme summt ein Geborgenheitsgefühl. Man fühlt sich als Hörer:inr wahrgenommen. Sanftes Bachrauschen kommt hinzu, ein Uhu ruft.

Der Closer 'Sit Around The Fire' könnte klangästhetisch einer Giegling-Platte entstammen: Analoges Rauschen, ein etwas schrammelig aufgenommener Monolog, dazu tiefgreifend sakrale Piano-Keys. Das Weltliche wird himmlisch, das Himmlische wird weltlich. So erhaben muss man es wohl formulieren. Die Aufnahme lässt den 2019 verstorbenen Hinduismus-Guru Ram Dass sprechen. Das Ganze wirkt zeremoniös.

Das Schöne an 'Music For Psychedelic Therapy' ist die recht undogmatische Sprache. Das Album tanzt nicht so auf der Nase herum und lässt vor allem im Mittelteil Freiräume, um eigene Interpretationen finden zu können. Das ist ohnehin das Schöne am Ambient-Genre: Entkoppelt von sämtlichen Funktionen steht Ambient für die vermutlich reinste Form von musikalischer Freiheit. Hopkins ist hier ein großes Album gelungen. Die Voraussetzung für das Erleben ist die Bereitschaft, sich fallen zu lassen.

Die Platte birgt keine großen Überraschungen, wirkt nicht überladen und ist sich seiner selbstgegebenen Verantwortung als Tripbegleiter sehr wohl bewusst. Hopkins will in Watte packen, einen sonischen Safespace schaffen. Da darf es keine pieksigen Kanten geben, nichts, was stören könnte. Glatt ist es wohl, aber nicht kitschig. Das Therapeutische darin ist der auflösende Moment, dem man sich nur schwer entziehen kann. Man kapiert dieses Album, ohne eine große spirituelle Ader haben zu müssen.

’Music For Psychedelic Therapy’ ist am 12.11.2021 auf Domino Records erschienen.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Spotify. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Veröffentlicht in Features und getaggt mit Domino Records , Jon Hopkins , Ketamin , Music for Psychedelic Therapy

Deine
Meinung:
Review: Jon Hopkins – Music For Psychedelic Therapy [Domino Records]

Wie findest Du den Artikel?

ø: