RIP Vestax - Ein persönlicher Nachruf

RIP Vestax - Ein persönlicher Nachruf

Archiv. 6. Januar 2015 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Robert Wong

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Ehemaliges Vestax Headquarter in Tokio

 

Die Gerüchte, dass Vestax pleite sei, kursieren ja schon seit einigen Wochen im Netz herum und nach aktuellen Angaben aus den japanischen Medien ist dies mit der nun veröffentlichten Insolvenzanmeldung bestätigt. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich diesen Braten nicht schon früher gerochen hätte. Da ich als ehemaliger Produktmanager unter anderem auch für Vestax (bzw. dem deutschen Vertrieb) tätig war ist das jetzige Aus nicht ganz überraschend. Da mir und Chicken über die Jahre die Marke und die Mitarbeiter sehr ans Herz gewachsen sind, möchte ich hiermit noch mal ein paar persönliche Worte und Bilder los werden, die vielleicht dem ein oder anderen einen tieferen Einblick in das gewähren, was hinter der Marke Vestax steht.

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Chicken entdeckt sich auf einem Poster im Paco Shop, Tokio

 

Es steht außer Frage, dass Vestax mit seinen Produkten die DJ-Szene wie kaum eine andere Marke geprägt hat. Als ich mit dem Auflegen angefangen habe, waren Vestax Mixer für mich immer das Symbol für erstrebenswertes hochwertiges DJ-Equipment, dass leider aufgrund der hohen Preise zwar immer auf dem Wunschzettel stand, aber letztendlich nie vom Weihnachtsmann unter den Baum gelegt wurde. Vielleicht war ich aber auch einfach nur nicht artig genug 🙂

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Im Vestax Museum mit Mike Trix und einem PMC-05 in der Hand

 

Die hohe Innovationskraft der Marke brachte neben den bekannten Mixern der PMC-Serie und der PDX-Plattenspieler auch immer wieder Missgeburten auf die Welt, bei der man sich fragte, was  man damit eigentlich anfangen sollte. Ich kann mich in meinen ersten Jahren als Produktmanager gut erinnern, welches emotionales Chaos mich durchfuhr, wenn ich eine japanische Version des Vestax-Produktkataloges durchblätterte. Im Grunde genommen ein Auf und Ab von "Ober Geil" bis "WTF???????".

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Vestax S-1 CD-MP3 Player im Gitarren-Style

 

Aber so ist das nun mal, wenn man Ideen freien Lauf lässt. Manche sind dann halt mal nicht bis zum Ende gedacht worden und jemand ist dann aus Versehen mit dem Ärmel auf den "make product-button" gekommen, so dass dem Marketing nichts anderes übrig blieb, als aus Bugs, Features zu machen. Aber gerade dieser Freigeist war auch verantwortlich für die VCI-Controller-Serie, die einen Meilenstein im digitalen Auflegen gesetzt hat und bis heute von vielen Firmen kopiert wurde.

 

VCI-100
VCI-100

Die Vestaxianer

Mit dem Erscheinen des VCI-100 began für mich persönlich nicht nur das Umdenken im Bezug aufs Auflegen, sondern auch eine Zeit, in der ich mehr in die Produktentwicklung involviert wurde. Dies hatte zur Folge, dass ich regelmäßig zu Productmeetings eingeladen wurde, um meinen Senf zur Entwicklung zukünftiger Produkte beizusteuern. Von heute auf morgen war ich ein Traktor Experte. Und ich muss zugeben, dass mir diese Sache lag. Ein wunderbarer Nebeneffekt bei diesen Reisen ins entfernte Japan war nicht nur die Vestaxianer mal Live kennenzulernen, sondern auch das Verhalten, Gebräuche und ein wenig die Kultur der Japaner zu verstehen, die trotz aller Moderne so stark an Traditionen gebunden sind.

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Nach dem Productmeeting

 

Die Vestax Productmeetings haben nicht nur weltweite Stimmen von DJs, Händlern, Vertriebe und anderen Experten an einen Ort geholt, sondern auch ein internationales Team gebildet, dass eine Eigendynamik entwickelte und jede Menge Input produzierte. Hinzu kam, dass man so Einblicke in die Märkte anderer Länder bekam, in denen Produkte erfolgreicher waren, als in den USA oder Europa.

Ich kann an dieser Stelle nur sagen, dass es für mich eine absolut tolle Erfahrung gewesen ist mit allen Vestaxianern auf Augenhöhe in einem Team gearbeitet zu haben. Ich habe in meinem Leben nur selten die Erfahrung gemacht in so einer familiären Atmosphäre an Projekten zu arbeiten, die mit so viel Herzblut erfüllt waren und aus denen zukunftweisende Produkte hervor gingen. Die Worte  Stolz und Ehre bekamen, gepaart mit einer unglaublichen Gastfreundlichkeit, eine Bedeutung, die sich im Vergleich zum Wortgebrauch hierzulande irgendwie unbelastet anfühlte. Einfach eine Wahnsinns-Erfahrung!

Vestax Controller One
Vestax Controller One

Der Untergang

Die bisherige Berichterstattung sucht die Gründe für die Vestax Insolvenz in einer Kombination aus der immer stärker wachsenden Konkurrenz von chinesischen Billigproduktionen, den sinkenden Exportumsätzen aufgrund des starken Yens, dem Erdbeben von Fukushima und der aktuell anhaltenden japanischen Rezession. Das sind natürlich alles Gründe von äußeren Auswirkungen auf eine Firma, die sich auf eine Nische spezialisiert hat und anders als andere Major DJ-Technik Hersteller, kein zweites oder drittes Standbein besaß, um auftretende Risiken besser zu verdauen. Hinzu dürfte kommen, dass der Markt immer stärker von Software Herstellern dominiert wird, der Hardware Hersteller in eine Gewisse Abhängigkeit drängt. Aber ähnlich wie nach einer gescheiterten Beziehung sollte man die Gründe nicht nur auf der anderen Seite suchen, sondern sich vielleicht auch mal an die eigene Nase fassen. In diesem Bezug bin ich immer wieder auf seltsame Weise auf das Wirken von  Traditionen und einem altertümlichen Hierarchiedenken gestoßen, dass, meiner Meinung nach, die Produktivität und die Förderung von Talenten einschränkte und sich wie ein Bremsklotz in einer Phase, in der das Motto Beschleunigung hieß, anfühlte. Diese selbst erzeugte Lähmung mag vielleicht nur ein Bruchteil von dem sein, was zum Scheitern führte, jedoch war es ein wesentlicher Bestandteil davon, die Überholspur für andere frei zu geben. Dieser Kritikpunkt ist aber nicht als persönlicher Angriff gegen Vestax zu verstehen, sondern eher als eine Feststellung, die ich als fundamentales Problem der japanischen Gesellschaft sehe.

Toshi, Chicken, Q-Bert
Toshi, Chicken, Q-Bert

Der Anfang vom Ende kristallisierte sich für mich nach der Entwicklung des VCI-400 heraus. Obwohl die Idee und das Konzept für einen derartigen Controller schon sehr früh abgegeben wurden, schenkte man erst ca. 2 Jahre später dem Ganzen Aufmerksamkeit.

VCI-400 Layout-Entwurf (Photoshop)
Mein erster VCI-400 Layout-Entwurf (Photoshop)
VCI
Offizielle VCI-400 Serato Edition

In meinen Augen eine verlorene Zeit, in der Native Instruments und Pioneer zum Überholvorgang ansetzten, während man in Japan mit Serato nicht über 4-Deck Lösungen sprach, sondern Überzeugungsarbeit leisten musste, dass Serato Itch, als Controller-Software, Effekte benötigt. Der VCI-400 war eigentlich als Traktor Pro Controller konzipiert und sollte mit einem entsprechenden Traktor LE Bundle auf den Markt kommen. Dazu kam es aber nie, da Native Instruments zur gleichen Zeit bereits eigene Hardware in Form des Traktor Kontrol S4 in den Startlöchern hatte und keine Traktor LE Lizenzen mehr verkaufte. Zahlreiche Hardware Hersteller werden diesen Zeitpunkt nur all zu gut in Erinnerung haben, denn dieser Schachzug warf diverse Produktpläne über den Haufen sorgte für ordentlich Aufregung in der Herstellerszene. Ohne Software-Bundle hat ein Controller am Markt kaum eine Überlebenschance und so blieb für den VCI-400 erst ein mal nur die Notlösung namens Virtual DJ LE übrig. Mit dieser Tatsache fuhr der VCI-400 an seiner eigentlichen Zielgruppe vorbei und konnte auch nach der verspäteten Beigabe der Serato DJ Vollversion den Fehlstart nie wieder wettmachen. Serato hatte zu diesem Zeitpunkt ebenfalls mit dem Switch von Itch auf Serato DJ sehr lange getrödelt und war ab dem Launch von Serato DJ dem Flirt mit Pioneer und Numark verfallen. Nachdem Pioneer dann in den letzten Jahren sein Controller-Sortiment komplettiert hatte, war der Markt bereits so gesättigt, dass auch ein VCI-380 oder das Ausweichen mit einem Spin auf den Consumer-Markt, nur noch eine Verzögerung des Endes herbeiführen konnte. Der VCI-400 ist eigentlich ein gutes Beispiel dafür, dass allein ein gutes Produkt kein Garant für Erfolg ist, denn es gehören wesentlich mehr strategische Faktoren dazu, um Lorbeeren ernten zu dürfen. Alles, was wir jetzt sehen ist die natürliche Bereinigung eines Marktes, der überfüttert wurde. Und das wird vermutlich noch weitere Firmen treffen. Ob man Vestax hätte retten können? Ich weiß es nicht. Aber es ist definitiv ein Thema, dass mich nachdenklich stimmt.

Vestax Vinylcutter VRX-2000
Vestax Vinylcutter VRX-2000

Aber...

mit der Insolvenz von Vestax sind die smarten Köpfe hinter den Kulissen ja nicht vom Erdboden verschluckt worden. Und ich habe noch vor meinem Weggang von Korg & More ein paar schöne Produkte gesehen, die es eigentlich wert wären auf den Markt zu kommen. Vielleicht findet sich ja ein Investor, der Vestax wiederbelebt oder einfach die Ideen umsetzt, um der DJ-Szene hochwertige Produkte zu liefern, die man ohne Scharm anhimmeln kann, so wie es mir vor vielen Jahren als junger DJ erging. Hier ist auf jeden Fall das letzte Wort noch nicht gesprochen worden!

Chicken und Ich möchten uns an dieser Stelle bei allen Vestaxianern für diese tolle Zeit bedanken, in der wir viele Erfahrungen aus der Produktentwicklung und der Vermarktung sammeln konnten.

Mixer mit MIDI-Tasten und obenliegender DVS-Schleife (Prototyp, der nie realisiert wurde)
Mixer mit MIDI-Tasten und obenliegender DVS-Schleife (Prototyp, der nie realisiert wurde), Tokio 2010

Ein großes Dankeschön geht an:

Mr. Shiino, Toshi Nakama, Hideaki Aimi, Reishi Mizumoto, Takeharu Tsuchiya, Takao Suzuki, Takaki Tarama, Mike Trix, Jerome Henry, Daire O´Neill, Gerfried Fischer, Charles Akira Ono

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