Review: The Phantasy ‎- 'Ibiza Part I + II' [All Possible Worlds]

Review: The Phantasy ‎- 'Ibiza Part I + II' [All Possible Worlds]

Features. 30. Oktober 2020 | / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Der Traumprinz ist zurück! Also fast. Mit The Phantasy als neues Pseudonym und zwei Platten im Rollkoffer jettet er mit uns nach 'Ibiza'. Nicht auf die Baleareninsel, sondern vielmehr in das Bild, das man mit MDMA-Trips zwischen Lasershow und Vierviertelbummsen im Amnesia der späten 80er Jahre assoziiert. Der ehemalige House- und Hof-Produzent von Giegling packt dafür Glamour-Chords in Watte ein, bevor er die Schaumkanone in unsere Richtung dreht und alles einschäumt. Wer dabei an das glatt gestrichene Ibiza der Segelschuh-Fregatte und Poloshirts auf Yachtpartys für millionenschwere Millennials denkt, springt lieber gleich über die Klinge. Das hier ist Ibiza, das nur in den Köpfen, als verrauschte Erinnerung, auf ausgeblichenen Fotos und in den YouTube-Kommentaren unter House-Hits aus den 90ern existiert. Eine Reminiszenz in zwei Teilen, 80 Minuten Flashbacks, die man runterspült wie drei Long Island Ice Teas nach fünf verschwitzten Stunden am Dancefloor.

Wie alle Veröffentlichungen von Traumprinz, Prince of Denmark und DJ Metatron gingen auch die beiden Teile von The Phantasys 'Ibiza' weg, als hätte Banksy himself ein paar Tags auf die Platten geschmiert. Die Weiterschreibung des Mythos durch künstliche Verknappung kann man finden, wie man will. Allerdings ist es einfacher, Donald Trumps Twitter-Konto zu hacken als die Releases zu checken, bevor sie für Abzocker-Preise im Discogs-Haifischbecken landen. Einziger Trost: Die Alben gründeln auf abgelegenen YouTube- und SoundCloud-Kanälen rum und können über Soulseek rausgefischt werden. Das macht Sinn, weil die Platten wie Sets funktionieren. Einzelne Tracks lassen sich zwar hervor- und herausheben, aber die Packung funktioniert am besten, wenn man den Inhalt in eine Zeitkapsel sperrt, vorsichtig mit den Fingern dran rubbelt und einen Geist beschwört, der alte Soul-Samples rezitiert wie gottlose Nihilisten Nietzsche-Zitate im Einführungsseminar zu analytischer Philosophie.

Auf 'U See That' wirkt The Phantasy als Mediator zwischen Dance Music und Loleatta-Holloway-Sample, das Radioslave vor ein paar Jahren auf 'Feel The Same' verschandelt hat. Alles oxidierter Schnee von gestern, bei Phantasy pumpt der Track sechs Bar in die Nervenbahnen und legt unter Bandrauschen zwei Lines auf den Klodeckel. 'Love Will See Us Through' walzt wie eine Horde Caribous durch die Palmenallee, bevor 'The Ever Sunset' erste Sonnenstrahlen aufs Meer zeichnet und man mit 'Just Dance' die letzten Brösel wegballert, um noch ein paar Stunden weiterzutanzen. Apropos Tanzen: Kennt man heute nur noch vom Hörensagen. Die Platten rauszubringen, während Clubs schließen und Subwoofer schlummern, grenzt fast an Blasphemie, aber ...

'Ibiza Pt. II' glaubt sowieso an seinen eigenen Gott, während es an der goldenen Büste des Traumprinzen schnitzt. Dass er sich als The Phantasy quer durch die elektronische Zeitgeschichte mit Pop-Einschlag sampelt und neben Adam-Freeland- und The-Weeknd-Schnipseln ('My Weekend') auch Róisín Murphy als sphärische Erscheinung auf den Parade-Banger ('Hiddentrack') bannt, funktioniert nicht nur für ausgewiesene Fanboys. Blöd, dass genau die nichts von den Samples haben: Auf den Vinyl-Versionen kommen die Tracks ohne Vocals, weil man für Drei-Sekunden-Samples von kommerziellen Künstlern wie The Weeknd bis auf die letzte Kick-Drum verklagt werden würde. Hoffentlich gibt sich Aphex Twin nicht den 'Avril 14th'-Verschnitt ('Skip'), sondern packt sich in House-Chords ein, die wie auf 'Rainbow' die Essenz von Ecstasy ausmachen – ein zeitloser Trip, Tränen, pure Emotion im Schaukelstuhl.

2020 ist ein beschissenes Jahr – mit 'Ibiza' gaukelt uns The Phantasy über zwei Platten zumindest eine Oase der Glückseligkeit vor, in der man die Gesamtscheiße an Palmen aufhängt und im Fata-Morgana-Schlagschatten Drinks aus Kokosnüssen sippt. Das Comeback von Traumprinz unter falschem Namen brutzelt in der Sonne der Vergangenheit. Rave, wie er niemals war und nie mehr sein wird.

Übrigens: Hier geht es zur Review des zeitgleich als DJ Metatron veröffentlichten 'Loops of Infinity (A Rave Loveletter)'.

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