Up and Coming: Lucinee – von Online-Präsenz & Corona-Umbrüchen
© Borys Las-Opolski

Up and Coming: Lucinee – von Online-Präsenz & Corona-Umbrüchen

Features. 2. Juni 2021 | / 5,0

Geschrieben von:
Nastassja von der Weiden

Lucinee ist DJ und Producerin, Resident des PAL-Clubs in Hamburg und eine zunehmend sichtbare Akteurin der deutschen Technolandschaft. Streamen, releasen und DJ-Sets aufnehmen. Im Interview erzählt sie, was sie während der Coronakrise neu probiert hat, warum es sie währenddessen zurück nach Berlin zog und wie es ist, vor einer Kamera und ohne Publikum aufzulegen. Und: Warum es für ihre aktuelle EP „We Trip And Roll“ kein passenderes Label als Voxnox gibt.

DJ LAB: Erzähl doch erst einmal von dir – du bist DJ und Producerin und bist gerade von Hamburg, wo du mir immer wieder im Zusammenhang mit dem PAL aufgefallen bist, nach Berlin gezogen. Du legst seit vielen Jahren auf; wie lange produzierst du schon?

Lucinee: Angefangen habe ich mit dem Auflegen 2013 – das hat sich damals alles sehr organisch entwickelt, denn ich hatte viele Freunde, die Partys veranstaltet haben oder auch aufgelegt haben. Und da habe ich anfangs einfach mitgeholfen und an der Bar gearbeitet. Manchmal habe ich auch aufgelegt, zum Beispiel bei Afterhours. Das hat mir gleich Spaß gemacht und Freunde von mir hatten eine regelmäßige Partyreihe im Fundbüro in Hamburg, wo ich dann 2014 das erste Mal im Club aufgelegt habe. Ende 2017 habe ich dann angefangen zu produzieren. Das kreative Arbeiten reizte mich und ich wollte mehr über Synthese und Sound Engineering lernen. Mein Freund Luca (Lifka), der auch DJ und Produzent ist, hat mir anfangs viel geholfen. Da ich mit Hardware angefangen habe zu produzieren, konnte er mir gleich alle meine Fragen beantworten. Mittlerweile fragt er mich (lacht).

Was hat dich dazu bewogen, von Hamburg nach Berlin zu ziehen? Gab es da Überlegungen, die mit deiner Musik-Karriere zusammenhängen?

Lucinee: Ich wollte immer nach Berlin zurück, ich bin hier geboren. Damals sind meine Eltern nach Hamburg gezogen und nach dem Abi habe ich dann auch angefangen in Hamburg zu studieren, obwohl ich schon zu dieser Zeit eigentlich wieder nach Berlin wollte. Im Lockdown hat sich dann der Umzug ergeben, da ich viel Leerlauf hatte. Dieser Stillstand hat sich super für einen Umzug angeboten – und viele dachten sowieso schon, dass ich in Berlin lebe, da ich die letzten drei Jahre sehr regelmäßig immer wieder in Berlin gespielt habe. Letztlich habe ich mich dann dazu entschieden, zurückzukommen. Und die Musikszene in Berlin ist viel facettenreicher als in Hamburg – in Hamburg gibt es unter anderem das PAL und ich bin sehr dankbar, dass ich dort meine Residency habe und meine sexpositive Partyreihe NACCT zusammen mit meinem Freund Gordon aka At.Avem veranstalten kann. Aber meine Agentur und das Label Voxnox, bei dem ich jetzt wieder release, sind beide in Berlin und ich glaube, dass es ein großer Vorteil ist, wenn ich dann auch einfach vor Ort bin. Das PAL wird natürlich weiterhin meine geliebte Homebase in Hamburg bleiben und meine Residency bleibt bestehen.

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Du hast schon einige Releases hinter dir. Welche sind dir da noch besonders in Erinnerung?

Lucinee: Auf jeden Fall das erste Release! Das war im Januar 2019, bei dem Hamburger Label Snork Enterprises, auf Vinyl. Das Label kam damals auf mich zu, obwohl ich zu dieser Zeit noch nie etwas releast hatte – sie hatten nur mitbekommen, dass ich angefangen habe Musik zu produzieren. Das war ein großer Vertrauensbeweis und das wird immer besonders für mich sein.

Du hast seit Kurzem noch ein Alias, DJ Dripcore. Was hat es damit auf sich?

Lucinee: Das ist auch im Zuge des letzten Corona-Jahres entstanden, als ich einfach mehr Zeit hatte. Ich glaube, das wäre nicht passiert, wenn der Lockdown nicht gewesen wäre. Davor habe ich fast jedes Wochenende aufgelegt und hätte wohl nicht die Zeit für ein zweites Projekt gehabt. Ich mag neben dem Techno, den ich als Lucinee spiele, auch andere Genres und habe noch andere Vorlieben – ich hätte das nur niemals vermischt, etwas völlig anderes als Lucinee zu spielen. Manche machen das zwar, aber ich finde das nicht so cool. Und dann kam die Idee, unter einem anderen Namen eben diese Sachen zu spielen, zum Beispiel Electro und EBM. Ich mache damit mal was ganz anderes, mit einem neuen Style. Das alles ist mehr oder weniger in einer Bier-Runde entstanden, auch der Name – Freunde von mir hatten einen freien Slot in ihrer Radioshow und das habe ich dann als Anlass genommen, den Part unter meinem neuen Alias zu machen. Solange ich die Zeit habe, mache ich das auf jeden Fall weiter und möchte auch gerne unter diesem Namen mal auf einer Party spielen.

Du bist auch während Corona sehr präsent, legst regelmäßig bei Streams und digitalen Veranstaltungen auf, zum Beispiel bei HÖR, United We Stream oder dem Krake-Festival. Wie ist dein Gefühl, wenn du ohne Publikum auflegst?

Lucinee: Gerade am Anfang war es sehr, sehr gewöhnungsbedürftig. Das Feedback und die Energie der Menschen, die vor dir tanzen, fehlen einfach komplett – also genau das, warum ich gerne auflege: diese Verschmelzung, diese Euphorie. Das ist alles weg. Man will natürlich genauso gut abliefern wie früher im Club und das baut einen enormen Druck auf – auch die Situation, dass alles gefilmt wird. Vor allem bei HÖR war es schwierig, weil man da wirklich alleine in einem Raum steht. Beim Krake-Festival oder bei United We Stream war eine kleine Gruppe Menschen von der Produktion anwesend – davor und danach konnte man anstoßen und hatte Spaß zusammen. Das ist für mich das Schönste an Streams, dass man eben diesen Moment mit Leuten hat, diese Gesellschaft. Auch an die Kamera gewöhnt man sich, das ist besser geworden – aber ich merke eben, dass es langsam ermüdend wird. Es gibt nur derzeit nichts anderes und man will nicht von der Bildfläche verschwinden.

In dieser Zeit, in der Sichtbarkeit nur noch online "passiert", wie wichtig ist es da, als Künstler:in bei Instagram und Co. aktiv zu sein? Hat sich deine Online-Präsenz seit Corona verändert?

Lucinee: Online-Präsenz ist natürlich wichtig. Wer ein gutes Standing hat oder schon sehr bekannt ist, kann vielleicht auch mal ein halbes Jahr inaktiv sein, das macht dann nichts. Ich habe aber auch Lust, aktiv zu sein und zu bleiben. Mir tut das sehr gut, bei Streams und Podcasts dabei zu sein. Facebook und Instagram nutze ich, um zu connecten und ich nutze es wirklich nur dann, wenn ich Lust habe; da ist kein Zwang dabei. Und dann macht es mir auch Freude, etwas zu posten. Ich kann aber verstehen, dass es Künstlerinnen und Künstlern schwerfällt, die damit nicht so viel anfangen können.

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Lass uns über dein Release beim Berliner Label Voxnox sprechen. Wie lange hast du an deiner EP „We Trip And Roll“ gearbeitet?

Lucinee: Fabio, einer der Labelinhaber von Voxnox, hat mich dazu eingeladen. Das war Anfang 2020, noch am Anfang unserer Zusammenarbeit. Das war eine große Ehre für mich und sehr motivierend – ich kenne und mag das Label schon länger. Man merkt bei Voxnox, dass dort viel Liebe zum Detail in jedem Release steckt und sie sehr professionell arbeiten. Das ist nicht selbstverständlich, es gibt auch Labels, die nur das Nötigste machen. Voxnox hat mich dagegen sehr gepusht – ich habe Tracks von mir eingeschickt und die wurden nicht wie sonst einfach direkt genommen, sondern wir waren im ständigen Austausch und ich habe Fabio nach und nach neue Tracks geschickt. Das hat mich in jedem Fall herausgefordert. Bis wir zufrieden waren, hat es dann noch einige Zeit gedauert; bis Ende des letzten Sommers haben wir noch an der EP, also am ganzen Konzept, gemeinsam gearbeitet: vom Artwork über die Remixe bis hin zum Merchandise. Eigentlich war die Veröffentlichung für Herbst geplant, aber jetzt im Sommer passt es von den Tracks noch besser.

Zu welcher Zeit, an welchem Ort sollten wir deinen Track „We Trip And Roll“ hören? Auf einem Open Air, bei einer Afterhour in der Küche, zur Peak-Time vorne links im PAL?

Lucinee: Im besten Fall überall (lacht). Der Track gehört überall hin. Aber natürlich wünsche ich mir, dass ich ihn auch mal selbst auf der Tanzfläche hören kann, am liebsten draußen.

Die Remixe stammen von Wallis und MRD. Wieso hast du diese beiden Künstler:innen ausgesucht und wie kam der Kontakt zustande?

Lucinee: Beide kenne ich schon länger – der Kontakt war also schon da. MRD hatte ich ursprünglich für meine NACCT-Party im PAL gebucht, die kurz vor dem ersten Lockdown im März 2020 hätte stattfinden sollen. Ich hatte ihn eingeladen und einen Tag vor der Party wurde leider alles gecancelt. Ich schätze ihn als Mensch und als Künstler sehr und freute mich natürlich riesig, dass er für den Remix direkt zugesagt hat. Wallis habe ich 2018 auf dem Monis Rache Festival kennengelernt, dort haben wir auf derselben Bühne gespielt. Sie ist eine sehr talentierte Produzentin und ich finde es sehr cool, dass sie vom Style etwas anderes mitbringt, sie ist sehr Industrial-geprägt. Von beiden weiß ich, wie sie arbeiten und dass sie alles selbst machen. Auch das ist leider keine Selbstverständlichkeit – und das ist mir sehr wichtig.

Noch eine letzte, große Frage: Welche Hoffnungen hast du für die Zukunft der Clubkultur, post-Corona?

Lucinee: Ich habe die Hoffnung, dass es bald wieder möglich ist, sorgenlos und ausgelassen miteinander zu feiern und dass die Clubs diese Zeit durchstehen, um wieder öffnen zu können. Hier in Berlin gibt es ja zum Beispiel die Clubcommission, die durch ihre großartige Arbeit die Bedingungen für den Erhalt der Berliner Clubkultur schafft, sich für Awareness und Diversity einsetzt und als Sprachrohr der Clubszene fungiert. Ich würde mich freuen, wenn die Clubszene wieder politischer wird, es also nicht nur um den reinen Spaß geht, sondern wieder mehr Bewusstsein da ist, wofür Techno eigentlich steht. Für mich gehört Politik zu Clubkultur dazu. Denn Techno ist progressiv, queer, feministisch, antirassistisch und inklusiv.

Lucinees Mix kommt übrigens mit einem noch unreleasten Track, eine Kollaboration mit Lifka, für euch daher. Bald werden wir sie wieder bei HÖR sehen – und irgendwann sicher auch wieder im PAL. Das steht fest. Enjoy:

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