Tripbericht: Stone Techno 2023 – Alles war so geil bis jetzt

Tripbericht: Stone Techno 2023 – Alles war so geil bis jetzt

Features. 15. Juli 2023 | 4,3 / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Scheiße ist das heiß, sagt die Handyapp. Der Ruhrpott glüht – 33 Grad im Schatten. Und in der Zeche rumst es, als hätte man hier vor drei Jahrzehnten nicht schichtgeschachtet. Aber die Maschinen ruhen natürlich. Kein Dampf, kein Koks, kein Untertagebau. Für den Radau sorgt jetzt ein Techno-Festival. Das hat seinen Namen ausnahmsweise verdient. Und zwar nicht nur wegen des Geländes, das als riesige Industriebrache wie Disneyland für Lost-Place-Junkies rüberkommt. Auf dem Line-up stehen die Allstars dreier Klubnächte. Das gefällt den Leuten, die Techno feiern. Deshalb kommen sehr viele, mindestens ein paar Tausend, zur zweiten Ausgabe des Stone Techno.

Am Hauptbahnhof in Essen, wo nachts die Libanesen ihre S-Klassen knatternd über den Asphalt kurven, quetscht sich der ausgesuchte Fachhandel für Fetischkleidung in den Bus. Die Zeche liegt weiter draußen, im Norden der Stadt, dorthin kann man bei der Hitze unmöglich zu Fuß gehen. Manche tun sich in ihren Hochofen-hohen Absätzen so schon schwer genug. Deshalb fahren alle. Das klappt sehr gut. Und dann steht man mit Blasenpflastern vor dem Eingang der Zeche, wo in großen Bergbau-Buchstaben Zollverein draufsteht und alle machen ein Foto, das gehört ja dazu.

Bis zur Kokerei sind es noch ein paar Minuten, man hört es schon. Die Leute folgen also den Sirenen und sprechen dabei viele Sprachen. 60 Prozent sind hier Holländer, sagt ein Deutscher. Und die Holländer sagen, na ja, das könnte stimmen. Ist jedenfalls nicht weit. 60 Kilometer sind es nur bis zur Grenze, das geht sich sogar mit dem Fahrrad aus. Die meisten haben aber zu viel Zeug dabei, um sich das Gestrampel anzutun, also doch lieber Autobahn und Klimaanlage. Gerade bei der Affenhitze muss man es halt echt nicht übertreiben.

Die falschen Kristalle

Cardio machen hier trotzdem alle. Die einen schwitzen schon zu Mittag unter der Sonne neben den vielen Subwoofern, die auf vier Floors pumpend für Durchzug sorgen. Die anderen suchen sich im Schatten der Koksöfen ein Plätzchen zum Ballern. Irgendein Freelancer aus Berlin kommt gerade von irgendwas raus oder runter und findet das schonmal sehr geil. "Techno kommt ja aus Dresden", weiß der Naseweis genau. "Aber bei denen da im Pott kommt die Mukke auch ganz geil."

Und das ist schon eine geile Untertreibung. Hätte sich Ahmet Sisman, der Third-Room-Ruhrpottler nicht während der Pandemie mit dem Ruhrmuseum der Zeche zusammengetan, um dieses Festival aus dem geschürften Kohleboden zu stampfen – viele wären wohl nie nach Essen gefahren. Und das wäre ziemlich schade gewesen. Schließlich ist die Zeche UNESCO-Weltkulturerbe. Wer das Ding mal in seiner ganzen Industriepatina gesehen hat, weiß zwar nicht automatisch, warum hier überall Rohre rumhängen und Öfen in den strahlend blauen Himmel ragen. Dass Techno aber hervorragend inmitten von Stahl und Beton und dem ganzen Fabriksanlagenchic von 150 Jahre Untertagebau funktioniert, checken alle.

Außerdem stellt die Ruhruni unter Partyzelten extra ein paar Poster zur Erklärung aus. Irgendwas mit Kristallen, leider die Falschen. Deshalb bleibt der Andrang so überschaubar wie beim Stand einer Tabakerhitzerfirma, weil: Wenn schon verbrennen, dann lieber am Pool des Werksschwimmbads. Der ist übrigens kein Mythos, den gibt es tatsächlich. Und das ist, man will es gar nicht sagen, nach ein bisschen Kokerei in der gleißenden Nachmittagssonne so ziemlich das Beste, was man auf einem Techno-Festival anbieten kann – außer vielleicht Gratis-Eis beim Arte-Bus.

Apropos Arte. Der Kultursender filmt nach den sehr guten Aufnahmen von letztem Jahr wieder mit. Und die Idee kann einen schon ein bisschen faszinieren, denn: Dass sich einige Kameraleute mit riesigen Kameras durch die Menge zwängen und draufhalten, während ein paar Hundert Menschen komplett drauf sind, darauf muss man erstmal kommen. Wie auch immer das zustande kommt, man wünscht den Sendungsverantwortlichen schon jetzt viel Spaß bei der Sichtung dieser subkulturellen Sternstunde des Mischkonsums.

Denn die Leute schmeißen hier viel und alles. Das ist bei Techno nun auch keine Überraschung, dafür muss man ja nicht erst nach Essen auf ein Festival fahren. Außerdem will man nicht wie Opa Hans rumnörgeln, vor allem weil man ja selber auch kein "Kind von Traurigkeit" ist, wie das einer der älteren Raver am Stone ganz gut zusammenfasst. Trotzdem kommt jetzt das Aber und sorry, call me conservative, aber wenn einem die 19-jährige Abiabsolventin (2,2er-Schnitt, Gratulation!) mit der Zusammensetzung von Designer-Cocktails volllabert und dabei mehr Zahlen als Buchstaben verwendet, könnte man sich schon mal fragen, worum es bei der Sache noch geht. Um Techno? Bestimmt. Stimmen muss dabei halt vor allem die Chemie, weil ohne? Geht’s für manche eher nicht.

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Yallah, yallah!

Dann legt aber schon JakoJako auf und weil die sehr gut auflegt in ihren Plateau-Crocs, wird ihr Floor zur Arena. Die Leute tanzen – und das ist besonders geil beim Stone Techno – nicht nur vor ihr, sondern auch hinter ihr, was bedeutet, dass eine Seite immer auch die andere sieht und umgekehrt. Macht richtig Bock und geht so ähnlich auf allen vier Floors. Beim sogenannten Eisbahn-Floor, in der Mitte des Geländes, funktioniert das aber besonders gut, weil die Anlage von beiden Seiten reinbrettert. Dadurch kommt man sich ein bisschen wie beim Tauziehen vor – ohne Seil zwar, an dem man zieht, dafür mit ordentlich Gestampfe, das einen nach vorne schiebt.

Und darum geht’s hier ja: anschieben, aufgeht’s, yallah! Wer wie ein paar besorgte Kulturpessimisten (es sind halt leider immer die Männer) noch immer rumheult, dass Techno von den, ja ja, Britney-Spears-Edits durchseucht werde, lasse sich am Stone Techno vom Gegenteil überzeugen. Techno geht’s nämlich hervorragend. Er prescht vor. Er knallt drauf. Aber von "Trash-Pop und Trance", wie das Deutschlands Branchenmagazin für elektronische Musik und Clubkultur auf seine Titelseite gepackt hat, ist man hier in Essen so weit entfernt wie das Festival von einem funktionierenden Pfandsystem.

Dem generellen Vorwärts-Vibe können auch Ausreißerinnen wie DJ Gigola mit ihrem Kirmes-approvten Autoscooter-Geballer nichts anhaben. Denn wer das länger als zehn Minuten aushält, ist unter 24 und checkt sich die Dance-Moves von TikTok, also ist das schon OK, weil das hält die gern zitierte Szene auch aus: die Kids mit ihren Handys bei Gigola. Und deren Eltern bei arrivierten Langstreckensaboteuren wie Freddy K, der den Samstag mit einem Set abschließt, für das manche – Arte sei dank – später nochmal alle Speedlöffelchen abschlecken werden.

Übrigens. Mitternacht ist Schluss, die Mehrheit aber gut drauf. Afterparty? Gibt’s keine. Zumindest nix Offizielles. Schadeschokolade, alles war doch grad so geil bis jetzt. Aber hey, von ein paar habe man gehört, in Wuppertal geht jetzt gleich noch privat was, aber das ist schon eine ziemliche Scheißidee. Also lieber doch ins Hotel? Safe. Aber wie? Irgendwo fährt doch ein Shuttle? Na ja, keine Ahnung. Vielleicht Uber? Sauteuer wegen dieser Smag-Sundance-Kacke! Dann lieber gehen, bis wir ein Taxi finden? Ja, cool. Aber keines hält an. Irgendwann doch. Halb 3. Hauptbahnhof. "Hast du eigentlich noch was zu ziehen?"

Zum Pathos peitschen

Wer am zweiten Tag wiederkommt, hat den ersten überstanden. Der Wetterfrosch bringt Regen, aber erst später. Und das könne ja jeder sagen, außerdem dürfe man Google bei der Sache sicher nicht vertrauen, nur dieser einen dänischen App, die liege immer richtig, sagt jedenfalls die kroatische Busfreundschaft. Und als es dann doch regnet, nein: blitzt und donnert und stürmt, flüchten halbnackte Harness-Hannahs, Lederjacken-Liams und oberkörperfreie Gym-Bros von rollenden Kicks über die längste Rolltreppe Deutschlands ins Ruhrmuseum.

Dort ist es trocken. Dort gibt es was zu trinken. Bis es dann nichts mehr zu trinken gibt. Und alle nur rumsitzen und Ballertechno auf ihren Handys zocken, während manche auf der Toilette verschwinden, um "endlich mal 2CB" zu schmeißen", weil, na ja, "jetzt ist auch schon alles scheißegal", wie einer der Securitys vom Stone Techno später die Lage resümiert. Denn irgendwann ist der Regen vorbei und alle kommen zurück, aufs Gelände, zur Kokerei. Schließlich wird man die Techno-Kids nicht so einfach los. Die Drogen müssen genommen werden. Da ist schon Schlimmeres passiert als das bisschen Schlamm auf den Doc Martens.

Als Anastasia Kristensen und Nadia Struiwigh ihre Sets zusammenlegen und die Subwoofer wieder ausatmen, gehen die Hände hoch. Jubel, Trubel, Gänsehaut! Ganz klar: Das sind die Momente, für die man Pathos erfunden hat. Das kann man niemandem erklären, das muss man erleben. Techno ist immer dann die einfachste Sache der Welt, wenn man nichts hinterfragt. Und das macht hier niemand mehr. Alle wollen jetzt nochmal. Die paar Stunden. Bis zum Schluss.

Um 12 steht die Zeche still. Irgendwie sind alle froh. Zwei Tage überstanden. Das war schon wieder was. Vor allem geil, wenn man auf Techno steht oder genügend Teile dabei hatte. Aber auch eine "organisatorische Scheiße", wie es mein Busnachbar ausgedrückt. "Hat er nicht ganz unrecht", meint ein anderer. Na ja. Dass der Sound nicht immer super war, dass man ein beschissenes Getränkesystem verwendet und keine Afterparty organisiert hat, sind schon faire Argumente. "Aber Aldda, das ist eben der Pott und nicht Berlin!"

Veröffentlicht in Features und getaggt mit Ahmet Sisman , Anastasia Kristensen , Arte , DJ Gigola , Essen , JakoJako , Nadia Struiwigh , Stone Techno , The Third Room , Zeche Zollverein

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