Bruchstelle: Kunst und Nachhaltigkeit
Komposition: Lilla Tűzkő / Elemente: Shutterstock

Bruchstelle: Kunst und Nachhaltigkeit

Features. 6. Oktober 2019 | / 5,0

Geschrieben von:
Simon Ackers

Für viele, so auch für mich, gehört es zum Alltag: Man lungert in Plattenläden rum und durchwühlt staubige Kisten. Abends klickt man sich durch Discogs, findet Obskures, Fürchterliches und Großartiges. Die restliche Zeit ist man dann auf der Suche nach Hits auf Bandcamp, entdeckt Altes neu und interessantes Neues. Die Statik des heimischen Plattenregals wird regelmäßig auf die Probe gestellt, der freie Speicher auf den Festplatten nähert sich der Kapazität einer Floppy Disc. Tracks, EPs und Alben so weit das Auge reicht. Unbekümmert holt man sich die heißesten Scheiben, die man unbedingt noch braucht (zumindest redet man sich das ein). Doch als Musikfan hat man es dieser Tag nicht leicht. Graue Wolken ziehen auf über dem bunten Himmel der Harmonien, Sounds und Grooves.

Das Image des beliebten Vinyl verwandelt sich sehenden Auges vom schwarzen Gold zur Umweltpest. CDs sind reiner Plastikmüll und selbst Streaming bekommt eine ordentliche Breitseite. Nun, da steht man jetzt als kleiner Sammler angesichts der drohenden Katastrophe und fragt sich, was zu tun ist. Irgendwie war es ja auch naiv zu glauben, das Klima fände Musik genauso cool wie man selbst und würde ausgerechnet vor dem liebsten Hobby halt machen. Ganz im Gegenteil, wie bei so vielen Dingen müssen auch hier radikale Veränderungen her. Mit betrübtem Blick begibt man sich also wieder in das Netz und sucht nach Musik, denn aufhören kann man dann irgendwie doch nicht.

Wie der Zufall so will, stolpert man dann aber über einen interessanten Fund, der sich schon fast wie die Lösung aller Probleme liest. Musik, für deren Einnahmen der Umwelt Gutes getan wird. Für gekaufte Platten und Tracks werden Bäume gepflanzt, KlimaaktivistInnen und Umweltorganisationen unterstützt. Ja, nice! Doch nach der anfänglichen Freude mischt sich ein seltsamer Zweifel mit ein. Warum kaufe ich das gerade, finde ich die Musik wirklich gut, oder wird hier ein schlechtes Gewissen bereinigt? 

Interessiert mich der Inhalt einer Platte noch, wenn ich mit deren Kauf Bäume pflanze?

Die Umweltthematik und das Green Marketing sind derzeit allgegenwärtig. Von Fair Trade über Bio bis hin zu regionalen Erzeugnissen: Wir sensibilisieren uns für den CO²-Abdruck, hinterfragen Produktionsweisen und die Auswirkungen unserer Lebensweise auf unsere Umwelt. Auch vor der Musikszene machen diese Diskurse keinen Halt. Wie sieht es aus mit der Rave Culture und Nachhaltigkeit? Festivals stehen auf dem Prüfstand, Presswerke suchen nach neuen Herstellungsmethoden und die unzähligen internationalen Flüge von Star-DJs werden kritisiert.

Ein zentrales Thema allerdings wird in der Diskussion selten bis gar nicht angeschnitten: Das Kunstwerk selbst. Verändert sich unsere Rezeption eines Werkes, wenn wir es per Vermarktung oder generell an etwas so Gewichtiges koppeln wie den Schutz der Umwelt? Vereinfacht gesagt: Interessiert mich der Inhalt einer Platte noch, wenn ich mit deren Kauf Bäume pflanze? Und verändert sich in Zukunft nicht sogar die Gestaltung der Kunst? Um sich diesen Fragen und Auswirkungen zu nähern, müssen wir sie allerdings zunächst einmal innerhalb des Kunstdiskurses verhandeln.

Kunst, ihr Kontext und eine neue Rezeptionsebene 

Das Problem und auch der große Streitpunkt der Kunst ist ja ihre Ambivalenz. Kann die Kunst für sich alleine stehen? Nun, zunächst bezieht ein Werk seine Kraft aus seinem autonomen Charakter und steht in der Tat für sich allein. Vielmehr sogar, negiert sie die Realität durch die Abstraktion des gesellschaftlichen Sinns. Demgegenüber ist die Kunst aber auch immer eingebettet in einen realen Kontext. Sie steht in dem Spannungsverhältnis über der Rezeption zu stehen, gleichzeitig aber lebt sie durch die Rezeption. Also frei nach Adorno zusammengefasst: Es gibt keine Kunst um der Kunst willen. Demnach wird und wurde Kunst immer wieder einerseits bewusst mit gesellschaftlichen Themen gekoppelt, wie etwa einer bewussten politischen Haltung, andererseits wird die Kunst aber auch mit ihren nicht immanenten Aussagen verknüpft und in neue Kontexte gerückt. 

In unserem Beispiel wird nun eine Platte gemacht und diese mit dem Klimaschutz gekoppelt. Diesen Umstand kann man nun auf zwei Arten lesen. Im zynischen Sinne versteht sich diese Praxis als simples Marketing, ein Zugewinn des sozialen Standings und ideologische Aufmerksamkeitshascherei (ein dem Kunstwerk nicht immanenter Kontext). Diese Auffassung ist bei so einigen green-marketing Kampagnen durchaus angebracht. Im Hinblick auf den Kunstdiskurs ist sie allerdings wenig zielführend, da man sich so direkt einer tiefergehenden Debatte verschließt. Vielmehr darf man davon ausgehen, dass solche Aktionen durchaus ernst gemeint sind und als dezidiert politischer Akt zu lesen sind, denn auch der Klimaschutz ist eine politische Haltung.

Es gibt keine Kunst um der Kunst willen.

Es ist also nicht falsch oder gar der kunstfeindlich, solche Themen mit ihr zu verknüpfen, allerdings resultiert daraus eine neue Rezeptionsebene. Politische Aussagen und ideologische Grundsätze wurden wie oben erwähnt schon immer mit und durch die Kunst transportiert, sei es die Punkband, die sich lautstark gegen Nazis positioniert, Underground Resistance, die Techno mit der gelebten Realität der afroamerikanischen Bevölkerung Detroits verband, oder die queer-feministische Politik von The Black Madonna. Doch was ist nun der Unterschied zwischen diesen Beispielen und dem Beispiel der Schallplatte?

Der gesellschaftliche Imperativ des Müssens und die Frage nach der Schuld

Kunst ist (mal mehr mal weniger) Teil unserer Identität. Die Bücher, die wir lesen, Musik, die wir hören, Filme, die wir schauen und die Bilder in unserer Wohnung. Sie sind Ausdruck unseres Selbstbildnis und prägen dieses auch mit. Im Alter von 16 Jahren begann ich mich für Punkmusik zu interessieren. Damit einher ging eine erste (naive) Politisierung, jugendliche Rebellion und ein neues Weltbild. Durch die Kunstform Punk formte ich meine Persönlichkeit, ich wählte sie als Ausdruck meiner Identität. Die Umwelt-Thematik allerdings umgibt eine Aura, die über der Wahl und persönlichen Entscheidung steht. In unserer gesellschaftlichen Debatte nimmt diese Thematik vielmehr eine existenzielle ein.

Es bildete sich der große Imperativ des Müssens, um die drohende Katastrophe abzuwenden. Daraus resultierte eben auch die momentane Diskussion um die Schuld. Verknüpfte ich Punk noch mit einem persönlichen und auch politischen Ausdruck, sieht man sich beim Umweltschutz mit einer Schuldfrage konfrontiert, die sich unweigerlich auf die Rezeption des Kunstwerks überträgt. Es ist aber nicht nur die Rezeption, die sich verändert. Das Kunstwerk selbst wird mit eben jener Schuld behaftet. Um zu unserem Beispiel zurückzukommen: Die bloße Existenz der Platte ist durch ihren Produktionsprozess Schuld an einer Verschmutzung der Umwelt – und wir kaufen diese Schuld regelrecht aus ihr heraus.

Nehmen wir diese Gedanken nun in den Kunstdiskurs auf, so müsste es einen irreversiblen Effekt auf unsere zukünftige Bewertung der Kunst geben. Wie wurde der neue Kinofilm gedreht, wie nachhaltig ist das Konzert mit großer Lichtshow und welche Materialien wurden für Kunstwerk X benutzt? Entscheidet in Zukunft die Klimaneutralität mit über die Wertigkeit der Kunst und müssen KünstlerInnen ihre Werke vor diesem Hintergrund gestalten und präsentieren?

Der Diskurs der Umweltthematik wird bisher rund um unsere persönliche Lebensweise und Systemkritik geführt. Doch gerade im Bereich der Kunst wirft dieses Thema wichtige Fragen auf, handelt es sich hierbei ja um eine zum Teil neue Ebene. Die Verhandlung der Klimakatastrophe dürfte in den kommenden Jahren sowohl im Kunstwerk selbst als auch in seiner Rezeption für neue Spannungen sorgen und eventuell unsere Sicht auf Kunst nachhaltig verändern. Umso wichtiger ist es, die Debatte darum schon jetzt zu öffnen.

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