Tripbericht: Balance Club / Culture Festival 2022 – In:Visibilities

Tripbericht: Balance Club / Culture Festival 2022 – In:Visibilities

Features. 8. Oktober 2022 | / 5,0

Geschrieben von:
Nastassja von der Weiden

Wie können Clubs ein Entfaltungsort für queere, feministische, dekoloniale Utopien sein – inmitten von Krieg, Diskriminierung, Hierarchien und Ausbeutung? Dieser und weiteren Fragen widmete sich das „Balance Club / Culture“ Festival, das am ersten Oktoberwochenende zum fünften Mal in Leipzig stattfand. Das Festival versteht sich als Schnittstelle zwischen Musik, Kunst, Diskurs und Gesellschaftskritik.

Unter dem diesjährigen Festivalmotto "In:Visibilities" sollen sich die Besucher:innen mit Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit in der Clubkultur auseinandersetzen. Und natürlich geht es auch ums Feiern, kollektives Loslassen und Tanzen. Bekannte Namen der elektronischen Musikszene wie Cobrah, Metaráph und U.R.Trax stehen dabei gleichberechtigt mit lokalen DJs aus Leipzig in einem Line-up. Unsere Autorin war vor Ort und hat sich das Festival für uns genauer angeschaut.

Fünf Locations, 50 Artists und ein Thema: In:Visibilities

Das Balance Festival bespielte auch dieses Jahr mehrere Venues. Dieses Mal wurde im Leipziger Osten die „Garage Ost“ als Festivalzentrum für Workshops, Panels und eine Ausstellung von elf Künstler:innen eingerichtet. Das Backsteineckhaus wurde damit zu dem Ort, an den die meisten Besucher:innen mehrfach zurückkehrten, um zu diskutieren und zu reflektieren. Im Institut fuer Zukunft und im Mjut wurde zu DJ-Sets und Live Acts gefeiert, in der Sportetage Süd getanzt – und im UT Connewitz standen wie bei allen Editionen zum Auftakt Konzerte im Fokus.

Ausstellungseröffnung im Festivalzentrum und Konzertauftakt

Der erste Programmpunkt, ein Awareness-Workshop von der Initiative Awareness, gab ein Intro zu Diskriminierung, Prävention, Intervention und Selfcare im Clubkontext. Anschließend wurden das Festival und die Ausstellung im Festivalzentrum mit einer Performance von Klara Lopéz eröffnet. Direkt vor der Tür fuhr danach für alle Konzert-Liveact-Fans ein Bus direkt zum UT Connewitz, um dort mit vier Performances das Festival musikalisch zu beginnen.

In der Konzertlocation, einem historischen Kinosaal im Süden von Leipzig, wurden Birthcore, BBB_, Nazar und Namasenda allesamt frenetisch bejubelt. Absolut herausragend war die Performance von allapopp und Alex Sahm, die ihr neues Album „Songs of Cybergeoisie“ vorstellten. allapopp schritt dabei anfangs durch die Menge im Saal, jede ihrer Bewegungen wurde live über Sensoren an ihrem Körper getrackt. Auf der Bühnenleinwand konnte das Publikum in Echtzeit die Fusion von Alla und den Figuren des Videospiels beobachten.

BBB_ live / © Josephine Jatzlau
© Josephine Jatzlau

Alla und Alex erzählen bei ihrer Liveshow die Geschichten ihrer Charaktere, mal schreiend, mal gesprochen, live, als Hologramm, als Roboter oder „Feminist Artificial Intelligence“. allapop und Alex auf der Bühne zu erleben, lässt sich dennoch kaum beschreiben. Fest steht nach dieser Performance, dass es sie noch gibt, nicht-dagewesene Musikexperimente, wirklich herausfordernde Inhalte, die, zugegeben, auch einiges an Konzentration und Hingabe (ver)brauchen. Und eine eigene Technikcrew, um ein solches Programm auf die Bühne zu bringen.

Die Performance der beiden war mindblowing, ohne Übertreibung. Allein hierfür hat sich das Ticket schon gelohnt. Über vier Stunden Live-Darbietungen forderten in der Nacht allerdings eins: Schlaf.

Key Panel: Sichtbarkeit in der Clubkultur und IfZ-Clubnacht

Samstag auf dem Balance Festival. Ein Panel, das sich intensiv und konkret mit dem Festivalmotto „In:Visibilities“ auseinandersetzt, vereinte vier Akteur:innen der Clubkultur und Autor Zain Salam Assaad unter dem Claim „Sichtbarkeit in der Clubkultur“. Schwarze, nicht-binäre, „behinderte und verrückte“ Perspektiven in Clubs, zu Machtverhältnissen und Repräsentanz wurden mit Performer:in Muxxxe, DJ Juba und Michi Schulz sowie Carmela Sirkes de Capella, die sich beide für inklusives Feiern engagieren, vorgestellt und diskutiert.

Mit der Auswahl der Speaker:innen und Künstler:innen wurde somit die Möglichkeit eröffnet, neue und kritische Fragen zu stellen und bestenfalls gemeinsam zu beantworten. Im Key-Panel ging es um die Vision von Clubkultur, wie Clubs aussehen könnten und vielleicht müssten, welche Bedürfnisse und welche Betroffenheiten es gibt.

Um Clubs inklusiver zu gestalten, müssen darin manchmal ganz konkrete Hindernisse ab- oder umgebaut werden. Carmela Sirkes de Capella von der Initiative „behindert und verrückt feiern“ erzählte in der Diskursrunde von ihren Erfahrungen als körperlich behinderte Person mit Rollstuhl im Nachtleben – und hat dabei schöne, aber auch unschöne Begegnungen mit den Zuhörer:innen des Panels geteilt. Sie wünscht sich mehr Clubs wie das Schwuz in Berlin, in dem Menschen mit Behinderung inklusiv und eigenständig feiern können. Der Club ist barrierearm eingerichtet, alle Floors sind mit dem Rollstuhl erreichbar.

© Josephine Jatzlau

Sie betonte, dass Barrierefreiheit im Club einerseits baulich mitbedacht werden muss, wenn es um Zugänge geht – aber die Leute, die im Club arbeiten und die mitfeiernden Gäst:innen müssten ebenso sensibel sein. DJ Juba fasste die verschiedenen Visionen und Wünsche des Abends schließlich zusammen: „My wish is that all people can feel safe and enjoy the fucking music.”

Und natürlich geht es auch genau darum, loszulassen und gemeinsam auf dem Festival zu feiern, zu tanzen, zu genießen. Carmela Sirkes de Capella, die in Berlin lebt und das Feiern liebt, sagte im Talk, „dass ein, zwei Stunden schnell zu einer ganzen Nacht werden können“. Wie wahr! Im Institut fuer Zukunft wurde passend dazu nach dem Panel mit einem Line-up aus internationalen, nationalen und lokalen Größen der Szene aufgefahren. Mit dabei DJ Fuckoff, Agyena und U.R. TRAX. Und: Das IfZ hat vor Festivalbeginn einen Rollstuhllift einbauen lassen. Damit war es zumindest in einem Club dieses Jahr das erste Mal für Besucher:innen im Rollstuhl möglich, mitzufeiern.

Panel after Panel, Mjut-Clubnacht und Abschluss

Der Sonntag ist normalerweise vornehmlich in Berlin ein Tag, an dem bis Montag durchgefeiert werden kann. Der Feiertag machte es möglich, dass auch beim Balance Festival noch eine Nacht drin war. Und was für eine. Holy fuck. Die Acts zogen, wie auch in der Nacht davor, hunderte Besucher:innen vor und in den Club. Als Highlights stachen dabei die Live Acts Muxxxe und Cobrah heraus. Aber auch die DJs Juba und Métaraph lieferten Ekstase, sowohl auf Künstler:innen- als auch auf Publikumsseite.

Das Panel „Performance as an Act of Radical Resistance” von Va-Bene Elikem Fiatsi schloss das Festival dort ab, wo es auch eröffnet wurde, in der Garage Ost. Das diesjährige Balance hat, wie in den Jahren davor, Fragen gestellt, die nicht einfach zu beantworten sind und (hoffentlich) noch lange nachhallen werden. Die Macher:innen, Speaker:innen und Künstler:innen haben auf unterschiedlichsten Wegen dargelegt, was sich im Clubkulturbereich ändern muss, welche Perspektiven endlich gehört werden müssen, welche Akteur:innen in der Clubkultur sichtbar, welche weiterhin unsichtbar sind – und welche Potenziale in den Räumen der Gegenkultur, in Clubs, liegen.

Das Balance Festival 2022 im Nachbericht.
© Nathalie Schüler

Veröffentlicht in Features und getaggt mit 2022 , Agyena , Balance Festival , BBB_ , behindert und verrückt feiern , Birthcore , Carmela Sirkes de Capella , Cobrah , DJ Fuckoff , DJ Juba , Garage Ost , IfZ , Initiative Awareness , Institut fuer Zukunft , Leipzig , Metaráph , Michi Schulz , Mjut , Muxxxe , Nachbericht , Namasenda , Nazar , Tripbericht , U.R.Trax , UT Connewitz , Va-Bene Elikem Fiatsi

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