Up and Coming: Omega Men – von Hardware only und subtilem Politischsein

Up and Coming: Omega Men – von Hardware only und subtilem Politischsein

Features. 30. November 2020 | / 5,0

Geschrieben von:
Marius Pritzl

Als junges Label mit ausschließlich Vinyl-Releases hat man es aktuell nicht leicht: Erst brennt Anfang des Jahres eines der größten Werke für Schallplatten-Master ab, dann bringt auch noch eine Viruspandemie die allermeisten Pläne und Gigs durcheinander. Dass dieser für die elektronische Musikszene überaus schmerzhafte Situation auch ein Moment der Erneuerung innewohnen kann, man trotz der Umstände hochwertige EPs rausbringen kann und wie sich politische Themen auch im Techno subtil ansprechen lassen, haben wir mit Michael Melchner und Paul Tiedje besprochen, die von Berlin Friedrichshain ihr Label Omega Men betreiben.

DJ LAB: Könnt ihr etwas über die Musik erzählen, die ihr macht und vertreibt?

Michael: Ich habe bei Techno und House schon immer einen Hang zum Düsteren gehabt. Diese Stimmung ist schon der Main-Input bei mir. Das heißt jetzt allerdings nicht, dass wir uns hinsetzen und immer direkt versuchen etwas Düsteres zu produzieren. Es passiert dann immer ganz automatisch. Ich war generell auch nie in den leicht zugänglichen Stilen zu Hause, sondern eher so in den Kategorien, in denen man Tracks erst dreimal hören muss, um sie zu verstehen und cool zu finden. Soll dann zwar schon auch immer für den Club und für den Dancefloor sein, aber immer mit dem gewissen herausfordernden Twist.

Paul: Ja, mich langweilt Musik immer recht schnell, wenn es nicht sehr detailliert und ausgefuchst wird.

DJ LAB: Vor kurzem habt ihr mit Omega Men das zweijährige Label-Bestehen gefeiert. Hat zu dem Zeitpunkt die Zusammenarbeit zwischen euch erst angefangen oder kanntet ihr euch bereits vorher?

Paul: Wir haben uns über Michaels Residency in Nürnberg kennengelernt. Er hat einfach damals schon Sachen gespielt, die man vorher so nicht kannte. Zunächst haben wir dann über Musik gequatscht und geschrieben und uns gegenseitig eigene Produktionen geschickt. Michael war auch der Erste, dem ich meine eigenen Tracks geschickt habe, weil ich seine musikalische Meinung aussagekräftig fand. Dann ist er nach Berlin gezogen, ich hatte eine Residency im Harry Klein in München, so hat dann auch erstmal fünf Jahre jeder sein Ding gemacht.

Michael: Genau. Obwohl Paul dann dadurch nicht mehr so präsent war, hatten wir trotzdem Kontakt. Ich hatte diese Label-Idee und sogar den Namen schon lange im Kopf, und als Paul dann auch nach Berlin kam, gab es schließlich den nötigen Auftrieb.

DJ LAB: Das zweite und jetzt auch das fünfte Release sind namentlich von Omega Men, aber keine Compilation des Labels. Versteht ihr euch über den Namen des Imprints hinaus auch als Produzenten/DJ/Live-Duo?

Paul: Wir legen schon ewig zusammen auf. Im Zuge des Labels haben wir das dann nochmal intensiviert und bezeichnen uns seit der Gründung des Labels jetzt auch gemeinsam als Omega Men. Wegen Corona haben wir unter diesem Namen aber leider noch nicht zusammen aufgelegt, da mussten ein paar Gigs abgesagt werden. Omega Men beschränkt sich daher bisher erst einmal auf unsere gemeinsame Arbeit im Studio. In Zukunft würden wir dann auch gerne live spielen, darauf arbeiten wir bereits hin. Da unser Anspruch aber sehr hoch ist, muss das dann auch Hand und Fuß haben.

Michael: Also Omega Men ist sowohl der Name des Labels als auch unseres DJ- und Live-Projekts.

DJ LAB: Ihr habt das Thema Corona gerade schon erwähnt. Michael, an dich: Du warst jahrelang Resident-DJ, unter anderem in der Rakete Nürnberg (2005-2015) und bei der Partyreihe Funky People in der Dora Brilliant in Frankfurt am Main (2014-2016). Du kennst also auch den Mikrokosmos Club von innen sehr gut. Wie fühlst du dich, wenn du mitbekommst, dass solche Institutionen jetzt durch Covid-19 gefährdet sind?

Michael: Ja, Clubs waren vor diesem ganzen Studio-Ding schon mein Zuhause. Die ganze Situation tut mir gerade deshalb auch richtig weh. Aber irgendwie glaube ich, dass es trotzdem bis nächsten Mai oder irgendwann nächsten Jahres schaffbar ist. Aktuell hat ja auch zum Glück noch niemand wirklich Pleite und dicht gemacht.

Paul: Also ich hoffe, dass es einen Neuanfang gibt und sich in der Szene etwas verändert. Das hatte ja schon extreme Ausmaße angenommen. Die internationale elektronische Musikszene ist ja mit den ganzen Business-Aspekten und der Vielfliegerei schon wirklich abstrus geworden. Vielleicht kann diese Pause dabei helfen, darüber nachzudenken, ob das alles so sinnvoll ist.

DJ LAB: Wie können sich DJs und Clubs in dieser Situation aktuell gegenseitig unterstützen?

Michael: Wir wurden letztens ins Crack Bellmer in Berlin eingeladen, da hat eine Crew eine Plattenbörse und Labelpräsentation auf die Beine gestellt. Die Idee fand ich super, da gab es auch wahnsinnig viel Zuspruch. Der Club kann ja aktuell natürlich keine Partys machen, da war das eine gute Alternative.

Paul: Ja, da haben verschiedene Labels und Kollektive ihre Platten mitgebracht und vorgestellt. Dieses Aufeinanderzugehen und sich auszutauschen, das war schon gut. Bei Techno ging es schon immer um die Gemeinschaft und dieser Community-Effekt ist gerade jetzt enorm wichtig.

DJ LAB: Inwiefern beeinflusst Corona die Arbeit mit einem neuen Label?

Michael: Für die Planung war das schon saudoof, wir hatten uns nämlich echt viel vorgenommen. Unser Label läuft jetzt seit zwei Jahren und ich wollte das schon richtig und professionell angehen. Da hat Corona ganz schön dazwischengefunkt. Wir veröffentlichen ja auf Vinyl, durch die Pandemie haben auch die Presswerke eine viel längere Wartezeit. Aktuell muss man sich bis zu sechs Monate gedulden, bis der eigene Release auf Scheibe erscheinen kann. Da hat sich die Zeitspanne im Vergleich zur Zeit vor Corona schon verdoppelt. Nichtsdestotrotz haben mir mit Oval Distribution aus Frankfurt einen sehr professionellen Vertrieb, der uns da gut durchboxt und das beste für uns herausholt.

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DJ LAB: Euer Look & Feel vermittelt dystopische Vibes, mit Aliassen wie ‘Rubber Bullet’ ja fast schon aufrührerische Elemente. Inwiefern spiegelt das die Label-Ideologie wider?

Paul: Ich sehe Design als Kunst an. Und Kunst muss für mich immer politisch sein. Wir orientieren uns thematisch an aktuellen Geschehnissen und versuchen gewisse politische Themen anzusprechen, ohne sie dabei explizit auszuformulieren. Das kann sich auch als unterschwelliger Protest ausdrücken, zum Beispiel gegen die alles einschränkende Politik der CSU in Bayern. In unserer Musik ist für mich immer eine Art Protest und Aufstand dabei.

Michael: Da kommt bereits der Name Omega Men zum Tragen, die sich ja im Gegensatz zu den Alpha Men nicht an vorderster Stelle und somit nicht als Teil des Patriarchats sehen. Das Politische muss man jetzt nicht unbedingt auffällig thematisieren, aber indem man zum Beispiel einzelne Tracks entsprechend benennt, kann man auch subtil sticheln.

DJ LAB: Gestaltet ihr diese Designs und Videoclips denn selbst?

Michael: Wir machen das alles komplett selbst. Ich habe zum Beispiel die Website alleine gebaut, ohne irgendeine Ahnung von Webdesign zu haben. Paul ist dann eher für die Videos zuständig, die wir auch selbst produzieren.

Paul: Wir haben über sechs Monate an unserem Logo gearbeitet.

DJ LAB: Ich sitze hier mit euch in einem eindrucksvollen Studio in Berlin Friedrichshain und sehe fast nur Hardware und analoges Equipment. Ist das nur von euch beiden oder arbeitet hier noch jemand?

Michael: Wir sind hier zu dritt, ich habe das Studio mit meinem Freund Patrick Klein von Traffic Records 2015 gegründet. Mit Patrick habe ich auch noch andere Projekte an denen wir arbeiten. Paul kam zeitgleich zur Labelgründung 2018 dazu. Es ist viel einfacher sich hochwertiges Equipment zu holen, wenn man es sich mit mehreren teilt. Und jeder hat seine Spezialgebiete, wenn z.B. irgendetwas nicht funktioniert weiß es in der Regel immer einer. Meistens ist das Patrick.

DJ LAB: Wie entscheidet ihr euch für neues Equipment, was sind Kriterien für die Erweiterung des Studios? Wie gliedert ihr neues Equipment in euer Studio ein?

Paul: Das entwickelt sich ziemlich organisch, jeder hat da so seine eigenen Baustellen und Wunschlisten. Es ist eine Mischung aus dem, wovon jeder von uns träumt, und dem, was wir insgesamt als Studio auch als Grundausstattung brauchen. Ich selbst baue aktuell mein Modularsystem weiter.

Michael: Ab und an gibt es einfach Instrumente, die man braucht, wir hatten zum Beispiel längere Zeit etwas Polyphones vermisst. Daraufhin haben wir dann den OB-6 von Sequential gekauft.

DJ LAB: Was sind für euch die Vorzüge von haptischem Gear?

Michael: Hardware kommt unserer Arbeitsweise zugute, da wir unsere Tracks auf unseren externen Geräten so programmieren, dass wir sie dann in einem Take oder als Live-Jam aufnehmen können. Alle Spuren laufen dabei parallel, im Nachhinein wird bei uns so gut wie nichts mehr recorded.

Paul: Uns ist wichtig, dass unsere Instrumente alle Live-Stromkreise haben, die alle irgendwo ihren Strom direkt hindurchschicken.

DJ LAB: Was ist jeweils euer Go-to-Gear, das in den allermeisten Produktionen vorkommt?

Paul: Neben meinem Modularsystem auf jeden Fall der Cirklon Sequencer von Sequentix, mit dem wir wirklich alle Geräte hier im Studio ansteuern und teilweise sogar die Arrangements bauen. Wir haben zwar auch Ableton, aber das nutzen wir nur fürs Recording.

Michael: Genau, mit dem Cirklon kann man Arrangements genauso gut wie am Rechner bauen. Auch die Automationen lassen sich damit wie in Ableton programmieren. Das Geile an dem ist wirklich, dass man einfach keinen Computer mehr braucht. Man muss zwar mindestens drei Jahre auf ihn warten, da man ihn vorbestellen muss, aber das lohnt sich definitiv. Ich hab sogar noch einen zweiten davon bestellt und warte jetzt schon wieder seit anderthalb Jahren darauf.

DJ LAB: Anfang November erschien mit ‘Conspiracy Connector’ euer fünftes Release. Wie sind die Tracks dafür entstanden?

Paul: Der Release ist die zweite Co-Produktion von uns beiden und noch in unserem alten Studio entstanden.

Michael: Genau, aber witzigerweise trotzdem mit dem im Grunde gleichen Setup wie wir es jetzt hier heute haben. Die Tracks sind alles Live-Jams aus unterschiedlichen Sessions. Wir fangen immer an, indem wir eine Tonlage festsetzen und alle Geräte danach stimmen. Darauf bauen wir dann alles auf. In der Regel beginnen wir mit einer Rhythmusstruktur, daraus entwickeln sich dann passende Synthläufe, darüber viele Effekte um alles zusammenzukleistern, dann wird so lange gefeilt, bis man das Gefühl hat, dass zum einen die musikalische Idee interessant ist und zum anderen das Frequenzspektrum ausreicht. Die Tonlage vom Anfang ist übrigens nicht in Stein gemeißelt, gerade um es interessant zu machen, ist es notwendig aus den klassischen Tonleitern auszubrechen.

Der letzte und spaßigste, aber auch schwierigste Prozess, ist dann die Live-Aufnahme. Das heißt wir versuchen in verschiedenen Takes die Idee in einem meist clubtauglichen Arrangement auf den Punkt zu bringen. Das braucht dann mitunter ein paar Anläufe bis alles sitzt. Der große Vorteil an der Arbeitsweise ist, dass wir nie länger als einen Tag für einen Track brauchen. Dadurch, dass wir über unser Interface 32 Spuren gleichzeitig aufnehmen können, können wir in der Postproduktion dann auch noch alles ordentlich abmischen. So entstehen 95% der Stücke und auch alle, die jetzt auf der EP veröffentlicht werden.

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Veröffentlicht in Features und getaggt mit Ableton , Cirklon , Conspiracy Connector , Interview , Label , Michael Melchner , Omega Men , Paul Tiedje , Sequentix , Up And Coming

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