Buch-Essentials: Techno-Romane
Ob Standardwerke, Belletristik, Fotobücher oder Techno Autobiographie: Unsere Essentials-Serie stellt die wichtigsten Bücher rund um Techno, House und DJing vor. Übrigens: Wir haben in diesem Artikel so oft es geht Affiliate-Links zum Buchhandel Buch7 eingefügt. Buch7 spendet 75% des Gewinns an soziale, kulturelle oder ökologische Einrichtungen und bietet gleichzeitig alle gewohnten Annehmlichkeiten großer Versandhandel wie Amazon und Co. Informationen dazu bekommt ihr hier.
Es lässt sich aus fast allem Literatur machen. Nur fällt es bei manchen Dingen einfacher, Romane daraus zu spinnen. Liebeswirren? Ein Leichtes. Krieg, Frieden und alles dazwischen? Sowieso. Raven? Da wird’s schwierig. Tatsächlich greifen natürlich immer mal wieder Romane das Nachtleben und Cluberfahrungen auf oder stellen sie sogar in ihr Zentrum, nicht selten aber geht das grandios schief.
Angefangen mit den VertreterInnen der Popliteratur wie Christian Kracht, Benjamin von Stuckrad-Barre oder Alexa Hennig von Lange bis hin zu Journalisten wie Martin Schacht, Rainer Schmidt oder Timo Hanekamp: Im deutschsprachigen Raum haben sich seit den neunziger Jahren eine Menge AutorInnen an dem Stoff versucht, der sie in der Nacht wach hielt. Von internationalen AutorInnen wie Irvine Welsh, Barbara Markovic oder zuletzt Joseph Cassara mal ganz abgesehen.
Unsere Auswahl von sechs mehr oder minder zusammenhängenden Erzählungen – in Anbetracht des Themas ist schließlich alles relativ – ist vor allem als Zeitstrahl zu verstehen: Während vormals noch direkt aus dem Handgemenge der Rave-Hochzeiten geschrieben wurde, dienen die Anfangstage von Techno und House in Deutschland mittlerweile als Hintergrund für historische Erzählungen.
Rave (1998) von Rainald Goetz
Wer Rave sagt, muss auch 'Rave' sagen: Rainald Goetz’ bahnbrechende Erzählung über das Leben neben, hinter und auf dem Dancefloor während der Hochphase der Techno-Revolution macht schon von der ersten Seite an klar, was Sache ist: „Wirr: Dann stand ich mitten in der Musik. – Schub.“ Der Schriftsteller verbringt die neunziger Jahre genau dort: mitten in der Musik. Im Schlepptau von WestBam etwa, mit dem gemeinsam er das Buch 'Mix, Cuts und Scratches' verfasst, oder Sven Väth, dessen Reisen um die Welt er unter anderem in 'Celebration. 90s Nacht Pop' literarisch verarbeitet.
'Celebration' gehört wie 'Rave' zum Erzählzyklus 'Heute Morgen', der zwischen den Jahren 1998 und 2000 in fünf Bänden erscheint und außerdem das Theaterstück 'Jeff Koons', die Erzählung 'Dekonspiratione' sowie den legendären Roman 'Abfall für Alle' umfasst. 'Rave' aber ist das Buch von den fünfen, das wie kein anderes eine Sprache für den Irrsinn findet, in welchem sich der Autor von 'Irre' im bereits fortgeschrittenen Alter wiederfindet. Goetz’ Stil ist zerfahren, seine Perspektive radikal subjektiv, literarische Konventionen sind ihm komplett egal. Sehr Techno, das. Und am Ende liefert er noch das Motto aller Vollzeit-RaverInnen nach: „Nein, wir hören nicht auf, so zu leben.“
Rainald Goetz
Rave
272 Seiten
9,99 €
ISBN: 978-3-518-39737-4
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Hellblau (2001) von Thomas Meinecke
Die Ironie von der Geschicht’ allerdings: Goetz hat durchaus aufgehört, so zu leben, und nicht wenige seiner ProtagonistInnen – seine Bücher sind immer auch als Schlüsselromane zu lesen – haben es ihm gleichgetan. Anders Thomas Meinecke, der wie Goetz eine treibende Kraft des Pop-Diskurses der achtziger und neunziger Jahre in Deutschland war und genauso leidenschaftlich, wenngleich ungemein theoretischer Techno und House verteidigte – und bis heute für seine „Plattenspieler“-Veranstaltungen sowie DJ-Sets weiterhin unermüdlich durch die Welt reist.
Meineckes Schreibstil speist sich direkt aus Clubmusik, anders als Goetz ist es aber nicht die körperliche Erfahrung, sondern eher die mediale Methode, die ihn inspirierte. Als Autor schiebt er Versatzstücke und Zitate aus anderen Werken ineinander, als wären es die Grooves von Deep-House-12“s: Literatur als Mix. So funktioniert auch der Roman 'Hellblau', der im Jahr 2001 erstveröffentlicht wurde. Schon auf den ersten paar Seiten geht es hin und her zwischen Mariah Carey, Ol’ Dirty Bastard und Underground Resistance sowie Drexciya auf der einen, Paul Gilroys Theorie des „Black Atlantic“, Edmund Burkes Gedanken zum Erhabenen und Schönen und Kodwo Eshuns 'More Brilliant Than a Thousand Suns' auf der anderen Seite. Theorie-Techno!
Meineckes Romane setzen nicht unbedingt auf viel Handlung oder das ästhetische Erlebnis von Literatur, sondern lassen verschiedene Textquellen gemeinsam sprudeln. Auch das immerhin kann seinen eigenen Drive entwickeln. Ebenso wie die Musik, die Meinecke nicht nur als Gründungsmitglied von F.S.K., sondern ebenso als gelegentlicher Studiopartner von Move D macht.
Thomas Meinecke
Hellblau
336 Seiten
13 €
ISBN: 978-3-518-45508-1
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Plus minus acht. DJ Tage DJ Nächte (2002) Hans Nieswandt
In poetologischer Hinsicht ist Hans Nieswandt näher an Goetz angesiedelt als an Meinecke. Als Mitglied von Whirlpool Productions schenkte der Autor, Journalist und Musiker der Welt unter anderem den Überhit 'From Disco to Disco' sowie eine ganze Reihe anderer hochkarätiger Veröffentlichungen, während er als Redakteur bei SPEX und als Freier für andere Magazine den Diskurs um Clubmusik im deutschsprachigen Raum entschieden mitprägte. Dass er in seiner Doppelrolle als Schriftsteller und weltweit tourender DJ natürlich auch seine Erlebnisse auf Reisen schilderte, versteht sich da fast von selbst. Seine Bücher bewegen sich dabei allerdings ähnlich wie die von Goetz haarscharf am rein autobiografischen, das heißt sachbezogenem Schreiben entlang.
Doch 'Plus minus acht. DJ Tage DJ Nächte (2002)' sowie die nachfolgenden Bücher 'Disko Ramallah: Und andere merkwürdige Orte zum Plattenauflegen (2006)' und 'DJ Dionysos Geschichten aus der Diskowelt (2010)' sind keine „Sach-, Lehr- und Geschichtsbücher“ oder „Groupie- und Drogenreports“, wie er in der Einleitung seines Erstlings schreibt. Stattdessen folgt Nieswandt dem „Prinzip schlafwandlerisches Gleiten“ in der „Hoffnung, dass am Ende alles vielleicht Sinn macht“. Das tut es, zumindest wann immer es die von Nieswandt mit lockerem Handgelenk geschilderten Umstände hergeben. 'Plus minus acht' reiht aberwitzige Anekdoten aneinander, die allemal unterhaltsam sind und nebenbei noch viel Wissen über die deutsche und internationale House- und Techno-Szene vermitteln.
Hans Nieswandt
Plus minus acht. DJ Tage DJ Nächte
224 Seiten
8,90 €
ISBN: 978-3-608-50226-8
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Strobo (2009) von Airen
Als Strobo, der Debütroman des anonymen Autors Airen im Jahr 2009 erscheint, interessiert sich kaum jemand dafür. Kurz nach der Veröffentlichung von Helene Hegemanns 'Axolotl Roadkill' im Folgejahr jedoch sprechen plötzlich alle über Airen, Hegemann und die Passagen, welche die Jungautorin aus berühmter Familie offenkundig aus dem hitzig geschriebenen Blog-Buch des Gonzo-Romanciers plagiiert hat. Weil es außerdem ums Berghain geht, ist der Skandal perfekt und Airens Karriere bekommt etwas Aufwind, bevor sie nach Veröffentlichung seines Zweitwerks 'I Am Airen Man' wieder merklich abflacht.
'Strobo' reiht sich nahtlos in die Tradition von Goetz oder Nieswandt ein, seinem Autor fehlt aber eindeutig das literarische Talent der beiden. Um eine essenzielle Veröffentlichung handelt es sich dennoch allemal, und das nicht allein der großen Aufregung drum herum wegen. Denn Airen gelang es, in rotzigen und manchmal ungelenken Worten die dunkle Unterseite der Berliner Techno-Szene am hinteren Ende der Nullerjahre einzufangen. Damals, als nach dem Erfolg von Filmen wie Berlin Calling und zeitgleich zur Veröffentlichung von Tobias Rapps 'Lost and Sound' alle Zeichen auf Jubel standen, unterstrich 'Strobo', um was für einen ungesunden Abfuck es sich gleichzeitig handelte.
Airen
Strobo
Mit einem Nachwort von BOMEC
170 Seiten
11 €
ISBN: 978-3-941-59206-3
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Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt (2013) von Sven Regener
Dass Sven Regener irgendwann einen Techno-Roman hinlegen würde, damit hätte niemand gerechnet. Der Schriftsteller, bekannt vor allem für seinen Erfolgsroman 'Herr Lehmann', ist schließlich als Schlaftabletten-Indie-Rocker, pardon, Songwriter von Element Of Crime bekannt – nicht unbedingt aber als Fan von Beats und Breaks. Im Jahr 2013 überraschte er sein Publikum und die deutsche Rave-Community allerdings mit 'Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt', der einen Faden aus dem Herr-Lehmann-Universum neu aufnahm. Wir erinnern uns: Am Ende des Romans dreht Lehmanns bester Kumpel durch, nachdem er Lehmann ständig dazu aufgefordert hatte, doch seine Elektrolyte zu sich zu nehmen. Grund für die psychotische Episode? Elektrolytmangel. Haha.
'Magical Mystery' leistet sich hier und dort zwar ähnlich bescheuerte Kalauer, doch bietet das ebenfalls nah am Schlüsselroman agierende Buch Regeners konzise Einblicke ins wilde Treiben der Rave-Hochphase in Deutschland. Techno ist im Mainstream angekommen und die Labelbetreiber Ferdi und Raimund gehen auf eine megalomanische Tour, die Schmidt als buchstäblich nüchternes Faktotum begleiten muss. Das immerhin ermöglicht einen nicht minder nüchternen Blick auf den Irrsinn, der sich mehr oder weniger tatsächlich so abspielte – Vorbild für den Roman liefern die Marketing-Aktionen von Camel, WestBam mit seinem Label Low Spirit und noch viel mehr.
Der Roman wurde übrigens auch verfilmt. Für den Soundtrack zeichnete sich Erobique verantwortlich, die Musikauswahl erledigte Charlotte Goltermann von Ladomat 2000 und ein Mix mit den verwendeten Tracks kam von Heiko M/S/O, der als Spaka HNO auch einen Auftritt im Roman hat und darin gemeinsam mit Frido – gemeint ist Ata Macias – einen Äppler mit dem Romanpersonal trinkt.
Sven Regener
Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt
512 Seiten
9,99 €
ISBN: 978-3-462-04689-2
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Brüder (2019) von Jackie Thomae
Nirgendwo sonst wird die Männerdominanz einer ganzen Subkultur dermaßen schnell evident wie mit Blick ins Bücherregal, Sparte: Techno und Artverwandtes. Ob es um Dance-Music-Geschichtsschreibung oder anderes geht – meistens steht auf dem Buchrücken dann letztlich doch der Name eines Mannes. Anders bei Jackie Thomaes zweitem Roman, der dann allerdings doch 'Brüder' heißt. Die in Halle an der Saale geborene Journalistin machte sich zuerst einen Namen mit Ratgebern zum Älterwerden, als sie gerade Mitte Dreißig war, und hat ihr Interesse seitdem auf andere fiktive Gebiete ausgeweitet: 2015 erschien ihr Debüt 'Momente der Klarheit', 2017 wurde sie beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb eingeladen und 'Brüder' folgte im Jahr 2019.
Damit markierte der Roman auch das zwanzigjährige Jubiläum von Thomae als Wahlberlinerin: Sie kam 1989 in die Stadt, erlebte die Wiedervereinigung sowie den Aufstieg der Techno-Szene also aus erster Hand. Erleben lässt sie das in 'Brüder' aber jemand anderen. Die zwei jungen Protagonisten eint bis auf den Vater und ihre Erfahrung als afrodeutsche Männer in einer weißen Mehrheitsgesellschaft herzlich wenig: Der eine ist nach der Wende Teil der Londoner Mittelschicht, der andere gibt sich in Berlin dem Nachtleben hin und macht unter anderem in Clubs mit Namen wie „Planet“ Halt. Rave wird so zum Hintergrundrauschen einer Erzählung, in der es um noch viel mehr geht. Denn 'Brüder' ist in erster Linie ein Roman, in dem sich eine Erfahrungsweise Bahn bricht, die im deutschen House- und Techno-Kontext trotz allem Geschichtsbewusstsein häufig unter den Tisch gekehrt wird: Die der einheimischen people of colour.
Jackie Thomae
Brüder
432 Seiten
23 €
ISBN: 978-3-446-26509-7
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