50 Jahre Technics SL-1200: Der stille Held der Nacht
Der Technics SL-1200 MK2 / © Technics

50 Jahre Technics SL-1200: Der stille Held der Nacht

Features. 16. Oktober 2022 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Sein Revier ist der Club, sein Tempo sind 33 ⅓ Umdrehungen, seine Verbündeten sind DJs, Bedroom-Producer:innen und Plattensammler:innen. Er treibt unermüdlich an, gibt niemals auf und verzeiht nervöse Finger wie brutale Handlanger. Während Platten rotieren, Beats pumpen und Füße stampfen, steht er eisern im Finsteren und verschluckt Lichtfetzen in seiner silber-matten Lackierung. Gleichzeitig bleibt er Arbeitstier, ist Einrichtungsgegenstand, Instrument oder das am längsten produzierte Produkt der Unterhaltungselektronik. Mit seinen 20 Kilo Kampfgewicht prangt er außerdem wie ein Monolith auf Pulten und Ikea-Sideboards. Trotzdem verschwindet er im Hintergrund, bleibt selbst als Protagonist der Nacht nur leiser Zulieferer für das Notwendige: den Groove, den Wumms, den DJ.

Der Technics SL-1200 wird im Oktober 50 Jahre alt. Sein Name steht gleichbedeutend für Plattenspieler auf der ganzen Welt. Bei DJs genießt der SL-1200, genauso wie sein jüngerer Bruder, der „Zwölfzehner”, höchste Anerkennung. Der Brummer steht nicht ohne Grund in jedem Club. Egal ob Berghain, Dorfdisco oder Urban-Outfitters-Filiale – von Tokio bis nach Los Angeles verkabelt man Technics-Decks in DJ-Booths. Wer einmal auf Plastikschiffen von Copycat-Firmen aufgelegt hat, weiß warum: Das Original blinzelt nicht nur unverändert jung aus der Panade, sondern liefert nach all den Jahren noch immer wie Dettmann zur Peaktime: punktgenau, zuverlässig, ohne Rast und Ruh.

SL-1200: Hart genug, um den Disco-Beat zu ertragen

Die Geschichte des 1200er beginnt 1972. Eine japanische Firma, die in den Jahren zuvor Dampfbügeleisen, Kühlschränke und Elektrorasierer gebaut hatte, stellt ein neues Gerät vor: einen Plattenspieler für Menschen mit Anspruch und Plattenschrank. Shuichi Obata entwirft den originalen Prototypen mit dem Ziel, den stabilsten Plattenspieler der Welt zu bauen. Der Designer sieht den SL-1200 in Privathaushalten, denkt aber schon weiter: Das Gerät soll in den gerade populär werdenden Nachtclubs in Tokio, Osaka und Yokohama die Scheiben der DJs rotieren – ohne Schwankungen in der Tonhöhe, bei minimaler Resonanz, mit einem Motor, der mehr zieht als heute ein Raver auf der Unisextoilette.

Die Idee kommt an, der SL-1200 funkelt im Land der aufgehenden Sonne bald so häufig wie Discokugeln an Clubdecken. Gerade unter DJs spricht sich herum, dass man mit dem Teil nicht nur Platten auflegen, sondern ihn wie eine Art Instrument benutzen kann. Der konstante Gleichlauf und die Möglichkeit, die Geschwindigkeit der Geräte genau anzupassen, führt schließlich zu neuen Anwendungsfeldern. Bald beginnen DJs mit Beats zu jonglieren. Das Beatmatching lässt Platten ewig laufen. Die Musik verändert sich, die Nächte werden länger, unsere heutige Vorstellung des Clubs entsteht.

Diese Entwicklung geht an den Ingenieur:innen von Technics nicht unbemerkt vorbei. Anstatt sich auf das Hifi-Publikum zu konzentrieren, das in Wohnzimmern im Ohrensessel versinkt, zielt Technics auf Discos und Nachtclubs. Die Firma rüstet den Motor nach, adaptiert den Pitchregler und verbessert die Stoßfestigkeit. Die Werbung macht schließlich klar, wohin die Reise führen soll: „Hart genug, um den Disco-Beat zu ertragen. Präzise genug, um ihn zu halten”, steht auf einem Plakat, auf dem der Turntable wie ein Sportwagen glitzert.

Mit Scratches zur Rave-Revolution

An einem Tag im Mai 1978 läuft der erste SL-1200MK2 vom Band – ein Gamechanger, ohne den weder Hip-Hop aus den Bronx gepumpt noch Techno in Detroit geballert hätte, denn: Wer Technics sagt, meint gleichzeitig Clubkultur. Das gilt heute wie damals und zeigt sich sogar in blanken Zahlen: Bis 2010 der letzte „Zwölfer” produziert wurde, hat Technics über drei Millionen Geräte des MK2 verkauft. Seit damals findet der Plattenpanzer auch seinen Platz im Guinness-Buch der Rekorde. Im Londoner Science Museum betrachten ihn jährlich Hunderttausende, im New Yorker MoMa sogar Millionen hinter einer Vitrine – als Gerät, das die „Welt geformt hat”.

Wie das passieren konnte, lässt sich nur in Legenden erzählen: Der elfjährige Grand Wizard Theodore habe die Nadel über die Plattensammlung seiner Mom schlittern lassen, das Ding machte komische Geräusche – der Scratch war geboren. Grandmaster Flash packt später zwei Plattenspieler an eine Straßenecke und führt die „Scratchadelia” zur Perfektion. Er wird zum menschlichen Sampler, die den Breakbeat isoliert, indem er mitten in die „Funkmaschine” schneidet, wie der britische Journalist Kodwo Eshun einmal schrieb. Damit fängt er keine Tradition ein, sondern die Bewegung des Plattenspielers. „Sobald das Cutting die historische Bühne betritt, wandert der Rhythmus von den Drums zum Plattenspieler, von der Gruppe zum DJ, vom Studio ins Schlafzimmer”, so Eshun weiter.

Hip-Hop gebar sich auf den Plattentellern des 1200er. Techno und House profitierten von der Zweitgeburt. Als DJs wie Electrifying Mojo Disco-Tracks mit Rap-Cuts mischen, hören ein paar Kids in Detroit genau hin. Jeff Mills mutiert zu einer Maschine zwischen Maschinen. Drei Decks gehören lange Zeit zu seiner Grundausstattung. Unter seinen Platten werden sie zu einem Instrument wie eine Stratocaster in den Händen von Hendrix. Soll heißen: Die Rave-Revolution führt auch auf den Technics-Plattenspieler zurück.

Über die Jahre hat die japanische Firma ihrem Flaggschiff mehrere Updates verpasst. Vom ursprünglichen SL-1200 ist heute nur noch das Design übrig geblieben. Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums glühen die Plattenspieler aktuell wahlweise in den Farben eines LSD-Trips. Auf exklusive 12.000 Stück hat man das Technics-Logo eingraviert. Und: einige Jahre vorher hat man mit der MK7-Version den 1210er neu aufleben lassen:

Technics SL-1210 MK 7
Technics SL-1210 MK 7
Kundenbewertung:
(40)

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