Elektro Guzzi im Porträt: "Und dann hebt das ganze Ding ab"
© Klaus Pichler

Elektro Guzzi im Porträt: "Und dann hebt das ganze Ding ab"

Features. 13. Juni 2021 | / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Zum Frühstück serviert man Rührei und Orangensaft. Die perfekte Kombination. Und eine Erinnerung an Zeiten, in denen man frühmorgens aus dem Club stapfte, um sich das Breakfast for Champions klarzumachen – reichlich Fett und genügend Elektrolyte. Wenn Elektro Guzzi kurz nach halb zehn Uhr in einem Wiener Café von ihrem „Trip“ sprechen, ist das Erlebnis im Club so weit entfernt wie Schalke von der Bundesliga. Das gerne mal als „Techno-Band“ bezeichnete Trio um Bernhard Breuer, Jakob Schneidewind und Bernhard Hammer hat eine neue Platte produziert, die so heißt: 'Trip'.

Anders als zur Veröffentlichung ihrer ersten Alben in den frühen 2010er-Jahren, reibt man sich ob der Bandbesetzung im Club-Format schon lange nicht mehr die Tränensäcke wund. Dass sich das goldene Dreieck zwischen Schlagzeug, Bass und Gitarre über sieben Alben und einige Welttourneen nicht abgenutzt hat, ist der Tatsache geschuldet, dass Elektro Guzzi mehr als Techno produzieren. Es ist eine Energie, die man nur versteht, wenn man sie erlebt. Die sich nur einstellt, wenn man sich darauf einlässt. Und etwas „Magisches“, an dem sich die Techno-Exegese noch länger abarbeiten darf.

Eigentlich hätte der „Trip“, das inzwischen achte Studioalbum der 2004 gegründeten Gruppe, schon vor einem Jahr erscheinen sollen. Corona kam dazwischen. Die Clubs sperrten zu. Ohne Perspektive auf Auftritte verschob man den Release. Und merkte, dass das Album nicht so richtig funktionierte. „Wir waren einfach nicht mehr zufrieden damit“, sagt Gitarrist Bernhard Hammer und meint, dass das auch den Umständen geschuldet gewesen sei. Schließlich entstanden die Aufnahmen zu einer Zeit, „in der wir noch auf der Bühne stehen konnten“, so Jakob Schneidewind. Normalerweise zupft Schneidewind am Bass das Frequenz-Fundament des Guzzi-Sounds. „Während des ersten Lockdowns dokterten wir aber getrennt voneinander an der Produktion herum.“

Im darauffolgenden Sommer – es gab wieder die Möglichkeit, Konzerte vor Publikum zu spielen – haben Elektro Guzzi schnell gemerkt, dass die fertigen Aufnahmen „ziemlich weit“ von der Live-Situation entfernt gewesen seien. Man verwarf nicht nur den geplanten Veröffentlichungstermin, sondern gleich das ganze Album – und ging zurück in Studio. „Dort haben wir die Stücke gewissermaßen dekonstruiert“, so Hammer. Schließlich sollte die Ekstase im Club und damit der Spannungsbogen des Live-Sets auf die Platte. In Zeiten von Zoom-Raves und Twitch-Sets nichts weniger als die Quadratur des Kreises.

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Die Entscheidung, das Album komplett zu kübeln und neu aufzunehmen, war deshalb ein Schritt zurück – zu den eigenen Wurzeln, zu der Herangehensweise, die man Anfang der 2010er-Jahre auf den ersten Alben bemüht hat. One-Takes ohne Overdubs, absolute Reduktion im Studio und freie Improvisation in der Aufnahme. Die Titel, die man nun auf 'Trip' hört, sind Ausschnitte aus Sessions, die oft 40 Minuten gedauert haben. Dadurch, so Hammer, haben sich Momente des Einschwingens, der Beschleunigung und des Zerfalls automatisch abgespielt.

Das Live-Set entstand unter Laborbedingungen als Zyklus im Studio. Eine Technik, in der nur der Startpunkt festgelegt war – einzelne melodische oder rhythmische Fragmente. „Sie kommen aber gar nicht mehr auf den Stücken vor, weil sie lediglich Ausgangspunkte für die Aufnahmen waren, aus denen sich längere Improvisationen entwickelt haben“, sagt Hammer. Damit habe man den Druck vermeiden können, einfach aus dem Nichts anzufangen. „Die Unsicherheit der fragilen Leere ist weggefallen. Das hat uns gut getan.“

Wie gut das Füllen der Leere funktioniert hat, lässt sich auf 'Trip' erahnen. Das Album folgt keinem Spannungsbogen, sondern ist der Spannungsbogen. Eine Clubnacht als komprimiertes Gefühl, bei dem die Kick-Drum als Heilsversprechen in einer Welt pumpt, in der sich die temporäre Flucht aus dem System zwischen 128 Beats in der Minute abspielt. Man merkt, dass sich Elektro Guzzi seit einer gefühlten Ewigkeit auf dieser Wellenlänge bewegen. Gemeinsam. Auf der ganzen Welt. Sie sagen Sätze wie „Wir schaffen einen Moment, der sich verselbstständigt“ und „Wir nudeln ja nicht herum“. Man glaubt ihnen, weil selbst scheinbare Stehsätze ihre Ernsthaftigkeit ausspielen, wenn man dabei zuhört, wie sie sich das Messer zwischen die Zähne klemmen und den Beckenboden mit dem Schlag auf die Basstrommel penetrieren.

„Wir interagieren als Band“, so Schneidewind und fügt gleich an: „Während andere im Studio fetter produzieren können, verschmelzen wir unsere Sounds und erzeugen eine Dynamik, die sich nicht nachproduzieren lässt. Das unterscheidet uns von anderen im elektronischen Bereich.“ Diese Überzeugung hat sich die Band in den letzten 15 Jahren erarbeitet. Jede Probe habe man mitgeschnitten, um einen Sound zu reproduzieren, der sich nicht reproduzieren lässt. Damit war im letzten Sommer Schluss. Man wollte etwas verändern. Den Produktionsprozess zwar nicht neu erfinden, aber wieder interessant gestalten. Deswegen habe man sich entschieden, nicht mehr permanent und alles mitzuschneiden. „Plötzlich mussten wir uns darauf verlassen, wie es sich während des Spielens angefühlt hat“, so Hammer.

Der Fokus habe sich dadurch automatisch von der einzelnen Spur hin zum gemeinsamen Sound verlagert. „Das brachte uns in den Moment zurück – ein Wendepunkt!“ Aus dem Mund des Gitarristen klingt das weder nach Übertreibung noch nach Überraschung, vielmehr nach dem kontrolliert herbeigeführten Zufall, der sich nach Jahren der gemeinsamen Zusammenarbeit konsequent provozieren lässt. Man verdrahtet sich im Hören, bringt sich auf denselben Nenner – und weiß, dass es funktionieren wird. „Proben müssen wir ohnehin nicht mehr, wir können jederzeit auf Aufnahme drücken – und es wird ein Musikstück rauskommen, das sich veröffentlichen lässt“, so Hammer.

Elektro Guzzi Porträt.
© Klaus Pichler

War man schon einmal auf einem Konzert von Elektro Guzzi oder sieht sich ihre Videos an, merkt man: Hier werkeln drei Menschen in absoluter Symbiose. Das Schaffen gleicht eher dem Ablauf einer kollektiven Zeremonie als einer improvisierten Show. Ihnen dabei zuzusehen, wie sie mit geschlossenen Augen – in sich und in ihre Instrumente gekehrt – Techno aus Instrumenten konzentrieren, ihn langsam aufbauen, schichten und zu seiner Formvollendung bringen, hängt etwas an, das sich schwer in Worten beschreiben lässt. Vielleicht wirkt das Dreieck zwischen Schlagzeug, Bass und Lead-Gitarre gerade deshalb wie ein unsichtbares Band, das einen für die Dauer des Sets umschlingt und an sich reißt – um an dieser Formung teilzuhaben. Und sich diesem einen Moment, dem „Magischen“, von dem Elektro Guzzi manchmal sprechen, anzunähern.

„Wenn wir spielen, spielt jeder mit voller Konzentration“, sagt Schneidewind. Dass es dafür die Spiegelung von außen, das Feedback der Masse braucht, um sich zu „tunen“, sich in einen Zustand absoluter Aufmerksamkeit zu begeben, ist für die drei Musiker ein wichtiger Aspekt. Gerade in der Improvisation sei das Bewusstsein für den Moment am stärksten. Man müsse sich das vorstellen wie eine Meditation – alle störenden Einflüsse und Gedanken sollen ausgeblendet werden, bis nur noch die gemeinsame Verbindung, die Konzentration im und durch das Hören übrig bleibt. Läuft alles zusammen, kann „das Ding“ abheben. „Bricht die Konzentration weg, ist die Musik hinfällig“, so Schneidewind.

Deshalb spielen Elektro Guzzi seit zwei Jahren mit einem In-Ear-System, auf dem sie sich im Mix hören. „Das hat den Vorteil, dass das Geile an einem Stück nicht verloren geht, weil wir wissen, wie manche Dinge für uns geklungen haben.“ Der Gitarrist höre sich dabei nicht lauter als der Bassist, im Gegenteil: Jeder höre sich als Einzelner in der Gesamtheit. „Das hält die Balance zwischen den Sounds, die sich zu etwas zusammenfügen, das besser ist als die einzelnen Sounds für sich“, sagt Hammer. Dass diese Balance nicht nur im Club funktionieren kann, haben Elektro Guzzi mit Streaming-Konzerten gezeigt. Dass sie in den Club zurückgehört, ist trotzdem keine Frage, sondern die Hoffnung, dass man sie bald wieder live erlebt. Um am Morgen danach in einem Café Rührei und Orangensaft zu bestellen. Und an Elektro Guzzi zu denken.

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