Ambient, die Musikrichtung für Menschen, denen sogar Minimalismus zu aufregend ist. Es ist Musik, die nicht auffällt. Jedenfalls nicht nerven soll. Und also so tut, als wäre sie gar nicht da. Im Hintergrund. In Concept Stores. Und überall dort, wo man einschlafen, meditieren oder einfach nur einen tollen Trip haben will.
Natürlich gibt es auch hier, innerhalb des gepflegten Mood-Managements, sogenannte Klassiker. Alben, die man kennen sollte, wenn man Yogmatten rumträgt oder Pilze in Plastiktaschen züchtet oder zumindest eine Stimmung sucht. Diese Liste zeigt zwanzigmal auf, was passiert, wenn man sich zum Nichtstun zu schade, aber zum Leben zu müde ist.
Brian Eno – Ambient 1: Music for Airports (1978)
Wer will nochmal die Geschichte hören? Ja, eben. Sagen wir lieber so: Das muss hier stehen, klingt aber so wie ein Flughafen, in dem nie ein Flug geht. Nur Duty Free ist. Was ja doch wieder Geschichte ist: Eno wollte Musik für Räume machen, die niemand freiwillig betritt. Hat funktioniert. Heute läuft das in Hotellobbys mit schlecht gespachtelten Wänden und bei Yoga mit Kreditkartenlimit. Zumal das der erste Versuch war, Langeweile nicht zu verstecken, sondern ins Regal zu stellen. Eine Platte wie ein Fenster zum Innenleben der Hausverwaltung.
Mort Garson – Mother Earth’s Plantasia (1976)
Ein Mann kauft sich einen Moog, lächelt eine Zimmerpflanze an und denkt: "Ich komponier dir was, baby!” Klingt nach Soundtrack für das botanische Vorabendprogramm zwischen Synth-Kitsch und sanfter Gehirnspülung. War außerdem nur als Gratisbeigabe beim Matratzenkauf zu haben, was ungefähr die richtige Verwertungskette ist. Dennoch: Ohne "Plantasia” ginge es Leuten mit Gießplan und diffuser Weltoffenheit definitiv schlechter.
Aphex Twin – Selected Ambient Works Volume II (1994)
Kein Album, sondern ein Flur voller Türen. Manche offen, manche abgeschlossen, eine nur gekippt. Die Stücke heißen außerdem wie kaputte Dateinamen. Klar, dass da alles ein bisschen rauscht, als würde man in der Erinnerung wohnen. Aphex Twin sagt, das Album sei nach seinen Träumen gebaut. Was irgendwie auch eine Drohung ist, aber okay: Das ist definitiv die gemütlichste Form von drogeninduzierter Paranoia. Wer hier was anderes sucht, findet stattdessen sich selbst. Oder einen anderen. Tja.
Stars of the Lid – And Their Refinement of the Decline (2007)
Zweieinhalb Stunden, die man auch rückwärts hören könnte, ohne was zu merken. Weil nichts passiert wie bei einem Null- zu- nNull im WM-Finale. Das heißt: Zwei Texaner tun so, als wäre das Cello ein Aggregatzustand. Deshalb riecht es die ganze Zeit wie in Therapieräumen mit Teppichboden. Dazu dann: Titel wie "Dopamine Clouds Over Craven Cottage”. Ja, jetzt müffelt es schon ziemlich nach Antidepressiva für Leute mit Designermöbeln. Aber das ist ja nicht umsonst Ambient als Bildungsbürgertrick. Oder als stilles Drama für Menschen, die bewusst kein Spotify mehr hören.
Gas – Königsforst (1999)
Als hätte jemand Techno in einem Moor vergraben. Und vergessen, wo. Alles pulst, aber ohne Einladung zum Tanzen. Wolfgang Voigt sagt, das sei sein Kindheitserlebnis Wald. Andere nennen es Tinnitus Deluxe. Bass, der nicht kommt, aber bleibt. Wenn Ambient sonst die Aussicht ist, ist "Königsforst” das Dickicht. Der deutsche Beitrag zum Thema: Der Weg ist auch ein Ziel. Wer das nachts hört, sieht Bäume wachsen. Oder wenigstens den Schimmel an der Wand.
Biosphere – Substrata (1997)
So ist das, wenn ein Norweger eine eine Lawine sprengt und beschließt, sie zu veröffentlichen. Alles ist kalt, alles fröstelt. Dazu: Geräusche wie Schneeschritte, Radiostörungen unter dem Polarstern, Stimmen von National Geographic auf Valium. Die Platte wurde als "Soundtrack für die Arktis” beschrieben. Eher: Musik für Menschen, die freiwillig ins Minusgradexil gehen und nie mehr zurück.
Conrad Schnitzler – Con (1978)
Der Schnitzler hat das Einwahlmodem vertont, bevor es erfunden wurde. Ich mein, da ist durchaus eine Melodie, aber sicher kein Ziel. Was ja System hatte. Der Schnitzler war nämlich bei Tangerine Dream und dann nicht mehr, weil er lieber allein in Berlin Geräte gestapelt hat. Das Ergebnis: Musik wie eine schlecht geerdete Steckdose, bevor der Dreijährige mit Messergabelfeuerlicht dran rumfummelt. Wer "Con” hört, versteht also: Ambient war mal experimenteller Nihilismus mit langen Haaren und Kabelsalat. Nicht immer schön, aber zumindest zuerst da.
Peter Michael Hamel – Colours of Time (1980)
Foucault hat LSD genommen und ging in die Wüste. Dann verläuft sich die Geschichte. Manche meinen, er ist aus Versehen über einen Synthesizer gestolpert und hat dann fünf Stunden lang nicht mehr aus dem Loop rausgefunden. Andere sagen, ähhh? Na ja, egal. Will ja alles irgendwohin, aber bleibt dann doch da. Meditativ, aber nicht im Esoterikhemd. Mehr so: "Ich war in Indien und hab was mitgebracht – keine Ahnung, was es ist.”
Fennesz – Endless Summer (2001)
Ein Album wie ein kaputtes Mixtape, das man trotzdem nie wegwirft. Warum? Weil alles schwimmt. Gitarren tauchen auf wie Erinnerungen, dann verschwinden sie wieder. Und zum runden Jubiläum tippen sportliche Musikjournalisten dann Sätze, die mit "Nostalgie als Soundästhetik” beginnen. Na ja, war ja auch der Sommer, den man nicht erlebt hat, aber trotzdem vermisst. Am Ende nicken sowieso alle: Fennesz hat hier den Beach Boys nämlich den Stecker gezogen und bei Basinski reingelullt.
Christina Vantzou – No. 4 (2018)
Streicher, die sich benehmen wie Nebel im Fernsehen. Alles wirkt, als wäre es ein bisschen zu langsam aufgenommen. Und dann nochmal gedehnt. Vantzou arbeitet mit einem Orchester, aber keiner merkt’s. Es klingt nicht groß, nur tief. Keine Dramatik, eher: "Ich bin halt da.” Das hier ist Musik für Leute, die ihre Zimmerpflanzen duzen und trotzdem wissen, wie ein Theremin funktioniert. Zwischen Kammermusik und Geräuschnarkose. Aber mit Klasse.
Laraaji – Ambient 3: Day of Radiance (1980)
Brian Eno schickt einen Straßenmusiker ins Studio und sagt: "Mach mal was mit dem Teil da.” Laraaji macht was. Irgendwas zwischen Esoterikmesse und New-Age-Casino, aber mit einem Ernst, der entwaffnet. Die Stücke heißen "Dance” und sind ungefähr so schwungvoll wie ein Rollstuhl. Trotzdem nicht kitschig, sondern: hypnotisch gut gemeint. Was soll man sagen: Es ist absolute Musik für Leute, die sich mit Klangschalen unterhalten.
Hiroshi Yoshimura – Music for Nine Post Cards (1982)
Meine Damen und Herren, zu ihrer Linken hören Sie: japanischen Büro-Ambient, der wie ein freundlicher Luftzug im Museumsshop klingt. Komponiert angeblich für ein Kunstmuseum in Tokio. Man glaubt es sofort: Ist ja keine Absicht dahinter. Das heißt, es plätschert, aber nie zu laut. Yoshimura hat hier eine Art musikalisches Teetrinken erfunden – allein, mit Blick auf den Innenhof. Es passiert nichts, und genau das ist das Konzept. Funktioniert besser als jede Push-Benachrichtigung.
Pauline Oliveros – Deep Listening (1989)
Drei Menschen gehen in einen stillgelegten Wassertank und machen was mit: Akkordeon, Elektronik, Stimme. Alles hallt, alles bleibt stehen. Außer … Echo, Echo, Echo. Oliveros nannte das "Deep Listening”. Was einigermaßen anstrengend ist, wenn man nicht gerade in der sogenannten Gegenwart beschäftigt ist. Deshalb, versuchen wir es so: Klingt wie eine Séance unter Ingenieurinnen. Oder wie ein Yoga-Retreat für Klangfetischisten mit DIY-Ambitionen. Kein Soundtrack fürs Einschlafen. Eher fürs Nicht-Weglaufen.
Susumu Yokota – Sakura (2000)
Es gibt Musik, die schämt sich für ihre Schönheit. Und es gibt das. Quasi ein selbstbewusstes Blickgeficke in der eigenen Schaufensterspiegelung, nur halt: mit Musik. Das heißt: Tonband-Poesie. Also: japanische Zurückhaltung. Schließlich will da kein Track wirklich was Ernstes, keiner drängt sich ungut auf. Und trotzdem (oder gerade deshalb) bleibt alles hängen, weil: "Sakura” ist immer noch der höflichste Versuch, Musik in Luft aufzulösen.
Julianna Barwick – Nepenthe (2013)
Die Geschichte geht so: Eine Frau singt sich selbst in den Hintergrund. Alles besteht aus geloopten Stimmen, keine Beats, selten Gitarren – nur Hall und Raum und das Dazwischen. Ungefähr so wie eine Kirche ohne Religion. Oder ein schlecht isolierter Wintergarten – im Winter. Zieht wie Sau, da kann man nix machen. Aber, schau: "Nepenthe” reicht dir eine Decke, ohne zu fragen, ob du frierst, weil: Gern geschehen!
Felicia Atkinson – The Flower and the Vessel (2019)
Hier spricht jemand flüsternd über Dinge, die man nie ganz versteht, während im Hintergrund ein Modularsystem Kaffee kocht. Alles wirkt gewollt fragmentarisch, wie ein Tagebuch in Lautschrift. Zwischen dem, was bei LinkedIn "Sample-Kunst” heißt, französischem Halbsatz und dem Wikipediaeintrag zu Mikrotonalität. Insgesamt also Musik, bei der man nie weiß, ob das schon das Stück ist oder noch die Vorbereitung.
Midori Takada – Through the Looking Glass (1983)
Eine Frau steht vor einem Gong und fragt ihn nach dem Sinn des Lebens. Was dann passiert, ist dieses Album. Glas, Glocken, wahrscheinlich sogar gefangene Träume. Ja, wirklich alles daran ist genau das, was die Achtziger für Oliver Geissen nie waren: schick, elegant und diese Haare! Na ja, Takada hat hier was produziert, was weniger Ambient ist und mehr Zengartenminiatur für den Büroalltag. Wenn niemand da ist und man einfach nur rumsitzt, mit geöffnetem Fenster, aber ohne Romantik.
Kali Malone – The Sacrificial Code (2019)
Orgel. Langsam. Sehr, sehr langsam. Circa so, als hätte jemand einen Ton angeschaltet und dann vergessen, dass er noch läuft. Aber genau das ist der Punkt: Es läuft einfach. Nicht auf der esoterischen Schiene, ohne der Erlösungserleuchtung. Kali Malone tut einfach, als ginge es ums Überleben in Zeitlupe. Und irgendwie geht es das auch. Zumindest für die, die Minimalismus nicht als Einrichtung, sondern als Lebenseinstellung betrachten.

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