Clubporträt: Romantica (Stuttgart) – Bloß nichts Normales!
Seit nunmehr zehn Jahren ist Femke Bürkle so etwas wie das Gesicht und die Stimme des Stuttgarter Clubs Romantica. Dabei sollte sie doch dereinst gemeinsam mit dem DJ-Kollegen Marco Schreieck alias Marco Bastone nur als stille Teilhaberin bei dessen Neuaufstellung mitwirken. "Die Lokalität gibt es schon seit 40 Jahren, ursprünglich befand sich darin eine Animierbar", erklärt die als DJ unter dem Pseudonym Femcat aktive Mitbetreiberin der Romantica. 2013 übernahm eine Gruppe um den Veranstalter Heiko Schöbinger die Räumlichkeiten in der Hauptstätter Straße 40, erhielt aber nie eine Konzession für den Clubbetrieb. Zwei Jahre lang gab es deshalb immer wieder Scherereien mit Polizei und Behörden, bis die Betreiber den Nicht-Club frustriert wieder aufgaben.
Ein von außerhalb kommender Bekannter von Schreieck wollte den Club übernehmen und die beiden wegen ihrer Erfahrungen in der Clubszene der Stadt ins Boot holen. "Wir hatten bereits unsere Jobs und haben aufgelegt", erzählt Bürkle, die unter anderem als Selektorin gearbeitet hat. Der Freundesfreund konnte sich unter den Bewerbungen durchsetzen. "Fünf Minuten vor dem Notartermin aber bekam ich eine SMS: 'Ich bin raus!'", seufzt Bürkle. "Wir hatten unser Wort gegeben und mussten dafür geradestehen." So wurden binnen weniger Minuten aus zwei stillen Teilhaber:innen ungewollte Clubbetreiber:innen, die schnellstmöglich Familie und Freund:innen für Startkapital anpumpen, sich mit dem Bauamt auseinandersetzen und den Club schallsicher machen mussten.
"Und das ist jetzt also zehn Jahre her", lacht Bürkle heute. Eine Erfolgsgeschichte. Dennoch will sie nicht unterschlagen, dass der Weg kein leichter war. "Man unterschätzt leicht, mit was für Aufgaben, Pflichten und Kosten eine Cluböffnung verbunden ist", betont sie. "Wir haben uns unsere Konzession über zwei Jahre hart erarbeiten müssen, und selbst nach einem guten Abend bleibt nicht viel Geld übrig." In den Anfangstagen der Romantica hätten sie und Schreieck noch Barschichten geschoben und danach den Club geputzt, um Geld zu sparen. Heute ist sie zu fast jeder Clubnacht vor Ort, meistens aber vor der Tür, statt hinter der Theke zu finden. Das Pensum bleibt hoch, denn die Romantica öffnet an fünf Tagen die Woche, neben dem Betreiberduo hilft dabei nur gut ein Dutzend weiterer Personen aus.

Eine Plattform für den Nachwuchs
Wenn Femke Bürkle sagt, dass ihre Arbeit zu allen möglichen Tag- und Nachtzeiten "alles andere als glamourös" sei, steht das augenscheinlich im Gegensatz zur Ästhetik der Romantica. Gerade einmal hundert Menschen haben darin Platz, bekannt ist der Club allerdings für farbenfrohe Partys mit House-affinen Line-ups. Damit setzt er sich von anderen in der Stadt ab, die eher einen Schwerpunkt auf Techno oder Tech-House setzen. "Mit dem Lehmann etwa arbeiten wir aber auch eng zusammen. Es gibt einen regen Austausch, auch hinsichtlich der DJs", sagt Bürkle. Sie selbst und Marco Schreieck sowie Freeride-Millenium-Veranstalter:in Jorkes und DJs von außerhalb wie Panorama-Bar-Resident Massimiliano Pagliara setzen allerdings deutliche Akzente.
Neben der Zusammenarbeit mit externen Veranstalter:innen, die in bestimmten Turnussen mit selbstkuratierten Line-ups in der Romantica einkehren, kümmern sich Schreieck und Bürkle arbeitsteilig um die Programmierung: Er übernimmt den Dienstag und den Sonntag, sie programmiert die Line-ups am Donnerstag, Freitag und Samstag. Besuche wie die von Pagliara, der im Juni erstmals ein eigenes Programm kuratierte, bleiben die Ausnahme. Vermehrt mit großen oder überregionalen Bookings zu arbeiten, ist nicht Teil der Strategie. "Viele Clubs haben schon den Fehler gemacht, immer größere Bookings ranzuholen – und dann kommt plötzlich an einem Abend aber niemand", sagt Bürkle hinsichtlich des wirtschaftlichen Risikos. Sie wolle sowieso, dass das Publikum des Clubs und nicht der großen Namen wegen in die Romantica komme.
Auf regionales Talent zu setzen, ist ganz im Sinne dieser Philosophie – nicht allein, weil es die Kosten gering hält. Vielmehr komme es einer Investition in die Zukunft gleich, meint Bürkle. "Einer der wichtigsten Jobs eines Clubs ist es, Locals zu fördern und dem Nachwuchs eine Plattform zu geben." Nachdem sie und Schreieck Nachwuchs-DJs dazu aufriefen, sich beim Club zu melden, trudelten über tausend Bewerbungen ein. "Einige dieser DJs haben mittlerweile bei uns gespielt", sagt Bürkle. Das dürfte auch dem Ruf des Clubs in der Stadt zugutekommen. "Wir haben in Berlin ein besseres Standing als in Stuttgart!", lacht sie. "Vor einer Weile war ich mit Jorkes im Berghain und wir haben ein paar junge Leute getroffen. Es stellte sich raus: Das waren Panorama-Bar-DJs, die gerne bei uns spielen würden!"
Menschen aller Altersklassen und Schichten
Femke Bürkle berichtet, dass die seltener stattfindenden überregionalen Bookings oft mithilfe von eng verbandelten DJs wie Resident Jorkes oder Dauergast Pagliara zustande kämen. Manche DJs kämen angesichts der Größe der Romantica mit gedämpften Erwartungen an, um von der Ausstattung des Clubs positiv überrascht zu werden. Der Pflege der – angesichts der Clubgröße laut Bürkle "überdimensionierten" – Anlage hat sich Schreieck verschrieben, der vor seiner Zeit als quasi-versehentlicher Clubbetreiber auf Dauer in der Branche für Event-Elektronik gearbeitet hatte. Mehr noch kann zum hochqualitativen Sound im intimen Rahmen überdurchschnittlich lang getanzt werden: Die Romantica hat eine Konzession für 23-stündigen Betrieb und kann Partys in Überüberlänge schmeißen.
Zumindest in der Theorie. In der Praxis ist die Romantica nämlich als wohl einziger Club Deutschlands direkt unter den Büros des städtischen Ordnungsamts situiert, lasse es deshalb gemeinhin unter der Woche nicht ausufern und sorge nach jeder Party für Sauberkeit vor und hinter der Clubtür. Obendrein gebe es einen regelmäßigen Austausch zwischen der Clubszene der Stadt und den Stuttgarter Behörden. Anders als die Vorbesitzer der Romantica habe der Club heute auch keine Probleme mehr mit der Polizei. "Wir befinden uns hier in einer Gegend, in wir sie häufiger selbst rufen – wohlgemerkt nicht unseres Clubs wegen. Direkt gegenüber von uns liegt das Rotlichtviertel", erklärt Bürkle.
Dafür, dass der Club als solcher ein möglichst sicherer Ort bleibt, sorgt nicht nur die Selektion der Mitbetreiberin an der Tür, sondern ebenso ein Awareness-Team. Auch darin spiegelt sich der Selbstanspruch der Romantica wider, ein Ort für alle zu sein und ein möglichst diverses Publikum anzusprechen. "Wir haben sogar einen älteren Herren über 70, der regelmäßig im Latex-Outfit aufkreuzt. Das finde ich sehr schön", sagt Bürkle. "Erst wenn Menschen aller Altersklassen und aus allen Schichten zusammenkommen, wird es interessant." Obendrein zahlen Studierende am Dienstag und Sonntag weniger. "Deren Ausgehverhalten hat sich allerdings verändert", merkt Bürkle an. "Ich glaube, die sind heutzutage viel zu vernünftig! Die wollten wir also aus der Reserve locken."

Weniger Publikum, mehr Konkurrenz
Die Veränderungen im Ausgehverhalten des Publikums kann Femke Bürkle klar beziffern. Bevor sie gemeinsam mit Marco Schreieck die Romantica übernahm, veranstalteten die beiden regelmäßig Partys unter dem Namen Märchenstunde in der nahegelegenen Corso Bar. 200 bis 300 Menschen seien damals regelmäßig gekommen, an Feiertagen sogar mehr. Das sei heute anders, wie auch die Besucherzahlen in der Romantica zurückgegangen seien. "Früher kamen in einer regulären Samstagnacht auch mal insgesamt 300 Leute zu uns und natürlich nochmal mehr, wenn wir verlängerte Öffnungszeiten hatten", zählt Bürkle auf. "Heutzutage gilt es schon als guter Abend, wenn 200 zahlende Gäste zu uns gekommen sind."
Die Betreiberin weist im selben Zug darauf hin, dass ein voller Laden in einem kleinen Club wie ihrem nicht unbedingt in mehr Barumsätzen resultiert: "Manchmal ist es besser, wenn es nicht komplett voll ist und der Weg zur Theke nicht versperrt wird", sagt sie. "Wir merken aber, dass die Besucherzahlen gesunken sind. Ähnliches höre ich von allen anderen Clubs in Stuttgart." Die gängigen Erklärungsmuster griffen in der Stadt allerdings nicht in dem Maße wie anderswo, betont sie: Am Geld kann es eigentlich nicht liegen. "Natürlich sind überall die Preise gestiegen. Stuttgart ist aber eine wohlhabende Stadt, die Arbeitslosenquote ist hier sehr gering. Ich glaube, die Leute fahren heutzutage einfach lieber in den Urlaub, als in den Club zu gehen."
Dazu kommt eine durch die Pandemie und den mit ihnen einhergehenden Einschränkungen veränderte Konkurrenzsituation in der Stadt. "Damals haben die Bars erkannt, dass sie ihrem Publikum die Cluberfahrung bieten konnten, während wir noch geschlossen hatten. Im Hinterzimmer ein kleiner Dancefloor, kein Eintritt", erinnert sich Bürkle. "Das gab es zuvor auch schon, damals aber war der Kuchen noch groß genug. Mittlerweile ist er kleiner." Diese Entwicklung erhöhe stadtweit den Druck für die Clubszene, Bürkle will aber fair bleiben: "Das verurteile ich gar nicht, auch das ist wichtig für ein interessantes Nachtleben. Es führt aber zu einer Wettbewerbsverzerrung." Insbesondere jüngere Menschen mit schmaler Brieftasche ziehe es verständlicherweise eher in die Bars.

Bloß nichts Normales!
Wenn sie all dies erzählt, dann "jammert" Femke Bürkle, in ihren eigenen Worten, "auf hohem Niveau". Obwohl die Besucherzahlen nach der anfänglichen Clubbegeisterung nach Aufhebung aller Pandemiemaßnahmen abgeflacht sind, mittlerweile mehr Akteur:innen um ein zögerlicher gewordenes Publikum werben und Fixkosten wie die im Falle der Romantica überproportional hohe Miete zusätzlich zu diversen wirtschaftlichen Krisen eine langfristige Belastung bilden: "Uns geht es vergleichsweise gut. Das hat auch damit zu tun, dass wir ein etwas anderes Programm haben als andere Clubs und kleiner sind", sagt sie. Das schließlich erlaube es ihr und Schreieck, fünfmal in der Woche statt nur an zwei Abenden am Wochenende zu öffnen, während die Personalkosten weitgehend übersichtlich blieben.
Dennoch wünscht sie sich ebenso mehr politische Unterstützung der Clubs in Stuttgart. Zwar gebe es ein merkliches Interesse an der Förderung des Nachtlebens, doch käme es dabei ebenfalls zu einer "Wettbewerbsverzerrung", wie Bürkle meint. Parallel dazu, dass sich in der breiteren Szene die Aufmerksamkeit des Publikums immer weiter von Clubs hin zu Kollektiven verschoben hat, mache sich ein ähnlicher Prozess bei den Entscheidungen der öffentlichen Hand bemerkbar. "Ich habe natürlich Verständnis dafür, dass Einzel-Events von Kollektiven auf Freiflächen oder übergangsweise genutzten Orten gerade sehr sexy sind", betont sie. "Darüber aber geraten Clubs etwas in Vergessenheit." Für die Zukunft wünscht sich Bürkle deshalb einen engeren Austausch zwischen allen Beteiligten.
Solange kann sie zehn Jahre, nachdem sie und Marco Schreieck unversehens zu Clubbetreiber:innen wurden, ein positives Fazit ziehen. "Momentan lohnt es sich noch, weiterzumachen. So schnell geben wir nicht auf! Sonst müssten wir ja was Normales machen", lacht sie. Denn obwohl sie ihn sich nicht eigentlich ausgesucht haben und zu quasi jeder Tages- und Nachtzeit jeweils "einen Job für zwei" erledigen: Auch zehn Jahre nach ihrer überstürzten Beförderung zu Clubbetreiber:innen haben Schreieck und Bürkle die Lust daran noch nicht verloren – im Gegenteil.
Die Romantica feiert am 5. Juli 2025 ihren zehnten Geburtstag mit einer 15-stündigen Party. Neben Femcat und Marco Bastone sind unter anderem Ainu, Jorkes und Raphael Dincsoy dabei.


0 Kommentare zu "Clubporträt: Romantica (Stuttgart) – Bloß nichts Normales!"