Review: Moritz von Oswald Trio – Dissent [Modern Recordings]

Review: Moritz von Oswald Trio – Dissent [Modern Recordings]

Features. 7. August 2021 | / 5,0

Geschrieben von:
Kristoffer Cornils

Sechs Jahre sind seit dem letzten Album des Moritz von Oswald Trios vergangen. Tony Allen ist tot, Laurel Halo neu an Bord und dennoch hat sich nichts geändert – außer allem natürlich. ‘Dissent’ kehrt an die Wurzeln des Projekts zurück, um es voranzubringen.

Seit gut drei Jahrzehnten macht Moritz von Oswald ein ums andere Mal dasselbe. Nur macht er es zum Glück immer wieder anders. Seitdem er die Schlagzeugsticks an den Nagel gehängt und seinen Job als Drummer von Palais Schaumburg gegen ein Leben in und um Techno herum eingetauscht hat – das heißt, von Hamburg nach Berlin zog –, baut sein ganzes Schaffen auf dem Miteinander von Repetition und Modulation auf. 3MB, Basic Channel, Rhythm & Sound – all diese Projekte waren deshalb so fortschrittlich, weil sie zwar auf der Stelle tanzten, aber doch unbemerkt die Parameter des Machbaren verschoben.

Dass von Oswald sich nach Techno, Dub und Reggae irgendwann Jazz vorknöpfen würde, war nie wirklich absehbar und doch eigentlich nur folgerichtig. Als er im Jahr 2009 gemeinsam mit Sasu Ripatti – besser bekannt als Vladislav Delay – und Max Loderbauer unter dem Namen Moritz von Oswald Trio debütierte, beschwerten sich in den Discogs-Kommentaren zwar ernsthaft Menschen darüber, dass es sich keineswegs um Dub Techno handelte. So wirklich Recht hatten sie damit allerdings auch nicht. Denn was ‘Vertical Ascent’ seinem Publikum präsentierte, war weniger eine Verwässerung denn vielmehr eine Abstraktion des ursprünglichen Dub-Techno-Gedankens: Raum schaffen, ihn mit langsam Schritten ausmessen und schließlich am Horizont angekommen Entgrenzung finden.

Das Mittel dazu hieß Jazz, aber auch Krautrock: Improvisation trifft auf Freiförmigkeit trifft auf das, was ein Albumtitel perfekt mit den Worten ‘Horizontal Structure’ umfasste. Scheiß auf Soli, Muckertum und Ego – wichtig ist das Miteinander. Ob nun das von Mensch und Maschine oder den Spielenden, die sich ergänzen statt übertrumpfen sollen. Deswegen verwunderte es auch nicht, dass das Trio im Flux blieb, Ripatti seinen Platz hinter der Percussion räumte und Afrobeat-Pionier Tony Allen übernahm. Überraschend war eher, dass das fünfte Album ‘Sounding Lines’, das erste mit Allen, für lange Zeit das letzte bleiben sollte.

Mit ‘Dissent’ allerdings verschafft von Oswald dem Projekt mit dem augenzwinkernden Namen eine Frischzellenkur. Der im letzten Jahr verstorbene Nigerianer Allen findet im vielseitigen Sessionmusiker Heinrich Köbberling einen würdigen Nachfolger, Loderbauers Modular-Gerätepark weicht der Elektronik von Laurel Halo und der Chef des Ganzen widmet sich dem, was er seit jeher als Bandleader getan zu haben scheint: Auf den Computer starren und aussehen, als würde er eigentlich E-Mails beantworten.

Den Kern des von ihnen gemeinsam im Rahmen langer, später zu den vorliegenden Tracks kondensierten Jam-Sessions produzierten Albums ‘Dissent’ bilden zehn nummerierte ‘Chapters’, die von einem ‘Preface’ und einem ‘Epilogue’ umrahmt werden. Das deutet jedoch nicht auf ein episches Narrativ, sondern vielmehr auf ein lose strukturiertes Essay hin. Das Vorwort nimmt mit düster-dumpf dräuenden Tönen und musikalischen Brüchen bereits vorweg, dass der Fluss dieses Album ein assoziativer und heterogener sein wird – sich Strukturen zwar ausprägen, aber nie verfestigen. Das im Plattentitel ausgesprochene Prinzip der Abweichung ist leitend für die Gesamtheit der Stücke.

Auch nachdem diese nämlich merklich Form annehmen, sich aus dem Miteinander von Köbberlings versiertem Spiel und Halos und von Oswalds Beigaben in Form von aufreibenden Texturen und gelegentlichen Jazz-Piano-Klängen langsam Tracks herausschälen, erreichen sie doch niemals ein Plateau, verweilen in fixen Gefügen oder steuern auf Höhepunkte hinzu. Bisweilen setzen die drei ihre Beigaben nur extrem sparsam ein, legen den Fokus eher auf die nahezu unmerklichen Dynamiken zwischen den einzelnen Elementen und wechseln hier und da sogar abrupt den Kurs, wenn sie sich zu sehr eingegroovt haben. Es ist ein ständiges Spiel von Wiederholung und Differenz, Annäherung und eben Abweichung. Ein ums andere Mal passiert dasselbe, nur immer wieder anders.

Das spiegelt sich auch in der stilistischen Gestaltung dieses musikalischen Langessays wider. Da werden zwar im fünften Kapitel deep-housige Klänge laut und bereiten einen federnden Techno-Groove im folgenden vor, schon das Anschlusskapitel allerdings leistet mit schwebenden Klangflächen und vertrackten Grooves wieder Abstraktionsarbeit. Obwohl sich klanglich und rhythmisch noch deutlicher an Jazz-Tropen orientiert wird als zuvor und bisweilen Verweise auf Dancefloor-Konventionen aufblitzen, lässt sich das Trio eher durch die Referenzrahmen treiben, als sie mit herkömmlichen Mitteln auszukleiden. Über die Repetition der Mittel werden fein säuberlich Stimmung und Atmosphäre moduliert. Hier angedeutete Ekstase, da zappelige Introspektion, im nächsten Moment eine gänzlich andere Gemütslage.

Die Komposition, die Zusammensetzung der einzelnen Stücke, erfolgt merklich im Hier und Jetzt zwischen drei Menschen, die ihre Egos zurückschrauben. Das Ergebnis ist eine Art von progressivem Muckertum ohne den üblicherweise damit einhergehenden Stallgeruch. Und also eigentlich genau das, was Jazz und Dub dereinst versprachen und was Techno in seinen Anfangstagen einlösen wollte: den Sound des Miteinanders. ‘Dissent’ schafft Raum, misst ihn mit langsamen Schritten aus und findet schließlich am Horizont angekommen Entgrenzung.

'Dissent' ist am 6.8.2021 auf Modern Recordings erschienen.

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