Review: Dax J – Utopian Surrealism [Monnom Black]

Review: Dax J – Utopian Surrealism [Monnom Black]

Features. 23. Oktober 2021 | / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Dax J produziert Techno mit der Attitüde einer Abrissbirne im Porzellanladen – drei Tonnen Stahl zerdeppern fein verzierte Tellerchen. Krach. Ekstase. 'Utopian Surrealism'. Das dritte Album von Dax Heddon, dem Ein-Personen-Unternehmen für Rüstungsindustrie auf Dancefloors, geht damit keine Umwege. Sondern reißt alles nieder. Zehn Tracks, acht Bomben. Zwei Versuche, mit Jungle-Breaks und Dub-Gehupe eine Großbaustelle als interstellare Forschungsstation zu verkleiden. Am Ende muss sich der Kompressor zwei Self-Care-Ratgeber reinziehen, um nicht in eine mittelschwere Existenzkrise zu fallen. Es raucht. Und dampft. Viel Aufregung um zu viel Rückschritt.

Aber Moment mal: 'Utopian Surrealism' klingt zuallererst nach Zukunft. Nach einem Ausblick, weil die Richtung stimmt. Oder nach einem Versprechen, das Richard David Precht bei Maischberger gibt. Man marschiert nach vorne. Macht keinen Schritt zur Seite. Sondern stampft – links, zwo, drei – mit Buffalo-Sneakers so lange über die Trümmer der Vergangenheit, bis die Dinger als Segelschuhe durchgehen.

Klar, das hat viel mit den Kicks zu tun. Alle, die schon mal in einem Samplepack für „Dark Techno“ rumgeklickt haben, kennen die Teile: so viel Dynamik wie der Hüftschwung von Onkel Jochen. Aber genügend Rumms, um bei allen Beteiligten für eine Mischung aus Ungläubigkeit und Entsetzen zu sorgen. Wer seit fünf Tagen im Dunklen rumhampelt, am Klo alle antickt („Ey, haste noch was?“) und wie ein ICE im Fernverkehr über den Acker rumpelt, hat damit sicher keine Probleme.

Im Gegenteil: Man könnte die Bassline von irgendeinem Britney-Spears-Song unter dieses Vierviertelmassaker legen, es klänge noch immer nach etwas, zu dem sich 20-jährige Influencer im Berghain ins Gesicht pissen. Allein der Opener der Platte schiebt mehr Schubladen als ein Griff in den Kaugummiautomaten. Die Sonne geht auf, sie geht unter und wieder auf. Irgendwann raucht man eine Zigarette in einem Zug und eine zweite von der falschen Seite – alles egal, mit 'Universal Future Sound' drückt man sich zum Altar, um die Hände nach oben zu reißen und zu einem Gott zu beten, der mit zu viel Gel in der Matte wie ein Hustinettenbär in die Menge grinst.

Besorgten Freunden beteuert man am nächsten Tag, nicht seine ganze Identität an dieser neu entdeckten Religion auszurichten. Aber das sind nur leere Versprechen. Echte Raver verzeihen sogar, dass Amenbreaks über eine Vierviertelkick hüpfen. Das macht aus einem Panzer zwar keinen Ferrari, bügelt die Zuhälterkarre im direkten Vergleich aber trotzdem weg.

Zur Halbzeit verheizt Aphex Twin die Hinterreifen ('Utopian Surrealism') und Squarepusher dreht am Rad. Wer dabei nicht an selektierte Ambientwerke denkt, zieht seine einzigen Cluberfahrungen aus Beatport-Charts und Lacoste-Leibchen. Keine drei Schritte weiter rieselt am Klo mehr Schnee als zum Saisonauftakt in Kitzbühel. Deshalb zappeln spätestens beim Impulsvortrag zu industriellen Cyber-Technologien alle nur noch coked up im Kreis herum, labern viel zu viel und spülen die rote Pille mit kaltem klaren Wasser runter.

Beim Track 'Simulated Reality' sieht man die Welt am Draht. Das Ganze klingt aber eher so, als hätte Elon Musk mit einem Holzmodem verkehrt. Leider hat das mit Utopie so viel zu tun wie das Parteiprogramm der SPD. Möchte man wissen, wie es um Techno in den 2020ern steht, bekommt man mit der Platte trotzdem ein Standardwerk zum Stöbern in die Hand gedrückt – Bass ohne Ende, trotzdem werden keine Lines gelegt. Dass sich Dax dafür die Spiegel-Bestsellerliste reingezogen hat, ist eine faire Sache. Macht aus dem Teil aber auch keinen Bringer.

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