Musik und Geistige Gesundheit: Wenn der Traumjob zum Albtraum wird

Musik und Geistige Gesundheit: Wenn der Traumjob zum Albtraum wird

Features. 24. Februar 2019 | / 5,0

Geschrieben von:
Laura Aha

Von Fans bejubelt die Welt bereisen und für das, was man liebt, auch noch bezahlt werden: Eine Karriere als MusikerIn ist für viele der Traumberuf schlechthin. Wie kommt es also, dass MusikerInnen so häufig mit psychischen Problemen und ihrer geistigen Gesundheit zu kämpfen haben? Gespräche über Existenzängste, veraltete Strukturen in der Musikindustrie und die heilende Wirkung der Deadline.

 

Can Music Make You Sick?

... so lautete die provokante Leitfrage einer viel zitierten Studie, die 2016 von der Initiative „Help Musicians UK“ in Auftrag gegeben wurde. Die Befragung von über 2000 MusikerInnen ergab: MusikerInnen leiden dreimal häufiger unter Depressionen oder Angstzuständen als die Durchschnittsbevölkerung (in Großbritannien). Über 70 Prozent gaben an, Panikattacken erlebt zu haben, fast genauso viele hatten bereits mit Depressionen zu kämpfen. Die Hälfte war sich zudem einig: es gibt zu wenig Hilfsangebote, die auf MusikerInnen zugeschnitten sind.

Doch es ist natürlich nicht die Musik, die KünstlerInnen krank macht – für die meisten erfüllt der Prozess des Musikmachens im Gegenteil eine kathartische Funktion. Es sind das Arbeitsumfeld und die Bedingungen in der Musikindustrie, die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben. „Es ist wichtig zu verstehen, welche Art Mensch man ist und welche Art Umfeld gut für einen ist”, sagt der philosophische Berater Florian Goldberg. Er arbeitet als Coach mit Menschen aus Politik, Medien und Kunst. Für ihn steht fest: KünstlerInnen sind oft sensibler als andere und dadurch gefährdeter, durch ungünstige äußere Umstände psychisch zu leiden.

Obwohl die Befragten der Studie aus allen möglichen musikalischen Genres stammen, scheinen diese Umstände in der Clubszene besonders häufig gegeben zu sein: Eng getaktete Tourpläne, ein unregelmäßiger Lebensrhythmus, der es schwer macht, das soziale Leben mit der „normalen“ Welt aufrechtzuerhalten. Eben ekstatisch gefeiert, sitzt man plötzlich allein im Hotelzimmer, von der Omnipräsenz von Alkohol und Drogen ganz zu schweigen – es ist kein Zufall, dass psychische Krankheiten besonders auch unter DJs verbreitet sind. The Black Madonna spricht offen über ihre Angstzustände, Ben Pearce sagte 2016 alle geplanten Shows wegen Depressionen ab. Nicht zuletzt der tragische Selbstmord von Avicii zeigte, was passieren kann, wenn Erfolg und ein unsensibles Management den Künstler an seine Grenzen bringen.

„Wir müssen uns den Unterschied klarmachen zwischen der Motivation, aus der heraus ein Künstler Musik macht und der Motivation der Musikindustrie, mit dieser Musik Geld zu verdienen“, sagt Rachael Patterson. Die ehemalige Labelmanagerin von [PIAS] London leitet heute das Künstlermanagement von !K7, wo sie unter anderem Mykki Blanco betreut. Obwohl für Patterson das KünstlerInnenwohl an erster Stelle steht, kennt sie den Balanceakt, KünstlerInnen einerseits als Marke aufzubauen, um Geld mit und für sie zu verdienen, sie andererseits aber als Menschen nicht zu verheizen. „Als Künstler bist du dein Job“, weiß sie. Persönlichkeit und Beruf verschmelzen zu Einem, abschalten ist fast unmöglich. Künstlermanager Andy Inglis sieht zudem ein ganz praktisches Problem: Viele KünstlerInnen machen sich zu schnell von Labels abhängig. „Es ist wichtig, einen Plan für die eigene Karriere zu haben und Verantwortung für die Business-Seite zu übernehmen. Sonst wirst du verarscht und über den Tisch gezogen“, sagt Inglis.

Um gesund zu bleiben, musste ich aus den Strukturen ausbrechen. Heute kann ich Anfragen, die sich nicht richtig anfühlen, höflich ablehnen.

Eine Künstlerin, die das für ihre Karriere verinnerlicht hat, ist Emika. Die britische Produzentin, Komponistin und DJ, die bürgerlich Ema Jolly heißt, veröffentlichte ihre ersten beiden Alben auf dem einflussreichen Label Ninja Tune – ein Karrierestart, von dem viele junge MusikerInnen träumen. Trotzdem entschied sie sich mit der Gründung ihres eigenen Labels bewusst für die Unabhängigkeit. „Um gesund zu bleiben, musste ich aus den Strukturen ausbrechen. Heute kann ich Anfragen, die sich nicht richtig anfühlen, höflich ablehnen“, erklärt Emika. „Hätte ich damals nicht diese Entscheidung getroffen, wäre ich heute sehr unglücklich“. Auf Emika Records veröffentlichte sie 2015 ihr drittes Album „Drei“ und „Klavírní“. 2017 erfüllte sie sich mit „Melanfonie“ einen Traum und nahm ihre eigens komponierte Symphonie mit dem Prague Metropolitan Orchestra auf. Das Mammutprojekt finanzierte sie mithilfe ihrer Fans über Crowdfunding – und umging so das Abhängigkeitsverhältnis aus Vorschüssen und prozentualen Abgaben an die Industrie.

Emika / © Adam Krena

„Die Strukturen der Musikindustrie sind fast 70 Jahre alt und versuchen das Geld von denjenigen fernzuhalten, die es einbringen. Da muss sich grundlegend etwas ändern“, findet auch Künstlermanager Andy Inglis. Er sieht in der prekären finanziellen Situation einen der Hauptgründe für psychischen Druck. KünstlerInnen arbeiten rund um die Uhr, erlangen durch Social Media eine relative Berühmtheit und leben doch verhältnismäßig arm. Das reale Leben deckt sich nicht mit dem glamourösen Image, das sie nach außen hin verkörpern. Inglis arbeitet daher an einem „Care Paket“, das an Labels verkauft werden kann, um KünstlerInnen eine geregelte Gesundheitsvorsorge zu garantieren. Außerdem schlägt er vor, KünstlerInnen ein regelmäßigeres Gehalt auszuzahlen, statt sie nur zweimal im Jahr zu bezahlen, wie es gerade Praxis ist.

Routine ist auch für Künstlermanagerin Rachael Patterson der Schlüssel zur mentalen Stabilität. Sie erzählt, dass eine ihrer Künstlerinnen sie explizit nach einem Jahresplan mit festen Deadlines gefragt habe – wie bei einem „normalen“ Job eben. Patterson plädiert zudem für eine realistische Sicht auf die Schnelllebigkeit von Karrieren, die meistens leider nicht ewig andauern. Für einige KünstlerInnen sei es daher sinnvoll, neben der Musik einem regelmäßigen Job nachzugehen. „Der größte Druck ist die Frage: Wie geht es weiter?“, sagt auch Emika. „Wenn ich ein erfolgreiches Album herausgebracht habe, weiß ich, dass es nicht so bleibt. Du hast das Gefühl, du darfst nie aufhören zu arbeiten.“ Sie hat ihre Strategien gefunden, ein Stück Normalität zu bewahren: „Emika ist für mich wie ein Handschuh, den ich an- und wieder ausziehen kann“, beschreibt sie. Verschmelzen Privat- und Bühnenperson, sei die Gefahr groß, sich zu verlieren.

Du hast das Gefühl, du darfst nie aufhören zu arbeiten.

Aber ist diese Trennung in Zeiten von Social Media noch möglich? „Man braucht ein Konzept. Und man braucht Regeln“, stellt Emika klar. Was sie auf Social Media postet, hat mit ihrer Musik zu tun, keine Privatfotos, keine Essensposts. „Es sei denn, das Essen hat mich zu einem Song inspiriert“, scherzt sie. So kann sie steuern, wie nah man ihr kommen darf. Trotzdem litt auch Emika unter Panikattacken und Angstzuständen. Auf dem Glastonbury Festival 2016 spielte sie einen Gig unter Medikamenteneinfluss. „Das war für mich der Tiefpunkt. Du solltest niemals Medikamente nehmen müssen, um auf die Bühne gehen zu können“, weiß sie heute. Das Problem mit psychischen Krankheiten sieht sie darin, dass man kurzfristige viel schneller Pillen verschreibt, als den langen Weg der Therapie zu gehen. Und selbst wenn man sich für letzteren entscheide, sei es schwer, jemanden zu finden, der die Situation der MusikerInnen verstehe.

Einen Teil der Erlöse ihres im Herbst 2018 erschienenen Albums „Falling In Love With Sadness“ spendete sie deshalb an „Help Musicians UK“. Die Organisation betreibt die 24-Stunden-Hotline „Music Minds Matter“, ermöglicht Karrierestarthilfe, bietet Krisenberatung und Hilfe fürs Alter an. In Deutschland eröffnet im Herbst an der Berliner Charité die Pop-Ambulanz, ein Pilotprojekt der Hochschule der populären Künste Berlin zur Beratung und Behandlung gesundheitlicher Probleme von PopmusikerInnen.

„Wenn du einen langfristigen Plan hast, ist alles eine Frage des Zeitmanagements. Sei nett zu dir selbst und nicht so hart. Und: Nimm dir Zeit, den Erfolg auch zu genießen”, rät Emika. Vor allem ist es wichtig, das Thema psychische Krankheiten nicht als Modeerscheinung abzutun und das Stigma darum zu beenden ­– gerade auch in Bezug auf Menschen, die vermeintlich das perfekte Leben führen.

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