Erobique im Interview: Songs für Eskapismus und lange Sommernächte
© Anne Backhaus

Erobique im Interview: Songs für Eskapismus und lange Sommernächte

Features. 18. Juni 2023 | 4,8 / 5,0

Geschrieben von:
Nikta Vahid-Moghtada

25 Jahre nach seinem Debüt 'Erosound' veröffentlicht Carsten Meyer aka Erobique sein langersehntes zweites Album auf seinem Label A sexy. 'No. 2' heißt es auch ganz nüchtern und liefert den Soundtrack für einen langen, heißen Sommer. Mit dabei sind Künstlerinnen und Künstler wie Sophia Kennedy, Siriusmo oder Nicola Rost. Die erste Single 'Verkackt' ist im April erschienen: Ein ziemlich fröhlicher Song für Momente, in denen das Leben nicht ganz so rund läuft, aber eben trotzdem weitergeht. Und so viel sei schon verraten: Auch mit 'No. 2' nimmt Erobique uns musikalisch in den Arm. Wir haben Carsten Meyer kurz vor dem Album-Release am 16. Juni zum Interview getroffen und übers Musikmachen auf der Bühne und im Studio, über schlechte Laune, über das Schöne im Unperfekten, Eskapismus und das kurze Leben gesprochen.

DJ LAB: Wie geht's dir? Das Album steht kurz vor der Veröffentlichung, bist du erstmal urlaubsreif?

Erobique: Das Album ist ja schon seit einer Weile im Kasten. Ich bin so langsam ungeduldig und scharre mit den Hufen. Ich will, dass es jetzt endlich rauskommt.

Du hast jetzt 25 Jahre auf dieses Album warten lassen. Und es wird sehnlichst erwartet. Bist du nervös?

Ich bin extrem entspannt, auch auf die Gefahr hin, dass die Leute sagen: Das ist doch totaler Scheiß, was du da abgeliefert hast. Ich freu mich, wieder rauszukommen und vor Menschen zu spielen. Da bin ich eher positiv aufgeregt, nicht nervös. Und ich finde das Album selber toll, das reicht dann erstmal auch.

'No. 2' klingt für mich nach einem heißen Sommertag. Man hat frei und gute Laune, fährt mit dem Rad zum See, und man weiß: Der gekühlte Sekt im Rucksack ist wahrscheinlich schon lauwarm, wenn man ankommt.

Ja, das ist ziemlich genau das, wofür die Musik gemacht wurde. Für eine schöne, freie Zeit. So viel zu intellektualisieren gibt es da eigentlich auch nicht.

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Die erste Single von 'No. 2' ist im April erschienen. 'Verkackt' heißt sie – ein Titel mit viel Interpretationsspielraum.

Ja, das lädt zum Interpretieren ein, das ist auch in Ordnung so. Das Tolle an Stücken wie 'Verkackt', 'Urlaub in Italien' oder auch bei 'Ravedave' auf der neuen Platte, ist, dass ich mich nicht hinsetze und gezielt Texte schreibe. Mir fällt der Text beim Machen ein und dann lasse ich ihn so. Ich mag den Interpretationsspielraum. Bei 'Verkackt' ist es so: Die Nachrichten laden gerade ja nicht unbedingt dazu ein, immer besonders happy zu sein. Da hat man ja hin und wieder eine dystopische Weltsicht. Und das betrifft mich genauso wie andere Menschen auch, dass man davon runtergezogen wird. Und dann ist vielleicht auch das Wetter nicht so schön und draußen ist alles grau und man denkt nur noch: Die Welt, wie man sie kennt und liebt, geht vor die Hunde. Deswegen habe ich aus 'Verkackt' ein sehr freundliches Stück gemacht. Ich finde es aber auch toll, wenn die Leute das singen, wenn ihr Fußballverein verloren hat oder wenn Paare das Lied als fröhlichen Trennungssong nehmen. Oder man versucht zum Beispiel mit dem YouTube-Tutorial die kaputte Waschmaschine zu reparieren und man verkackt es halt einfach. Dafür ist der Song auch durchaus geeignet.

Du hast es schon angesprochen. Die Pandemie, okay, die ist vorbei, aber in den Nachrichten dominieren Kriege, Inflation, die Klimakrise. Kurzum: Die Welt geht gerade mehr unter als sonst – und dann kommt, just in dem Moment, ein neues Erobique-Album, das uns in den Arm nimmt und sagt: Hey, alles wird wieder gut. Gutes Timing?

Nee, ich sag nicht, dass alles wieder gut wird. Aber in den Arm nehmen will ich euch schon. Musik kann ja viele Ansprüche erfüllen. Für mich ist klar: Es ist mein Job, Leuten eine gute Zeit zu bereiten. Und auch ein bisschen Eskapismus zu bieten, über Musik, übers Tanzen, über schöne, warme Harmonien. Das wollte ich mit der neuen Platte auch machen.

Kannst du noch etwas mehr zur Entstehung des Albums erzählen? Hast du es an einem Stück geschrieben oder waren es eher Puzzleteile, die über die Jahre entstanden sind?

Ja, ein bisschen so war es. Ich setze mich nicht gezielt hin und schreibe Musik. Das muss ich machen, wenn ich zum Beispiel Filmsoundtracks mache oder für jemand anderen arbeite. Aber sonst kommt die Musik eher frei zu mir. Das, was ich da auf der Bühne mache, vor einem Publikum, das die Musik und die Performance beeinflusst, habe ich natürlich im Studio vermisst. Und deshalb fiel es mir zum Beispiel auch schwer, so ein Lied wie 'Easy Mobeasy' als Studioversion aufzunehmen, weil einfach die Hälfte fehlt, nämlich das Publikum. Ich habe trotzdem die ganze Zeit Musik gemacht und habe in den letzten Jahren extrem viel aufgenommen, auch mit Freundinnen und Freunden. Es war viel Arbeit, sich jetzt wieder durch dieses Archiv zu wühlen und die Perlen rauszupicken. Die Rohversionen dieser Songs habe ich zusammen mit anderen Musiker:innen neu aufgebaut. Ich bin froh, dass ich aus dem Album eine Art Gruppenarbeit machen konnte und dass es kein Ego-Ding wurde, für das man nächtelang alleine vor seinem Computer sitzt. Ich habe tolle Menschen getroffen, wie zum Beispiel Milena Hoge, die Jazz-Harfe spielt.

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Du hast fürs Album noch mit anderen Künstlerinnen und Künstlern zusammengearbeitet. Mit Sophia Kennedy zum Beispiel, mit Nicola Rost, aber auch mit dem Berliner Produzenten Siriusmo.

Ja, ich hatte schon lange Lust, mit Siriusmo zusammenzuarbeiten. Das war auch wirklich Magic. Ich bin seit 1998 Fan von ihm. Nicola Rost von der Band Laing habe ich etwa zehn Jahre später kennengelernt. Und ich dachte, wenn ich jetzt schon so eine Platte mache, dann kann ich das ja auch als Anlass nehmen, mal mit all diesen Leuten Musik zu machen.

Du hast neulich im Golden Pudel Club in Hamburg dein 25. Bühnenjubiläum gefeiert. Warum dort – was bedeutet dir der Pudel?

Das Tolle am Pudel Club ist, dass er sich selbst regeneriert, über junge Leute, die dort auflegen und das Programm mitgestalten. Trotzdem haben sie ein Herz für ihre Oldies und dann bekommen solche Opis wie ich auch mal noch einen Mittwochabend. Und das war wie ein Klassentreffen. Zum Schluss kam noch ein Freund, Carsten Schnathorst, auf die Bühne und hat die ganze Hütte zum Einstürzen gebracht. Ich verbinde mit dem Pudel wirklich einen Freiheitsbegriff, der sich über das normale Ravetum erstreckt. Ich habe so tolle Erinnerungen an den Pudel. Es ist ein sehr, sehr freier Ort, an dem wirklich alle Menschen willkommen sind.

Ganz andere Frage: Du hast auch das Artwork fürs Album selbst gestaltet, oder?

Ja, das ist mein Hobby. Für alle Platten, die ich auf meinem Label A sexy rausbringe, mache ich das Artwork am liebsten selbst. Es ist ein schöner Akt: Da ist die Platte fertig und man hat eine Woche Zeit, dafür zu zeichnen. Das ist ein bisschen meinem 14-jährigen Ich verschuldet, das damals Cover für Platten gezeichnet hat, die es gar nicht gab, oder für Platten, deren Cover es doof fand. Am Zeichnen und Illustrieren habe ich richtig viel Freude.

Wollte Vergangenheits-Carsten jemals Illustrator werden?

Ja, ich wollte als junger Mann nach dem Abitur in die Werbung gehen und habe sogar ein Studium angefangen. Ich dachte immer, ich müsste mit so etwas Seriösem wie Grafikdesign mein Geld verdienen und Musik als Hobby nebenher machen. Und auf einmal hat sich das Blatt gewendet – und nun sind esmittlerweile 25 Jahre. Aber irgendwann im Alter Kinderbuchillustrator werden, das fänd ich toll. So Janosch-mäßig, auf einer Insel sitzen, so als alter Säufer, der immer einen klugen Spruch parat hat und ein paar lustige Aquarelle malt.

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Du hast in einem taz-Interview mal einen sehr schönen Satz über Understatement gesagt. "Understatement ist die Hoffnung, dass die eigenen Fähigkeiten erkannt werden, ohne dass man sich mit Reklame zuhängen muss. Was soll ich denn ein buntes Sweatshirt tragen, wo irgendwas draufsteht? Ein Pullover in Beige reicht aus."

Ich dachte gerade auch: Da habe ich einen hellen Moment gehabt! Und gleichzeitig finde ich, gibt's nichts Tolleres als bunte Sweatshirts. Ich weiß nicht, wie ich auf die Idee kam, dass ein beiger Pullover ausreicht. Aber es geht ja darum, dass wir in einer Zeit leben, in der wir uns über soziale Medien die ganze Zeit ins rechte Licht rücken müssen. Und wer kein Produkt hat, muss sich selbst zur Marke generieren. Ich selber habe keinen Bock, die ganze Zeit die Reklametafel hochzuhalten und zu sagen: Hier bin ich, überseht mich bitte nicht. Dafür ist das Leben zu kurz.

Du meintest auch mal, dass dich das Thema KI in der Musik beschäftigt. Macht dir – wir erinnern uns an den KI-generierten Drake-Song – diese Entwicklung Sorgen?

Die Essenz des Musikmachens an sich, nämlich sich mit anderen Menschen zu treffen und live zusammen Musik zu machen, kann eine KI nicht ersetzen. Ich denke wie bei vielen Sachen: Okay, lasst uns einfach machen, Konzerte spielen, draußen feiern, tanzen, Quatsch machen, Fehler machen, unperfekt sein.

Apropos: Gibt es einen solchen Tour-Moment, der dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Ja, neulich erst im Pudel, als mein Freund Carsten auf die Bühne gekommen ist und gesungen hat. Er hat improvisiert, ein bisschen R'n'B und alten Soul, und hat das Publikum in Rage getrieben. Im Schlussapplaus fängt er an, 'Pump up the Jam' von Technotronic zu singen. Und ich fasse aufs Klavier und finde sofort die richtigen Tasten und Akkorde und der Schlagzeuger legt auch direkt los. Das sind Momente, in denen alles zusammenkommt und ich es selbst auch nicht mehr kapiere. Genau für diese Momente macht man das doch.

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