Review: Oneohtrix Point Never – Magic Oneohtrix Point Never [Warp]

Review: Oneohtrix Point Never – Magic Oneohtrix Point Never [Warp]

Features. 8. Oktober 2020 | / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Daniel Lopatin ist ein Chamäleon. Seit über zehn Jahren wechselt der in Brooklyn lebende Produzent seinen musikalischen Output, legt sich nie fest, verschwindet hinter neuen Stilen. Die sich ständig verändernde Natur von Oneohtrix Point Never, seinem Paradeprojekt, hat ihn als inoffizieller Erfinder von Vaporwave über Hyper-Grunge und Barock-Pop zu Kollabos mit The Weeknd, FKA Twigs und David Byrne geführt. Die Safdie-Brüder wollen für ihre Filme seine Musik, Trent Reznor seinen Support. Jetzt hat Lopatin eine neue Platte gemacht, auf der er das Radio einstöpselt und sich durch eigene Kanäle dreht, um ein Mixtape seiner bisherigen Karriere zu basteln.

'Magic Oneohtrix Point Never' heißt das Album, das knappe zwei Jahre nach 'Age Of', Lopatins Visitenkarte für den Pop-Zirkus, erscheint. Die Platte sei ein Konzeptalbum, das nicht nur nach einem Radiosender benannt ist, sondern wie ein Radio funktionieren soll. Man kann am Regler rumschrauben, verschiedene Sender ausprobieren, um irgendwann hängenzubleiben. Oder eben immer weiterzudrehen, weil man als Millennial sowieso nie ganz angekommen ist, sich alle Optionen offen hält und situationselastisch durchs Leben hustelt. Während auf dem Vorgänger neben James Blake und Anohni auch Kelsey Lu mitwerkelten, husten auf der aktuellen Platte Arca, Caroline Polachek oder Nolanberollin in den Vocoder. Dass OPN die Poprichtung weitergehen würde, war zu erwarten. Wer einmal für The Weeknd produziert, kann nicht ewig obskuren Electro-Krach fabrizieren, ohne den Verheißungen der Glitzerwelt mit moralischer Integrität den Mittelfinger übers Koks-Tablett zu ziehen.

Vielleicht klingt 'Magic OPN' deswegen wie eine Initiativbewerbung für das nächste Songschreiber-Bootcamp von Lady Gaga – und weniger als der gewohnte Schnitt zwischen Prunk und Punk aus dem Kassettenfach. Schließlich waren Lopatins beste Alben die, auf denen er eine eigene Klangpalette entwarf und diese Ideen so weit wie möglich ausdehnte, um dabei einen eigenen Klangraum zu schaffen. 'Rifts', 'Replica' und 'R Plus Seven' sind komplexe Alben, in denen man genügend Anhaltspunkte findet, weil sie Instrumente, Melodien oder Klänge wie Farben vermischen, die für sich alleine stehen können. Im Vergleich dazu erscheint die Soundauswahl auf 'Magic OPN' wie ein Schiff ohne Anker. Es treibt auf offener See herum, bis es irgendwann untergeht – in einem Meer von Effekt-Schnickschnack, das so klingt, als hätte man die Fachtagung für Epilepsie auf den Times Square verlegt. An diesem Punkt wird Lopatin zu seinem eigenen Nachahmer, der den Label-Katalog von Orange Milk und Hausu Mountain Records studiert hat, um die drohende Reizüberflutung mit Auto-Tune zu kaschieren.

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Das passiert vor allem dann, wenn Lopatin selbst singt. Auf 'Long Road Home' zerlegt er eine Nummer, die Enya problemlos auf ihr nächstes Greatest-Hits-Album sneaken hätte können, in einen Frontalcrash, der in Zeitlupe abläuft. Man will nicht hinhören, bleibt aber dran – auch wegen des Videos, das in Stop-Motion-Manier Bilanz zieht: Ein roter Transhumanisten-Dämon und eine schwarze Fledermaus vögeln im 'R Plus Seven'-Raum, um am Höhepunkt der Ekstase die Geburt von 'Garden of Delete' mit der 70er-Ästhetik von 'Age Of' zu verbinden, während schwarz-weiße Streifen nicht nur auf das Albumcover von 'Magic Oneohtrix Point Never' verweisen, sondern gleichzeitig den Übergang aller bisherigen Platten symbolisieren. Das mag die Grenzen der Interpretation überstrapazieren, zeigt aber, wie viele Nuggets seiner eigenen Vergangenheit OPN über 17 Tracks ausgestreut hat. Wer Zeit, Muße und eine Tendenz zum Masochismus mitbringt, wird daran seine helle Freude haben.

Schließlich findet man auf 'Magic Oneohtrix Point Never' nur drei Stücke, die andeuten, was dieses Album hätte sein können. Von 'Imago' bis 'Lost But Never Alone' kommt plötzlich alles zusammen, was Lopatin seit 'Eccojams', 'R Plus Seven' und 'Garden of Delete' produziert hat: Keyboards, die sich in ihrem eigenen Rauschen ertränken, Radiofrequenzen von Sendern, die es nie gab, aber die in unseren Köpfen existieren und leiernde Gitarrensounds, bei denen es lila regnet – all das fließt in eine Neo-Grunge-Ballade ein, die mit einem Synthie-Solo endet und bei der sich Vangelis alle Finger ableckt. Dass dieser Moment erst am Albumende steht, reicht, um sich zu wünschen, der Rest des Albums würde sich im Vergleich dazu nicht anfühlen, als hätte Lopatin die Festplatten aus zehn Jahren OPN durchforstet: Das ist das Gefühl, das 'Magic Oneohtrix Point Never' hinterlässt, wenn die einzige Magie im Titel stattfindet. Ganz schön verstörend, dass Adam Sandler zuletzt die beste Musik aus dem Typen rausgeholt hat.

'Magic Oneohtrix Point Never' erschien am 30.10.2020 über Warp.

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