Dark Matter Berlin: Sieben Räume Licht und Sound
© WHITEvoid GmbH

Dark Matter Berlin: Sieben Räume Licht und Sound

Features. 29. März 2024 | 4,7 / 5,0

Geschrieben von:
Nastassja von der Weiden

Dark Matter ist ein Museum mit sieben dauerhaften Installationen aus Licht, Sound, Reflexion, Formen, Farben und Choreographien in Berlin. Alle stammen von Christopher Bauder, dem Initiator und Künstler hinter Dark Matter. Unsere Autorin hat die Dauerausstellung und die aktuelle Installation im Berliner Kraftwerk besucht und mit dem Licht- und Soundkünstler über seine Werke, Pläne und die Kraft von Visuals gesprochen.

Neben dem Sisyphos-Clubtor, hinter dem mit großen Müllsäcken aufgeräumt wird, als ich vorbeilaufe, schließt sich nach ein paar Schritten ein weiteres Tor an: "Dark Matter" steht darauf, in weißen Buchstaben auf schwarzem Grund. Eingefasst ist der Schriftzug von einem hell glühenden Schein, der an eine Sonnenfinsternis erinnert.

Finster ist es an diesem Tag aber so gar nicht, das Gelände von Dark Matter erinnert mich im Sonnenschein eher an einen künstlich hochgezogenen schwarzen Outlet-Shopping-Klotz auf einer grünen Wiese, wie man so sagt – nur ohne grüne Wiese. Weit und breit nur Industrie-Backsteine, frühlingshaft-aufgeheizter Asphalt, eine einzige Tramlinie, Berlin-Lichtenberg, Vattenfall ist gleich nebenan. Die Köpenicker Chaussee fühlt sich nach "weit draußen", nach Berliner Abgeschiedenheit an, ist aber nur 20 Minuten Fußweg von der S-Bahn-Station Rummelsbucht entfernt. 

550.000 Besucher:innen haben Dark Matter Berlin in rund zweieinhalb Jahren angeschaut, erzählt mir Bauder im digitalen Interview ein paar Tage später: "Von der ersten Idee bis zur Eröffnung waren es sicher fünf Jahre, die vergangen sind." Und: Dark Matter sei eine Reise durch 20 Jahre seines Schaffens als Licht- und Soundkünstler. Motiviert waren er und sein Team von der Fülle an Installationen, die sonst nur im Lager liegen würden. Gerade in Berlin gab es vor Dark Matter nicht oft die Gelegenheit, ebendiese zu zeigen und dauerhaft zugänglich zu machen. 

Dark Matter Berlin Exponat.
© WHITEvoid GmbH

Zurück nach Lichtenberg. Wer durch das Tor läuft, gelangt über einen Hof zum Anfangspunkt und zur Kasse. 18 Euro kostet das Licht-Sound-Schatten-Düsternis-Erlebnis. Kleingruppen werden zügig und getaktet zusammengebracht, bekommen ein "Briefing" und dürfen dann durch die Tür in den ersten Raum, der an einen zweiten und dritten anschließt. Der erste Raum ist ein Spiegelraum und wäre man nicht mit gut fünfzehn weiteren Leuten darin, wäre es der ideale Spiegelselfie-Spot. Fotos darf man nämlich machen, ohne Blitz.

Macht Sinn, keine anderen Lichtquellen sollen die Erfahrung beeinflussen. Bedächtig filmen und fotografieren alle die Formationen, die sich von der Decke absenken und wieder erheben. Es sind unfassbar viele quadratische Blättchen, die ein unendliches, bewegliches Muster weben. Es ist – schön. Weiter fühle und denke ich ehrlicherweise nichts und gehe in den nächsten Raum, da erinnere ich mich an die Worte der Frau, die unsere Gruppe zu Beginn gebrieft hat: "Don't rush, take your time". Hm, zu spät. 

Im zweiten Raum sitze ich und schaue schwarzen, handballgroßen Bällen zu, die sich in unterschiedlichen Höhen bewegen. Auch das: Schon irgendwie schön, ja. Als der Zyklus vorbei ist, gehe ich schnell in den dritten Raum, in dem es im Vergleich zu vorher extrem dunkel ist. Ob das gut für die Augen ist?, frage ich mich, ergattere einen Sitzplatz und bin das erste Mal wirklich gefesselt und beeindruckt, obwohl es mich anstrengt, ins Licht zu schauen. Hier bleibe ich lange, beherzige den Tipp vom Anfang und mir laufen ein paar Tränen übers Gesicht.

Ob das an mir und meinem Hang zu Pathos liegt, ich weiß es nicht, aber die Installation "Circular", ein Ballett aus drei unterschiedlich großen Ringen und Musik von Boris Acket, ist mein Highlight aus dem Dreier-Set der ersten Räume. Wer diesen Raum verlässt, gelangt nach draußen, in einen hell gepflasterten Hof. Hier steht ein Getränkewagen (natürlich komplett schwarz gestrichen) und die Besucher:innen können zumindest an diesem Tag ihre Augen in der knallenden Sonne wieder an "normales", natürliches Licht gewöhnen.

Dark Matter Berlin Formen und Licht.
© WHITEvoid GmbH

Aus den restlichen vier Räumen nehme ich ein Highlight und eine Enttäuschung mit. Zuerst das Highlight: Grid. Eine wirklich große, hohe, eindringliche Installation von Christopher Bauder mit Musik von Robert Henke. Sehr beeindruckend, kunstvoll, mehr als schön – körperlich erfassend, voller Spannung. Ich bin aus unserer Gruppe die Einzige, die sich auf die Kissen unter der Installation legt. An der Seite sitzen drei Teenager, die lieber eine Handy-Pause machen. Sie scheinen nur so mittel "dabei" zu sein.

Am gegenüberliegenden Rand filmen wiederum zwei Besucher minutenlang und interessiert. Hier, vor allem hier, sollte man eines nicht tun: Hetzen. Das macht gar keinen Sinn, denn im letzten, siebten, kleinsten Raum erwartet das Publikum nichts Bewegendes mehr, finde ich – außer eine interaktive Tonleiter, also eine Leiter, nein, drei Leitern, auf denen man Töne mit seinem Gewicht erzeugt, wenn man eine Sprosse heraufsteigt. Eine frühe Arbeit von Bauder, noch aus der Uni. Das ist nicht ganz mein Fall. 

Christopher Bauder ist sehr zufrieden, wie die Ausstellung angenommen wird: "Der Erfolg ist mega. Es sind immer noch 700 bis 800 Besucher pro Tag, die zu uns kommen. Und einige davon auch mehrmals." Gerade sei er mit den Sonderausstellungen beschäftigt, die es zweimal im Jahr gibt. Open Air, auf dem Gelände hinter den sieben Räumen, wird es ab Mai ein neues Werk zu sehen geben: Flow. Wellenartig wird es sein, verrät Bauder. Geplant sind dazu auch Veranstaltungen mit sieben Live-Acts. 

Als ich mich nach einer knappen Stunde auf den Weg mache und das Museumsgelände verlasse – genauer von der Köpenicker Chaussee in die Köpenicker Straße, denn gerade ist die neue Bauder-Installation namens Vektor im Kraftwerk – schicke ich eine Sprachnachricht an einen Freund, während ich meine Sonnenbrille suche und meine Jacke in meinen Rucksack packe: "Für Raum sechs lohnt sich der Ausflug, geh' da mal hin!", sage ich ihm und habe damit ganz nebenbei mein persönliches Fazit geschlossen. Zumindest was die Dauerausstellung Dark Matter anbelangt. 

Vektor Berlin: Memories in Light and Sound

Weiter geht es ins Kraftwerk. Das Kraftwerk, in dem auch das Atonal-Festival stattfindet, ist einer meiner Lieblingsorte – wie für Christopher Bauder, der das Kraftwerk in Berlin in einem früheren Interview als sein Wohnzimmer bezeichnet hat. Er ist regelmäßiger Gast und bringt als Künstler Licht und Klang in die monströsen Hallen. Auf eine Art und Weise, wie nur er und seine Kolleg:innen seiner Firma "White Void" es können: "Ich versuche immer über das Limit hinauszugehen, technisch und musikalisch. Das will ich weiterpushen", sagt Bauder. 

Seit Februar läuft Vektor nun schon im Kraftwerk, eine Licht- und Soundinstallation, die den Untertitel "Memories in Light and Sound" trägt. Erst einmal geht es durch die Kassenschleuse, wieder kostet ein Ticket 18 Euro. Dann geht es für mich die Treppe rauf und der Blick in das Hallendach verfehlt seine Wirkung nicht – oder: nie. Umhüllt und gefordert von Sound muss man sich erst einmal orientieren. Wo möchte ich sitzen? Oder ist es besser, von einer Seite zur anderen zu laufen?

Vektor Berlin Ausstellung.
© WHITEvoid GmbH

Ein paar niedrige Kästen laden zum Sitzen und Schauen (und natürlich Filmen) ein. Als Anfangspunkt nehme ich diese Einladung an. Und dann schaue ich einfach nur. In fünfzig hinter- und übereinander liegende Roboteraugen, die von der Decke hängen, an einer Konstruktion, die einer Drohne ähnelt. Es sind zehn dieser drohnenartigen Körper, an denen jeweils fünf Laser installiert sind. 

Fünfzig Laser, Licht, Sound und eine perfekte Programmierung: Laser-Libellen, die ihre Flügel so scharf und exakt durch den Raum schwingen, ihn dabei erleuchten und gefühlt hunderte Meter der Wände vermessen – es ist alles so präzise und perfekt, dass es fast Angst macht. Ich schließe zwischendurch die Augen und kann dem Soundtrack erst dann wirklich bewusst zuhören.

Stellenweise ist die Musikkomposition ganz reduziert gluckernd, dann erinnert mich eine Passage an die Musik von "Nosferatu", dann wieder Dröhnen und Aushalten. Angst um die Augen müsse man übrigens beim Anschauen von Vektor nicht haben, erklärt Bauder: "Menschen haben oft Angst vor Lasern, zu Recht. In unseren Lasern, die nach unten auf den Boden scheinen, ist aber eine spezielle Linse verbaut."

© WHITEvoid GmbH

Die persönlichste Ausstellung von Christopher Bauder sei Vektor, steht auf den Infokarten und im Kraftwerk an einer Betonwand als Einführung. Versatzstücke aus seinem Leben würden hier verarbeitet werden: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Als Kind sei er zum Beispiel gerne in die Kirche gegangen: "Nicht wegen der Inhalte, einfach wegen des Ortes." Er erzählt weiter: "An einer Stelle des Soundtracks hört man Kirchenglocken, an einer anderen Stelle hört man Wellen und Möwen.

Das erinnert an meine Zeit an der Nordsee." Der Ort selbst, das Kraftwerk, wird klanglich auch mit abgebildet. Hallengeräusche wurden dort aufgenommen und für Vektor benutzt: "Ich habe an verschiedenen Stellen auf das Geländer geschlagen und den Klang von Metall und Beton aufgenommen und gesamplet". Der Soundtrack sei aber immer in Verbindung zur Lichtshow zu verstehen – die Komponenten seien voneinander nicht trennbar.

Zum Abschluss schaue ich mir noch das Gästebuch an. Fast alle Seiten sind beschrieben. Ich notiere mir daraus: "It was magical", "Der Wahnsinn!", "sexuell erregend" (mit der Bitte um einen ungestörten Nebenraum) und "Art at its finest". Letzterem kann ich nur zustimmen. 

Dark Matter Berlin ist von Mittwoch bis Sonntag geöffnet. Ihr findet Dark Matter in der Köpenicker Chaussee 46 in 10317 Berlin-Lichtenberg. Montag und Dienstag bleibt das Museum geschlossen. Barrierefreie Eingänge und Toiletten sind vorhanden. Tickets bekommt ihr unter www.darkmatter.berlin.

Vektor von Christopher Bauder ist noch bis zum 7. April 2024 im Kraftwerk Berlin zu sehen. Die Ausstellung ist von Dienstag bis Sonntag geöffnet. Das Haus verfügt über barrierefreie Zugänge zu allen Ausstellungsetagen. Am 4. und 5. April finden zwei Live-Performances (19 und 21.30 Uhr) statt. Tickets bekommt ihr unter https://www.vektor.art.

Dark Matter Berlin Museum.
© WHITEvoid GmbH

Veröffentlicht in Features und getaggt mit Berlin , Christopher Bauder , Dark Matter , Kraftwerk , Robert Henke , Vektor Berlin

Deine
Meinung:
Dark Matter Berlin: Sieben Räume Licht und Sound

Wie findest Du den Artikel?

ø: