Es beginnt um halb sechs. Mit Hummusbrot und einer Crowd, die aussieht wie eine Kombüse aus Interior-Magazinen und Startup-Messen. Man tanzt zu verträumtem Techno, der extra so produziert wurde, dass er niemandem wehtut. Musik, die klingt wie ein Loop aus PowerPoint-Klicks und einer Guided-Meditation im Flugmodus. Der Dancefloor ist voll und Awareness-zertifiziert. Es gibt vegane Zimtschnecken. Jemand pustet Seifenblasen. Für den absoluten Purpose oder einfach nur als Warmp-up für das Weekly Standup.
Ja, der Rausch ist abbestellt. Zu riskant fürs Nervensystem. Stattdessen, jetzt: Matcha. Mit Hafermilch. Adaptogen, sagt die Vogue dazu. Denn Matcha ist, pssst, das neue MDMA. Nur bitterer und ohne Wirkung. Dafür halt mit Bio-Siegel. Er wird gereicht in Keramikbechern, von Menschen mit Leinenhosen und lebensaffirmierenden Armbändern. Sie sagen Dinge wie: "Ich hab das so sehr gebraucht heute.” Und dann gehen sie zu dm, um Magnesium zu kaufen.
Es ist der endgültige Sieg der Selfcare über den Kontrollverlust. Und die schickt einen bekanntlich total gut rein, in den Flow-Zustand. Früher musste man dafür noch eine Clubtoilette aufsuchen. Heute reicht ein Energy-Ball, ein Räucherstäbchen und der Glaube an sich selbst, denn: Der Morgenkick ist jetzt legal, mit Rechnung sogar steuerlich absetzbar. Die Ekstase hat schließlich einen Stundenplan und riecht nach Palo Santo.
Das ist keine Flasche
So also sieht die letzte Entkernung der Clubkultur aus: Reste von Techno auf einem Buffet aus mentaler Hygiene, Selbstvermarktung und der Performance-Angst in Coworking-Spaces mit Klangschalen. Alles ist safe und reguliert und gefiltert durch den Generator der eigenen Bubble. Da gibt es bitte keine Dunkelheit mehr. Keinen Dreck. Keine Möglichkeit, sich zu verlieren. Der Rave wurde schließlich domestiziert. Er trägt jetzt Gore-Tex und eine Air-Up-Flasche.
Natürlich hat der Kapitalismus den Dancefloor nicht gerade erst annektiert. Dafür aber gründlich, man will sagen: nachhaltig. Wo früher das Chaos hauste, wohnt nun der Content. Die Leute tanzen nicht mehr, um sich selbst zu vergessen, sie tanzen jetzt für Reels mit Hashtags wie #highvibesonly #sunrisetechno #coffeeandclarity. Denn das jüngste Gericht, äh, der Dancefloor ist zur Werbefläche geworden. Nicht für Jägermäster, sondern für Wohlbefinden, das heißt: für dich selbst.
Vorbei die Zeit, in der man stundenlang durch die Nacht irrte, sich zwischen fremde Körper schob und Zigaretten von der falschen Seite rauchte, weil man plötzlich mit 180 bpm dachte. Heute muss sich das Tanzen lohnen. Es ist Mittel zum Zweck. Eine Maßnahme. So wie das inspirierende Hörbuch zu "Deep Work”.

Fast. Pace. Environment.
Gut, heutzutage kann man ja zu allem Rave sagen, selbst wenn es nur ein atmosphärisches Morgenmeeting in einem Fast-paced-Environment ist. Oder eine Disco-Pause. Die Events heißen ja nicht umsonst "Wake Up Society”. Sie könnten aber auch "LinkedIn mit Live-DJ” heißen. Die Ausschweifung ist doch schon längst zur Achtsamkeit geworden und Ekstase nur im Rahmen des Energiehaushalts möglich.
Denn niemand will sich mehr ausschalten. Alle wollen funktionieren. So was wie Rebellion oder gar Risiko ist eher nicht mitgedacht. Man denkt in optimierten Zwischenzustandsimperativen. Du fühlst dich schlecht? Tanz! Du fühlst dich gut? Matcha! Du willst dazugehören? Tanz und Matcha!
Das ist natürlich ironiefrei gemeint, weil: Ironie stört beim Atmen. Und atmen ist wichtig. Wäre nur nicht alles so furchtbar rein. So klinisch. So "mit sich selbst im Reinen”. Selbst die Kickdrum klingt inzwischen wie eine freundliche Push-Benachrichtigung. Nie zu sehr. Nie zu hart. Immer mit Exitstrategie. Also mit Tageslicht. Und Zur-Tagesschau-wieder-daheim-Sein. Weil sonst, na ja, der Rhythmus leidet.
Und wenn man deshalb pünktlich ins Büro gleitet, den Rechner startet und in die Zoom-Kachel lächelt, dann weiß man: Schon wieder was Gutes für sich getan. Schließlich war man ja dabei. Da, schau. Wie toll man aussieht auf den Fotos. So alive. So grateful. Mit Matcha Latte in der Hand.


1 Kommentare zu "Generation Matcha & Techno – im Takt der Selbstoptimierung"
"Matcha macht frei“ - Soll das eine Anspielung auf die Phrase „Arbeit macht frei“ sein, die auf vielen Konzentrationslagern prangte? Haltet ihr das für angebracht?
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