Interview: Schlafkonzert mit Johanna Knutsson & Sebastian Mullaert

Interview: Schlafkonzert mit Johanna Knutsson & Sebastian Mullaert

Features. 18. März 2021 | / 5,0

Geschrieben von:
Simon Ackers

Mit Schlafsack und Isomatte zum achtstündigen Konzert: Das klingt, wenn man es so liest, erst einmal nach Festival. Wieso sollte man aber während eines Konzerts schlafen? Für Johanna Knutsson und Sebastian Mullaert liegt genau darin eine ganz besondere Erfahrung, aus der sich ihrer Ansicht nach große musikalische Kraft schöpfen lässt – und aus diesem Grund geben sie sogenannte Schlafkonzerte. Zum International Sleep Day 2021 laden sie uns alle gemeinsam auf eine Mütze Schlaf zum Stream ihres Konzerts 'Live At De Waalse Kerk 2019’ in Amsterdam ein. Wir trafen die beiden „Dream Conductor“ vorab zum Gespräch über luzide Zustände des Glücks, musikalische Improvisation und Ferienlageratmosphäre.

DJ LAB: Fangen wir direkt mit der offensichtlichsten Frage an: Warum macht man Musik zum Schlafen, ist das nicht erst einmal konträr zu dem, was wir sonst unter Musik verstehen?

Johanna: Ich hatte das selber auch nie so im Sinn, bis dann meine Mutter einmal ins Krankenhaus kam. Sie war in dieser Zeit isoliert und befand sich für ca. fünf Wochen im „Schlaf“. Im Krankenhaus hatte ich dann angefangen, Musik für sie zu machen. Es ist nicht wirklich Musik, die ausschließlich fürs Schlafen gemacht ist, sondern eher für diesen luziden Bewusstseinszustand, wenn das Gehirn zwar noch arbeitet, aber nicht mehr ganz wach ist. Irgendwann hatte ich dann mit Sebastian darüber geredet und er hatte die gleichen Gedanken dazu wie ich.

Sebastian: Als wir darüber gesprochen hatten, hattest du auch schon ein paar solcher Shows gespielt, du hattest also schon etwas Erfahrung. Was mich bei meinem kreativen Prozess oder beim Musikhören immer interessiert hat, ist, ob es bestimmte Dinge gibt, die mich bei meiner Kreativität oder meiner Wahrnehmung von Musik noch unterstützen könnten. Was mich dabei sogar immer besonders gehemmt hat, war der vergleichende Aspekt, der ja irgendwo in der Natur des Menschen liegt. Man fängt an zu zweifeln, ob das, was man gemacht hat, gut genug ist, ob andere das gut finden. Das passiert andauernd und es kann unglaublich befreiend sein, da herauszukommen. Ich habe festgestellt, dass mir das am besten gelingt, wenn ich, wie Johanna bereits meinte, in diesen luziden Zustand komme. Man schaut dann nicht mehr so kritisch von außen auf alles und lässt alles mehr auf sich wirken. Dadurch kann man wunderbare Glücksmomente erfahren. Das kann z.B nach einer langen Party sein, wenn man noch nicht schläft aber total müde nach Hause geht, oder eben solche Schlafkonzerte. Dort gibt es ja keinen Druck. Wir sagen den Leuten: “Bringt euch eine Matratze mit, legt euch hin und dann driften wir alle gemeinsam ab in diesen Zustand des Halbschlafes.”

Johanna: Ich liebe diesen Zustand! Das ist für mich wie ein geheimes Universum, das man nur selten betreten kann – diese Halbwelt zwischen Schlaf und Realität.

Das Ziel ist also relativ klar. Habt ihr vorab so etwas wie Strukturen besprochen, um in diesen acht Stunden auch dort hinzukommen? Max Richter hatte ja z.B ein Schlafalbum gemacht und dort musikalisch die verschiedenen Phasen dargestellt.

Johanna: Ich hatte jetzt persönlich keine Struktur vorab geplant. Es ist mehr so, dass wir dort alle gemeinsam diese acht Stunden durchleben und sich die Struktur aus dem Vibe heraus ergibt. Für den Anfang hat man eventuell noch etwas im Hinterkopf, was man genau machen möchte, aber das sind auch nur lose Ideen. Selbst wenn Sebastian und ich die ganzen acht Stunden wach sind, kommen wir ja selber auch in diesen abdriftenden Zustand und das überträgt sich dann automatisch auf die Musik. Wir hatten uns mal hier und da ein bisschen über Schlaf und so Sachen wie REM-Phasen unterhalten, aber bei den Konzerten kommunizieren wir dann eigentlich nur durch die Musik.

Sebastian: Ich glaub der Aspekt, über den wir uns am meisten unterhalten haben, ist, welche Art von Musik wir überhaupt spielen wollen. Wir wollen ja Musik machen, die dabei hilft, in den luziden Zustand zu kommen. Es darf also nicht zu seltsam sein, damit wir  niemanden verängstigen. Es sollte aber auch nicht zu soft sein. Allem voran darf es natürlich auch nicht zu laut sein. Das sind aber mehr ästhetische Fragen und keine strukturellen. Was wir auch beobachtet haben, war, dass wir bei der ersten Show noch sehr viel gemeinsam und zeitgleich improvisiert haben. Danach war es dann mehr so, dass wir uns abwechselten. Wenn Johanna spielt, lege ich mich selber hin und höre dem zu, was sie macht, dadurch sind wir auch noch mehr Teil des Ganzen.

Johanna: Das ist auch irgendwie unser unausgesprochenes Ziel dabei: nicht für andere zu performen, sondern gemeinsam mit allen im Raum diese Erfahrung zu durchleben.

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Ambient-Musik spielt sich generell in einem sehr vagen Zustand ab, sie ist gewissermßen gleichzeitig spannend wie unspannend. Ich war bereits auf Ambientkonzerten, bei denen einfach viel zu viel passierte oder klassisch stundenlang irgendein Drone lief, was wiederum echt langweilig sein kann. Wie geht ihr das an, so lange musikalische Energie hochzuhalten, ohne aber zu energetisch zu sein?

Johanna: Ich glaube, wir sind beide generell sehr “verspielt” in unserer Musik. Aber nicht im Sinne von unseriös – wir gehen sehr gewissen- und ernsthaft an unsere Musik ran. Aber jetzt so irgendwie eine Stunde lang nur Drone laufen zu lassen, kommt uns halt nicht in den Sinn und ist auch schlicht nicht das, was wir uns musikalisch vorstellen. Wir haben also schon das Bedürfnis, viele kleine Ideen mit einzubauen und nicht ewig im Gleichen zu verharren.

Sebastian: Das ist auch ein Punkt, über den wir geredet hatten. Es passiert sehr einfach, auch abseits von Ambient-Konzerten auf der Bühne zu energetisch zu werden und zu viel rauszulassen. Das geht mir auch oft so, dass ich mich zu sehr in dieser Aufregung verliere und dann zu viel mache. Da finde ich solche Schlafkonzerte fast schon viel einfacherer, weil das Setting für alle acht Stunden lang ganz klar ist. Wir wollen alle gemeinsam an diesen Kipppunkt kommen und dort bleiben, also kann ich meine komplette Energie, die ich habe, da hinein investieren. Es ist also wie eine achtstündige Meditation. Dadurch, dass wir und alle, die da sind, sehr viel Zeit haben, können wir jeden Ton, Sound und Akkord erst einmal wirken lassen, uns bewusst anhören und kleinen musikalischen Ideen mehr Gewichtung geben.

Wie läuft dann konkret eure musikalische Kommunikation ab? Wenn ihr beide improvisiert, ist doch gerade in so einem Setting die Gefahr groß, auf einmal in der völlig falschen Tonart einzusteigen und die Leute aus ihrem Halbschlaf zu reißen?

Sebastian: Wir haben uns so ein wenig vorab auf ein paar Tonarten geeinigt, in denen wir uns bewegen: C, G, D oder F – also alles, was sehr nah beieinander liegt, und nicht einer plötzlich da in Fis reinspielt. Ansonsten weiß ich gar nicht, ob wir währenddessen gesprochen haben?

Johanna: Ich glaub nicht, wir saßen ja auch nicht wirklich so nah beieinander, dass wir gut miteinander hätten sprechen können. Aber das braucht man auch überhaupt gar nicht, es reicht, wenn man sich ein wenig anguckt. Den Großteil macht man ohnehin, indem man der Musik des anderen zuhört. Selbst wenn man sich abwechselt, heißt das ja nicht, dass beide für sich ihren Teil machen. Ich höre dem zu, was Sebastian macht, finde mich dann dort langsam und vorsichtig rein und wenn ich an der Reihe bin, baue ich dann wieder selber etwas auf. Dadurch fließt dann im besten Fall alles zusammen. Ich habe die Aufnahme erst sechs Monate später das erste Mal wieder gehört und es gibt viele Momente, von denen ich nicht mehr weiß, von wem genau nun welcher Sound kam.

Sebastian: Ein paar Sachen sind einem schon in Erinnerung geblieben und wir haben ja auch beide eine eigene Ästhetik beim Spielen. Johanna, würde ich sagen, ist noch etwas verspielter als ich, aber bei einigen Sachen weiß ich wirklich auch überhaupt gar nicht mehr, wo das herkam.

Johanna: Ich hätte jetzt eigentlich gesagt, dass du deutlich verspielter bist… (beide lachen)

Acht Stunden am Stück Musik machen klingt nach einem richtigen Marathon. Wie bereitet ihr euch auf solche Konzerte vor?

Johanna: Seltsamerweise finde ich diese Konzerte deutlich weniger anstrengend als andere. Ich fühle mich dann oft fast schon so, als hätte ich einfach acht Stunden geschlafen, wenn  wir fertig sidn. Wir haben dort ja kleine Snacks, etwas Kaffee und auch sonst ist alles da. Die Zeit fliegt da einfach vorbei, man ist so konzentriert dabei. Vor den Konzerten schlafe ich immer etwas und Sebastian meditiert glaube ich immer, oder?

Sebastian: Ich weiß nicht genau, wie es bei diesem Konzert war, da war es etwas seltsam. Das Konzert selbst war total erholsam, direkt im Anschluss bin ich weiter zu einem Circle of Live Workshop und habe anschließend eine Show mit Vril und Neel gespielt. Das war alles viel anstrengender, vor allem weil man auch immer wieder seine ganzen Sachen auf- und abbauen muss. Spielen ist immer das Leichteste und Schönste. Das, was wirklich anstrengt, ist alles drumherum. Deswegen sind acht Stunden am Stück auch gar nicht so schlimm, wie man es vielleicht denkt.

Abseits der Musik ist so ein Schlafkonzert auch ein soziales Experiment. Ihr beide seid dort ja live dabei und sogar dafür verantwortlich?

Johanna: Ich verfalle irgendwie in einen Zustand, in dem ich alle behüten möchte, fast schon mütterliche Gefühle. Man fühlt sich verantwortlich für das Wohlbefinden der anderen und möchte sie schützen. Wir sind in dem Moment die Dream Conductor, das ist eine total faszinierende Erfahrung. Ich war vorher mal auf einem anderen Schlafkonzert und das war ein ganz furchtbares Ereignis. Dort liefen total viele Subbässe und verstörende Sounds. Wenn man dabei in diesen Halbschlaf fällt, wirkt sich das brutal auf das Gemüt aus und bringt dich total durcheinander. Wenn man das mal mitgemacht hat, will man danach umso mehr alle davor beschützen, erst recht, wenn man selbst in der Verantwortung ist. Abseits davon finde ich, dass diese Konzerte immer was von Ferienlager haben.

Sebastian: Ich finde immer, dass es sich viel seltsamer anhört, über Schlafkonzerte zu reden, als es dann tatsächlich ist. Wenn wir jetzt darüber sprechen, dass sich Menschen dort mit hundert anderen Fremden in ihren Schlafsäcken hinlegen und es sich gemütlich machen, ist das erstmal total absurd. Wenn man dann aber dort ankommt, merkt man, dass es viel mehr eine Vorfreude ist, da passt Johannas Ferienlagervergleich super. Alle bringen ihre ganzen Sachen mit und suchen sich dann einen schönen Platz aus. Dadurch, dass es so ungewohnt und neu ist, bekommt es für viele auch nochmal einen ganz besonderen Wert. Diese Aufregung bekommen wir dann auch mit und das hilft uns musikalisch, weil wir diesen speziellen Moment so toll wie möglich gestalten wollen.

Johanna: Und die Menschen sind automatisch sehr respektvoll im Umgang miteinander. Niemand kommt dort mit Vorurteilen an, alle sind neugierig und achten darauf, einander nicht zu stören. Das läuft übrigens gar nicht so gezwungen ab, wie das jetzt vielleicht klingt, sondern das passiert einfach ganz natürlich.

Habt ihr beide selbst schon zu der Aufnahme geschlafen?

Sebastian: Ich hab es tatsächlich noch nicht gemacht, du etwa Johanna?

Johanna: Ich hebe mir das für den Sleep Day auf und dann können wird das alle gemeinsam machen.

Sleep Concert am 19.03.2021

Zum Schlafkonzert, das von 23:00 bis 07:00 Uhr geht,  gibt es einen kleinen Leitfaden, den lest ihr hier:

Step-by-step guide

  • eat just a couple of hours before, not later
  • advise everyone around you to not disturb for 8 hours
  • make all arrangements and preparations before the start: toilet needs, water and fruit aside your bed, set your mobiles in sleep mode, volume of your sound system as low as a tickle
  • the video is just a sound player: turn off all the screens
  • drink a cup of tea mindfully
  • if you’re used to, do your meditation/breath/mindfulness practice before the start
  • prepare your bed and lay down in the Shavasana posture https://en.wikipedia.org/wiki/Shavasana
  • tune in to the live streaming
  • try to not think when you listen; don’t check your phone, write, force yourself in anything: let the experience work; close your eyes

Hier könnt ihr euch einen Set-Reminder für YouTube stellen:

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