Geschichte der elektronischen Musik – die 50er

Geschichte der elektronischen Musik – die 50er

Features. 3. Juli 2020 | 3,8 / 5,0

Geschrieben von:
Simon Ackers

Der Anblick eines Synthesizers auf der Bühne gehört heutzutage zur Normalität, Computer als Mittel zur Musikproduktion zum Standard und vom Techno über Ambient bis hin zum Pop ist elektronische Musik mittlerweile allgegenwärtig zu hören. Bevor sie allerdings Einfluss in den kommerziellen Musikmarkt fand und Teil unserer Popkultur wurde, experimentierten einige MusikerInnen zuvor schon mit abstrakten Soundcollagen, Tonband-Manipulationen und ersten Synthesizern.

Die Geschichte der elektronischen Musik reicht weit in die Zeit zurück und beinhaltet zahlreiche KünstlerInnen, Genres und Spielarten. In dieser Rubrik wollen wir euch einzelne geschichtliche Aspekte näherbringen und in den Kontext aktueller Techno- und House-Musik setzen. In jedem Artikel der Reihe 'Geschichte' befassen wir uns mit einem bestimmten Zeitpunkt oder Genre, um die Geschichte der elektronischen Musik greifbarer zu machen.

Elektronische Musik: Ausgangslage

In einem Europa, gezeichnet von den Zerstörungen des 2. Weltkriegs, entstand in den aufkommenden 50er Jahren eine immer größer werdende Zahl an KünstlerInnen, die elektronische Einflüsse wie Tape-Recorder, Sinustongeneratoren, Schallplatten oder Rauscherzeuger in ihre Kompositionen aufnahmen oder sie gar zum Hauptbestandteil ihrer Arbeit machten. Neben einer notwendigen technologischen Entwicklung, die bestimme Musikarten erst möglich machte, ist es auch der Pioniergeist vieler Nachkriegsmusiker, die sich bewusst gegen musikalische Konventionen richteten und damit einen neuen Kosmos eröffneten.

Getragen von Radio- und später auch Fernsehstationen suchten sie neue Mittel und Wege, um aus Klängen und Maschinen eine neue Form der Musik zu erschaffen. Zwei wichtige Strömungen dieser Zeit sind unter anderem die musique concrète und die „elektronische Musik“, welche eng mit der 1951 gegründeten Studie für elektronische Musik verbunden ist. Sie setzten einige der Grundlagen, auf deren Basis auch heute noch Musik gemacht wird und zahlreiche KünstlerInnen dieser Zeit sind für viele zeitgenössische Interpreten eine große Quelle der Inspiration:

Die musique concrète

Der Französische Rundfunk begann 1948 erstmals mit der Ausstrahlung einer Sendung namens Études de bruits. In dieser Sendung ging es thematisch um die von Pierre Schaeffer entwickelte musique concrète. Musique concrète gilt als eine der ersten Strömungen der elektronischen Musik. Schaeffer und später Pierre Henry wollten entgegen des herkömmlichen Vorgangs des Komponierens Musik aus „konkreten“, also bereits bestehenden Materialien erschaffen. Die Musik basiert darauf, Tonband- oder Schallplattenaufnahmen auseinanderzuschneiden und zu neuen Werken zusammenzufügen. Das konkrete Ausgangsmaterial wurde dabei entweder zerstückelt, schneller, langsamer oder rückwärts abgespielt, um es so zu verfremden.

Die Herangehensweise der musique concrète stellte zu dieser Zeit einen großen Bruch in der Musikwelt dar. Nicht selten wurden diese heute als wegweisend eingeschätzten Musiker dieser Strömung von ihren Zeitgenossen zunächst aber kritisiert, der Vorwurf lautetet, dass sie eher Bastler oder Techniker seien. Eines der bekanntesten Werke, die auf der musique concrète und Tape-Manipulation basieren, ist Steve Reichs „It’s Gonna Rain“ aus dem Jahr 1965. Reich verwendete hierbei die Phrase It’s gonna rain aus einer Sprachaufnahme und spielte diesen Schnipsel gleichzeitig auf zwei Tonbandgeräten ab. Dabei entstand durch den asynchronen Ablauf der beiden Bänder und gezielte Manipulation eine hypnotische Komposition, die die Phrase It’s gonna rain in immer wieder neue rhythmische und harmonische Bezüge setzt.

 

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It's gonna rain, it's gonna rain, it's gonna rain […]

 

Ob nun Kraftwerks Einsatz eines herkömmlichen Taschenrechners, Brian Enos Tonbandmanipulation, oder der heutzutage selbstverständliche Umgang mit Samples und Field Recordings: Die Bearbeitung bestehender Soundquellen, um daraus etwas Neues zu erschaffen, ist mittlerweile eine gängige Produktionsweise und einige Grundlagen der musique concrète sind damit Wegbereiter unseres musikalischen Alltags.

Studio für elektronische Musik

Neben der französischen musique concrète bildete sich Anfang der 50er Jahre auch in Deutschland eine weitere, fundamentale Strömung rund um das in Köln neu errichtete Studio für elektronische Musik. Im Gegensatz zur musique concrète spezialisierten sich die Musiker des vom Westdeutschen Rundfunk gegründeten Studios auf das Komponieren mit elektronischen Instrumenten und der Weiterentwicklung von Technik. Statt sich also auf konkretes, schon vorhandenes Material zu beziehen, erschufen die KünstlerInnen der zu diesem Zeitpunkt noch sogenannten elektronischen Musik (später auch elektroakustische Musik; wobei sich die Begriffe über die Jahre hinweg schnell vermischten und dadurch nicht klar trennbar sind.) ihre Musik aus dem Abstrakten.

Sie erzeugten und vermischten Sinustöne miteinander, experimentierten mit Ringmodulatoren, Rauschgeneratoren, Frequenzfiltern und Hallgeräten. Das oberste Credo lautete, alle Töne und Geräusche künstlich zu erschaffen und keine organischen Elemente zu verwenden. Von diesem Grundsatz angetrieben suchten sie nach neuen Wegen und Möglichkeiten, ihre Ideen umzusetzen und waren dadurch für eine große technologische Weiterentwicklung mitverantwortlich.

 

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Einer der bekanntesten Künstler, der dem Studio für elektronische Musik entsprungen ist, ist der Düsseldorfer Karl-Heinz Stockhausen. Gerade zu seinen Anfängen komponierte Stockhausen noch strikt nach dem oben beschriebenen Gedanken der elektronischen Musik, nahm allerdings später immer wieder Bezug auf andere Stile, vor allem der musique concrète. Das Studio für elektronische Musik und dessen MusikerInnen erweiterten mit ihrer Arbeit an der Klangsynthese (das künstliche Erzeugen von Klängen) das musikalische Vokabular und schufen neue Klangfarben, die bis heute Bestand haben und unser Hörverhalten prägen.

Darüber hinaus entwickelten sie durch ihre Art des Musizierens eine andere Form der Komposition. Schreibt man Musik für ein bestimmtes Instrument, wie etwa ein Klavier, ist dies auch immer mit der Spielweise (instrumental idiom) des Instruments verknüpft. Da die damaligen Geräte nicht wie moderne Synthesizer über eine Klaviatur verfügten und auch keine Saiten oder sonstige bekannte Formen der Klangerzeugung besaßen, entstand zwangsläufig eine neue Form des musikalischen Denkens und des Komponierens. Am ehesten lassen sich die damalige Klangerzeuger und deren Spielweise mit der eines gerade in der Techno-Szene sehr beliebten Modular Synthesizers vergleichen.

Ausbreitung und ein erster Schritt in die Popkultur

Sowohl die Klänge der elektronischen Musik als auch der musique concrète verbreiteten sich schnell auf der ganzen Welt und faszinierten Musikschaffende wie Toningenieure gleichermaßen. Gerade in Hörspielen für Radiostation und frühen Science-Fiction-Filmen kam elektronische Musik und Klangerzeugung zum Einsatz. Spätestens am 23. November 1963 wurde sie dann Teil der Popkultur. Da nämlich strahlte die BBC die erste Folge Dr. Who mitsamt der ikonischen Titelmelodie aus und hält damit heutzutage den Guinness-Rekord für die am längsten laufende und kommerziell erfolgreichste Sci-Fi-Serie im Fernsehen.

 

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