BBB_ im Interview: "Wie sieht eine neugeborene KI die Welt?"
© Echo Can Luo & Sarah Ama Duah

BBB_ im Interview: "Wie sieht eine neugeborene KI die Welt?"

Features. 24. September 2022 | / 5,0

Geschrieben von:
Nastassja von der Weiden

Alex Sahm und allapopp, bekannt als Künstler:innenduo unter dem (weiterhin nicht entschlüsselten) Namen BBB_, stellen beim diesjährigen Balance Club / Culture Festival in Leipzig ihr neues Album „Songs of Cyborgeoisie“ vor. Und sind damit der Inbegriff von Interdisziplinarität: Sie bewegen sich zwischen Konzeptkunst, Musik, Visuals, Game und Diskurs; zwischen elektronischer Musik, Science Fiction, Performance, Tarot-Therapie-Session und (alternativer) Zukunftsvision. Wir haben Alla und Alex nur wenige Tage vor ihrem Release und der Premiere in Leipzig zum Interview getroffen – und sie über Cyborgs, Computersounds und ihre Beziehung zu Clubkultur ausgefragt.

DJ LAB: Es gibt mehrere Orte, die ich mit euch verbinde: Berlin, Offenbach und Frankfurt am Main. Wie und wo arbeitet ihr, wo habt ihr euch kennengelernt?

Alex Sahm: Wir haben uns ganz romantisch in der Kunst-Uni kennengelernt. Also in Offenbach an der Hochschule für Gestaltung, an der wir beide studiert haben. Als ich dann Arbeiten von Alla gesehen habe, war ich direkt Fan von Allas Texten und Stimme und habe gefragt, ob wir ein Projekt zusammen machen wollen. Getroffen und miteinander gearbeitet haben wir also erstmal in Offenbach und Frankfurt, waren aber auch immer wieder überall verstreut und entfernt voneinander. Inzwischen sind wir beide nach Berlin gezogen.

allapopp: Man sieht uns häufig online zusammen, weil wir sehr verschiedene Schedules und unterschiedliche Lifestyles haben. Also kann man schon sagen, dass wir als BBB_ überwiegend online existieren.

Ihr releast am 30. September 2022 beim diesjährigen Balance-Festival euer zweites Album, nach fünf Jahren. Fünf Jahre sind – je nach Perspektive – eine kurze, mittellange oder lange Zeitspanne. In welcher Verbindung steht „Songs of Cyborgeoisie“ zu eurem ersten Album „I’d rather be an iPhone“?

allapopp: Die Alben stehen auf jeden Fall miteinander in Verbindung. Wir haben inzwischen auch vieles zusammen produziert, was nicht als Musik rausgekommen ist, weil das Projekt an sich eben an der Schnittstelle von bildender Kunst, Musik und Performance arbeitet. BBB_ ist eine Erzählung, eine Weiterentwicklung. Und es geht dabei auch immer um die Vertiefung unserer Beziehung, denn die Inhalte sind sehr persönlich. Wir haben uns bei unserem ersten Album die Frage gestellt: Möchte ich ein Cyborg sein, möchte ich ein Cyborg werden, ist Transhumanismus cool? Dann gab es ein Projekt, bei dem wir Body-Scans von uns kreiert haben – daraus ist das BBB_-Hologramm, ein Twin-Hologramm, entstanden. Und dieses Hologramm erzählt jetzt über Depression, über die Welt, über Dystopie. Es ist alles eine Geschichte.

Alex Sahm: Und die eigentlich technischen Wesen, die mit uns in den Projekten entstehen, wie unsere Body-Scans, die dann zu unserem Hologramm geworden sind, die wachsen mit uns und manifestieren sich neu – und stellen andere Fragen, je nachdem, was sie schon gelernt haben.

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Ihr kommt also musikalisch zurück mit einem Album, einem Computergame und einem Tarotkartenset. Ihr nennt es eine „multimediale sci-fi Oper“ – könnt ihr mehr zur Entwicklung dieses Projekts, bei dem es um Gaming, Gruppentherapie, Traumata, Ängste in zwölf Spiel-Level beziehungsweise Songs gehen wird, erzählen?

allapopp: Bei diesem Projekt waren es wirklich sehr besondere Umstände. Es war gerade die Anfangszeit von Corona, also März 2020, und wir waren im Lockdown. Alex und ich saßen im gleichen Haus fest, was uns sonst nicht so häufig passiert (lacht). In diesem Haus gab es eine tolle Terrasse, auf der wir stundenlang saßen und geredet haben. Wir hatten einfach mal Zeit, vieles miteinander zu teilen und unendlich viel zu besprechen.

Alex Sahm: Zuerst hatten wir uns damals über Künstliche Intelligenz unterhalten. Genauer über eine KI, die selbst denkt, selbst fühlt, selbst entscheidet. Wir wollten dann herausfinden, wie sieht und versteht eine KI, die gerade geboren wurde, die Welt? Dabei sind wir aber schnell an den Punkt gelangt, dass wir diese Fragen nicht beantworten können und wir diese Idee nur sehr schwer weiterdenken können, ohne in dystopischen Bildern zu denken. Und genau damit wollten wir uns dann mehr auseinandersetzen, also mit Dystopien in unserer Zukunftsvorstellung. Für das Spiel haben wir uns dann verschiedene Charaktere ausgedacht – nicht nur eine KI, sondern auch einen Roboter, fantastische und natürliche Wesen und unser Hologramm als menschliches Wesen. All diese Wesen bringen ihre eigene Sicht mit. Jeder Track des Albums erzählt die Sicht von einem Wesen, genau deshalb ist es nämlich auch eine Oper. Es geht darum, all diese Perspektiven kennenzulernen und Unterschiede zu verstehen.

Und möchtet ihr noch mehr zum Titel eures Albums verraten?

allapopp: Alex hat sich den Titel ausgedacht.

Alex Sahm: Den Titel gab es schon vor der Idee des Stücks. Eigentlich sage ich da gar nicht gerne viel dazu, denn man kann den Titel auf vielen Ebenen verstehen. Wir haben viel darüber geredet, wer diese Cyborgeoisie ist: Sind wir was?

allapopp: … oder unsere Gäste?

Alex Sahm: Ist es eine Parallelwelt, eine Zukunftsvision?

allapopp: Will man das, will man das nicht?

Alex Sahm: Viele Fragen, die ich gerne offen lasse.

Wie kam euch die Idee für das dritte Element eures Releases, dem Tarotkartenset? Befragt ihr regelmäßig die Karten nach eurer Zukunft?

allapopp: Voll, ja. Ich lege seit zwölf Jahren Tarotkarten. Für mich ist es Normalität, sich mit den Karten auseinanderzusetzen. Mir kommt das sehr natürlich vor. Grundsätzlich mögen wir es, Geschichten zu erzählen, und das auf ungewöhnliche Art und Weise. Das Game können die Leute eben nur auf ihren Rechnern spielen – daher brauchten wir noch etwas Haptisches. Denn so sehr wir das digital universe auch lieben – wir lieben eben auch haptische Erfahrungen, die berührend sind. Das Tarotkartenset ist eine erweiterte Erzählung der „Songs of Cyborgeoisie“ und beinhaltet 78 Karten, die von 30 verschiedenen Künstler:innen gestaltet wurden.

Tarotkarte 'Hopeful Bacteria', entworfen von Lixing Yang & Teresa Schönherr.

Lasst uns noch ein wenig über die Musik des neuen Albums sprechen. Ein Chor, akustische Instrumente, softe und harte elektronische Elemente sind miteinander verwoben. Ihr erwähnt noch „generative Sounds“, was ist das?

Alex Sahm: Obwohl wir eng zusammenarbeiten, haben wir eine Arbeitsteilung. Ich mache viel, was die Musik angeht. Und als ich angefangen habe, die Musik hierfür zu komponieren, war mein Ziel, dass organische Klänge, digitale Klänge und Stimmen lebendig klingen sollen. Es gibt viele spannende Methoden in digitaler Musik „Glitch“ zu erzeugen – was ich als Musiker:in gar nicht beeinflussen kann, da findet quasi eine Art Eigenleben statt. Ich habe viele dieser Methoden ausprobiert, Glitches und Sounds eigenständig kreieren zu lassen, das hört man vor allem im ersten Track. Ich finde diese Sounds sehr spannend, weil ich dann wiederum auf diese Sounds reagieren kann – und es einen Dialog gibt aus gedachter Musik und der Musik, die vom Computer selbst kreiert wurde. Interessant ist aber sicher auch der Chor, wenn wir schon über die Musik reden. Der Chor besteht aus einem Ensemble mit vier Solosänger:innen und bringt viel Persönlichkeit und ein eigenes Mindset mit, das sich im Laufe der Songs ändert.

Ist euer neues Album eine Listening Platte? Konzeptkunst? Philosophie-Hörkunststück?

allapopp: Philosophie-Kunststück gefällt mir richtig gut. Für uns ist es aber auch ein Hörbuch. Es ist keine typische Platte, denn es gibt diverse Tracks – manche bringen dich in Bewegung, manche bringen dich mehr zum Nachdenken.
Alex Sahm: Es gibt sicher auch einzelne Tracks, die in Playlisten funktionieren könnten, aber ich denke, man hat die beste Erfahrung, wenn man die Songs alle hintereinander durchhört. Es ist ein musikalisches Hörbuch mit Tracks, die aufeinander aufbauen.

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Ihr feiert euren Release auf dem Balance Festival in Leipzig. In welchen Punkten greift ihr mit „Songs of Cyborgeoisie“ das Festival-Thema „In:Visibilities“, also Un:Sichtbarkeiten in der Clubkultur, auf?

allapopp: Wir haben unsere Story zwar nicht für das Festival entworfen, aber es gibt viele Unsichtbarkeiten, die wir mit unserem Album bearbeiten. Fast jeder Track wird aus einer anderen Perspektive erzählt und all unsere Charaktere erzählen von Ängsten und Traumata, die sie sonst nirgendwo mitteilen können. Ihre Traumata werden im Laufe des Spiels und des Albums erfahrbar und damit sichtbar gemacht. Und es gibt sogar auch eine Clubszene in unserer abstrakten Welt: Einer der Charaktere, narcissistic Algorithm, geht auf einen Algo-Rave und sagt: „Everything is algorithm. Organisms are algorithms. Information must be free.“

Seht ihr euch als BBB_ als Teil von Clubkultur und verortet ihr euch in der elektronischen Musikwelt?

allapopp: Die Musik, die wir machen, passt, finde ich, sehr gut in Clubs. Nur leider sind wir oft zu kompliziert für Clubbing-Kontexte. Zu viel bildende Kunst, zu viel Performance, zu viel Theater – irgendwie passen wir als Off-Format zwar schon dorthin, aber irgendwie auch nicht. Strukturell passen wir auch nicht unbedingt immer, aber genau deshalb freuen wir uns, die Premiere unseres Albums mit einer Show beim Balance Festival feiern zu können – mit unserer eigenen Crew und sehr viel Technik.

Wer in die natürlich-artifizielle, hyper-glänzende, digital-lebendige, gebrochen-eigene Welt von BBB_ eintauchen möchte, hat am 30. September im Rahmen des Balance Club / Culture Festivals in Leipzig die Chance dazu. Im UT Connewitz wird das Duo elf der zwölf „Songs of Cyborgeosie“ live performen.

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