Hard Techno war sicher mal Utopie. Sagen jene, die Utopien heute anstrengend finden, weil: Sie erfordern Zeit, Geduld und vor allem den Glauben an etwas, das kommt. All das war einmal. Inzwischen ist Techno zu aggro für Anarchie, zu belastend für Gedanken. Aber vor allem: zu hard für Träume.
Wir reden von Katapultmusik, die maximale Intensität auf kürzestmögliche Zeit komprimiert. 160, 170, 180 Beats in der Minute, kein Rhythmus mehr, kein Groove, eher: die logische Folge von klebrigen Gesellschaftüberresten, in denen man ständig Angst hat, etwas zu verpassen. Und in denen man auch das Feiern optimiert. Wer hat schon Zeit, in vier Stunden was zu spüren? Man knattert lieber zehn Minuten zu akustischem Gemetzel und feiert den therapeutischen Speed-Rave.
Gib Beat, Mann!
Ja, Hard Techno ist der Energy-Drink unter den Technomutationen. Er verspricht den sofortigen Kick, die volle Härte. Er ist so erfolgreich, weil er keinerlei musikalisches Vorwissen voraussetzt. Du musst keine Entwicklung in der Musik hören, keine Subtilität in der sogenannten Kuratierung. Du musst nur reagieren. Und wer am lautesten brüllt, hat angeblich recht. Das macht Hard Techno zum perfekten Starter-Kit für jugendlichen Radikalismus, der vor 40.000 Halbnackten im Stadion genauso gut ballert wie beim Husteln auf TikTok.
Das Schöne ist: Die Lautstärke ist dabei keine Ästhetik, sondern eine Strategie. Um das letzte bisschen kognitive Funktionsfähigkeit auszuschalten. Wo der klassische Techno noch sagte: "Komm, schließ deine Augen, wir tanzen", brüllt Hard Techno: "Halt die Fresse und fühl nichts als diesen Beat, du Lauch!" Es ist das allerletzte Boss-Gebot: Man muss keine Haltung einnehmen, keine Zwischentöne verstehen, keine Melodie entschlüsseln. Man muss nur mutig mitmachen.
Diese Musik bedient nämlich nicht die Ekstase. Sie schielt auf die emotionale Kurzschlusshandlung. Sie ist der Sound der Wutimkopfmenschen, die es sich nicht leisten können, leise zu sein. Und die Arroganz dieser Lautstärke? Liegt darin, dass sie sich als radikal tarnt. Dabei gibt es nichts Harmloseres als einen Sound, der so schnell und laut ist, dass er keinen Raum für Widerrede lässt.
Distinktionswas?
Klar, ein paar Ewigältere grätschen zwischendurch rein. Erzählen von früher, von Peace und Love und so weiter. Aber frag mal jemanden im besten Axe-Alter, was das heißen soll – ein DJ-Name vielleicht? So wie SPFDJ oder VTSS oder AZYR oder einer dieser anderen Passwortvorschläge im WWW, also: Wut, Wucht, Wahnsinn.
Ihre Musik signalisiert jedenfalls schon: Hier hat niemand Zeit für Liebe, es gilt Aggression abzuarbeiten. Die viel beschworene Community ist in diesem Tempo nur eine Menge von Einzelkämpfern, die sich anrempeln, nicht aus Versehen, sondern als Teil des Programms. Der Ellenbogen ist der neue Taktgeber. Das ist nicht Unity. Das ist die geduldete Vereinzelung im Takt des Kapitals. Denn die reine, ungefilterte Härte lässt sich besser als Premium-Erlebnis verkaufen als das zarte Schwingen zu, sagen wir, Deep House.
Dabei ist das natürlich Pose, aber eine, die funktioniert. Härte als soziales Distinktionsmerkmal. Je aggressiver der Sound, desto authentischer die Haltung. Zärtlichkeit gilt als Verdacht, Ambivalenz als Schwäche. Die Härte ist so cool wie eine Sonnenbrille um vier Uhr früh – einfach weil sie nichts erklärt. Wer hart ist, muss nicht rechtfertigen, warum er tanzt. Also baut man Hedonismus zu einem Fitnessprogramm der Gefühle um, wobei das beste Gefühl das ist, keines mehr zu fühlen.
Schmiermittel schmeckt schmierig
Betrachten wir die Uniform: schwarz, schnell, schlampig. Also, irgendwas zwischen Only-Fans-Account und Kettenbrücke. Nicht gerade die Kleidung der Befreiung, eher eine der Bedrohung. Man gibt vor, eine geile Gefahr zu sein, um die eigene Leere zu überdecken. Es ist eine ästhetische Drohgebärde im gesicherten Raum. Der Rausch ist dabei nicht mehr das Ziel, sondern nur noch das notwendige Schmiermittel, um diese Geschwindigkeit zu ertragen.
Der Hard-Techno-Mensch ist damit ein Paradox. Er sucht Kontrollverlust und bleibt dabei makellos. Kein Stolpern, kein Chaos. Ein durchtrainiertes, oberkörperfreies Publikum, das seine Ekstase timet wie den Proteinshake danach, hält durch. Deshalb ist alles funktionalisiert: der Sound, der Körper, vermutlich sogar das Begehren. Man schwitzt schließlich auch für den Algorithmus und der will immer mehr, immer schneller, nie genug.
Aber vielleicht passt das ja. 160 BPM bedeuten: keine langen Übergänge, keine Dramaturgie, die irgendwer Reise nennt. Einfach: sofortiger Impact, zwei, drei Minuten maximale Intensität, dann weiter. Langeweile ist nämlich der wahre Feind. Die Aufmerksamkeitsspannung reicht vorübergehend bis zum nächsten Drop. Das heißt: Eigentlich tanzt man gar nicht, man scrollt mit dem Körper.
Hard Techno: Klangkunst, Karacho!
So hat Hard Techno die Anonymität als Haltung perfektioniert. Aber nur insofern, als er die Individualität des Leidens kaschiert. Man fühlt sich underground, weil die Musik so anders ist. Dabei ist sie nur der Pop-Track für den inneren Zusammenbruch im doppelten Marschiertempo.
Also feiert man die Aggression als letzten verbliebenen Akt des Widerstands. Man brüllt in sich hinein. Man zittert synchron zu irgendeinem Klangkünstler. Am Ende der Nacht, gegen 22 Uhr, wenn das redbullgetränkte Adrenalin verflogen ist, steht man wieder da, wo man angefangen hat. Ungelöst und mit der leisen Gewissheit, dass man nächstes Wochenende noch schneller tanzen muss.


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