Review: Dominik Eulberg – Tönende Tiere / Tierischer Trance und Rohrdommel-Dub

Review: Dominik Eulberg – Tönende Tiere / Tierischer Trance und Rohrdommel-Dub

Features. 14. Juni 2023 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Nikta Vahid-Moghtada

Der Musiker und Biologe Dominik Eulberg hat ein neues Buch herausgebracht: 'Tönende Tiere' ist eine Mischung aus Kunst- und Sachbuch und widmet sich den Stimmen der Tierwelt, die uns umgibt.

Hand aufs Herz: Den Spatzen von der Amsel oder der Taube auf dem Dach unterscheiden, oder die Elster von der Krähe, das kriegen die meisten noch hin. Aber wer erkennt noch das Tschilpen von Drossel, Buntspecht, Goldammer oder Buchfink aus dem Stegreif – und was unterscheidet eigentlich die Unke (nein, das ist kein Vogel) von der Gemeinen Geburtshelferkröte? Hat man bestenfalls und vor langer Zeit einmal in der Schule gelernt – aber viel ist davon oft nicht mehr übrig.

Und genau da kommt Dominik Eulberg ins Spiel, der sich nicht nur ziemlich gut mit Nachteulen im Clubgestrüpp auskennt, sondern als Wissenschaftler und studierter Biologe auch mit der Flora und Fauna, die uns umgibt. 'Flora & Fauna', so hieß auch das erste Album des Künstlers. Und schon dafür hat Eulberg aus dem musikalischen Schatz der Tierstimmen geschöpft.

Das macht er jetzt wieder, aber ohne den rein musikalischen Ansatz und ohne das Bedürfnis, irgendwen zum Tanzen zu bringen. Sondern ganz im Gegenteil: zum Hinsetzen, Lesen und Zuhören. Der Westerwälder hat ein im besten Sinne eigenartiges, sensibles, lesenswertes und schönes Hybrid aus Kunst, Musik und Wissensvermittlung geschaffen.
Nach 'Mikroorganismen überall', das als bestes Wissensbuch des Jahres 2021/22 ausgezeichnet worden ist, ist im April sein zweites Buch im Eichborn Verlag erschienen. 'Tönende Tiere' heißt es, eine auf mehr als 100 Seiten gewitzte Melange aus Kunst- und Sachbuch.

Das Prinzip ist erstmal ganz simpel und klassisch: Alphabetisch geordnet wird Tier für Tier abgehandelt. Vor allem Vögel, aber nicht nur. Auch verschiedene Krötenarten, Wildtiere oder Insekten finden sich in der Liste. Jedem Tier ist eine Doppelseite gewidmet, links der Text, informativ, aber nicht überladen, und zugänglich, inklusive Infos u.a. zu Größe, Gewicht, Höchstalter oder Gefährdungsgrad. Und rechts das Tierbild. Das ist aber nicht nur irgendein Bild, das das Wesen in seinem möglichst natürlichen Habitat abbildet: Eulberg hat sich mit dem in Leipzig lebenden Künstler Matthias Garff zusammengetan, der Tiere mindestens genauso gern mag wie der Musiker. Aus Müll und Alltagsgegenständen schafft der Leipziger, wenn auch abstrahiert, aber verblüffend lebensnahe und teils über zwei Meter hohe Tierskulpturen. Aus Handschuhen, alten Stiefeln, Schrauben und Metallresten wird allerhand Federvieh und Getier, ein jedes mit seinen spezifischen Merkmalen. Das mag erstmal irritieren, wenn ein klassisches Sachbuch erwartet wird. Aber das Konzept geht auf.

© Veronica Garcia
© Veronica Garcia
© Veronica Garcia
© Veronica Garcia

Der Musiker Eulberg sorgt dafür, dass das Buch nicht nur nett aussieht, sondern auch Geräusche macht: Pro Text und Tier gibt’s noch einen QR-Code on top, der nicht einfach nur zu einem Player führt, der einen Tierlaut abspielt, sondern jeweils einen Mini-Track, den Eulberg produziert hat. Zunächst ist etwa zehn Sekunden lang die unbearbeitete Tierstimme zu hören. Und die geht anschließend über in ein kleines Musikstück. Dafür hat Eulberg Tierlaute in MIDI-Files transkribiert und daraus wiederum Sounds und Effekte programmiert. „Die Natur ist somit die Künstlerin, ich nur der Dolmetscher“, schreibt er im Intro.

Aus dem anfänglichen Zirpen der Feldgrille zum Beispiel wird ein Hämmern und ein tranciger Beat. Das Zwitschern des Gelbspötters klingt nach 8-bit-Track mit Dub-Spitzen. Der minimalistische Sound der Geburtshelferkröte klingt wie der Soundtrack eines neuen Blade-Runner-Movies, der des Rotfuchses wie ein musikalischer Ausschnitt aus Dark. Geburtshelferkröte statt Synthesizer, der Plan geht auf.

Das lässt sich jetzt Tier für Tier durchspielen, von der Fledermaus bis zum Grünen Heupferd, dessen Track wie ein Ausschnitt aus einem Ambient-Set ist – genau an der Stelle, an der endlich mehr Wumms kommt. Und wer düsteren Dubtech mag, wird den Sound der Rohrdommel mögen. Definitiv ein Favorit.

Auf Instagram schreibt der Künstler über sein Buch: Er wolle „das kindliche Staunen reaktivieren”, Kunst und Kultur als niederschwellige Vektoren verwenden. Menschen, da hat er auch ganz recht, erreicht man nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Emotionen. „Nur was wir lieben, schützen wir”, schreibt er weiter, pathetisch mögen das die einen finden, aber widersprechen kann man der Aussage eben auch nicht. Dieses Gefühl wird auf den 112 Seiten auch vermittelt. Die kindlich-naiv wirkenden Skulpturen von Matthias Garff unterstreichen dieses gefühlige Moment auf eine eigenartig harmonische Weise.

Eulberg will, das betont er auch in Interviews immer wieder, den Menschen die Natur näher bringen, Wissen vermitteln, als Biologe ernstgenommen werden. Und das schafft er mit Büchern wie diesem, die das Ganze auf eine spaßige Art angehen – aber eben mit Bildungsauftrag. Die Sendung mit der Maus der Technowelt quasi, die dafür sorgt, dass wir auf dem nächsten verschallerten Nachhauseweg vom Club das morgendliche Vogelgezwitscher hoffentlich eindeutig werden bestimmen können.

'Tönende Tiere' erschien am 28.04.2023 via Eichborn Verlag.

Veröffentlicht in Features und getaggt mit Dominik Eulberg , Eichborn Verlag , Matthias Garff , Rezension , Tönende Tiere

Deine
Meinung:
Review: Dominik Eulberg – Tönende Tiere / Tierischer Trance und Rohrdommel-Dub

Wie findest Du den Artikel?

ø: