ANZEIGE
FLINTA* in der DJ-Branche: Herausforderungen und Chancen

FLINTA* in der DJ-Branche: Herausforderungen und Chancen

Features. 26. Oktober 2025 | 2,0 / 5,0

Geschrieben von:
Jacob Runge

Techno, House, elektronische Musik — seit jeher stehen sie für Inklusion, Diversität und Toleranz. Doch was vorne auf dem Dancefloor getanzt wird, spiegelt sich nicht immer hinter den Kulissen wider. Die DJ-Szene ist historisch ein cis-männlich dominiertes Feld mit ausgeprägter Gatekeeping-Kultur, Sexismus und unsichtbarer Arbeit von FLINTA-Akteurinnen.

Dieses Feld wird glücklicherweise seit einigen Jahren von hinten aufgerollt und ein Wandel ist spürbar. Doch wie lange noch? Wird der Wandel bald wieder ad acta gelegt und im Hintergrund verschwinden? Ist es nur ein Quotenwandel? Oder beginnt das Musikbusiness endlich zu begreifen, dass technisches Können kein Geschlecht kennt? Bis FLINTA*-DJs überhaupt sichtbar wurden, mussten und müssen sich viele bis heute durch eine männlich dominierte Szene kämpfen.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Standard. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

"Um heute Erfolg in der Musikbranche zu haben, braucht man doch nur noch zwei Brüste."

Wie tief verankert sexistische Machtstrukturen in der Club- und Festivalkultur nach wie vor sind, zeigt die DJ, Aktivistin und Psychologin Judith van Waterkant in ihrem Vortrag "Ein subjektiver Abriss über Gleichberechtigung und Sexismus in der Festival- und Clubkultur". Darin liest sie Zuschriften ihrer DJ-Kolleg*innen vor – Kommentare, die so abwertend wie alltäglich sind.
"Wem hast du denn einen geblasen, dass du so spielen darfst?", wurde einer DJ während ihres Sets zugerufen. Ein anderer Kommentar: "Um heute Erfolg in der Musikbranche zu haben, braucht man doch nur noch zwei Brüste." Eine andere Künstlerin berichtet, sie sei von einem Booker auf einer Veranstaltung, für die sie selbst gebucht war, mit den Worten beworfen worden: "Kein Wunder, dass ihr Frauen nicht im Nachtleben vertreten seid, ihr könnt ja auch nicht mixen." Und eine weitere erzählt, sie sei beim Artist Dinner vor einer großen Veranstaltung vom Techniker laut gefragt worden, ob sie mit der Technik überhaupt umgehen könne und das ganze Equipment auf ihrem Tech-Rider "wirklich brauche". So wahr, so schlecht.

FLINTA DJs
© Peter Bucks

Als in den 1990ern und frühen 2000ern Techno und House global explodierten, blieben FLINTA-DJs meist Randfiguren des Rampenlichts. Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen wurden oft nur als das Fähnchen im Wind angesehen, waren unterrepräsentiert oder galten als "Feature Acts". Zusätzlich waren für sie der Zugang zu Equipment, Studios, Labels und Netzwerken zum Austausch stark limitiert – viele FLINTAs mussten sich alles autodidaktisch aneignen.
"Dem zugrunde liegt die sich bis heute hartnäckig haltende, überholte Überzeugung: Weiblichkeit und technische Kompetenz seien unvereinbar", sagt Magali Wolf (Nachname geändert) in der taz.


"Die Netzwerke von Clubpromotern, DJs und Booking-Agenturen wurden seit Jahrzehnten von cis-Männern aufgebaut. Kumpels buchen Kumpels. Für FLINTA* gibt es weniger Vernetzungsmöglichkeiten und Förderung", ergänzt sie. Auch wenn viele FLINTA*-DJs sich alles selbst beigebracht hatten, reichte das offenbar nicht aus, um als "richtige" DJs anerkannt zu werden. Als Rebekah (Mixmag 2021) die Annäherungsversuche ihres Booking-Agenten zurückgewiesen hat, bekam sie stattdessen zu hören: Er habe sie "erschaffen" – als wäre ihr Können ohne ihn nichts wert. "You’re not a DJ. I created you, you’re not a fucking DJ."

Zwischen Stereotyp und Skepsis


Ein Ort zum Austausch klingt banal, ist aber einer der entscheidenden Bruchpunkte, warum viele FLINTA-DJs früher wie heute nicht den Schritt in die breite Clubkultur schaffen. Wer in den Neunzigern oder frühen 2000ern auflegen wollte, brauchte Plattenspieler, Mixer, Kabel – und jemanden, der einem zeigte, wie das funktioniert. Für viele cis-Männer war das selbstverständlich: Freunde aus der Clique, Kontakte zu Studios, ältere Kollegen. Für FLINTA-Artists blieb dieser Zugang oft deutlich schwerer oder gleich ganz verschlossen.

In vielen Städten bedeutete das: Wer nicht ohnehin Zugang zu Technik, DJ-Freunden oder Leuten aus der Szene hatte, blieb draußen und unentdeckt. FLINTAs, die auflegen wollten, wurden oft belächelt und schreckten vor einer von subtiler Arroganz geprägten, männlichen Dominanz zurück – das Vorurteil, Frauen könnten keine Technik bedienen. In der elektronischen Musikszene stoßen FLINTA-DJs immer wieder auf solche Annahmen, dass sie weniger technisches Können hätten als ihrer männlichen Kollegen. Sie müssen viel häufiger ihre Kompetenz unter Beweis stellen und zeigen: "Ja, ich kann den Mixer bedienen", während männliche DJs automatisch als sichere Wahl gelten.

Eine Berliner DJ berichtet in einem taz Interview, dass Männer "ungefragt am Mischpult erklären wollen, wie das Setup und Equipment funktioniert". Solche Momente sind keine Ausnahme, sondern eine alltägliche Erfahrung, die zeigt, wie tief verwurzelte Annahmen über technische Fähigkeiten die Wahrnehmung von FLINTA*-DJs prägen.

Zusätzlich waren Studiozeiten begrenzt und die Räume meistens männlich besetzt. Und auch heute, im Zeitalter günstiger Controller und YouTube-Tutorials, bleibt die Hürde real. Sichtbare Vorbilder wie FLINTA*-Artists an den Geräten stehen, Technik erklären, Workshops leiten – ist keine Selbstverständlichkeit, sondern erkämpftes Terrain.

Die Lücke zwischen Anspruch und Realität

Viele Veranstalterinnen versprachen Diversität und Parität, neue Kollektive entstanden, Fördergelder wurden verteilt. Das wurde auch teilweise eingehalten. Laut dem female:pressure FACTS Report 2024 lag der Anteil von FLINTA-Artists auf Festival-Line-ups weltweit bei über 30 % – ein Fortschritt im Vergleich zu 2012 (9,2 %). Das ist positiv – erkennbare und messbare Fortschritte sind sichtbar. Das heißt aber auch: weiterhin sind über 60% davon männliche DJs — immer noch entfernt von Gleichberechtigung. Natürlich zwar FLINTA-DJs zahlenmäßig auch in der Minderheit. Das liegt jedoch nicht an mangelndem Interesse, sondern an bestehenden Barrieren: fehlendem Zugang zu Technik, mangelndem Mentoring, respektlosen Bookings und offenem Machtmissbrauch. Das schreckt viele verständlicherweise ab. Müssten sich angehende männliche DJs denselben Hürden stellen, gäbe es wohl auch deutlich weniger von ihnen.

Dieser Anstieg auf über 30% stagniert seit zwei Jahren. Was sich durch die Versprechungen so schön angehört, muss auch kontinuierlich mit Taten belegt werden. Sonst ist es wie das Sprichwort mehr Schein als Sein.

Dass es anders geht, beweisen Zahlen von Festivals mit divers besetzten Orgateams: Sind die Kuratorinnen mehrheitlich weiblich, steigt der Frauenanteil auf über 62 % – in rein männlich geleiteten Teams liegt er bei gerade einmal 27 %. Auch öffentliche Förderung scheint einen Unterschied zu machen: Geförderte Festivals haben mit 34,6 % weiblichen Acts im Schnitt einen höheren FLINTA-Anteil als nicht geförderte (28 %).

Doch auch wenn die Szene diverser geworden ist, strukturelle Probleme bestehen noch immer. "Manchmal wird man auch tatsächlich als Quoten-DJ gebucht. Dann muss man es eben einfach für sich nutzen" – so beschreibt Marie Midori in der taz die Realität vieler FLINTA*-DJs, die doppelt so viel leisten müssen, um dieselbe Bühne zu bekommen.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Dem Patriarchat den Kampf ansagen

Auch wenn MANNs nicht glauben mag, kam ein Lichtblick mit Wende schon relativ früh — 1998 mit der Gründung von female:pressure durch Electric Indigo. Was einst als einfache HTML-Liste begann, ist heute zu einem Netzwerk mit über 3.000 Mitgliedern aus 90 Ländern gewachsen – FLINTA*-Personen, die weltweit in der elektronischen Musik aktiv sind. Ziel ist es für so viel Sichtbarkeit der Akteure zu sorgen, sodass die Ungleichgewichte in der Szene behoben und solche Netzwerke überflüssig werden.

Ähnliche Initiativen agieren international, um FLINTA-Artists gezielt zu empowern. Discwoman in New York fördert seit Jahren FLINTA-Artists über Booking-Plattformen, Club-Events und Produzenten-Netzwerke – laut eigenen Angaben konnten seit der Gründung über 500 Artists* gebucht und unterstützt werden. Keychange in der EU setzt auf systematische Gender-Parität: Festivals, die teilnehmen, verpflichten sich, innerhalb von drei Jahren mindestens 50 % FLINTA-Acts auf ihre Line-ups zu bringen. Die Femme Bass Mafia, No Shade oder Éclat Crew in Paris bieten darüber hinaus Workshops für Producing und DJing speziell für FLINTA-Personen an – die No Shade DJ School in Berlin hat seit 2017 über 250 Artists* ausgebildet, viele davon mit internationalem Erfolg.

Der feministische Wandel in der Szene kommt nur langsam voran – und passiert nicht von selbst. "Fördergelder sollten an Diversität geknüpft werden, gemischtgeschlechtliche Teams aufgebaut und Künstler*innen gezielt eingeladen werden", sagt Electric Indigo.

Das Blatt wendet sich nicht allein durch politische Statements oder Fördergelder, sondern durch gezieltes Empowerment und Community-Building. Sichtbarkeit, Mentoring und direkte Förderung schaffen messbare Effekte: mehr Bookings und eine stärkere Präsenz auf Festivals und in Clubs. Die Vorstellung, FLINTA*-Artists hätten weniger technische Skills, muss der Vergangenheit angehören. Gleichberechtigung fängt im Kopf an.

Veröffentlicht in Features und getaggt mit FLINTA , gender , Musikszenekonflikte

Deine
Meinung:
FLINTA* in der DJ-Branche: Herausforderungen und Chancen

Wie findest Du den Artikel?

ø: