Musik-Marketplaces: Was können die neuen Bandcamp-Alternativen?

Musik-Marketplaces: Was können die neuen Bandcamp-Alternativen?

Features. 12. September 2025 | 4,9 / 5,0

Geschrieben von:
Kristoffer Cornils

Bandcamp ist zur beliebtesten Anlaufstelle der Indie-Welt geworden, um dort digitale Musik, Tonträger und Merchandising zu verkaufen. Nachdem die Firma allerdings zweimal verkauft wurde, steht die Frage nach Alternativen im Raum. Wir stellen vier von ihnen vor.

Die Plattform Bandcamp wurde im Jahr 2008 als Online-Marketplace für den Direktverkauf von Musik in digitaler Form sowie auf Tonträgern und obendrein von Merchandising jeglicher Art gelauncht. Das Prinzip leuchtete vor allem dem internationalen Underground und der Indie-Welt sofort ein, ließen sich doch damit – freilich mit ein bisschen Mehraufwand – die herkömmlichen Infrastrukturen des Musikvertriebs und die damit verbundenen Kosten und regionalen Beschränkungen umgehen: Der größte Merch-Table der Welt.

Im Laufe der Jahre wurde die Plattform deshalb immer wichtiger, wechselte aber auch die Hände. Erst kaufte sie im Frühjahr 2022 Epic Games auf und gab sie im Herbst 2023 an die Lizenzierungsfirma Songtradr wieder ab. Das machte viele skeptisch. Für sie dürften die zwischenzeitlich aus dem Boden gesprossenen Alternativen zu Bandcamp interessant sein. Derer gibt es mittlerweile einige, und weitere sind im Begriff, sich zu formieren. Vier von ihnen machen es anders als das Vorbild – doch können sie sich langfristig etablieren? 

Nina – Früher NFTs, heute WAVs

  • Besonderheiten: Ehemalige NFT-Plattform/Blockchain-basiert
  • Vorteile: Attraktiver Katalog, keinerlei Kosten für Artists und Labels
  • Nachteile: Unklares Geschäftsmodell
Bandcamp Altertive: Nina

Erinnert sich noch jemand an NFTs? Der Web3-Hype fiel schnell in sich zusammen, Nina jedoch überlebte. Im Frühjahr 2021 ging der NFT-Marketplace mit Schwerpunkt auf Musik an den Start, dahinter steckte ein dreiköpfiges Team um Mike Pollard, vormals Betreiber des Labels Arbor. Obwohl Nina einige Investitionen auf sich ziehen konnte, lief das Geschäft offensichtlich nicht ganz so wie geplant. Schon bald machte sich Nina zukunftsfähig, indem die Plattform auf herkömmliche Methoden setzte: Seit Ende 2023 wird keine Kryptowährung mehr benötigt, um dort Musik im regulären File-Format zu (ver-)kaufen – was freilich nicht alle Bedenken bezüglich weiterhin bestehender Blockchain-Verflechtungen vom Tisch räumte. Der Ruf der Plattform ist dank Web3-Hintergrund und Risikokapital-Investitionen dementsprechend ambivalent.

Was aber bietet Nina dem Publikum? Aus Nutzerperspektive zuerst einmal ein eher schlichtes, fast schon altertümliches Interface und manchmal lange Ladezeiten. Nach dem Bandcamp-Daily-Vorbild wird die Musik von redaktionellen Empfehlungen und Inhalten hervorgehoben und kontextualisiert, der recht übersichtliche Katalog umfasst vor allem elektronische und sehr oft Dancefloor-kompatible Musik. Größere Indie-Labels wie AD 93, Houndstooth, Hyperdub und Leaving sowie viele selbstpublizierende Produzent:innen bieten Musik primär im WAV-Format an. In der Regel gibt es anders als bei Bandcamp keine breite Auswahl an allen möglichen File-Formaten, seltener kann zwischen WAV und MP3 gewählt werden. Dabei gibt es dort doch nur Musik in digitaler Form.

Artists und Labels wird indes der maximale Profit versprochen. Diese werden gesammelt und können auf ein Bankkonto überwiesen werden, neben den anfallenden Transaktionskosten erhebt die Plattform selbst keinerlei Gebühren darauf. Möglich ist das, weil Nina offensichtlich zurzeit überhaupt keine Pläne hat, Geld zu machen. Laut den – ziemlich unaufgeräumten – FAQ der Plattform möchte diese sich mit den bisherigen Investitionen über Wasser halten und niemals Verkaufsgebühren erheben. Das macht Nina zugleich zu einem attraktiven Angebot wie zu einer unsicheren Investition. Stellt sich doch die Frage, wie eine Plattform ohne eigentliches Einkommen durchhalten soll. Zuletzt wurde 2024 in einem Update in Aussicht gestellt, dass "a suite of paid tools" verfügbar gemacht werden. Ob das ausreichen kann, um das Überleben der Plattform zu sichern? 

Fazit: So hip Nina wirkt, stellt sich die Frage nach den Perspektiven der Plattform: Das Produkt ist ausbaufähig und wird sich finanziell nicht tragen können. Ob weitere Investitionen sein Fortbestehen sichern können, bleibt offen. 

Acid Nation – Marketplace mit Streaming-Komponente

  • Besonderheiten: Abomodelle statt Verkaufsgebühren
  • Vorteile: Angebot umfasst auch Merch und Vinyl, Streaming wird vergütet 
  • Nachteile: Unklare Firmenstruktur
Bandcamp Alternative: Ac55id Nation

AC55ID wurde nach Nina gegründet und legte ab seinem Start Anfang 2024 einen deutlicheren Fokus auf Clubmusik. Der Name wurde wohl in Anspielung auf "We Call It Acieed" von D Mob beziehungsweise dem Schlachtruf von 303-Fans gewählt, bevor er im Sommer 2025 in Acid Nation geändert wurde. Nicht nur das warf Fragen auf. Denn wer steckt dahinter? Laut der Online-Datenbank Crunchbase erhielt die AC55ID LLC im Gründungsjahr 2021 Investitionen und wird anscheinend von einem gewissen James Costa betrieben, über den sich jenseits einiger Interviews kaum etwas herausfinden lässt. Als Unternehmenssitz gibt die Firma auf LinkedIn New York an, laut eigener Website ist sie allerdings in Sheridan im US-amerikanische Bundesstaat Wyoming registriert – ein beliebter Standort für Briefkastenfirmen. Das muss nichts heißen, im Kontext der recht dürftigen Informationslage macht es aber hellhörig.

Für sein Publikum präsentiert sich Acid Nation als Synthese von Beatport und Bandcamp. Das im Vergleich zu Nina deutlich modernere Interface erlaubt es Nutzer:innen, durch die Kataloge verschiedener Artists und Labels wie Nechto, Hotflush oder Be As One zu browsen oder nach Genre zu filtern. Wer zuschlägt, wird zu einer Checkout-Seite weitergeleitet, die denen regulärer E-Commerce-Anbieter sehr ähnlich sehen, kann nach dem Kauf zwischen verschiedenen File-Formaten auswählen und  jedes der Releases in der persönlichen Library abrufen. Darüber hinaus bietet Acid Nation redaktionelle Playlists, Podcasts und journalistische Texten sowie den Zugriff auf Mixe an. Neben Merch sind auch einige wenige Schallplatten käuflich zu erwerben – die Auswahl ist aber klein und mithin bizarr

Wer Musik anbieten möchte, zahlt dafür wie bei Nina keine Verkaufsgebühren. Stattdessen finanziert sich Acid Nation über eine Art Abo: Artists und Labels müssen je zehn und 30 US-Dollar pro Monat bezahlen. So sind im Unterschied zu Bandcamp weder Plattform noch Anbieter:innen von Verkaufszahlen abhängig. Des Weiteren bietet Acid Nation "On Demand Campaigns", die wie beim Vorbild Bandcamp funktionieren: Nach einer Crowdfunding-Aktion kümmert sich Acid Nation um Produktion und Fulfillment von Vinyl-Releases. Obendrein können Streams für Tracks und sogar DJ-Mixe mit einem Cent pro Play monetarisiert werden. Auch das hebt Acid Nation von der Konkurrenz ab. Doch funktioniert das? Ein Blick in die "Top 50 Global"-Liste und die Statistiken hoch rangierender Tracks erweckt nicht den Eindruck, als würde bisher fleißig eingekauft werden. 

Fazit: Acid Nation will sich als faire Alternative positionieren und den Bedürfnissen der Clubszene entgegenkommen. Das hat Potenzial. Transparent zeigt sich das Unternehmen hinter der zwischenzeitlich sogar umbenannten Plattform aber kaum. Unklar ist, welche Perspektiven das bietet.

Ampwall – Für die Metal-Community (und mehr?)

  • Besonderheiten: Community-orientiert, (noch) Fokus auf Gitarrenmusik
  • Vorteile: Bequeme Nutzererfahrung, für Artists und Labels moderate Preispolitik
  • Nachteile: Noch sehr auf eine spezifische Subkultur zugeschnitten
Ampwall

Der Name Ampwall ist ein sprechender: Ähnlich wie bei der deutschen Streamingplattform Rokk dreht sich bei dem im Herbst 2024 gelaunchten Marketplace alles um härtere Gitarrenmusik – oder zumindest das meiste. Wer etwas tiefer gräbt, findet dort auch Releases mit Techno, House und verwandten Spielarten elektronischer Musik für den Dancefloor. Ampwall verdeutlicht in den übersichtlichen FAQ auch, nicht in der Nische bleiben zu wollen. Interessant ist Ampwall allein deshalb, weil es ähnlich wie AC55ID einige der von Bandcamp bekannten Fettnäpfchen zu vermeiden versucht, sich dabei jedoch deutlich community-orientierter und transparenter zeigt. Das Unternehmen ist obendrein als Delaware Public Benefit Corporation (vergleichbar mit einer gGmbH) aufgebaut und zielt somit zumindest theoretisch auf Gemeinnützigkeit ab.

Ampwall sieht besser aus als die Konkurrenz. Die Nutzererfahrung ist beachtlich flüssig, lediglich das textbasierte Stöbern im recht breiten Katalog ist bisweilen unhandlich. Release-, Artist- und Label-Pages werden dank Text- und Bildmaterial die Art von Kontextualisierung beigegeben, die viele an Bandcamp schätzen. Files lassen sich als MP3s und in den gängigen verlustfreien Formaten herunterladen, obendrein werden auch Tonträger und Merch sowie Kunstdrucke mit Musikbezug angeboten. Ein ziemlich umfangreiches Angebot von verschiedenen, bisweilen recht großen Player:innen der Indie-Metal-Welt. Ein weiterer Bonus ist, dass sich Hörer:innen in einem Discord-Server untereinander und mit dem Team austauschen können. Ihr Feedback zur Gestaltung und Funktionalität von Ampwall wird gehört – und bisweilen direkt umgesetzt.

Einbringen können sich auch Musiker:innen und Labels. Auf deren Verkäufe erhebt Ampwall eine Gebühr von 5 Prozent. Zusätzliche Gelder generiert Ampwall, indem es eine jährliche Gebühr erhebt: Fünf Stunden Upload-Zeit kosten beispielsweise zehn US-Dollar pro Jahr. Wie bei AC55ID soll damit der Druck auf Anbieter:innen, möglichst viel zu verkaufen, abgemildert werden. Anstatt aber durch laufende Kosten eine andere Form von latentem Kostendruck auszuüben, wird die Abgabe schmal gehalten und steht proportional zur Menge der hochgeladenen Musik. Zusätzlich zu einer vorbildlichen Feedback-Kultur sind das Boni, deren Vorteile bis dato eine bestimmte Subkultur genießt. Außenstehenden dürfte es schwerfallen, dort mit ganz anderer Musik Fuß zu fassen. Vielleicht würde das aber das Angebot verwässern, liegt Ampwalls Stärke doch auch in den Netzwerkeffekten unter Bands und Fans.

Fazit: Ampwall ist der bestaussehende und komfortabelste der neuen Marketplaces und geht effizient auf die Bedürfnisse einer Subkultur ein. Vielleicht wäre es besser, wenn er sich langfristig auf diese konzentriert. Das Prinzip aber könnte anderswo Schule machen. 

Mirlo – Plattform und Werkzeug

  • Besonderheiten: Genossenschaftlich betrieben und Open-Source
  • Vorteile: Frei wählbare Verkaufskonditionen und Mitspracherecht für alle
  • Nachteile: Nischiger Katalog und geringe Reichweite 
Bandcamp Alternative: Mirlo

Seit geraumer Zeit erlebt das Prinzip der Genossenschaft in der Musikwelt ein kleines Revival. Genossenschaftlich betriebene Plattformen wie der Streamingdienst Resonate und der Patreon-Verschnitt Ampled sind zwar krachend gescheitert, eine neue Generation lernt aber aus ihren Fehlern. Neben dem mittlerweile wohl eingeschlafenem Jam und den ambitionierten Projekt Subvert und Tone gehört vor allem der Marketplace Mirlo zu den jüngeren Projekten, die es besser machen wollen. Das Team greift dabei auf direkte Erfahrungswerte aus dem Scheitern von Resonate und Ampled zurück, da seine Mitglieder an denen mitgearbeitet hatten. Noch ermöglicht es Mirlo Musiker:innen oder Fans nicht, selbst Mitglieder der Genossenschaft zu werden. Dies ist auf lange Zeit aber geplant.

Fans und Artists könnten also nicht nur im Kollektiv über die Genese der Plattform entscheiden, sondern ebenso über die Verteilung von potenziellen Profiten bestimmen. Wie bei Ampwall läuft derzeit das Gros der Kommunikation über einen Discord-Server, in dem sich neben dem Team und Musiker:innen auch reguläre Hörer:innen dynamisch einbringen und somit kurz- oder mittelfristig Veränderungen an der Nutzererfahrung bewirken können. Die gelebte Feedback-Kultur hat die Seite seit ihrem Launch im Frühjahr 2024 einfacher zu navigieren und komfortabler gemacht. In seinen Funktionen ist Mirlo ein klassischer Marketplace und bietet verschiedene File-Formate sowie Tonträger und Merch. Noch beschränkt sich der schmale Katalog allerdings auf recht nischige Musik, Labels sind auf Mirlo (bisher) nicht vertreten.

Für DIY-Artists sollte das Prinzip von Mirlo einleuchtend sein. Neben sehr transparenten Updates über Interna, den Aufbau von Features (auch über GitHub nachvollziehbar) sowie sogar die Finanzen der Plattformen bekommen sie ein noch höheres Maß an Mitspracherecht zugestanden, als selbst Ampwall es ihnen bietet. Und sie können selbst bestimmen, wie viel Gebühren Mirlo auf ihre Verkäufe erhebt. Zehn Prozent werden empfohlen, es könnten genauso gut aber auch null sein. Die Plattform wird aktuell maßgeblich über regelmäßige finanzielle Unterstützung von Nutzer:innen finanziert. Das bedeutet eine kleine Investition in ein immer solider werdendes Produkt, das dank seines Open-Source-Charakters als Werkzeug entwickelt wird. Labels zum Beispiel spielen bei Mirlo zwar bisher keine Rolle – sie könnten die Plattform aber dank des offenen Codes kostenfrei für ihre eigene Zwecke adaptieren.

Fazit: Genossenschaften erfordern viel Arbeit und noch ist diese prekär. Doch müssen diese Investitionen gar nicht allein Plattform und Genossenschaft zugutekommen – die Entwicklung des Produkts könnte für die breitere Musikwelt nützlich sein.  

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