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Eau de Rave: Wie Parfum den Mythos Techno konserviert

Eau de Rave: Wie Parfum den Mythos Techno konserviert

Features. 8. November 2025 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Techno soll durch die Nase gehen, aber wie riecht eigentlich die Nacht? Nach Schweiß, nach Blähungen? Nach irgendwas Metallischem, das aus dem Darkroom tropft? 

Morgens, wenn man aus dem Club stolpert, hängt dieser Geruch in den Haaren wie ein unausgesprochenes Geständnis. Man möchte ihn festhalten, aber er verfliegt. Parfum ist der Versuch, genau das zu verhindern: die Erinnerung einzufrieren. Und das Vergängliche zu fixieren.

Techno riecht dann nach Vetiver und Marketingbudget. Ein paar exquisite Nasen haben nämlich verstanden, dass Clubkultur längst kein Gegenentwurf mehr ist, sondern: Stilprinzip. Eines, das man in 50-Milliliter-Fläschchen für 160 Euro rumtragen kann. Beispiel? "Rausch” von Schwarzlose Berlin. Keine Ahnung, ob das ironisch gemeint ist oder nicht, aber: Hier tankt man den Great-Gatsby-Geruch, den die Chefparfümeurin nach einer langen Nacht im Berghain erkannt haben will.

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Das unausweichliche "Berghain”-Parfum gab es übrigens auch. Nie offiziell. Aber mit animalischem Moschus und urbanem Mythos. Dazu: "Tresor”, ein Duft, der in limitierter Auflage kursierte – gusseisern, wie eine ausgelaufene Autobatterie und natürlich Nostalgie. Von dort weht wahlweise ein Hauch von "Hard Techno” (hm, Vanille?) oder "Techno”. Jenes Parfum eines US-amerikanischen DJs, der auch zu wissen wagt, wie Disco oder House riecht (nämlich nach Hawaiianischem Sandelholz).

All diese Düfte erzählen mehr über Clubkultur als mancher Szene-Artikel. Weil sie nichts erklären, sondern nur behaupten. Weil sie das Verschwinden feiern, nicht das Dasein. Sie sind wie die Nächte selbst: körperlich, künstlich. Man riecht und ist plötzlich wieder da. In irgendeinem Raum, in dem Dettmann auflegt, sehr laut, viel zu spät. Und man fragt sich, ob der Geruch wirklich existiert oder nur ein Echo ist, eine olfaktorische Hallfahne aus Rauscherfahrung, ihrer Verklärung und Iso E Super.

fabric London © uclu photosoc

Den richtigen Riecher haben

Manchmal sieht man in diesen Flakons mehr Wahrheit als auf einem Dancefloor. Parfum ist ohnehin eine Illusion, die sich selbst glaubt. Ein Trick aus Chemie, aus flüchtigen Molekülen und Erinnerungsfetzen. Es weiß, dass man ihm etwas unterstellt, und lässt einen gewähren. Der Duft schwebt kurz, verweht, bleibt als Idee. Genau wie die Nacht, in der man dachte, sie würde ewig dauern.

Das haben auch die Luxusmarken verstanden. "Copper” von Comme des Garçons riecht wie der kalte Handlauf im Club um 7 Uhr früh. Byredos "Mixed Emotions” ist das Gefühl, wenn der Bass verstummt und man plötzlich weiß, dass man zu viel gelabert hat. Nasomatto hat mit "Blamage” den Geruch des Scheiterns destilliert. Und Akro "Night” heißt einfach, wie sich die Clubschlange anfühlt: süß unter den Achseln, bitter im Schritt, nervös als Gesamtzustand.

Diese Parfums sind der synthetische Körper der ehemaligen Clubkultur. Wo man früher das Erlebnis rausschwitzte, trägt man es heute auf. Der Geruch, der einst für Freiheit stand, ist nämlich kuratiert und ziemlich teuer. Schließlich ist das der Schweiß von Freiheit, veredelt mit Cashmeran und Bananenblatt. Parfum ist so der Ersatz für das, was Körperlichkeit einmal war: ein schick verstöpselter Algorithmus, der sagt, wie sich Nacht und Techno und das Berghain anfühlen soll, ohne all das durchstehen zu müssen.

Hast du die Nase voll?

Mode, Architektur, hochpreisiger Fusel haben sich längst an dem bedient, was sie Clubästhetik nennen. Dass die Parfumindustrie mitmischt? So save wie die nächste Auflage von Süskinds Moritat. Das heißt: dunkle Glasflakons, minimale Typografie, Kampagnen mit verschwitzten Models, die aussehen, als würden sie zum ersten Mal DJ Kozes "XTC” hören. Alles riecht nach ernster, teurer Künstlichkeit. Techno wird zur Chiffre für Coolness im Kontrollverlust. Nur halt als Emotion, die man sich leisten können muss.

Parfum passt deshalb perfekt zur gegenwärtigen Clubkultur. Beide leben von dem, was vergeht. Ein Sprühstoß ist ein Track ist ein Moment, der nicht wiederkommt. Man erinnert sich nicht an die genaue Note, sondern an das Gefühl danach. Der Geruch der Nacht ist wie ein Speicher, ein Dropbox-Ordner, den man riechen kann – für das, was man lieber nicht auf dem Handy speichert. Und während die Clubs immer sauberer, sicherer, geförderter werden, wird der Duft zur letzten flüchtigen Erinnerung.

Wären wir hier in der Feuilletonspalte, man müsste meinen: Ein Duft ist ein versiegelter Moment. Man trägt ihn auf, geht hinaus, wird zur Projektion. Menschen drehen sich um, sagen: "Was ist … das?”. Und man sagt einen Namen, "Klubwasser”, zum Beispiel. Weil man weiß, was es heißt, wenn der Handrücken so riecht wie Nebelmaschinenöl, warmgelaufene Festplatten oder, na ja, Latexhosen

Immer eine Nasenlänge voraus

Also sprüht man sich diese Vergangenheit auf den Hals und erinnert sich noch einmal. An das, was mal war. Oder vielleicht gewesen wäre. Irgendwo dazwischen versteht man, warum das funktioniert: Weil Techno nie aufhört, wenn die Musik endet. Sondern wie jedes gute Parfum erst dann anfängt zu wirken. Als Eau de Rave. Limited Edition, versteht sich.

Duft ist also wie die Musik, die er imitiert. Lautlos, aber körperlich. Synthetisch, aber voller Gefühl. Man trägt ihn auf, als würde man damit zu einem anderen Ich. Und dann ist man das auch: die polierte Version einer Erinnerung, die nie ganz passiert ist. Das Parfum weiß das natürlich längst. Es spielt mit. Es tut so, als würde es uns riechen lassen, denn: In einer Welt, in der Techno zur Heritage geworden ist, wird der Geruch zum nostalgischen Trigger

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