Porträt: Rising Sun – Freude killt jeden Schmerz
© Sabine Bowitz

Porträt: Rising Sun – Freude killt jeden Schmerz

Features. 8. Dezember 2019 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Kristoffer Cornils

Niemand will Hypes folgen, alle möchten Hypes auslösen. Alle, bis auf Steffen Laschinski, versteht sich. Seit über zehn Jahren veröffentlicht er überwiegend unter dem Pseudonym Rising Sun Musik, die immer irgendwie am Trend vorbeischrammt und dennoch manchmal ins Schwarze trifft. So wie damals sein Ibiza-Überraschungshit 'Lift Up Your Faces' von 2011, der mit seiner holzigen Percussion und dem markanten Maya-Angelou-Sample eigentlich in Reaktion auf den Super-GAU im weit entfernten Kraftwerk Fukushima produziert wurde, dann aber für eine Saison lang im Amnesia zum rituellen Closing-Track wurde.

„Das war eine schöne Geschichte, mir aber vielleicht schon wieder zu kommerziell“, sagt er heute darüber. Darauf angelegt hatte es Laschinski damals nicht und tut das auch heute nicht. Produziert wird entsprechend der inneren Uhr und nicht etwa auf äußeren Druck hin, gepresst wird noch Vinyl und immer gerade so viel, wie es eben sinnvoll scheint. Als Produzent wie auch als Labelbetreiber von Styrax und Styrax Leaves, Millions of Moments, Kristofferson Kristofferson und seit neuestem Reality Used To Be A Friend Of Mine sowie einer Handvoll weiteren Imprints hat Laschinski den House- und Techno-Diskurs der letzten 15 Jahre entschieden mitgeprägt. Dennoch bleibt Rising Sun einer, den in der Crowd nur sehr wenige und nur in der DJ-Booth eigentlich alle kennen. Ein producer’s producer, der wie kein anderer die Traditionslinien von Detroit, Chicago und dem UK von Berlin aus bündelt.

Es mutet deswegen schon ein wenig ironisch an, dass sich Laschinski vor dem Universal-Gebäude an der Spree treffen möchte. Gegenüber liegt das Watergate in Dunkelheit, vorbei geht es an Design-Hotels und schließlich einem mehrstöckigen Co-Working-Space, einer dieser überdimensionierten Legebatterien für die neue Kreativelite der Metropole. Eben diese Stadt hat Laschinski in den letzten viereinhalb Jahrzehnten seines Lebens ganz anders erlebt. Geboren wurde er in Ostberlin und damit in den real existierenden Sozialismus hinein. Seiner musikalischen Sozialisierung hingegen hat das nicht geschadet – im Gegenteil. „Ich bin mit DT64 aufgewachsen“, erklärt er. Das Jugendprogramm des Ostradios spielte auch westlichen Pop, Hip Hop und sogar Clubmusik. Ohne Werbepausen, ohne Moderation, ideal zum Mitschneiden also. „Nach der Wende konnten die Westler gar nicht verstehen, wie wir all diese Lieder kannten“, lacht Laschinski heute. Aber von Kraftwerk und Depeche Mode über Talk Talk hin zu West-Coast-Hip-Hop und Stücken von Juan Atkins Cybotron-Projekt: Die Bandbreite war enorm.

© Sabine Bowitz

Nach der Wende zog es Laschinski zuerst in die Hip-Hop-Szene der Stadt. Doch die Stimmung auf den Partys ist ihm zu aggressiv und testosterongeschwängert. Bei der legendären MayDay erlebt er dagegen, wie es auf Raves zugehen kann: „Man hat sich in die Augen geschaut, hat gelacht, zusammen getanzt. Es ging darum, zusammen die Musik zu erleben“, erinnert er sich. „Da habe ich gemerkt, dass die Leute wegen der Energie dorthin kamen. Es war alles sehr herzlich, sofort war so eine Liebe da.“ Die erstreckt sich bald auch auf die Musik, denn Hip-Hop wird ihm als Genre schnell zu einseitig. Langsam aber sicher bahnt er sich seinen Weg hin zu Detroit Techno. „Ich bin über die Breakbeat-Schiene, Shut Up And Dance und so zum Elektronischen gekommen. Die haben Platten von Derrick May und Carl Craig gesampelt“, erklärt er. Eins führt zum anderen, schnell wird er zum Sammler. „Ich habe in Lichtenberg gewohnt und an der Jannowitzbrücke gearbeitet, von da aus war es zu den Plattenläden nicht weit – WOM, das Hardwax, am Wochenende wurde auf Tour das Lehrlingsgehalt auf den Kopf gehauen.“ Auch in den Clubs gehört er zu den Decksharks und war alles andere als ein Drei-Tage-wach-Druffi.

Laschinski erinnert sich gerne an die Nachwendezeit. „Es war sehr befreiend, weil du gemerkt hast: Wir leben hier in der Gegenwart. Wir haben nicht daran gedacht, was da gerade mit der Umstellung vom Sozialismus auf den Kapitalismus passiert war, sondern haben uns gefragt: In welche Richtung geht es jetzt?“ Vor allem natürlich geht es für Berlin und die hiesige Techno-Szene vorwärts. Wobei das für Laschinski immer noch bedeutet, nicht mit dem Rest zu gehen. 1996 wird er zu einem DJ-Contest in den Tresor geladen und freut sich, unter 600 anderen das Rennen gemacht zu haben. In der Jury sitzen Masters At Work und Acid Maria, erwartet wird House – doch Laschinski legt knallharte Neue Berliner Schule, soll heißen Platten von Basic Channel und Chain Reaction, auf. „Ums Gewinnen ging es mir ja überhaupt nicht, sondern um die Wertschätzung. Ich konnte danach aber mehr auflegen, obwohl das nicht mein Ziel war.“ Überhaupt: Eine Karriere hat er damals nie für sich vorgesehen. „Ich sehe mich nicht als DJ, sondern als jemanden, der gerne Platten spielt. Es war nie mein Ziel, damit Geld zu verdienen.“

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So verstreichen ein paar Jahre, Laschinski bleibt weiterhin in der Szene aktiv und wird wie durch Zufall zum Labelbetreiber. Im Jahr 2004 erscheint die von ihm zusammengestellte Compilation 'Styrax Presents Various Artists'. Der Name bleibt, die ersten Releases folgen: Don Williams, John Beltran, Bvdub und Compilations mit Beiträgen von Ian Pooley, Laurent Garnier oder Kirk Degiorgio unter seinem As One Pseudonym folgen auf Styrax. Und das obwohl Laschinski eigentlich nicht das Gefühl hat, etwas beitragen zu können: „Als Shed mit seinem Soloaction-Label kam, meinte ich: ‚Okay, ich höre wieder auf.‘ Denn er machte genau das, was ich machen wollte, nur in reiner Perfektion.“ Es kommt anders und er macht sich um das Jahr 2006 herum als Labelchef selbstständig. Rückblickend betrachtet ein Himmelfahrtskommando. Denn die strikte Vinyl-Only-Politik von Styrax und dem cluborientierten Ableger Styrax Leaves steht mal wieder dem Zeitgeist diametral entgegen – über die sich rasend entwickelnde Digitalisierung kollabieren um 2008 herum eine Reihe von Vertrieben und reißen kleine Labels wie Styrax mit in eine Spirale von Verlustgeschäften.

In diesem Jahr allerdings versucht sich Laschinski auch erstmals als Produzent, der 2008 in bester Gesellschaft auf einer Workshop-Compilation debütiert. Sein Set-Up ist simpel: Freeware, Ableton, keine Hardware – so produziert er weitgehend heute noch. Auch sein Konzept ist rigide oder, wie er sagen würde, ritualistisch: „Ich mache mir nie Gedanken darüber, was ich produzieren will. Der Verstand muss ausgeschaltet werden und dann wird ohne Nachzudenken losgelegt.“ Die markanten Strings und Pads werden von ihm eingespielt, der Rest wird meistens gesampelt. Das ausschließlich seinen Produktionen gewidmete Label Kristofferson Kristofferson stellt seit Ende 2011 ein Outlet der Philosophie Rising Suns dar. Was hier auf Platte gepresst wird, entstand samt und sonders innerhalb nur eines Tag, alle Fehler in der Produktion und im Arrangement bleiben enthalten. Viele dieser Stücke sind als „Essay“ betitelt, andere als „Version“ – das Skizzenhafte, Flüchtige steht im Vordergrund. Ein bisschen also funktioniert das Gesamtwerk von Rising Sun wie die Spree, die an diesem Abend ruhig vor sich hin gluckert: Immer in Bewegung, ständig im Fluss.

Das spiegelt sich auch stilistisch wider. Näherte sich 'Lift Up Your Faces' noch dem damaligen Deep-House-Hype an, ohne sich nur einen Deut an ihn heranzukuscheln, hat sich Laschinski mittlerweile wieder auf eine seiner sehr frühesten Lieben zurückbesonnen: Breakbeats. Spätestens mit dem Album 'The Lamentations of Rising Sun' für das Berliner Label Fauxpas Musik im Jahr 2016 zeichnete sich die Umorientierung in Laschinskis Schaffen ab, die nicht alle freudig aufnahmen. „Aber die alten Deep-House-Sachen waren schon viel cooler“, hört er noch heute manchmal von Leuten, die lieber ein zweites 'Lift Up Your Faces' von ihm hören wollen. Zu Unrecht, findet er. „Du musst doch die Entwicklung verstehen, die ich durchlebe!“ Diese Entwicklung nämlich ist vor allem getrieben von den verschiedenen Gefühlslagen eines Menschen, der sich um Funktionalität und andere Sachzwänge der Clubkultur nicht viel schert. „Mir ist es generell egal, ob meine Musik im Club gespielt wird. Ich mache Musik zur Selbstheilung, um bestimmte Dinge zu verarbeiten. Deshalb hat auch jeder Track für mich eine Bedeutung.“ Kurzum: Laschinski versteht sich als Künstler, nicht als Dienstleister. Auf Zuruf geht da nichts.

© Facebook/Rising Sun

Nicht selten entscheidet sich dann eben auch am Gefühl, ob ein Track überhaupt eine Kickdrum nötig hat. „Ricardo Villalobos hatte immer die Philosophie, dass der Beat gar nicht wichtig ist, sondern dir nur zeigt, nach welchem Takt du dich bewegen musst. Ich denke genauso“, erklärt Laschinski. „Für mich geht es nicht darum, dass ein Track im Club ‚Bums‘ macht. Sondern dass die Leute es aufnehmen und fühlen, anstatt von 52-Hz-Kickdrums erdrückt zu werden.“ Denn so viele Emotionen in die Musik von Rising Sun auch hineingehen, so viele Gefühle sollten sie idealer Weise auch hervorrufen. „Du willst ja den Menschen Freude bringen. Freude killt jeden Schmerz. Wenn du dich über eine Platte freust, die du gerade gekauft hast, dann ist dein Verstand wieder auf Null gesetzt – du genießt die Musik, die Gegenwart.“ Wenn E-Mails ankommen, in denen ihnen Leute berichten, dass ihnen seine Musik nach dem Tod eines geliebten Menschen Kraft gegeben hat oder aber den perfekten Soundtrack für einen Sonnenaufgang in Australien lieferte, ist das immer noch wichtiger als alles andere. Wichtiger als die Mails, in denen er gefragt wird, ob er nicht dieser Traumprinz sei, allemal. Die beantwortet er mittlerweile schon gar nicht mehr.

So wie er auch ausweicht, als die unvermeidliche Frage gestellt wird, ob es sich bei dem mysteriösen Projekt The Ambientist um ihn handle: Kein Kommentar. Sicher ist zumindest, dass die frenetisch gefeierten Veröffentlichungen unter diesem Namen in Stil und Stimmung durchaus Vergleiche zum Schaffen eines DJ Metatron einladen, wie sie auch Laschinskis Produktionen hier und dort ähneln. Und natürlich, dass sie auf Reality Used To Be A Friend Of Mine erscheinen – noch so ein Label, das er gegründet hat, noch so ein Akt der Selbstheilung. Einer mit Hintertürchen allerdings: Die Labels der Platten werden von einem quadratischen Sticker geziert und wer die Platte auflegen will, muss unweigerlich ein Loch durch dessen Mitte stechen. „Du musst die Realität zerstören, um die Musik wahrzunehmen“, fasst Laschinski die Metaphorik dahinter zusammen. Umso schlagender wirkt die gerade in Zeiten, in denen Techno und House einerseits endgültig im Mainstream aufgeweicht sind und andererseits Vinyl mittlerweile als Wertanlage gehandelt wird.

Aber genau das spielt für Laschinski alles keine Rolle, weil die Kunst immer und ohne Ausnahme vor allen Verwertungsmechanismen kommt. Vor Kurzem, erinnert er sich, habe er sich mit einem Freund unterhalten. Der berichtete ihm, letztens noch in einer Mall in Marzahn aus jedem Ladengeschäft heraus mit Beats empfangen worden zu sein. „Wir haben gewonnen“, soll der alte Wegbegleiter gesagt haben. Zurück kam von Laschinski: „Okay, aber ist das unser Ziel gewesen?“ Seines zumindest nicht. Denn wo niemand Hypes folgen möchte und wo alle Hypes auslösen möchten, macht er einfach unbeirrt sein Ding – in seinem Tempo, auf seine Art.

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