Darum ist Aphex Twin so einzigartig

Darum ist Aphex Twin so einzigartig

Allgemein. 7. Oktober 2025 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Aphex Twin ist einer von diesen Typen, die einem das Gefühl geben, dass sie nie wirklich geboren wurden, sondern einfach irgendwann da waren. Wie ein Gerücht, das sich verfestigt hat. Richard D. James, Cornwall, Jahrgang 1971. Aber das spielt keine Rolle. Seine Musik klingt nicht nach Zeit. Sie klingt nach einer Einstellung. Irgendwo zwischen Kinderzimmer, Reaktorhalle und Windows-95-Fehlermeldung.

Techno, Rave, Breakbeat, IDM, Ambient – alles Begriffe, die irgendwann erfunden wurden, weil keiner mehr wusste, was zur Hölle dieser Typ da eigentlich macht. Und wenn man ihn selbst fragt, kommt sowas wie: Ich spiele einfach das, was ich hören will. Das ist die Art von Understatement, die man entweder bewundert oder verachtet. Bei Aphex Twin macht sie Sinn. Weil er jemand ist, der früh verstanden hat, dass elektronische Musik nicht hübsch, nicht tanzbar, nicht mal nachvollziehbar sein muss, um relevant zu sein.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Seine ersten Tracks klingen wie das akustische Äquivalent einer verbeulten Satellitenschüssel. Rhythmen wie offene Schnürsenkel, Melodien, die sich verkriechen, Basslines als Höhlengleichnis. Ja, gut, das haben andere zu der Zeit auch gemacht. Aber nur Aphex hat es mit der Konsequenz eines Verschwörungstheoretikers und der Ästhetik eines HP-Laserdruckers durchgezogen. Wie ein Troll mit Vorliebe für Atari ST, der Cubase auf Drogen ist. Oder Kanye West, wenn man ihm alle sozialen Netzwerke wegnimmt und stattdessen ein Modularsystem schenkt.

Computer says no

Natürlich wurde Aphex Twin früh als Genie gehandelt. Solche Narrative lieben Musikjournalist:innen ja. Der stille Nerd, der in der Garage Klassiker schreibt. Der verschrobene Kauz, der mit selbstgebauten Synths aus Casio-Tastaturen Klangforschung betreibt, während andere noch "Born Slippy” feiern. Das Problem ist: Aphex Twin wollte nie das Genie sein. Er wollte einfach nur seine Ruhe haben. Deshalb die Nebelgranaten: gefälschte Interviews, Pseudonyme wie Polygon Window, AFX oder The Tuss, Fake-IDs auf Club-Line-ups, Platten, die plötzlich aus dem Nichts auftauchen – und wieder verschwinden. Als würde er sagen: Ich bin nicht der Inhalt, ich bin der Fehler im System.

Dabei programmiert er Beats, die so schnell sind, dass sie rückwärts wieder Sinn ergeben. Notenfolgen, die wie Zufall klingen und doch einem inneren Code folgen, den nur er kennt. Seine Breakbeats: gesplittert, zerlegt. Man hört das und denkt sich, alright, das ist also Musik, wenn man den Sequencer auf Wahnsinn stellt. Und dann kommt auf einmal eine Harmonie, die alle trifft und Väter ganz besonders. So, als hätte das System kurz innegehalten, um menschlich zu sein. Für eine Sekunde.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Vielleicht liegt darin das Geheimnis. Aphex Twin war immer sowohl Mensch als auch Maschine. Oder vielmehr: beides nicht so richtig. Kein Star, kein Normie. Einer, der dir im Interview davon erzählt, dass er in einem Panzer schläft und Stimmen aus Stromleitungen hört und du nie ganz sicher sein kannst: Spaß oder Selbstdiagnose? Seine Musik bewegt sich in dieser Schwebe. Zwischen Paranoia und völliger Auflösung. Ich mein, schon "Selected Ambient Works Volume II” klingt wie ein Tagtraum nach vier durchgemachten Nächten. Oder wie ein Fenster, durch das man sieht, was aus einem hätte werden können.

Zusätzlich sind da diese anderen Momente: das Video zu "Come to Daddy”, in dem schreiende Kinder mit Aphex-Twin-Fratze durch ein postindustrielles London rennen. Die "Windowlicker”-Maxi, die so sehr mit Erwartung und Ekel spielt, dass sie bis heute unerklärlich erfolgreich ist. Oder die versteckten Gesichter im Spektralanalysebild von "Equation”, wo er sein eigenes Grinsen als Frequenzform in den Track encoded. Wer denkt sich sowas aus? Klar, Aphex Twin.

Angeblich alles ausgedacht

Aphex Twin ist der einzige Künstler, bei dem selbst die Auszeiten ikonisch sind. Fünf Jahre Funkstille. Plötzlich ein paar Hundert neue Tracks auf Soundcloud. Angeblich aus dem Archiv. Angeblich zufällig. Angeblich. Alles bei ihm ist angeblich. Und irgendein Schlaumeier schreibt hinterher: Gerade deshalb ist sein Schaffen so konsequent. Ein Künstler, der sich selbst nicht ausstellt, nur umstellt. Der nicht verkauft, lieber entzieht. In einer Kultur, die sich permanent erklärt, ist er der Störsender. Und das macht ihn, wenn schon nicht unendlich relevant, immerhin sympathisch.

Der Mann weiß schließlich: Kunst muss sich nicht erklären. Sie muss sich auch nicht gefallen. Sie muss nur existieren, widerständig genug, um nicht aufgesogen zu werden. Während andere ihre Karriere mit Features und Boiler-Room-Auftritten vorantreiben, spielt er Live-Sets, die klingen wie Datencrashs mit Depression. Und die trotzdem Hallen füllen. Mit Menschen, die sagen, dass sie das verstehen, und wahrscheinlich gar nichts verstehen.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Dazu kommt: Bei kaum jemandem liegt der Wahnsinn so sauber aufgeräumt im Ableton-Projekt. Selbst seine chaotischsten Tracks sind durchdacht. Polyrhythmen, Taktwechsel, schräg gestimmte Synths – alles unter Kontrolle. Sofern der Rausch Normalzustand ist. Ein Rausch mit Excel-Tabelle. In Interviews spricht er ja nicht zufällig über Sounddesign wie andere über Astrophysik. Und das ist nicht mal übertrieben: Er hat mal einen Track auf Basis der DNA-Struktur eines Proteins gebaut. Einfach, weil es ging.

Die Roland TB-303 war für Aphex Twin nur eine von vielen blinkenden Kisten. Während andere Acid-Revival feiern, hat er längst den Step-Sequencer ausgeschlachtet und mit LFOs verkabelt, bis das Ding klang wie ein epileptischer Taschenrechner. Und die Drums: Kein Sample aus der Library, kein "808 for Dummies”. Sondern selbstgebaut, durch den Bitcrusher gejagt, mit Max/MSP zerbröselt, und am Ende klingt es trotzdem catchy – zumindest für Leute, die auch ZX-Spectrum-Menüs sexy finden.

Mach mich zum Meme

Überhaupt, diese Obsession mit Gesichtern. Sein Gesicht. Überall. Verzerrt, verpixelt, auf den Albumcovers, in Code, in unseren Albträumen. Ein Mann, der seine eigene Fresse zum Meme gemacht hat, Jahre bevor das Internet wusste, was ein Meme ist. Marketing durch maximalen Ekel. Während Daft Punk Helme trugen, um unnahbar zu sein, hat Aphex Twin einfach sein Gesicht so oft verunstaltet, bis man ihn nie wieder erkennen wollte.

Ja, darum ist Aphex Twin so einzigartig. Weil er kein Produkt ist. Kein Genre. Er ist eine Störung. Ein Reiz. Ein Witz, den man erst zehn Jahre später versteht. Vielleicht noch gar nicht verstanden hat, weil er Anti-Berghain ist und Anti-Pop und überhaupt: das Anti-Statement. Und genau deshalb bleibt er der Einzige, der noch was zu sagen hat – obwohl er eigentlich alles gesagt hat.

Aphex Twin

Veröffentlicht in Allgemein

Deine
Meinung:
Darum ist Aphex Twin so einzigartig

Wie findest Du den Artikel?

ø: